Aufbrüche

 

„Es will mir einfach nicht in den Kopf, dass Elena ihr Leben wie ein Paar ausgelatschte Schuhe entsorgt um sich anschließend wie ein Dieb in der Nacht davon zu schleichen. Ich glaubte bisher ,dass ich sie kenne, aber allem Anschein nach bin ich da einem großen Irrtum aufgesessen.“ polterte Gabriela  während sie wie ein aufgescheuchtes Huhn durch ihre Villa fegte.

 

„Das musst du aber! Dir bleibt nichts anderes übrig. Es ist nun mal so und basta, finde dich damit ab, je eher desto besser.“ widersprach ihr Klaus energisch.

„Nein! Nie und nimmer! Sie ist nach wie vor meine beste Freundin und ich werde nicht zu sehen wie sie  kopflos in ihr Verderben rennt!“ konterte Gabriela, blieb wie ein trotziger Teenager vor dem großen Fenster stehen, das den Blick auf ihren mondänen Garten freigab.

„Ach, und was willst du machen, wenn die Frage erlaubt ist?“ wollte Klaus wissen.

„Ich…ich weiß nicht! Keine Ahnung! Aber irgendwas muss ich tun. Ich kann nicht nur da sitzen und Däumchen drehen. Es sind jetzt schon fast 3 Wochen, seit ihrem spektakulären Auftritt. Ich war  der Meinung, sie käme irgendwann zurück und es hätte sich am Ende doch noch die Vernunft zurück gemeldet. Aber nichts, einfach nichts!“

„Aber Elena ist bekannt für ihre spontanen Handlungen. Sie war vor nicht all zu langer Zeit über sechs Monate weg und ist am Ende wiedergekommen. Damals hast du auch nicht so ein Theater gemacht. Warum sollte das in diesem Falle anders sein? Warte ab! Mit größter Wahrscheinlichkeit steht sie bald wieder vor der Tür und lacht sich am Ende eins ins Fäustchen“ versuchte Klaus zu beruhigen.

„Richtig! Habe ich mir auch immer wieder versucht einzureden. Aber nein, diesmal nicht. Sie kommt nicht zurück! Sie hat alle Brücken hinter sich abgebrochen. Da bin ich mir ganz sicher. Ich habe durch einen Detektiv mit ausgezeichnetem Ruf Nachforschungen anstellen lassen. Sie lebt bei diesem Kovacs, dem durchgeknallten Dichter. Wie es aussieht hat sich sich dort bereits häuslich niedergelassen.“

„Ist doch ok! Wenn sie das will! Das ist allein ihre Angelegenheit! Sie hat genügend Geld gescheffelt und nun will sie offensichtlich für den Rest ihres Lebens Urlaub machen. Kann sie doch! Sie hat keine Verpflichtungen.“ meinte Klaus, schritt auf Gabriela zu und umfasst ihre Taille.

„Nichts ist gut! Gar nichts!“ Gabriela entwand sich ihm und begann wieder durch den Raum zu eilen.

„Wenn es nur das wäre! Nein, sie beginnt doch tatsächlich ihr Vermögen zu verjubeln. Steckt es in irgendwelche blödsinnigen Projekte. Unterstützt diesen Cornelius, stell dir vor.

Und nun will sie sich allen Ernstes als Ärztin niederlassen. Aber nicht in einer mondänen Privatklinik, das wäre  noch verständlich. Nein. Sie will dieses  Pariageschmeiß versorgen.

Dieses verlauste, verdreckte Pack. Und alles auf ihre eigenen Kosten. Die ist übergeschnappt, sag ich dir, die ist nicht mehr sie selbst. Wir müssen   einschreiten.“

„Das ist in der Tat bedenklich. So etwas tut kein normaler Mensch, da kann ich dir nur zustimmen. Aber andererseits weiß ich nicht, was ausgerechnet wir da ausrichten könnten.  Sie hat doch auch noch ne Menge anderer Freunde und Freundinnen. Was tun die denn?  Nehmen wir doch nur Frederic. Glaubst du, dass der einen Gedanken an sie verschwendet? Hatte der nicht vor nicht all zu langer Zeit sogar vor, sie zu ehelichen?

Der wäre doch am ehesten involviert, ein u schreiten. Oder?“

Klaus ließ sich in einen weichen mit Samt bespannten Sessel fallen.

„Ach was! Frederic, den kannst du vergessen. Sicher hatte er vor, sie zu heiraten. Aber der wollte sich nur mit ihrem Promistatus schmücken. Als Person ist sie ihm doch völlig gleichgültig. Auf den brauchen wir nicht zu bauen.

 Und die anderen. Keine Ahnung, was die denken. Interessiert mich im Grund auch gar nicht.

Ich bin ich und ich werde Elena dort rausholen, wenn ich im Moment auch keinen blassen Schimmer habe, auf welche Weise!“

Gabriela nahm auf dem Sofa gegenüber Platz, streckte die Beine dabei weit von sich.

„Eine richtige Feststellung! Du hast keinen blassen Schimmer. Das sollte dir zu denken geben. Lass es sein, es bringt nichts. Wir können nur abwarten, sonst nichts.“

„Sonst nichts?“

„Sonst nichts! Lass es dabei bewenden!“

Beide schwiegen einander eine Weile an. Gabriela grübelte und grübelte doch des Rätsels Lösung wollte sich nicht einfinden.

Nach einer Weile schlug sie sich heftig mit der Handfläche auf den Oberschenkel.

„Ich hab s! Ich weiß, was ich tue!“

Wie von der Tarantel gestochen eilte sie die große Treppe nach oben.

Klaus war zu Tode erschrocken und zuckte zusammen, dann lief er ihr nach.

„Sag mal, bist du jetzt auch übergeschnappt? Das scheint wohl allmählich anzustecken.“

Er traf sie in ihrem Schlafzimmer, wie sie gerade im Begriff war, auf unordentliche Weise eine große Reisetasche zu füllen.

„Kannst du mir mal bitte sagen, was das soll?“

„Ganz einfach! Ich mache mich auf den Weg zu Elena! Ich werde sie zurück bringen, koste es auch noch so  viel an Überredungskünsten oder was ich sonst noch in die Waagschale werfen muss.“ erwiderte Gabriela, während sie weiter voller Hektik packte.

„Gabriela, mach dich doch nicht lächerlich! Das ist Unsinn! Schwachsinn! Du kannst Elena nicht umstimmen! Niemand kann das! Würdest du mal für einen Moment mit dem Packen aufhören und mich anhören?“

Doch Gabriela tat nichts dergleichen..  Klaus hielt sie deshalb kurzerhand am Ärmel fest.

„Lass mich los! Was soll das? Du kannst mich nicht auf halten! Ich geh zu Elena! Basta!“ beschwerte sich Gabriela, entwand sich ihm und verrichtete ihre Tätigkeit weiter wie vorher.

„Ach, mach doch was du willst! Von mir aus  lauf du eben auch noch in dein Verderben!“ wiegelte Klaus ab.

„Warum sollte ich denn in mein Verderben laufen?“

„Hat dich dein schlauer Detektiv auch darüber informiert in welches Gebiet du dich begibst? Parialand! Es wird seit geraumer Zeit davor gewarnt.Banden von Verbrechern treiben dort ihr Unwesen. Gesetzlose Zone. Man vermutet sogar terroristische Umtriebe. Du bist dir deines Lebens nicht mehr sicher!“ klärte Klaus auf.

„Einen Grund mehr, Elena da rauszuholen! “ konterte Gabriela.

„Aber doch nicht allein! Du begibst dich in allergrößte Gefahr, wenn du dorthin gehst!“

„Ich bräuchte gar nicht allein zu gehen. Du kannst mich gerne begleiten. Wenn dir also was an mir liegt, dann komm einfach mit!“ forderte Gabriela den Verdutzten auf.

„Ich denke nicht dran! Ich müsste ja von allen guten Geistern verlassen sein, wenn ich das täte. Wie komme ich eigentlich dazu?“ entrüstete sich dieser.

„Zum Beispiel, weil du mich liebst und mich beschützen willst, oder so!“

„Ach, hör doch mit diesem Quatsch auf! Seit wann stehst du auf so einen Romantikerkram.

Bei anderen Gelegenheiten pochst du doch immer so gern auf deine viel gepriesene Unabhängigkeit. Da musst du schon alleine damit fertig werden, wenn du das wirklich willst. Ich habe nichts damit am Hut.“

Für Klaus schien die Angelegenheit erledigt.

