Der stahlgraue Revolutionär

Am Horizont kündigte sich der Einbruch der Dämmerung an, gemütlich trat Lars in die Pedalen seines Drahtesels. Er hatte es nicht sonderlich eilig, genoss das schöne Frühlingswetter in vollen Zügen. Wie toll war doch so ein Leben als Berufsrevolutionär. Wie froh er doch sein konnte  der Tretmühle in der Firma entronnen zu sein. Tiefes Mitgefühl empfand er mit alle jenen, die zurückgeblieben waren und dort noch immer Tagein Tagaus schuften mussten. Auch wenn er nun in den Untergrund musste um  ein Leben als Unperson zu führen hatte, alles schien besser als diese beschissene Plackerei. Er gehörte immerhin zum engeren Stab um Neidhardt, auch wenn er dass in der Firma stets entrüstet zurückgewiesen hatte. Somit konnte er davon ausgehen, dass für ihn in jeder Hinsicht gesorgt würde, was sein zukünftiges Auskommen betraf.

Welche Aufgaben er nun direkt übernehmen sollte,  würde er in den nächsten Tagen mit Neidhardt persönlich  abklären. Der alte Revolutionär erwartete ihn heute. Wie würde der wohl sein, wenn man näher mit ihm zu tun hatte? Lars kannte Neidhardt, hatte bisher aber nur flüchtig mit ihm zu tun. Die wuchtige Gestalt des 2m großen Kleiderschrankes mit seinem stahlgrauen Haaren, die er stets äußerst kurz hielt, die dicke schwarze Hornbrille, die tiefe Bassstimme, alles in allem eine beeindruckende Erscheinung. Eine Persönlichkeit die einem schon beim bloßen Anblick Respekt ein flößte. Einen Respekt den man nicht einfach so geschenkt bekam sondern mühsam sich verdienen musste. Das hatte Neidhardt in der Tat, war für seine radikalen ins extreme neigende Ideen schon verfolgt wurden, als Lars noch in die Windeln machte, einen besseren Lehrmeister konnte man sich kaum vorstellen.

Inzwischen hatte Lars die Stadt hinter sich gelassen und radelte die einsame,mit Schlaglöchern übersäte Landstraße auf das kleine Dörfchen Nutzweiler zu. Eine kleine Siedlung mit allemal 100 Einwohnern. Lars hoffte, dass er noch eintreffen würde bevor die Bürgersteige nach oben geklappt wurden. Eine alte, schon dem Zerfall zuneigende Burganlage diente seit kurzem als Hauptquartier der Radikalrevolutionäre. Schon von weitem konnte Lars den alten Natursteinbau ausfindig machen, der Burgturm ragte markant in den Himmel, da bedurfte es keiner Wegbeschreibung. Die übrigen Häuser des Minidorfes schmiegten sich wie Schwalbennester an den Altbau. Niemand käme auf die Idee hier das Zentrum der gefürchtetsten Untergrundorganisation Melancholaniens zu vermuten, zumal rein offiziell eine Schule für Landwirte als Besitzer angemeldet war, das war natürlich Tarnung, so wie alles bei den Radikalrevolutionären. Die traten selbstverständlich nie unter eigenem Namen in Erscheinung.

Als sich Lars dem Dorfanger näherte schaltete sich automatisch die Straßenbeleuchtung ein, das war auch schon die einzige Aktivität die er wahrnehmen konnte. Kein menschliches Wesen war zu erblicken. Ein kleiner Platz umsäumt von sanierungsbedürftigen Gebäuden, meist aus roten Backsteinen, den Hauptteil aber bestimmte der wuchtige Komplex aus grauem Naturstein.

Man ,sieht das hier trostlos aus, schoss es Lars durch den Kopf, na Prost Mahlzeit, das konnte ja heiter werden. Dabei schien alles eine gute Grundsubstanz aufzuweisen, wenn man hier und da die Maurerkelle und andere Gerätschaften zum Einsatz brächte, ließe sich hier durchaus einiges gestalten.

War er überhaupt am rechten Platz? Sicher! Denn viele Möglichkeiten gab es nicht. Aber wo fand er den Eingang? Die Gebäude waren wie im Kreis um den Platz angeordnet. Er konnte einen kleinen Lebensmittelladen ausmachen, natürlich zu dieser Tageszeit längst geschlossen, direkt vis a vie zum dem was er als das Hauptgebäude zu erkennen glaubte.

Er beschloss erst mal das Gelände näher in Augenschein zu nehmen. Durchschritt den Eingang zur Burganlage und bewegte ich in den Innenhof. Dort angekommen hielt er weiter Ausschau. Wo fand er den Zugang? Er  öffnete das Tor zu einer alten Scheune, dort waren Traktoren und andere Fahrzeuge geparkt. Direkt daneben konnte er das blöken von Schafen vernehmen. Es war ein richtiger Stall, die hatten wirklich an alles gedacht, eine perfekte Tarnung, selbst der Gestank war echt. Auf dem Hof gackerten Hühner herum. Lars betrachtete abfällig seine Schuhe und musste feststellen dass er schon zur Genüge in deren Mist getreten war. Vor sich hin fluchend versuchte er die Schuhe in dem reichlich vorhandenen Grasflächen zu säubern. Über ihn flatterten schwarz-glänzende Raben und krächzten um die Wette, auch dass gurren von Tauben war zu hören. Wind kam auf und blies heftig durch die schmalen Gassen.

Eine alte Holztür, die dem Anschein nach nicht richtig schloss, klappte beständig auf und zu. Langsam wurde es unheimlich, warum zeigte sich niemand? Lars lief an der Mauer entlang und fand sich vor einer schweren von einem Windfang geschützten Eichentür wieder. Er klopfte, aber es kam keine Reaktion.