„Na ein feiner Lebensgefährte bist du! Konnte ich mir denken. Nein dann gehe ich alleine wie geplant.“

„Und was ist mit deiner Arbeit im Institut? Die willst du so einfach sausen lassen? Hast du dir das mal überlegt?“Rief Klaus in Erinnerung.

„Du tust gerade so, als ob ich da ein paar Wochen bleibe. Eins zwei Übernachtungen schätze ich und ich habe Elena überzeugt. So viel Zeit ist allemal drin.“

„Na, nach dem was du da in deinen Taschen verschwinden lässt, wohl eher zwei Monate, würde ich sagen!“ stellte Klaus fest.

„Du weißt, dass ich immer viel zu viel einpacke, wenn ich verreise. Und überhaupt, sicher ist sicher.“  rechtfertigte sich die Angesprochene.

„Aha, du rechnest doch mit einem längeren Aufenthalt, gib s zu!“ provozierte Klaus nun.

„Ach, ich weiß nicht! Ich weiß überhaupt nichts mehr. Lass mich endlich in Ruhe. Entweder du entscheidest dich mitzukommen oder du lässt mich jetzt alleine meine Vorbereitung treffen.“

Gabriela schlug Klaus die Tür vor der Nase zu.

„Ach, rutsch mir einfach den Buckel runter!“ rief dieser von draußen und entschwand nach unten.

Gabriela unterbrach ihre Tätigkeit immer wieder, um nachzudenken. Hatte Klaus nicht doch Recht? Es war Wahnsinn was sie vor hatte. Mit Sicherheit würde Elena sich nicht übererden lassen und dafür begab sie sich in Gefahr.

„Ich bin schon eine blöde Kuh!“ sprach sie zu sich selbst. Doch schloss sie ihre Tasche und begab sich mit dem Gepäck nach unten.

Klaus war nicht zu gegen, offensichtlich hatte der sich aus dem Staub gemacht, das sah ihm wieder mal ähnlich.  

Sie fuhr ihren Geländewagen aus der Garage, der für diesen Trip wie geschaffen schien und kramte eine Weile darin herum. Als sie sich umdrehte stand Klaus plötzlich mit einer gepackten Tasche hinter ihr.

„Und? Wo willst du hin?“ wollte sie provokativ wissen.

„Wenn du glaubst, dass ich dich dort allein hin gehen lasse, hast du dich getäuscht. Ich komme mit. Auch wenn ich es nach wie vor bescheuert finde. Aber schaffst du es nicht Elena innerhalb 48 Stunden zu überzeugen, ist für mich die Angelegenheit erledigt. Ich hoffe ich habe mich deutlich genug ausgedrückt?“ bekundete Klaus mit hartem Tonfall.

„Mehr habe ich auch nicht vorgesehen! Lieb von dir, dass du mit kommen willst. Im Notfall ist auf dich eben doch Verlass.“ Gabrielas Ton wurde wieder freundlicher.

 

Ein wenig lustlos tuckerte Ronald auf seinem Motorroller des Weges. Warum musste dieser blödsinnige Ehrenauftrag ausgerechnet ihn treffen? Sicher, viel gab es in Elenas Umfeld nicht zu tun. Er würde nur das beschauliche Leben im Hauptquartier der Radikalrevolutionäre gegen ein anderes eintauschen. Aber gerade hier lag das Problem. Ronald war ein Mann der Praxis, ihn verlangte es nach der Tat. Er brannte darauf, endlich einmal Aufgaben zu übernehmen, die seiner Natur entsprachen.

Langeweile, nichts als Langeweile würde ihn in Elenas Nähe erwarten, so zumindest glaubte er. Ansgar, warum wurde nicht Ansgar mit dieser Aufgabe betraut?

Die Frage beantwortete sich von selbst. Der war einfach nicht imstande seinen Mund zu halten. Protzte ständig damit herum, dass er zu Neidhardts Leuten gehörte. Ronald hingegen hatte nie damit angegeben. Kaum einer wusste darum, dass er zum Stab  der Radikal-Revolutionären Partei gehörte.

Kovacs vermutete es, Leander war der einzige dem er sich je offenbart hatte. Warum konnte er heute nicht mehr sagen.

Es war kein unbekanntes Terrain in das er sich jetzt begab. Aber es war schon ein Unterschied ob man sich hin und wieder für ein paar Stunden dort aufhielt oder für unbestimmte Zeit einzog.

Würde er seine herausgehoben Stellung bei Neidhardt bewahren, wenn er längere Zeit abwesend war?

Vor allem dieser Neuaufsteiger Lars bereitete ihm schlaflose Nächte. Der brachte es doch glatt fertig ihn von seinem Posten zu verdrängen. Es schien, als habe Neidhardt einen Narren an Lars gefressen. Zu dumm, einfach nur zu dumm die ganze Angelegenheit.

Aber es half nichts, er musste sich fügen.

Wenigstens schien das Wetter gut. Ein schöner Spätsommertag kündigte sich an. Angenehme Wärme, er würde so viel Zeit als möglich im Freien verbringen können.

Eher beiläufig bemerkte er, nachdem er gemütlich über eine Bergkuppe geschlichen war, in der sich anschließenden scharfen Linkskurve die Luxuslimousine am Straßenrand.

Zunächst nicht weiter von Belang. Wieder so ein Privo-Spießer der es nicht lassen konnte, seinen Reichtum zur Schau zu stellen.

Er war gerade im Begriff an dem teuren Gefährt vorbei zu huschen, als er die junge Frau winkend vor sich sah. Abrupt stoppte er seine Fahrt.

Ein atemberaubender Anblick, der augenblicklich sein Blut zum kochen brachte.

Schulterlanges braunes Lockenhaar rahmte ein engelgleiches Gesicht aus dem zwei tiefbraune Augen lugten. Ihr kurzes luftiges Kleid ließ den Blick frei auf ihre schokoladenbraune geschmeidige Haut. Eine Figur wie aus Marmor gemeißelt. Alexandra:

„Vielen Dank! Ich dachte es würde heute gar keiner mehr vorbeikommen.  Scheint ja ne sehr abgelegene Gegend zu sein. ist einfach nur zu dumm. Erst verfahre ich mich ständig, dann geschieht mir auch noch dieses Missgeschick.“ Alexandra deutete auf das linke Hinterrad, das eindeutig einen Platten  erkennen lies

„Ich weiß nicht, was ich machen soll, kenne mich damit überhaupt nicht aus.  So was Ist mir noch nie passiert !“

„Hm! Na da will ich mal sehen, was ich machen kann!“ antwortete Ronald und schwang sich lässig von seinem Roller.

„ Wirklich? Das wäre toll, wenn du mal nachschauen könntest!“

„Kein Problem! Klar, ein Plattfuß. Hast du nen Ersatzreifen dabei?“

„Ähm.. ja, warte ich zeige ihn dir.“

Alexandra öffnete das Heck. Ronald konnte ein Blick auf das geräumige Innere der Limousine erhaschen.

„Hm..liegt ganz unten drunter, ich muss erst mal die Taschen ausladen.“ stellte Alexandra fest.

„Genau, das wäre angebracht! Warte, ich helfe dir!“

„Danke, zu gütig!“

„Hast wohl vor, ne Weltreise zu unternehmen, bei der Menge an Sachen, die du dabei hast?“ konnte sich Ronald die Frage nicht verkneifen.

„So könnte man es sehen! Ich bin im Begriff eine Freundin zu besuchen, die gerade dabei ist einen großen Fehler zu begehen. Ich versuche sie zurückzuholen. Dabei muss ich wohl besonders überzeugend wirken. Deshalb habe ich mich vorsorglich auf nen längeren Aufenthalt eingestellt.“ versuchte Alexandra zu erläutern.

„Hört sich ja sehr tragisch an. Was es nicht alles so gibt!“ erwiderte Ronald, nachdem alle Taschen auf dem Boden standen.

Endlich kam er an das Ersatzrad, hob es aus dem Bodenfach und wuchtete es auf die Straße.

Danach kramte er auch noch das nötige Werkzeug hervor.

„Na, da will ich mal gleich an die Arbeit gehen. Dürfte schnell erledigt sein. Ich bin Kfz-Mechaniker von Beruf, ist für mich ein Routineeingriff!“

„Echt? Da habe ich ja sogar doppeltes Glück!“ staunte Alexandra.

Ronalds Lässigkeit war gespielt, er versuchte damit gekonnt seine Unsicherheit zu verbergen, denn die Frau übte eine enorme Anziehungskraft auf ihn aus. Nur unter großer Anstrengung gelang es ihm, seine Begierde nicht zu verbergen. Schon ihre Füße stellten eine Herausforderung dar, geschmückt mit Fußkettchen und Zehenringen und mit pinkfarbenem Nagellack in den mondänen Sandaletten. Diese Privofrauen waren eine Augenweide. Noch nie war er einer so nahe gekommen.  Es gab in seinem Umfeld kaum Gelegenheiten. Melancholaniens soziale Apartheid schotte sie hermetisch von einander ab.