Er ging die Gasse zurück und wollte sich gerade an einer anderen Tür zu schaffen machen, als er die Stimme hinter sich hörte. „Hey, kann ich behilflich sein? Wer bist du und was willst du hier?“ Der junge Typ etwa in seinem Alter, schien hier eine womöglich herausgehobene Stellung inne zu haben, das konnte man zumindest seinem Tonfall nach entnehmen.

„Ich…äh.. ich bin Lars. Ich wollte, ähm sollte mich heute hier vorstellen, bei Neidhardt!“ stammelte Lars vor sich hin. „Bei wem? Jemand mit diesem Namen kennen wir hier nicht! Ich weiß nicht wovon du sprichst!“ Wies ihn sein Gegenüber schroff zurück. „Aber wieso denn? Ich sollte mich heute hier melden! Gut, es ist etwas spät geworden, zugegeben, aber ist ja auch nicht leicht zu finden hier!“ Versuchte Lars es weiter.

„Tut mir leid! Kann sich nur um ein Missverständnis handeln. Nix für ungut, dann such mal schön weiter. Vielleicht wirst du ja doch noch fündig heute!“ Der Typ war gerade im Begriff Lars die Tür vor der Nase zu zu schlagen, als es dem dämmerte, warum der so blöd reagierte. Lars hatte die Parole vergessen. „Ich esse gerne Hackbraten!“ Rief er dem anderen hastig zu. Eine todsichere Parole, darauf würde keiner kommen, auch der Staatsschutz nicht.

„Warum nicht gleich so! Komm rein! Neidhardt erwartet dich schon!“ Lars folgte durch einen dunklen langen Flur ins Innere des alten Gemäuer. Hier schien die Zeit still zu stehen, er glaubte sich ins 19 Jahrhundert zurückversetzt. Sie erreichten eine große Küche, dahinter eine mit ausgedienten Möbeln eingerichteter Gemeinschaftsraum. Alt einfach, aber gemütlich, so der erste Eindruck. An den Wänden eine Fülle von Pin-Tafeln mit allerlei Zetteln. Nun ging es eine winklige Treppe hinauf.

„Ach übrigens ich bin Ansgar! Ich bin auch erst seit kurzem im inneren Kreis. Du bist also nicht der einzige dem es so ergeht.“ Stellte sich sein Fremdenführer vor. Dann klopfte dieser an eine Tür. „Herein!“ dröhnte es von drinnen. „Ich bringe hier den Neuen Neidhardt! Möchtest du ihn jetzt sprechen oder später?“ „Jetzt! Immer herein mit ihm!“ Lautet der Befehl und Ansgar gehorchteaugenblicklich. „In Ordnung! Lass uns erst mal allein. Ich werde dich später wieder rufen.“ Befahl Neidhardt weiter, Ansgar verließ wortlos den Raum.

Nun befand sich Lars allein mit Neidhardt in einem Zimmer, ein wenig mulmig war ihm schon dabei. Der fast vollständig mit Holzpaneelen abgeschlagene Raum wirkte noch rustikaler als die übrige Umgebung. Echt antikes Mobiliar. Kleiderschrank, Bücherregal, Truhe. Neidhardt selbst stand vor einem schweren Eichenholztisch. Einzig der sich dahinter versteckende Lederdrehsessel schien moderneren Datums zu sein und wollte nicht so recht zu dem übrigen Ambiente passen.

Ehrfürchtig blickte Lars an der mächtigen Gestalt empor. Der schien gut und gerne zwei Köpfe größer als es selbst. Noch nie hatte er ihn aus nächster Nähe erlebt. Bekleidet wie immer in die von ihm eigens entworfene mausgraue Parteiuniform. Hochgeschlossen , vier Taschen, dazu schwarze Lederstiefel, Hornbrille, stahlgrauer Igelschnitt. Ja Neidhardt stand hier leibhaftig vor ihm. „Also du bist Lars, der Neue! Hm, gut! Du kannst dich setzen wenn du willst!“ Brummte Neidhardt wie ein Bär. Nun verstand Lars, warum man diesen den Spitznamen Der Bär verliehen hatte, denn genauso kam er ihn vor. Lars ließ sich auf einen Holzstuhl nieder dessen Sitzfläche aus Weidengeflecht bestand. Kaum hatte er Platz genommen nahm er instinktiv Haltung an.

„Es kommen nicht viel Neue in letzter Zeit, Flaute! Die Menschen haben sich erst mal in der Ungleichheit eingerichtet. Daher sind wir dankbar für jeden der unsere Bewegung verstärkt.“ Fuhr Neidhardt weiter fort, während er sich im Raum auf und ab bewegte, die Hände dabei tief in die Achselhöhlen verschränkt. „Du warst bis vor kurzem in der Spielwarenfabrik beschäftig und dort mit Agitation und Propaganda beauftragt?“ „Jawohl! Genau das war meine Aufgabe!“ Antwortete Lars wie auf Befehl. „Hm aber sehr erfolgreich scheinst du ja nicht gewesen zu sein, nach all dem was man sich so erzählt.“ Erwiderte Neidhardt nun etwas lockerer im Ton.

„Nein, leider nicht! Ich hatte mir auch mehr davon versprochen! Es ist nur so dass ich…“ „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen!“ Unterbrach Neidhardt. „Das sollte kein Tadel sein. Es gibt nichts daran zu bemängeln, unsere bisherige Strategie ist gescheitert. Leider! Es ist die geradezu gespenstische Eigenschaft der Melnacholanier Leid zu ertragen, die wir wieder einmal nicht in Betracht gezogen haben. Auch ich habe einen großen Fehler gemacht als ich das nicht einkalkulierte.“

Lars staunte nicht schlecht über diese forsche Selbstkritik, die man bisher von Neidhardt nicht kannte. „Ja und wie könnte nun eine neue Strategie aussehen!“ wagte Lars zu fragen. „Hab noch keine!“ Antwortete Neidhardt kurz und bündig und ließ sich dann auf den Drehsessel hinter seinem Schreibtisch nieder. Lars beschloss erst Mal nicht weiter nachzubohren. „Also du bist neu hier und wir brauchen eine Aufgabe für dich. Denn wir wollen doch vermeiden, dass du dich in dieser Einöde langweilst. Wie du sicher schon in Augenschein nehmen konntest ist ein großer Teil hier an diesem Gehöft dringend renovierungsbedürftig, aus diesem Grund finden hier derzeit umfangreiche Baumaßnahmen statt. Du wirst dich daran beteiligen, denke ich. Oder fühlst du dich dazu nicht imstande ?“

„Nein nein, ich mache mich gerne nützlich hier!“ Gab Lars zur Antwort, was hätte er sonst auch für eine Alternative. „Sehr gut! Dann wäre das geklärt! Die Versorgung mit dem lebensnotwendigen läuft hier automatisch, du bekommst von uns alles was du zum Leben benötigst.“ Versprach Neidhardt und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Das scheint dich aber nicht sonderlich zu begeistern, was?“ Durchschaute Neidhardt sein Gegenüber sogleich.

„Ich tue was man von mir erwartet! Nun, ich muss zugeben, dass ich mir die Revolution schon ein wenig anders vorgestellt habe, aber wenn es sein muss, beginne ich damit zunächst mit der Maurerkelle.“ Gestand Lars plötzlich ohne Zögern. „Ha, das klingt gut! Den Ausspruch muss ich mir merken.“ Neidhardt ließ sich nach vorn auf die Tischplatte schwingen.

„Ja und wie hast du dir eine Revolution genau vorgestellt, wenn ich fragen darf?“ Diese Frage brachte Lars nun völlig in Verlegenheit. Er hatte wieder einmal ein Prinzip nicht beachtet, sich nach Möglichkeit nicht auf einen philosophischen Disput mit Neidhardt ein zulassen, weil man dabei von vorn herein den Kürzeren zog. „Um ehrlich zu sein, habe ich überhaupt keine genaue Vorstellung. Einfach losschlagen denke ich. Kämpfen! Sich organisieren! Eben alles was man zur Vorbereitung benötigt. Ich weiß das klingt nicht sehr überzeugend!“ Versuchte sich Lars aus der Sache zu winden.

„Genau da liegt der Schwachpunkt! Ihr Jüngeren wollt alles auf einmal! Aber wie du richtig erkannt hast bedarf es der Vorbereitung und genau das versuchen wir. Im Moment haben wir ausreichend Zeit. Dir ist aber doch der Grundsatz bekannt. Was ist für die Durchführung einer Revolution unbedingt erforderlich?“ „Eine revolutionäre Situation!“ Antwortete Lars wie aus der Pistole geschossen. „Richtig! Präzise Antwort! Und was glaubst du? Haben wir so eine in Melancholanien?“ „ Ich weiß nicht! Ich meine doch wohl eher nicht, oder?“ Stotterte der Angesprochene.

„Genau! Im Moment jedenfalls nicht die geringste Spur davon. Da liegt unser Dilemma! Ich habe, wir haben die Verhältnisse gründlich falsch analysiert. Deshalb befinden wir uns seit geraumer Zeit in der Defensive. Und im Moment sieht es nicht danach aus, dass sich in naher Zukunft etwas ändert.“ Lautet Neidhardt ernüchternde Antwort.

„Ja, jetzt da du es sagst! Es ist mir auch aufgefallen, dass die Menschen so erstaunlich ruhig und abwartend reagieren. Die lassen sich einfach alles gefallen, das ist schon fast beängstigend.“ Bestätigte Lars. „Das ist gelinde gesagt, noch harmlos ausgedrückt. Da befindet sich unser schönes Land in einer tiefen ökonomischen Rezession, eine Krise jagt die andere, das Finanzwesen kurz vor dem Kollaps, das Sozialsystem, wenn man überhaupt noch von einem solchen sprechen kann ist in Auflösung begriffen, die Natur bis in die Substanz geschädigt, ökologischer Supergau. Konkurse, Pleiten, Verfall.

Und die Bevölkerung wartet erst mal ab. Sich nur ja nicht mit der Obrigkeit anlegen, das geht doch nicht, schließlich sind wir alle gute Melancholanier. Die lassen sich vorführen wie Schafe. Machen alles was man von ihnen verlangt,  drängen sich als Opfer geradezu auf. Ekelhaft, diese Unterwürfigkeit. Wo soll man ansetzten?“ Schien sich Neidhardt jetzt in Rage zu reden.

„Wo könnte man ansetzten? Gute Frage! Wir haben  alles versucht. Ich habe mir die Leute im Betrieb vorgenommen immer wieder. Die ließen sich nicht überzeugen, die waren doch allen ernstes der Meinung es handele sich um ihre Firma. Man stelle sich so einen Wahnsinn vor. Die haben gerackert wie die Kulis nur um ihre Arbeit zu behalten. Da halfen auch noch so gut gemeinte Argumente nicht weiter“ Erinnerte sich Lars.