Schnell hatte Ronald seine Arbeit erledigt.

„So das war s schon! So schnell geht das!“

„Schon fertig? Ich weiß wirklich nicht, wie ich dir danken soll? Ich kann mir nicht vorstellen, was ich ohne deine Hilfe getan hätte!“ stellte Alexandra fest.

„Na, dann wäre wahrscheinlich ein Anderer des Weges gekommen!“ versuchte Ronald seine Hilfe herunterzuspielen.

„Kann sein! Du hast etwas gut bei mir. Das werde ich nicht vergessen.“ Alexandra kramte in ihrer Krokodillederhandtasche herum. Sie tat genau das richtige, indem sie Ronald keinen Geldschein in die Hand drückte, sondern eine Visitenkarte.

„Komm doch zu mir, wenn du wieder Zeit hast, du bist eingeladen. Da werden wir sehen, welche Überraschung ich gefunden habe.“

Ronald griff nach dem Papier und blickte darauf. Alexandra Comtesse von den Feuerrosen.

Jetzt dämmerte es ihm, er hatte ihr Gesicht  schon auf vielen Hochglanzmagazinen gesehen und natürlich im Fernsehen, sie war  Schauspielerin, eine berühmte zudem.

„Aber wie ich schon erwähnte, bin ich die nächste Zeit unterwegs, ruf doch einfach die Nummer an, da wirst du erfahren, ob und wo ich erreichbar bin.“

„Das werde ich gerne tun!  Jetzt aber kannst du erst mal deine Reise fortsetzen, ohne Störungen, hoffe ich!“ antwortet Ronald, nachdem er sich aufgerichtet hatte.

„Wenn das so einfach wäre. Ich weiß noch immer noch nicht, wie ich mein Ziel erreichen soll?“ gab Alexandra zu verstehen.

„Wo willst du denn hin? Möglicherweise kann ich dir auch in dieser Frage weiterhelfen?“ bot Ronald an.

„Du bist wirklich sehr freundlich! Das kann ich kaum an nehmen!“ bedankte sich Alexandra.

Dann präsentierte sie ihm eine Karte.

„Hier ist es eingetragen. Es kann gar nicht mehr so weit sein. Aber ich finde es einfach nicht.“

Ronald warf einen flüchtigen Blick auf das Papier und zuckte zusammen denn er kannte es nur zu gut. Es war Kovacs Gartensiedlung direkt am Stausee.

„Ich verstehe es nicht. Dieser Stausee muss doch ganz in der Nähe sein.“

„Ist er auch! Es ist in der Tat nicht mehr weit. Aber schwer zu finden, hier verirren sich viele.“  erwiderte Ronald.

„Kennst du diese Gegend?“ wollte Alexandra wissen, nachdem sie auf der Motorhaube Platz genommen hatte.

„Ich kenne sie gut! Gut genug, um dich dorthin zu führen!“ bot Ronald an.

„Das… das würdest du tun? Ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Ist das denn nicht ein Umweg für dich?“ begeisterte sich Alexandra.

Nun kam Ronald nicht mehr umhin die Katze aus dem Sack zu lassen. Sie hatten das gleiche Ziel, aus welchen Gründen auch immer hatten sie hier zusammen gefunden.

„Es ist kein Umweg für mich! Da will ich nämlich auch hin!“

„Ich…ich bin sprachlos! Nun sag nur noch, dass du diesen Dichter Kovacs kennst und ich glaube an keine Zufälle mehr.“ Alexandra kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

„Wahrscheinlich gibt es keine Zufälle, du hast Recht. Ja, ich kenne Kovacs. Und du? Deine Freundin, die du suchst, heißt nicht zufällig Elena?“

„Aber ja! Es ist Elena, deretwillen ich mich auf den Weg machte. Sie lebt dort nun seit einiger Zeit und ich möchte wissen warum? Was hält sie dort? Was veranlasst sie, ihr Leben derart auf den Kopf zu stellen? Wie ist er, dieser mysteriöse Dichter? Welche Kraft geht von ihm aus? Kannst du es mir sagen?“  gestand Alexandra unumwunden.

„Ich würde nicht sagen, dass ich mit Kovacs befreundet bin, aber ich denke ich kenne ihn ganz gut. Bei ihm ist sie mit Sicherheit gut aufgehoben. Er ist in der Tat eine bemerkenswerte Gestalt,verfügt über ein ungeheures Charisma, das zieht an, alle möglichen Leute.“

Ronald ließ sich einfach neben Alexandra auf der breiten Motorhaube nieder.

" Du hast mein Interesse auch geweckt. Ich will ihn kennen lernen und sein Geheimnis erkunden.“ meinte Alexandra, während sie mit ihren Beinen baumelte. Ronald konnte seine Blicke  nicht von ihr wenden.

„Lass uns doch gemeinsam fahren. Ach ist das beruhigend dass ich dort nicht allein auftauchen muss. Genau, mit dir mache ich da einen viel besseren Eindruck.

„Sehr gern! Brechen wir zusammen auf. Mal sehen welche Überraschungen das Schicksal sonst noch für uns vorbereitet hat.“ stimmte Ronald zu.

„Fährst du mit mir? Aber wie soll ich dann deinen Roller transportieren?“ wollte Alexandra wissen.

„Fahr einfach hinter mir her! Wie gesagt, es ist nicht mehr weit. Höchstens noch 2 km. Ich geleite dich durch. Das ist besser. Wir können  durchaus sagen, dass wir uns unterwegs getroffen haben.“ schlug Ronald vor.

„Das ist toll! Genau so wird`s gemacht!"

 

 

Tags zuvor hatte sich Folko auf der kleinen Anhöhe oberhalb der Bungalowsiedlung postiert. Von hier aus konnte er das Geschehen in der Siedlung in Augenschein nehmen, während er selbst, geschützt durch einige dichte Heckensträucher, im Verborgenen blieb.

Er lag auf der Lauer und beobachtete mit seinem Fernglas die Siedlung, hatte es sich dabei gemütlich gemacht und gerade eine seiner Spezialzigarren angesteckt.

Auskundschaften, so lautete der Befehl von Seiten des Ordens und im entscheidenden Moment zuschlagen. Doch von hier gab es nicht viel auszuspähen. Elena sah er nur einige Male hin und her huschen, die war wohl mit allem Möglichen beschäftigt. Bisher hatte er nicht abgedrückt, dafür würde er sich Zeit lassen. Irgendwie schien es, als versuche eine innere Kraft ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Von seiner derzeitigen Position konnte er nicht viel ausrichten. Er musste näher ran, am Besten  Zugang verschaffen, das hieß in die Gemeinschaft vordringen. 

Elena kannte ihn nicht persönlich. Er hatte sie auf ein paar Empfängen gesehen, aber  kein Wort mit ihr gewechselt.  Einander vorgestellt hatte man sie auch nicht. Mit Sicherheit konnte sie sich nicht an ihn erinnern. Trotzdem blieb ein Restrisiko.

Er würde sich als Idealist ausgeben, Ein Suchender auf dem Weg, der bei Elena und Kovacs auf Antworten hoffte.So war es mit dem Orden abgesprochen.

Folko konnte sich gut verstellen, schauspielern lag ihm im Blut, dass kam ihm jetzt zugute. Es musste ihm gelingen Elenas Vertrauen zu erhaschen, immer deutlicher in ihre Nähe vorzudringen. Bot sich dann die rechte Gelegenheit war er zur Tat bereit.

 

Nur äußerst ungern hatte sich Kim dazu überreden lassen Kyra zu begleiten. Sie verstand überhaupt nichts mehr.  Glaubte sie doch stets, dass Kyra Elena nicht ausstehen konnte, so wie sie sich ständig über sie ausließ. Und jetzt, nach Elenas Wandlung, konnte die es gar nicht mehr erwarten, in deren neues Domizil zu gelangen. Das sollte einer verstehen.

Kim kannte das Refugium des coolen Dichters, wie sie Kovacs zu bezeichnen pflegte, sie hatte Kyra aber nur zweimal zu diesen sonderbaren Zusammenkünften begleitet, ihr kam das alles zu abgehoben vor. Nein, so ein Geschwafel war nicht ihre Sache.

Nun aber begleitete sie Kyra, doch war es eher die Sorge um die Freundin denn wirkliches Interesse, dass sie dazu veranlasste, mitzukommen.