Schwungvoll erhob sich Neidhardt  von seinem Sitz, so dass der Sessel um ein Haar nach hinten klappte. Lars erschrak auf`s heftigste. „Genau! Diese ungeheure Art zu leiden. Das ist unser größter Gegner. Sicher, man kann es verstehen, nicht alle sind so selbstlose Revolutionäre wie wir, die ihr Leben der einzig großen Sache gewidmet haben. Wer Familie hat, wer etwas zu verlieren hat, muss so handeln, dass ist  der Teufelskreis. Dort auszubrechen ist heute so gut wie unmöglich. Von Argumenten wird keiner satt, so was bekomme ich ständig zu hören und ich muss mir gestehen, dass ich bisher keine zufrieden stellende Antwort gefunden habe.“

„Ja aber gibt es denn nichts was wir tun könnten?“ Wollte Lars wissen. „Im Moment nicht! Abwarten! Abwarten und sich neu aufstellen. Analysieren, abwägen, den Dingen dabei ihren Lauf lassen. Alles auf sich zukommen lassen. Vor allem neue den Gegebenheiten angepasste Theorien entwerfen.“ Das klang nicht sehr überzeugend. Lars war enttäuscht, so aussichtslos hätte er sich die Lage nicht vorzustellen gewagt. Da hatte er nun alles hinter sich gelassen, eine bürgerliche Existenz aufgegeben nur um womöglich einem Windei nachzujagen. Wenn die Revolution so lange auf sich warten ließ, würde er wohl Jahre in dieser Einöde verbringen müssen. „Klingt aber nicht sehr optimistisch!“ Wagte er eine Erwiderung. „Soll es auch nicht sein! Aber keine Sorge. Ich bin lange genug im Geschäft um auch auf solche Eventualitäten eingestellt zu sein. Wir erarbeiten eine neue Strategie. Das bedarf einiger Zeit, aber davon haben wir ja vorerst genug.

Das Blatt kann sich durchaus wenden, aber dafür müsste schon eine Katastrophe von gigantischem Ausmaß eintreten. Für die Übergangsperiode benötigen wir eine neue Ausrichtung. Zunächst müssen wir aus der Illegalität heraus. Wir brauchen eine Plattform mit deren Hilfe wir unsere Ziele und Ideen einem breiteren Publikum bekannt machen können. Aus diesem Grund werden wir eine ganz offiziell agierende politische Partei gründen und diese dahingehend aufbauen, dass sie an Wahlen teilnehmen kann.“

Neidhardts Ideen verunsicherten Lars nun vollständig, denn das stand im diametralen Gegensatz dessen wofür Neidhardt bisher eintrat. „Eine Partei die sich zur Wahl stellt? Nun versteh ich gar nichts mehr. Du vertratst doch immer die Meinung, dass es sich bei diesem ganzen Wahlzirkus nur um eine Showeinlage handelt.“

„Die Meinung vertrete ich noch immer! Aber wir brauchen diese Form der Selbstdarstellung. Nur so kann es uns gelingen tiefer in die Gesellschaft vorzudringen und Bevölkerungsgruppen zu erreichen, die uns bisher verschlossen blieben. Unser eigentliches Ziel, die Revolution vertreten wir nach wie vor weiter. Wir fahren, wenn ich das mal so ausdrücken will, eine Art von Doppelstrategie. Eine legale Seite für den offene politischen Kampf, eine Untergrundvariante die sich auch militante Optionen offen hält auf der anderen Seite.“ Versuchte Neidhardt eine Erläuterung

„Verstehe! Die parlamentarische Bühne als Plattform nutzen, eine gute Idee, da werden wir einen erheblich höheren Bekanntheitsgrad erreichen!“ stimmte Lars zu. „Genau! Wer kennt uns schon? Nur aufgeschlossene Menschen, die schon den hohen Grad der Erkenntnis erlangt haben. Wir brauchen die breite Masse, müssen uns dort verankern, nur so kommen wir unserem Ziel ein Stück näher. Die bisherige Strategie ist gescheitert. Wir haben mit Anschlägen und Attentaten versucht Druck auf die Regierung auszuüben, die sollte die Repression auf die Bevölkerung erhöhen, damit diese, so nahmen wir an, dagegen auf begehrt und sich zur Wehr setzen würde.

Doch das Gegenteil trat ein. Je schikanöser die Masse behandelt wurde, desto devoter reagierte sie, floh geradezu in die Arme der Regierung oder obskurer rechter Gruppen. Obrigkeitshörigkeit wo man hinsieht. Nach oben buckeln, nach unten um so kräftiger treten. Dass haben wir damit erreicht. Das ist zwar völlig unlogisch und abstrus, aber seit wann lässt sich das Lumpenproletarier von logischen Argumenten leiten? Dem müssen wir Rechnung tragen und uns entsprechend umstellen.“

Neidhardts Aussagen leuchteten ein. So lammfromm wie derzeit war die Bevölkerung lange nicht mehr . Scheinbar ging es den Menschen noch zu gut. Was musste denn noch geschehen, um denen die Augen zu öffnen? Man benötigte also einen langen Atem bei der Sache. Schnelle voreilige Aktionen wurden somit erst mal ad acta gelegt. Lars würde sich mit dem Gedanken vertraut machen müssen, sich hier erst einmal für unbestimmte Zeit einzurichten, ob ihm das gefiel oder nicht.

Ein zurück gab es nicht mehr. Die Frist um sich als Prekaparia registrieren zu lassen war verstrichen, er würde also umgehend in das Entpersonifizierungsverfahren rutschen und in die Pariakaste herabgestuft. Was das bedeutete wusste jeder. Vogelfrei, nicht existent für die Gesellschaft, keine Rechte mehr, ausgelöscht. Hier lebte es sich mit Sicherheit besser. „Gut dann richte dich erst mal hier ein, wir sprechen später weiter.“ Brach Neidhardt nun das Gespräch ab. Lars kam es entgegen, Neidhardts messerscharfer Intellekt war zuweilen sehr anstrengend.

Ansgar brachte ihn ein Stockwerk höher in den geräumigen Dachboden, hier befanden sich viele Zimmer deren Einrichtung einfach aber gemütlich erschien. Sein zuhause für wer weis wie lange. Niemand vermochte eine Zeitprognose zu erstellen. Lars dachte noch einmal gründlich über alles nach, besonders aber über Neidhardt selbst. Der war schon eine markante Persönlichkeit. Seine Erscheinung deckte sich weitgehend mit dem was er vom hörensagen kannte. Wie wird man Revolutionär? Lars stand am Anfang und die Entwicklung ging in solchen Fällen ganz eigene Wege, die kaum vorhersehbar erschienen.

Neidhardt hatte diese Entwicklung schon lange hinter sich. Er entstammte der Prekakaste, allerdings war er Angehöriger einer Generation die es noch vermochte sich emporzuarbeiten. Durch Bildung hatte man damals noch eine reelle Chance sich der tristen, monotonen Prekawelt zu entziehen und er gehörte zu den wenigen die es geschafft hatten, konnte studieren und gleich mehrere akademische Grade erwerben. Er wurde ein Philosoph. Eine glänzende Karriere kündigte sich an.

Doch Neidhardt viel schon in jungen Jahren durch seine radikalen, ins extreme neigenden politischen und weltanschaulichen Idee auf. Das stieß auf wenig Gegenliebe in der Traditionsbewussten Öffentlichkeit. Das brachte es mit sich das er, wo immer er sich auch bewarb, eiskalt abblitzte. Die Möglichkeit seine Erkenntnis weiterzugeben blieb ihm schon damals weitgehend verwehrt. So schlug er sich zunächst mit Gelegenheitsarbeiten verschiedener Art durchs Leben. Konnte er dann doch mal etwas Niveauvolles ergattern, war das nie von langer Dauer. Zusehens radikalisierte er sich, nahm Kontakt zu Untergrundgruppen auf, die in seiner Jugendzeit recht großen Zulauf verzeichneten, wurde bald ein führender Denker jener Bewegungen.

Konflikte mit der Staatsmacht waren vorprogrammiert. Mehrfache Verhaftungen die Folge. Schließlich die Fluch ins Ausland, nach Technokratien. Nach einiger Zeit Rückkehr, erneut Agitation, Verhaftung, Fluch, Emigration, Rückkehr, Untergrund, etc. Ein ewiger, fast rhythmisch anmutender Kreislauf. So ging es über Jahre.

Viele Publikationen waren von ihm erschienen, die man in Melancholanien allerdings nur unter der Hand erwerben konnte. Damit erlangte er eine sich ständig steigernde Berühmtheit. Die Jahre gingen ins Land und er wurde immer älter. Nun war der ergraute Revolutionär schon um die 60 , hatte ein umfangreiches Wissen erworben, den Erkenntnisweg erfolgreich beschritten, doch stand er im Prinzip noch immer am Anfang solange alles reine Theorie blieb und kaum etwas in die Praxis übertragen werden konnte.

Die erhoffte Revolution blieb aus. All die schönen Pläne und Visionen harrten nach wie vor ihrer Erfüllung. Hatte er Torschlusspanik? Fürchtete er die Revolution, wenn sie denn einmal käme, würde ohne ihn statt finden? Es konnte ganz schön einsam sein, so ein Leben als Berufsrevolutionär. Lars grübelte vor sich hin. Und für so ein Leben hatte er sich gerade entschieden. Würde ihm in ferner Zukunft ein ähnliches Schicksal zuteil? Womöglich! Doch war es jetzt noch zu früh sich den Kopf darüber zu zerbrechen.

Und wieder führte sich Lars vor Augen, welches Leben er gerade hinter sich gelassen hatte. Dann doch lieber in Würde als einsamer ergrauter Revolutionär sterben, als zum Heldentod am Fließband verurteilt, so wie Erich vor nicht all zu langer Zeit. Prolet und noch stolz darauf, nein niemals, unter keinen Umständen. Das spendete zumindest im Moment ein wenig Trost.

Die Tage verstrichen und Lars lebte sich schnell ein. Dafür waren mehrere Faktoren verantwortlich. Zunächst einmal das schöne Wetter, der Mai machte seinem Ruf alle Ehre und verwandelte die Einöde in eine blühende Landschaft. Sattes Grün und Blüten wohin sich auch das Augen wandte. Der Tagesablauf andererseits erwies sich als wichtige Stütze des Alltages. Am Vormittag meist Handarbeit, vor allem Bauarbeiten, wie schon angesprochen. Lars brachte sich voll ein und stellte fest dass es ihm sogar Spaß machte, eine völlig neue Erkenntnis. Sicher manchmal etwas anstrengend, aber die Leute hier sahen schon zu dass sie sich nicht tot arbeiteten, kein Vergleich zu dem monotonen Hamsterrad, das er hinter sich gelassen. Die Frühstückspause hier dauerte schon mal eine Stunde und wenn er sich am Anfang richtig ins Zeug legte wurde er des Öfteren ermahnt, es doch nicht zu übertreiben.