Ausgerechnet am heutigen Tag holte  der Sommer noch einmal richtig auf, ein heißer Tag kündigte sich an.

„Sag mal, Kyra, kannst du mir verraten, warum du so rennst? Ich komme gar nicht mehr mit. Scheinst es ja mächtig eilig zu haben, deine Elena zu sehen?“ beschwerte sich Kim, völlig aus der Puste.

„Rennen? Wer rennt hier? Ich laufe ganz normal, so wie immer. Was heißt hier meine Elena?

Ich will mich lediglich davon überzeugen, dass es ihr ernst ist mit ihrem neuem Lebensstil. Ich hege da so meine Zweifel und denke eher, dass sie mal wieder mit uns spielt.“ klärte Kyra auf.

„Und du bist dir ganz sicher dass das der einzige Grund für deinen Aufbruch ist.“ bezweifelte Kim.

„Ja, der einzige! Was denn sonst noch?“

„ Du wirst dich ihr doch sicher an schließen wollen, oder?“ glaubte Kim zu wissen.

„Was soll denn das schon wieder? Anschließen? Wie an schließen? Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest.“ wehrte die Angesprochene ab.

„Na, warten wir's ab. Ich bin von dir so manche Überraschung gewohnt.“ erinnerte sich Kim.

Kyra winkte nur ab und beschleunigte ihr Tempo weiter. Kim blieb immer weiter zurück, bis sie sich trotzig auf den Boden fallen lies.

Erst nach einiger Entfernung  stellte Kyra fest, das ihre Freundin nicht mehr in ihrer Nähe verweilte.

„Kim, was ist denn jetzt schon wieder los? Komm doch! Es ist doch nicht mehr weit, die paar 100 m wirst du doch auch noch schaffen?“

„Ich bleibe jetzt einfach hier sitzen und ruhe mich aus, basta!“ trotzte die Freundin weiter.

„Meinetwegen! Du hast  Recht! Wir haben es nicht eilig! “ meinte Kyra, nachdem sie zurückgelaufen war.

„Schön, dass wir endlich einer Meinung sind! Setzt dich doch hin, was hüpfst du denn ständig von einem Bein aufs andere?“ forderte Kim ihre Freundin auf.

Kyra lies sich schwungvoll auf den Boden fallen.

„Also, nun sag schon! Was wollen wir wirklich dort? Ich hab das nämlich noch immer nicht begriffen!“ forschte Kim weiter nach.

„Hab ich dir doch gesagt! Warum stellst du ständig die gleiche Frage? Ich will mir Elena einfach mal in ihrer neuen Welt betrachten, das ist schon alles. Dann wird es sich ergeben wie es kommt! Sei doch nicht so pinselich. Ist einfach mal ne andere Umgebung. Ob wir nun im Bahnhof sitzen oder bei Cornelius in der alten Fabrik oder eben mal zur Abwechslung dort, ist doch nun wirklich piepegal!“

„Sicher ist es dass! Aber ich bin einfach nicht gerne an Orten, von denen ich vermuten muss, dass ich dort nicht willkommen bin. So einfach ist das!“ erwiderte Kim während sie die Beine ausstreckte und die Füße drehte.

„Willkommen oder nicht, ist mir doch egal!“ konterte Kyra.

„Dir ja, aber mir nicht! Du gehst schon wieder nur von dir aus. Manchmal bist du einfach nur unmöglich!“

„Kim, seit wann fragen wir danach, ob wir irgendwo willkommen sind? Wir sind Paria, hast du das vergessen Schätzchen? Solche sind nirgendwo willkommen. Wir können es uns nicht leisten auf eine Einladung zu warten. Die wird nicht kommen, niemals! Vergiss das nicht!“

„Nein ich vergesse es nicht, wie könnte ich denn?“ schmollte Kim in sich hinein.

„Na hoffen wir's! Also wir ruhen uns jetzt noch ne Weile aus, dann machen wir uns wieder auf den Weg! Klar? Sieh doch da unten unterhalb des Hügels liegt die kleine Gartensiedlung, du kennst sie doch! Schön versteckt im Tal. Dort ist der Stausee. Dort hinten noch ein kleiner Hügel, von dem aus hat man…“

Kyra stockte. Denn sie bemerkte seit einiger Zeit ein von der Sonne reflektiertes Blinken, so als ob da oben ein Spiegel oder Glas das Sonnenlicht reflektierte.

„Was iss´n los? Was hast du denn? Warum sprichst du nicht weiter?“ wunderte sich Kim.

„Komisch, siehst du das auch da oben?“

„Häh… was soll ich wo sehen?“

„Da oben auf dem Hügel, dieses komische Blinken meine ich!“ Kyra deutet mit dem Zeigefinger in die Richtung.

Kim richtet sich auf und hielt die Handfläche als Sonnenschutz über die Augen.

„Ja, jetzt sehe ich es auch! Na und! Was soll schon sein? Hat einer ne Flasche oder so was entsorgt, die glitzert jetzt in der Sonne. Wo liegt das Problem?“

„Das Ding bewegt sich! Sieh doch mal genauer hin! Da jetzt wieder! Da oben ist einer, der beobachtet die Siedlung!“ glaubte Kyra zu wissen.

„Ach was, du siehst Gespenster! Und wenn schon! Ist vielleicht so'n Spanner, der es auf Elena abgesehen hat. Es wird sich doch inzwischen rumgesprochen haben, dass sie sich hier aufhält, das lockt alle möglichen schrägen Vögel an.“ versuchte Kim die Sache kleinzureden.

„Hm, kann sein! Aber nee, ich denke da steckt mehr dahinter! Wenn wir jetzt direkt auf die Siedlung zu laufen, bemerkt uns die Person. Deshalb werden wir das gerade nicht tun. Kleiner Umweg. Oberhalb des Hügels, da sieht er uns nicht!“ schlug Kyra vor.

Kim reagierte ungehalten.

„Ach nein, noch mehr latschen! Ich hab langsam die Nase voll! Du und deine Spinnereien!“

„Schluss jetzt! Es wird so gemacht! Wir gehen zur Siedlung, begrüßen alle. Nach einer kurzen Pause mache ich mich dann auf, um diesem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Bin mal gespannt, wen ich dort oben antreffe.“

„Spinnst du? Möglicherweise lauert Gefahr dort oben! Und mich willst du bei diesen Schwätzern lassen? “ schimpfte Kim.

„Ach glaub, was du willst!“ Kyra stand mit einem Satz auf den Beinen. „Los komm jetzt! Lass uns gehen, umso schneller bringen wir alles hinter uns. Und hör endlich auf zu meckern, da bekommt man ja Kopfschmerzen.“

Kim folgte widerwillig, aber sie folgte. Zu allem Überfluss mussten sie sich nun auch noch durch dichtes Gestrüpp kämpfen, was Kim noch mehr auf die Palme brachte. Doch gelangten sie dadurch tatsächlich unbemerkt zur Siedlung.

 

 

„Bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind? Ich hege  langsam aber sicher meine Zweifel.“ motzte Klaus äußerst genervt während er den schicken Caballio auf der einsamen Landstraße lenkte. „ Seit einer halben Stunde fahren wir hier im Kreis. Langsam kommt mir die Geduld abhanden. Und das alles nur um einem Windei nach zu jagen. Warum bin ich Trottel nur nicht zu Hause geblieben?“

„Denke an die bösen Paria, die hier ihr Unwesen treiben sollen und vor denen du mich schützen willst. Bisher habe ich zwar noch nicht einen einzigen gesehen, aber immerhin es könnte ja sein. Wer weiß, möglicherweise besitzen die die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen.“ spottete Gabriela:

„ Las doch deine dummen Witze stecken. Werden wir bei der nächsten Hügelkuppe nicht fündig drehen wir um, ist das klar!“

„Klar! Das heißt natürlich nur, wenn du imstande bist, den Rückweg zu finden!“ konnte sich Gabriela verkneifen.

„Hahaha, sehr komisch!“

„Fahr einfach mal nach links!“ befahl Gabriela, so als habe sie gerade eine Eingebung erlebt.

„Warum denn das schon wieder?“

„Tu es einfach! Nicht fragen, einfach nur tun!“

Klaus tat, wie ihm geheißen. Ließ den Wagen einen kleine Seitenstraße nehmen und nach etwa 1 km konnten sie tatsächlich die kleine Siedlung entdecken.

„Siehst du! Genauso ist es hier auf der Karte beschrieben!“ klärte Gabriela auf.

„Na fein! Warum hast du das nicht gleich gesagt! Lässt mich eine halbe Stunde im Kreis fahren?“ empörte sich Klaus.

„Du hast mich nicht danach gefragt!“

Klaus ließ es dabei bewenden. Er war froh, endlich das Ziel vor Augen zu haben, wenn er auch noch immer keinen blassen Schimmer davon hatte, was sie eigentlich dort wollten.

Auf einem unbefestigten Platz parkten sie den Wagen und begaben sich die letzten Meter zu Fuß in Richtung Siedlung.

„Mal sehen, ob ich Elena gleich antreffe. Zu dumm, wenn sie gar nicht mehr hier wäre.“ meinte Gabriela.

„Das fehlte gerade noch. Dann machen wir auf der telle kehrt. Nur, das wir uns richtig verstanden haben.“ geiferte Klaus erneut.

Sie fanden sich vor einem ziemlich verwilderten Garten wieder in dessen Bungalow sich gerade jemand zu schaffen machte. Dessen trostloser Zustand verdeutlichte, dass hier umfangreiche Sanierungsarbeiten dringend geboten waren.

„Ich guck mal rein. Da arbeitet dem Anschein nach jemand. Möglicherweise kann der uns eine Auskunft geben.“ sprach Gabriela und näherte sich der Eingangstür. Klaus wollte etwas erwidern, kam aber nicht mehr dazu, denn schon hatte Gabriela das Innere betreten.

„Hallo! Ist jemand hier?“

Gabriela schritt weiter voran, bis sie in ein anderes Zimmer kam und einen gewaltigen Schrecken bekam. Sie kniff die Augen zusammen, denn sie glaubte, einer Fata Morgana erblickt zu haben.

Elena saß völlig mit Farbe beschmiert auf einer Treppenleiter und war gerade im Begriff, eine Wand zu tünchen. Dabei stellte sie sich gar nicht ungeschickt an. Es schien, als gehörten solcherlei Arbeiten schon seit Jahr und Tag zu ihren Gewohnheiten.

„Elena? Bist du es wirklich? Ich glaube nicht, was ich da sehe.“ sprach Gabriela noch immer vom Schock gelähmt.

„Gabriela? Du? Hey, wie kommst du denn hier her? Ach, und Klaus ist auch noch mitgekommen. Willkommen in meinem neuen Reich!“ begrüßte Elena die beiden heiter beschwingt.

Gabriela und Klaus starrten sich nur wortlos an.

„Was ist denn? Steht nicht da wie die Salzsäulen, kommt doch einfach näher. Ich bin es! Keine Angst, ich beiße nicht!“ lud Elena ein.

„Na, da wäre ich mir nicht so sicher!“ murmelte Klaus in sich hinein.

Gabriela verpasste ihm eine mit dem Ellenbogen.

Sie ging näher auf Elena zu, die keine Anstalten machte, ihre Arbeit zu unterbrechen.

„Elena! Geht es dir gut?“

„Prächtig! Mir ist es im Leben  nie besser ergangen! Warum fragst du?“

Elena stieg von der Leiter, um ihre Bürste in den Farbbottich zu tauchen. Erst jetzt stellte Gabriela fest, dass sie barfuß lief.

„Ich…ich bin sprachlos! Ich kann nicht glauben, was ich hier sehe. Wir sind gekommen um mit dir zu reden. Verstehst du? Was ist mit dir? Willst du es mir nicht sagen? Ich bin noch immer deine beste Freundin. Dich in diesem Zustand zu sehen, ist einfach nur erschütternd. Sag, wie kann ich dir helfen?“ begann Gabriela ihre Predigt.

„Helfen? Ja, wenn du mir helfen willst, gerne. Wie du siehst gibt es hier eine Menge zu tun, da ist jede weitere helfende Hand willkommen.“ sprach Elena während sie wieder auf die Leiter stieg.

„Elena, würdest du bitte mal diese Arbeit unterbrechen und einen Augenblick zuhören!“ Gabrielas Tonfall wurde energischer.

„Komm Gabriela, lass uns von hier verschwinden. Wir verschwenden nur unsere Zeit. Siehst du denn nicht, dass sie völlig durchgedreht ist. Ein hoffnungsloser Fall, da ist nichts mehr zu machen.“ schlug Klaus vor.

„Nein, nicht bevor ich ihr ins Gewissen geredet habe.“

„Gewissen? Warst du es nicht, die mir vor einiger Zeit vorgehalten hat, dass ich gar keines hätte? Nun willst du mir ins Gewissen reden? Das ist doch schon mal ein Fortschritt!“ erinnerte sich Elena.

„Elena, wir waren alle in großer Sorge um dich. Zugegeben, dein letzter Auftritt im TV hatte was. Ich habe über vieles nachgedacht. Du hast in vielerlei Hinsicht  Recht. Aber musst du dein Leben auf solch radikale Art sortieren? Ich verstehe nicht, wie man eine solche Lebensweise wählen kann?“

„Ich habe mein Leben nicht weggeworfen, ich habe es im Gegenteil gerade erst gefunden. Das heißt, ich bin noch dabei es zu finden, das wird nicht einfach und noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Aber der Einstieg ist vollbracht. Nun werde ich weiter an mir arbeiten.“ antwortete Elena während sie die Wand weiter weißte.

„Also, ich hör mir das nicht länger an. Ich geh dann mal. Tschüss Elena, und viel Spaß bei deinem neuen Leben. Gabriela kommst du. Ich warte draußen auf dich.“ schaltet sich Klaus wieder ein.

„Nix da! Ich komme nicht mit. Ich hab es dir gesagt. Ich werde länger benötigen. Aber ich gehe auf keinen Fall ohne Elena!“ lehnte Gabriela mit Nachdruck ab.

„Du willst bleiben?  Großartig! Ich freue mich. Dann wären wir schon zu dritt aus unserer alten Clique. Stell dir vor, Alexandra ist gestern hier eingetroffen. Ihre Reaktion ähnelte der deinen. Sie ist auch noch in großem Zweifel, aber auch sie hat beschlossen, bis auf weiteres zu bleiben.“ verkündete Elena.

„Alexandra? Alexandra ist hier?“ entsetzte sich Gabriela.

„Aha, noch eine Durchgeknallte. Das scheint ja ansteckend zu sein. Gabriela, komm ihr nicht zu nahe, sonst erwischt es dich am End noch das Fieber.“ lästerte Klaus.

„Lass doch die dummen Witze, Klaus.“ Gabriela trat ganz nahe an ihre Freundin heran. „Elena, bitte. Was um alles in der Welt geht hier vor?“

Dabei kleckste etwas Latexfarbe direkt auf Gabrielas purpurrote Seidenbluse.

„Na prima! Die schöne Bluse! Nun ist sie versaut. Sieh, was du angerichtet hast. Kannst du denn nicht mal mit dieser blöden Pinselei aufhören?“ beschwerte sich Gabriela.

„Ich kauf dir eine neue wenn du willst! Aber glaube mir, wenn du eine Weile gelebt hast so wie ich, wirst du gar kein Bedürfnis mehr verspüren, so etwas zu tragen.“

„Ich erkenne dich nicht wieder. Wie du redest? Solche Worte bin ich von dir überhaupt nicht gewöhnt. Das muss ich erst mal verdauen.“ gab Gabriela zu verstehen.

„Also, ich geh dann mal. Ich warte draußen. Denn hier drinnen wird mir langsam aber sicher übel.“ höhnte Klaus weiter.

„Klaus, tu mir einen Gefallen und halt endlich den Mund. Ja, geh nach draußen, lass mich mit Elena allein, dass ist das allerbeste.“ schnauzte Gabriela zurück.

Klaus verließ ungehalten den Bungalow.

Elena stieg von der Leiter und legte die Bürste beiseite. Endlich schien sie bereit ihre Arbeit für eine Weile zu unterbrechen.

Sie berührte Gabriela und griff nach dem Fleck auf deren Bluse.

„Ich kann dir die Bluse auch waschen wenn du willst. Ich wasche meine Wäsche seit kurzer Zeit selbst.

Ist gar nicht so schlimm, wie es den Anschein hat.“

Dann ging sie zu einem Fenster, das den Blick zum Garten freigab, blickte nach draußen und verschränkte dabei die Arme in den Achselhöhlen.

„Worte, Gabriela, immer nur Worte. Viele Worte habe ich gemacht in meinen Leben, vor allem überflüssig, verletzende Worte aber nicht eine einzige gute Tat. Ich will es ändern und mich bemühen es in Zukunft besser zu machen. Ob es mir gelingt? Ich weiß es nicht! Ich weiß im Moment gar nichts. Das Alte ist vergangen, unwiederbringlich, aber Neues ist noch nicht in Sicht. Ich befinde mich in einer Art von Niemandsland. Im Moment kann ich nicht sagen, wohin die Reise geht.