Nein, alles lief hier behäbiger und Stressfreier ab. So eine Art zu arbeiten kannte er bisher nicht. Mittagessen das nahm auch schon mal anderthalb Stunden in Anspruch, die Leute hatten einfach Zeit , es lief ihnen nichts davon. Der Nachmittag war für die Schulungen reserviert. Neidhardt lies es sich nicht nehmen seinen künftigen Stab persönlich zu formen. Hier besaß er einen Lehrstuhl den ihn niemand streitig machte. Hier lauschten alle wie gebannt seinen Ausführungen und schon nach kurzer Zeit dachten die meisten so wie er. Die antiken Philosophen mit ihre illustren Schülerkreis wären bei diesem Anblick sicher vor Neid erblaßt.

Lars stellte zu seiner Genugtuung fest dass er sich kaum langweilte. Auch das ein bisher ungekanntes Gefühl, wenn er da an ähnliche Veranstaltungen in früheren Tagen dachte. Das feste Tagesprogramm erwies sich als außerordentlich fruchtbar. Trotzdem blieb immer noch genügend freie Zeit. Zeit die Lars am liebsten in der freien Natur verbrachte um die Umgebung zu erkunden, die sich im Nachhinein als gar nicht so trist und abweisend erweisen sollte. Bei der gemeinsamen Arbeit lernte man sich kennen, denn hier konnten wohl am besten ungezwungene Gespräche geführt werden.

So auch an diesem schönen Vormittag. „Sag mal, du bist doch etwas länger dabei Ansgar: Wie seid ihr denn auf dieses Gehöft gestoßen, um hier das Hauptquartier unter zu bringen?“ Wollte Lars wissen. „Hm das ist uns mehr oder weniger in den Schoß gefallen.“ Gab Ansgar zu verstehen, während er sich auf den Schaufelstiel stützte. „Du hast ja schon mitbekommen, dass hier eine kleine Agrargenossenschaft untergebracht war. Nun die haben das Gelände auch bis vor kurzem noch bewirtschaftet, aber dann machte sich auch hier die Krise bemerkbar und die mussten Konkurs anmelden. Da traf es sich ausgezeichnet, das wir uns just in jenem Moment auf Suche befanden. Natürlich packten wir die Gelegenheit beim Schopfe und griffen zu.“ „Habt ihr das Gehöft gekauft?“ „Ja, natürlich über eine Tarnfirma, versteht sich!“ „Versteht sich!“ Stimmte Lars zu. „Wir haben es dann so organisiert, das einige der Leute von der Genossenschaft hier blieben und zum Schein alles wie gehabt weiter betrieben. Wir glichen derweil die Verbindlichkeiten aus, im Hintergrund. So käme niemand auf den Verdacht, das hier etwas anderes über die Bühne geht als Landwirtschaft.“

„Aber was ist denn mit dem Unterricht, den Schulungen, die müssen doch irgendwie auffallen.“ Wunderte sich Lars. „Offiziell ist hier eine landwirtschaftliche Ausbildungsstätte untergebracht, so ist es zumindest eingetragen. Offiziell sind wir alle angehende Landwirte. Neidhardt fungiert als Direktor der Schule“ Schaltete sich Ronald ein, der sich den beiden zugesellte. „Aha, wie schlau! Ich muss zugeben, ihr habt wirklich alles in Betracht gezogen!“ staunte Lars geradezu ehrfürchtig. „Neidhardt weiß immer was zu tun ist, der überlässt nichts dem Zufall. Wir können uns hier durchaus sicher fühlen.“ Klärte Ronald weiter auf. „Aber der Staatsschutz? Vor dem müssen wir uns doch in Acht nehmen. Die lungern doch überall rum.“ Sorgte sich Lars.

„Wenn sie uns suchen, dann mit Sicherheit nicht hier!“ War sich Ansgar sicher. „Aber das kann man doch niemals mit Sicherheit ausschließen. Ich würde da vorsichtiger sein.“ Schlug Lars vor. „Wir sind über die Aktivitäten des Staatsschutzes bestens unterrichtet. Wir haben unser Informanten eingeschleust und ganz bewusst eine falsche Spur gelegt. Die suchen uns in einer völlig entgegen gesetzten Richtung.“ Klärte Ronald weiter auf.

Lars verschlug es fast die Sprache. „Ihr wollt damit andeuten, das ihr Leute von euch in die Reihen dieses Top-Geheimdienstes geschmuggelt habt ohne das die davon Wind bekommen haben?“ „So ist es! Ich habe ja gesagt, unterschätze Neidhardt nicht,der ist mit allen Wassern gewaschen. Den legt keiner so leicht aufs Kreuz. Inzwischen hatten sich alle im grünen Gras niedergelassen. So eine kurze Pause zwischendurch tat immer gut. „Und was ist wenn der Staatsschutz nun seinerseits Informanten  bei uns einschleust? “ Gab Lars zu bedenken.