Nur eines weiß ich genau! Ich fühle mich zum ersten Mal in meinem Leben richtig glücklich. Es ist, als habe jemand eine ungeheure Last von meinen Schultern genommen. Irgendwann wird etwas ganz und gar Neues entstehen, ich spüre es und ich weiß, es wird hier seinen Ausgang nehmen.“

Gabrielas Augen füllten sich mit Tränen der Rührung. Plötzlich schien sie ergriffen von den Worten der Freundin.

„Ich.. ich weiß nicht was ich sagen soll, Elena!“

„Dann sag nichts! Lass einfach alles in dir wirken. Geh zurück in eine Welt, die nicht mehr die meine ist, lebe  weiter so wie bisher und lasse das Leben an dir vorüberziehen. Oder bleibe bei mir, erneuere dein Leben in Einfachheit und hilf mir, an der neuen Welt zu bauen und du wirst einen Schatz von unschätzbarem Wert entdecken.“

Gabriela fiel Elena um den Hals und schluchzte dabei wie ein kleines Kind, das sich beim Spielen die Kniescheibe aufgeschlagen hat.

Elena drückte ihre Freundin ganz fest an sich. Auch sie konnte sich der Tränen nicht erwehren.

„Siehst du, jetzt habe ich deine schöne Bluse völlig versaut!“ meinte sie dann. Beide mussten lachen.

„Ach, lass doch die blöde Bluse! Ja glaubst du denn, ich könnte hier meinen Platz finden?“

„Selbstverständlich kannst du das! Bei deinen Fähigkeiten können wir dich  gut gebrauchen, die kannst du hier  nutzbringend einsetzen. Aber zunächst musst du dich richtig einleben. Gehe alles in Ruhe an. Spann erst mal aus, geh an den See, du kannst dort auch hervorragend baden. Denke über alles richtig nach. Und wenn du denkst, dass der Zeitpunkt gekommen ist, fälle eine Entscheidung. Das brauchst du übrigens nicht allein. Alexandra tut das seit gestern. Tausch dich mit ihr aus. Ihr könnt auch gut eine gemeinsame Entscheidung treffen.“ lud Elena ein.

Gabriela küßte Elena auf den Mund, dann rannte sie in Windeseile nach draußen, sie beachtete Klaus nicht, der ihr wortlos nachblickte. Sie eilte aus dem Garten, erklomm den kleinen Damm und befand sich am Ufer des Stausees. Tränen rollten unaufhörlich über ihre Wangen. Sie hielt ihren Kopf in Richtung der leichten Brise, die ihr vom See entgegen wehte und schloss die Augen.

Was um alles in der Welt, war ihr geschehen? Sie fand keine Erklärung und konnte nur die Feststellung machen, dass auch sie sich auf einmal rundum glücklich fühlte. Ein angenehm stechender Schmerz in ihrem Herzen signalisierte, dass etwas in Bewegung gekommen war.

„Gabriela!“ hörte sie plötzlich jemand rufen.

Als sie sich umblickte, entdeckte sie Alexandra.

„Was machst du denn hier, Gabriela?“

„Hallo Alexandra! Das gleiche könnte ich dich auch fragen!“ erwiderte die Angesprochene und wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Ich weiß es nicht. Ich hatte auf einmal das unerklärliche Bedürfnis, aufzubrechen um nach Elena zu sehen. Als ich ihr gestern gegenüberstand, wurde mir so warm ums Herz und alles was mein früheres Leben ausmachte, erschien mir plötzlich so unsinnig und bedeutungslos. Ich bin noch immer total verwirrt. Ich kann nicht sagen, was da gerade  vor sich geht. Aber ich finde es total schön und wohltuend.“ erklärte sich Alexandra.

„Wirklich? Stell dir vor, mir geht es ebenso.  Auch ich bin hierher aufgebrochen, das heißt wir, denn Klaus ist mitgekommen, aber ich bezweifle, dass der etwas ähnliches spürt. Aber das soll mich im Moment nicht weiter interessieren. Er kann  nach Hause zurückfahren, niemand hält ihn  fest. Aber ich muss bleiben. Ich muss herausfinden welche Kraft hier zugange ist."

„Ich bleibe auch! Toll, dann finden wir es gemeinsam heraus.“ Alexandra schmiegte sich eng an die Freundin.

„Komm, lass uns ein wenig am Ufer laufen und die Wellen betrachten, wenn sie sich am Ufer brechen!“ lud Gabriela ein.

Eng umschlungen schritten sie ganz langsam über den Deich. Die Zeit schien still zu stehen.

„Ich weiß nicht, ob ich all die Eindrücke so schnell verarbeiten kann, Gabriela.“ durchbrach Alexandra nach einer Weile die Stille. „Da wäre die Begegnung mit Elena, die mich so aufwühlt und kurz vorher lerne ich noch so einen total netten Typen kennen. Der hat mir bei einer Panne auf der Landstraße geholfen und stell dir vor, der war auch auf dem Weg hierher. Ich bin total aus dem Häuschen:“

" Aber du lernst doch ständig neue nette Typen kennen. Ist doch nichts Besonderes in deinem Leben.“ erinnerte sich Gabriela.

„Ja, aber diesmal ist es  anders!“

„Das sagst du jedes Mal, wenn du neu verknallt bist!“

„Klar, das muss dir jetzt so erscheinen. Ich gebe zu, ich habe es nie so genau genommen mit Beziehungen. Aber hier? Stell dir vor, der ist Preka!“ gestand Alexandra.

„Preka? Das ist in der Tat  etwas neues. Eine Premiere! Da kann ich dir nur gratulieren und dir wünschen, dass es mal für ne Zeitlang anhält.“ meinte Gabriela und umschlang Alexandras Hüften noch enger.

„Ich bin davon überzeugt. Alles ist neu. Ich glaube Elena ist dabei, sich in eine Zauberin zu verwandeln. Sie hat uns alle verzaubert. Aber es ist ein guter, ein total positiver Zauber, der von ihr ausgeht.“ begeisterte sich Alexandra.

„Also bleiben wir beide hier. Warten wir ab, welche Wunder noch geschehen. Alles ist offen. Eine Stunde Null.

 "So fühlte ich auch als Elena zu mir sprach. Es scheint, als habe sie ein lange verschlossenes Ventil geöffnet.“ stimmte Gabriela zu.

„ Wenn es uns nicht gefällt, können wir jederzeit in unsere Welt zurück. Das ist der Vorteil ein Privo zu sein.“ erkannte Alexandra ganz richtig, während beide auf dem Damm Platz nahmen und die im Sonnenlicht tanzende Wasseroberfläche betrachteten.

 

Nachdem Kyra und Kim in der Siedlung eingetroffen waren und ebenso wie Gabriela und Alexandra Elenas Begrüßung verinnerlichen mussten, entschloss sich Kyra  dem merkwürdigen Phänomen auf dem Hügel nachzugehen. Auch sie wurde von einer starken Emotion getragen.  Elenas Worte hatten ihre Wirkung bei der sonst so hartgesottenen Punkerin nicht verfehlt, natürlich in einer ganz anderen Form als bei den beiden Privofrauen. Es war ein nie gekanntes Gefühl der Hoffnung das sich ihrer bemächtigte. Sie, die Chancenlos, sah plötzlich eine echte Lebensperspektive vor ihren Augen, eine reelle  Lebensaufgabe, ganz gleich, wie man es auch immer nennen mochte. Da wartete am Ende des Tunnels doch tatsächlich noch so etwas wie ein Licht.

Gedankendurchdrungen erklomm sie den Hügel und fand sich schließlich vor einem alten Bekannten wieder, der ihr Erschienen nicht bemerkte.

Kyra kam aus dem Staunen nicht heraus, als sie feststellte, wen sie hier vor sich hatte.

„Wenn ich`s nicht mit eigenen Augen sehen würde, könnte ich`s nicht glauben. Mich laust der Affe, wenn das nicht der Typ vom Bahnhofsvorplatz ist. Lungerst du seit Neuestem  also hier herum? Scheinst ja wirklich nichts anders zu tun zu haben, als andere Leute permanent zu beobachten. Kannst du mir mal sagen, was du hier suchst?“

Erschrocken wandte sich Folko um und blickte in Kyras stechende Augen.

Das konnte  nicht sein, hatte ihn dieses Punkmädchen nun schon ein zweites Mal total überrascht, ihn den mit allen Wassern gewaschenen  Eliteoffizier, der von sich sagen konnte, jeder Gefahr zu fast 100 % gewachsen zu sein.

„Was ich hier suche? Ich denke die gleiche Person wie du!“ Wenigstens hatte er seine Schlagfertigkeit noch nicht verloren.

„Woher willst du wissen, was ich suche? Häh!“ polterte Kyra zurück und verschränkte dabei die Arme.

„Es gibt viele Leute, die sich dieser Tage auf den Weg machen, um Elena aufzusuchen. Was also soll  besonderes daran sein, mich hier zu treffen? Sagen wir mal, auch ich bin ein Suchender dem es danach lechzt seine Bestimmung zu finden!“ Damit hatte Folko nicht einmal Unrecht, wenn man seinen Auftrag betrachtete.

„Dass ich nicht lache! Du und ein Suchender? Ich denke, du hast längst gefunden wonach du suchst, lange bevor du hierher kamst, auch lange bevor ich dich zum ersten Mal auf dem Bahnhofsvorplatz gesehen habe.“ konterte Kyra.

Konnte sie Gedanken lesen? Folko verspürte Unsicherheit, die er natürlich um keinen Preis erkennen lassen durfte.

„So? Meinst du?“ stellte sich Folko dumm.

„Ja, ich meine! Sag schon! Was bist du wirklich für einer? Es ist doch kein Zufall, dass ich dich immer wieder beim Schnüffeln erwische.“

„Schnüffeln? Aber wer wird denn solche garstigen Worte in den Mund nehmen!“ versuchte Folko die ganze Angelegenheit ins Lächerliche zu ziehen.

„Versuch nicht abzulenken! Ich kenne solche Typen wie dich, das habe ich dir schon einmal gesagt. Du bist hinter etwas ganz Bestimmtem her. Aber ich sehe den Zusammenhang nicht. Was könnte einer, der am Hauptbahnhof Ausschau nach Strichern und Huren sucht ausgerechnet hier finden? Das ergibt keinen Sinn? Oder etwa doch? Ich werde es noch herausfinden, verlass dich drauf!“ Drohte Kyra.

Die Kleine hatte es drauf. Woher diese ungewöhnliche Begabung für eine Paria aus den Undergrounds? Was hätte die für eine Karriere machen können, wäre sie nur im richtigen Bett geboren.

„Du scheinst recht schlau zu sein! Kompliment! Muss ich wirklich zugeben. Von einer Paria hätte ich so was gar nicht erwartet. Ein toller Spürsinn. Du solltest zur Polizei gehen, womöglich können die dich gut gebrauchen!“ versuchte Folko ab zu lenken.

„Na, die wären mit Sicherheit die letzten, denen ich meine Hilfe an bieten würde. Aber du?  Du bist ein Bulle oder so ähnliches! Andererseits nein, zu mysteriös! Da steckt noch ein klein wenig mehr dahinter:“

„Und wenn es so wäre? Elena hat unserem Land nicht gerade einen Gefallen getan, mit ihrem spektakulären Auftritt. Es gibt eine Menge Leute, dir ihr das verübeln. Auch der Staatsschutz wird da nicht untätig bleiben, schätze ich. Man könnte ihr Aufwiegelung anhängen, die neuen Terroristengesetze lassen sich beliebig dehnen, um so etwas zu konstruieren. Ist es da verwunderlich wenn man sie beobachten lässt?“ Folko beabsichtigte eine falsche Fährte zu legen.

„Also doch! Vom Staatsschutz kommst du? Hätte ich mir fast denken können. Wenn ich auch noch immer etwas anderes vermute. Und was willst du jetzt machen, Elena verhaften oder so?“

„Warum? Es liegt nichts gegen sie vor! Zumindest nicht im Moment. Aber was nicht ist kann noch werden.  Sagen wir mal so, um das herauszufinden bin ich hier! Wäre dir diese Antwort recht!“ Folko blieb dabei, das würde vieles erklären. Denn die Leute vom Staatsschutz waren dafür bekannt, dass sie sich äußerst dämlich anstellten. Die ließen sich oft ganz leicht enttarnen. Die Bevölkerung machte bereits Witze darüber.

„Klar! Das erklärt einiges! Zwar nicht alles, aber eben einiges! Gut, dann beobachte schön weiter. Aber lass dir gesagt sein, dass ich dich ebenso im Auge behalten werde, bei allem was du tust.“.

„Bei allem was ich tue! Das dürfte auf die Dauer ganz schön Zeit aufreibend werden und langweilig dazu!“ stellte Folko fest.

„Ich bin eine Paria wie du immer so süffisant festgestellt hast. Leute wie wir müssen lernen mit unendlich viel Zeit zu leben und diese auf irgend eine Art totschlagen. Ich habe alle Zeit der Welt. Mir läuft nichts davon“

Kyra schritt auf Folko zu.

„Ne tolle Ausrüstung hast du dabei! Darf ich mal sehen?“

„Tu dir keinen Zwang an!“ lud Folko ein, dabei war seine Lässigkeit nur vorgetäuscht. Zwar hatte er sein Präzisionsgewehr gut verstaut, aber bei der musste man wohl auf alles gefasst sein.

Kyra musterte die Utensilien genau. Schließlich ließ sie sich auf einer Isomatte nieder.

Auch das noch, wollte die sich hier häuslich niederlassen, das fehlte gerade noch.

„Toll, so was könnte mir auch gefallen. Bin auch ein Naturmensch, weißt du? Durch die Gegend streifen, sich den Wind um die Ohren brausen lassen, die Stille genießen und die ganze Umwelt erforschen.“ Kam Kyra fast ins Schwärmen.

„Hört sich gut an! Da haben wir doch tatsächlich schon eine Gemeinsamkeit.“ glaubte Folko fest zustellen.

„Aha, du auch? Wie interessant! Klar, kann man  an deiner teuren Ausrüstung erkennen.“

„Wollen wir mal gemeinsam durch die Gegend streifen? Das gäbe dir ausreichend Zeit und Gelegenheit mich zu beobachten?“ schlug Folko der sichtlich erstaunten vor.

„Na langsam, langsam! Wir haben noch keine Brüderschaft miteinander getrunken. Und ich glaube, das lassen wir lieber!“ bog Kyra ab.

„Müssen tun wir gar nichts! Aber ich schätze  wir werden  hier wohl eine gewisse oder sagen wir lieber gleich eine ungewisse Zeit miteinander verbringen. Wer weiß, in welche Richtung sich alles bewegt. Der Ausgang ist ,zumindest derzeit,  völlig offen!“

Kyra grübelte. Was ging wohl in ihrem hübschen Kopf vor sich? Nur zu gerne würde Folko ihr Geheimnis ergründen.

„Wenn ich recht überlege, ist dein Vorschlag gar nicht übel: Stimmt! Dann habe ich dich gut unter Kontrolle. Aber ich warne dich! Keine Mätzchen!“ stimmte Kyra unter Vorbehalt zu.

„Na, woher denn? Ich mache doch keine Mätzchen. Schon immer zog ich es vor mit offenem Visier zu kämpfen. Krumme Dinger gibt es bei mir nicht!“ gestand Folko. Das konnte man glauben oder nicht.

„Aha, so einer bist du! Naja, Leute solchen Kalibers sind mir ehrlich gesagt auch lieber. Aber ob du tatsächlich zu denen gehörst, wird sich noch herausstellen.“

Folko holte sein Feldflasche hervor, öffnete diese und nahm einen kräftigen Schluck, dann bot er diese Kyra an.

„Auch einen Schluck?“

„Nee danke, was iss`n da drin? Labberiges Leitungswasser?“

„Probier doch dann wirst du es sehen! Also vergiftet ist es schon mal nicht, hätte ich denn sonst davon getrunken?“

„Na gut! Gib mal her!“

Kyra setzte die Flasche an und trank.

„Puuah! Das schmeckt ja wie Maschinenöl!“ Sie verzog das Gesicht und schüttelte sich kräftig.

„Na, das ist aber kein nettes Kompliment! Original schottischer Whisky! So wie er sein muss.

Hast du mit Sicherheit noch nicht getrunken, sonst wüsstest du dessen Vorzüge zu würdigen.“

Folko nahm die Flasche wieder an sich.

„Nee, habe ich noch nicht! Jetzt bin ich also eine Erfahrung reicher.“

„Und war´s das jetzt?“

Folkos Frage irritierte.

„Was soll was gewesen sein?“ Wollte Kyra wissen.

„Na, haben wir eben nun Brüderschaft getrunken oder nicht? Ich denke, das wäre doch die beste Gelegenheit. Also ich bin Folko!“

„Na, du bist ja ein ganz ausgekochter. Also gut, ich bin Kyra!“

Sie streckte ihm die Hand entgegen, Folko schlug ein und drückte dabei ihre Hand etwas derber als erwartet.