„Die Gefahr besteht natürlich, ständig, aber auch dagegen sind wir gewappnet. Hey Tobias komm doch mal her setz dich zu uns wir führen gerade ein interessantes Gespräch.“ Rief Ansgar einem zufällig vorbei Kommenden zu. Der kam auch legte seine Spitzhacke ins Gras und setzte sich zu den andern. „Tobias, ist sagen wir mal Spezialist für Sachen Staatsschutz würde ich sagen. Zeig doch Lars mal deinen Ausweis.“ Forderte Ansgar weiter auf. „Ja, gerne, wenn`s weiter nichts ist:“ Tobias holte aus seiner Tasche einen Ausweis und präsentierte ihn Lars, dem daraufhin beinahe die Augen aus dem Kopf fielen. „Staatsschutz? Du bist echt beim Staatsschutz? Aber! Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr!“ 

„Du kannst es glauben, ich bin tatsächlich für den Staatsschutz tätig. Ich wurde damals auf die Radikalrevolutionäre angesetzt und sogleich fündig, als sie sich hier niederließen. Ich suchte den Kontakt, ließ mich anwerben. Dann hörte ich Neidhardt in seinen Vorlesungen, einiges klang sehr überzeugend. So entschloss ich mich kurzerhand die Seiten zu wechseln. Neidhardt hielt es für eine Fügung des Schicksals. Er war der Ansicht, dass ich ruhig weiter für den Staatschutz arbeiten soll. Das tue ich auch und versorge den regelmäßig mit falschen Informationen. Sollten die etwas planen, wäre ich der erste der davon erfährt. Du kannst dir sicher sein, eine Bessere Tarnung gibt es derzeit nicht.“

„Das ist ja ein Ding! Also da bin ich platt. Den Staatsschutz aufs Kreuz legen, einem der besten Geheimdienste der Welt, das schlägt dem Fass den Boden aus.“ Lars kam aus dem Stauen nicht mehr heraus. „Tja, siehst du! Alles in bester Ordnung. Kein Grund zur Panik.“ Stimmte Ronald zu. „Also bist du bestens informiert darüber was der Staatsschutz gerade plant? Wissen die denn auch über die Personen Bescheid, die sich hier versammelt haben? Ich meine über uns speziell. Die könnten ja auch unsere Familien überwachen, wenn die Wind davon bekommen wer im Untergrund lebt.“ Sorgte sich Lars weiter.

„Namen sind bisher nicht bekannt, bis auf ganz seltene Ausnahmen, von Führungskadern, die schon lange abgetaucht sind, Neidhardt natürlich, der kann sich selbstverständlich nicht einfach so in der Öffentlichkeit zeigen, der ist ja  bekannt wie ein bunter Hund. Wir hingegen können es problemlos. Ich zum Beispiel bin seit langem schon Paria, da gibt es ohnehin kaum noch Akten über meine Person. Ich existiere nicht,  bin also für die gar nicht vorhanden. Die meisten hier sind offiziell Paria. Wir rekrutieren dort die meisten unserer Aktivisten. Die radikale soziale Ausgrenzung wird dem Staat nun zum Verhängnis. Mit dieser Ungerechtigkeit hat er sich selbst sein Grab geschaufelt.“ Klärte Ansgar weiter auf.

„Aber ein zurück ins so genannte bürgerliche Leben ist trotzdem ausgeschlossen.“ Gab Lars weiter zu bedenken. " Sicher! Das können wir für die nahe Zukunft ausschließen. Diese bittere Pille mussten wir alle schlucken. Aber ich denke hier ist kaum einer der sich nach dem Prekaalltag zurücksehnt.Du etwa Lars? Möchtest du wieder für einen Hungerlohn täglich 10-12 Stunden am Fließband malochen?“ Wunderte sich Ronald. „Nein natürlich nicht! War nur so ein Gedanke von mir. Ich meine wenn nun die folgende Jahre nichts Wesentliches geschieht, ich meine eine Revolution mit tiefgreifenden Umwälzungen im Land. Können wir uns so lange im Untergrund halten?“

„Wir können, du wirst staunen ,was unser Netzwerk die vergangenen Jahre so alles zustande bringen konnte. Natürlich dürfen wir nicht zu leichtsinnig werden, das versteht sich von selbst. Aus diesem Grund sind wir auch so wählerisch, was die Rekrutierung von Neuanwärtern betrifft.“ Ansgar schien sich der Sache sehr sicher.

„Also Leute ich muss mich wieder an die Arbeit machen, habe noch einiges zu tun heute Vormittag.“ Tobias verabschiedete sich ,schulterte seine Spitzhacke und ging des Weges. „Ja wir sollten auch weitermachen. Noch eine Stunde bis zur Mittagspause, dort können wir weiterreden, da kannst du auch Neidhardt fragen, wenn du willst.“ Bot Ronald an. Dann erhoben sie sich und ginge ihrer Arbeit nach. Zur Mittagspause die sich wie schon erwähnt auch schon mal anderthalb Stunden hinziehen konnte, versammelten sich alle in der großen Kantine, Neuigkeiten fanden hier ihren Weg in die Runde, ein reger Austausch von Informationen und Ideen.

Neidhardt hatte keinen festen Platz sondern wanderte von Tisch zu Tisch, jeden Tag beehrte er einen andern mit seiner Anwesenheit. Und tatsächlich saßen Lars, Ronald, Ansgar Tobias und einige weitere mit dem großen Meister zusammen und löffelten die würzige Kartoffelsuppe die es heute gab. Traditionell konnten auch Fragen gestellt werden. Nur langsam entwickelte sich ein Gespräch, am Anfang mehr über Belanglosigkeiten.

Doch dann ertönte vom Nebentisch die Nachricht des Tages Am Hauptbahnhof von Manrovia war eine Bombe entdeckt worden. Alle Nachrichtensender berichteten stündlich über das Ereignis. Es verstand sich von selbst, dass die veröffentlichte Meinung die Radikalrevolutionäre dafür verantwortlich machte. Das löste hier eigenartiger weise nur Belustigung hervor. Lars konnte sich nicht mehr zurückhalten. „Neidhardt, sind wir denn nicht dafür verantwortlich? Ich meine unsere Leute haben die Bombe doch platziert oder?“ „Was für eine Bombe? Wenn überhaupt dann war das eine Bombenattrappe.“ Gab dieser kurz und bündig zur Antwort. „Eine Attrappe, warum soll denn einer auf so eine abstruse Idee kommen,  verstehe ich  nicht!“ Hakte Lars weiter nach. „Tobias, hab doch die Freundlichkeit und kläre unseren neuen Genossen auf.“ Bat Neidhardt seinen Nachbarn.