„Autsch! Hast du einen festen Druck! Alle Achtung!“

„Entschuldige! War keine Absicht!“

„Schon gut!“

Folko war zufrieden. Sie würde ihn beobachten, bei allem, was er tat. Doch dadurch war es ihm möglich dieses Wesen besser kennen lernen, zu dem er sich von Minute zu Minute mehr hingezogen fühlte. 

 

Lange redeten sie miteinander, näherten sich einander Stück für Stück. Auch Kyra fühlte sich zu ihm hingezogen, ihm, dem sie doch eigentlich so misstraute.

„Und was ist? Willst du denn auch zu Elena gehen? Ich denke, das wäre doch nur fair oder?“ meinte Kyra auf einmal.

Wieder hatte sie ihn getroffen.

„Ich denke ja! Stimmt! Du hast Recht! Gute Idee! Ich werde mich ihr vorstellen und sie beobachten, so wie du mich und dann muss ich eine Entscheidung treffen.“  stimmte Folko ihr zu.

„Also dann auf! Komm, wir gehen gleich zu ihr!“ mit einem Satz war Kyra auf den Beinen.

Folko folgte ihr ohne Zögern. Wie würde sich diese Sache weiter entwickeln? Er vermochte es im Augenblick nicht zu deuten. Es hatte den Anschein, dass hier einiges aus dem Ruder lief. Würde er seinen Auftrag unter diesen Umständen überhaupt noch ausführen können? Dieser Tatsache musste er sich stellen und am Ende eine Entscheidung treffen.

 

Noch mehr Menschen brachen auf in jenen Tagen um sich Elena anzuschließen. Schon am Folgetag traf Miriam ein. Sie hatte Elena in den Wochen zuvor des Öfteren aufgesucht und sich entschlossen ihr zu folgen. Nur schweren Herzens gab sie Cornelius frei . Sie war ihm bei seiner Arbeit eine wichtige Stütze, aber es half nichts, Elena wog wohl bedeutend mehr. Miriam besaß ein großes Organisationstalent und das würde sie hier in den folgenden Wochen und Monaten des Aufbaus gezielt einsetzen können. Elena war dem entsprechend sichtlich gerührt sie begrüßen zu können. Miriam brauchte nicht überzeugt zu werden. Sie befand sich schon lange auf dem rechten Weg. Schon bei Elenas erstem Besuch bei Cornelius überkam sie das Gespür, dass diese in ihrem Leben schon bald eine bedeutende Rolle spielen könnte.

 

Einer, auf den Elena mit besonderer Sehnsucht wartete, kam erst ganz zum Schluss. Er traf Elena an, als diese gerade im Begriff war im Garten ihres Bungalows Unkraut zu jäten.

Leander war gekommen.  Endlich schien er seine Blockade überwunden. Der Blick auf seine prall gefüllten Taschen verriet ihr sofort, dass er einen längeren Aufenthalt im Sinn hatte.

„Leander, du bist hier? Endlich! Ich habe es vor Sehnsucht  kaum noch ausgehalten.“ begrüßte ihn Elena und kam auf ihn zu. Dann griff sie nach seinen Händen und drückt sie ganz fest.

„Ja, ich bin da! Ich hoffe, ich werde nicht bereuen dass ich mein bisheriges Leben aufgegeben habe. Ich weiß nicht, ob ich mich richtig entschieden habe, aber ich konnte nicht mehr ohne dich leben. Ich liebe dich!“

Die drei Worte kamen einfach so über seine Lippen. Direkt, ohne Schnörkel, ohne in überflüssiges Gelabere gepackt.

Elena fiel ihm um den Hals.

„Ich liebe dich auch! Schon lange, seit ich dich zum ersten Male sah, ich habe nur sehr lange gebraucht, um mir dessen bewusst zu werden. Jetzt bist du hier, jetzt wird alles gut.“

Ihre Lippen fanden sich. Ein leidenschaftlicher Kuss. Hier hatten sich  zwei für die Ewigkeit gefunden. Sie standen einfach da, ihre Zungen tanzten miteinander. Ganz still wurde es und sie schienen die Umwelt gar nicht mehr wahrzunehmen so sehr waren sie ineinander verwoben. Die Barriere zwischen ihnen, überwunden. Jetzt konnte sie nichts und niemand wieder trennen.

„Auch ich habe es mir lange nicht eingestanden, Elena. Habe mich sogar heftig gewehrt gegen den Gedanken, dich zu lieben. Aber nun kann ich nicht mehr. Ich will dich so, wie du bist!“ gestand Leander.

„Ich dich auch! Du brauchst dich für mich nicht zu verbiegen! Hier bauen wir uns eine neue Welt. Nichts soll mehr zwischen uns stehen.“ antwortete Elena.

Sie umschlang ihn, fuhr mit ihren Händen durch sein Haar. Leander drückte sie indessen noch fester an sich.

„Ich glaubte dich schon verloren. Machte mir Vorwürfe wegen meines Benehmens dir gegenüber. Ich kann noch gar nicht glauben, dass du da bist!“ Elenas Augen wurden feuchter und feuchter.

„Kannst du mir verzeihen? Verzeih mir all die Gemeinheiten und Demütigungen, die ich dir entgegenbrachte?“

„Aber du hast doch schon um Verzeihung gebeten, in deinem Auftritt. Das ganze Land hat dir verziehen und ich bin ein kleiner Teil davon. Warum willst du es noch einmal von mir hören!“ erwiderte Leander.

„Weil du ein ganz besonderer Teil dieses Landes bist. Ein Teil, der mein Herz für immer erobert hat.“

„Ich habe dir  verziehen, in dem Moment als ich begann, dich zu lieben! Mehr gibt es dazu nicht zu sagen!“

Leander drückte Elena noch einmal ganz fest an sich, die ließ nun ihren Tränen freien Lauf.

Nach einer Weile konnte sie ihm wieder in die Augen sehen.

„Dich brauche ich nicht zu überzeugen. Du hast die neue Welt längst betreten. Wir werden nicht alleine bleiben. Schon einige sind gekommen, die den Schritt mit uns wagen wollen. Einige kennst du bereits, die kleine Kyra oder Ronald zum Beispiel!“

„Ronald? Das wundert mich sehr! Der muss ja was ganz außergewöhnliches erlebt haben, dass er sich zu dieser Umkehr entschloss.“ Leander kannte Ronalds Sympathie für Neidhardt und dessen Bewegung sehr gut ihm war bewusst dass er zu Neidhardts Leuten gehörte.

„Und Miriam, das ist eine ganz besondere Freude für mich. Meine beiden Freundlinnen Gabriela und Alexandra sind ebenfalls hier. Kyra hat ihre Gefährtin Kim mitgebracht.

Gabrielas Mann Klaus gehört dazu und noch ein Typ aus dem ich nicht recht schlau werde, Folko heißt der. Mit Kovacs und dessen Freund Matthias sind wir 12 Leute, stell dir vor, eine stattliche Anzahl für einen Anfang.  Ich würde sogar sagen, eine heilige Zahl!“ Elena kam ins Schwärmen.

„Und was wollen wir tun? Alle zusammen?“ wollte Leander wissen.

„Geschichte schreiben, Leander, etwas Neues aufbauen, etwas noch nie da gewesenes..“

Leander betrachtete Elenas Hände und deren Kleidung, die mit Erde verschmutzt waren.

„Ich konnte gar nicht glauben, dich bei so einer Art von Arbeit anzutreffen!“ stellte Leander fest.

„So etwas tue ich seit geraumer Zeit häufig und stell dir vor, es macht mir Spaß!“

„Dann hast du es in der Tat geschafft! Dann bist du auf dem richtigen Weg. Ich hätte es nicht für möglich gehalten!“ staunte Leander.

Wieder fiel Elena ihm um den Hals und küßte ihn.

„Halt mich fest! Halt mich ganz fest! Wir wollen diesen Augenblick des Glückes und der Freude nie wieder loslassen, Leander!“

 

 

Auch wenn alles noch ganz unspektakulär aussah, hier in dieser verwilderten Gartensiedlung nahm in der Tat etwas Außergewöhnliches seinen Anfang, die Keimzelle einer Gesellschaft, wie sie die Menschheit seit Jahrtausenden nicht mehr gesehen hatte.

Die Stunde Null. Sie gab es tatsächlich. Hier wurde Geschichte geschrieben. Diese 12 Leute bildeten das, was in späteren Zeiten ehrfürchtig als die Urkommune bezeichnet wurde. Keiner der beteiligten Protagonisten freilich ahnte dies zu jener Zeit.

Und aller Anfang ist bekanntlich schwer.