„Die Radikalrevolutionäre haben mit Sicherheit nichts auf dem Bahngleis deponiert. Ein alter Trick des Staatsschutzes. Die tun das für gewöhnlich selbst. Wenig originell muss ich zugeben. Aber es hat die Wirkung nicht verfehlt,denn nach wie vor glaubt die Mehrheit der Bevölkerung diesem albernen Treiben.“ Erläuterte Tobias. „Der Staatsschutz hat das Ding dort hingelegt? Aber warum denn das?“ Lars schien den Zusammenhang noch immer nicht zu begreifen. „Nun ich hätte dich für schlauer eingeschätzt Lars. Ganz einfach um uns diese Aktion in die Schuhe zu schieben. Somit hat die Regierung wieder freie Hand noch restriktivere Gesetze zu erlassen, um die noch vorhanden demokratischen Rechte weiter auszuhöhlen. Die Pressefreiheit besteht ja fast nur noch auf dem Papier, ich denke bald haben wir keine mehr und als nächstes wird wohl die Versammlungsfreiheit dran glauben müssen.“ Glaubte Tobias zu wissen.

„Schon seit langer Zeit haben wir solche Aktionen eingestellt.Aus dem einfachen Grund, weil sich die Bevölkerung davon nicht beeindrucken lässt. Es bringt einfach nichts wenn wir Bomben legen oder gar zünden. Solche Taten bringen die Menschen im Gegenteil nur gegen uns auf, deshalb haben wir schon vor Zeiten beschlossen darauf zu verzichten.“ Schaltete sich Neidhardt wieder ein. „Verstehst du? Wenn man keinen Gegner mehr hat, konstruiert man sich einen. All die Meldungen von angeblichen Bombenfunden in den letzten Monaten, alles fingiert. Alles Aktionen des Staatsschutze im Auftrag der Regierung, um die Stimmung im Volke anzuheizen und gegen uns in Stellung zu bringen und um abzuklären welche Form der Repression der Bevölkerung zu zumuten ist.“ Pflichtet ihm Ansgar bei.

Lars fiel es wie Schuppen von den Augen. Wie dämlich er doch war. Warum war er nicht von alleine darauf gekommen. Und so wie ihm ging es nach wie vor weiten Teilen der Bevölkerung, die diesen Unsinn noch immer für bare Münze hielten. „ Aber wir müssten uns nicht gegen solche Unterstellungen zur Wehr setzen? Der Öffentlichkeit müsste zugetragen werden, das wir dafür nicht verantwortlich sind.“ Schlug Lars vor. „Sehr interessanter Vorschlag. Dann musst du uns nur mal aufklären, wie das geschehen soll?“ Forderte Neidhardt ihn auf. „Sehr witzig Lars! Wir haben keine Plattform, um uns mitzuteilen. Wir können uns so viel distanzieren wie wir wollen, aber sowohl die öffentlich-rechtlichen, wie auch die privaten Sender boykottieren jegliche Verlautbarung von uns. Niemand sendet etwas von uns. So bleibt der Verdacht einfach unwidersprochen im Raum stehen.“ Versuchte Ronald verständlich zu machen. „Verstehe! Das ist natürlich blöd!“

„Nun begreifst du sicher, warum wir dringend diesen Strategiewechsel benötigen. Wenn wir uns auch nur zum Schein legalisieren, können sie uns nicht mehr mit einem Boykott belegen.“ Gab Neidhardt zu verstehen. „Habt ihr denn schon mal darüber nachgedacht so eine Art eigenen Sender aufzubauen? Das dürfte doch nicht all zu schwierig sein, oder?“ Schlug Lars vor. „Ist es aber!“ Widersprach Tobias. „Alle Frequenzen werden überwacht. Damit würden wir auffallen. Glaub mir, wir überlegen schon seit geraumer Zeit solche Möglichkeiten. Hätten wir eine Lösung gefunden, so wäre die mit Sicherheit längst in die Tat umgesetzt.“

„Wir müssen einfach die Geheimverhandlungen mit der Regierung vertiefen. Das könnte uns den Rücken freihalten, zumindest für eine gewisse Zeit. Zum Schein auf Forderungen eingehen, zum Beispiel der Entwaffnung zustimmen, in Wirklichkeit denken wir natürlich nicht daran. Aber so gewinnen wir Zeit:“ Entgegnete Neidhardt. „Geheimverhandlungen? Es gibt also tatsächlich Geheimverhandlungen?“ staunte Lars erneut. „Man, dir scheint aber so ziemlich alles entgangen zu ein.“ Stöhnte Ansgar.

„Lars kann das nicht wissen. Es wären ja dann keine Geheimverhandlungen mehr. Die veröffentlichte Meinung hat ebenfalls keine Ahnung, zum Glück, die würden alles zerreden und am Ende hätten wir das Nachsehen. Wir verhandeln seit geraumer Zeit schon. Die haben wohl bemerkt dass sie uns militärisch nicht besiegen können. Deshalb kamen sie auf uns zu. Wir sind darauf eingegangen, obgleich nicht alle Kommandeure damit einverstanden waren. Die scheinen ratlos zu sein. Deshalb dann immer diese Klöpse mit den Bombenattrappen und dergleichen. Noch kommt das in der Masse an, aber es beginnt schon zu bröckeln. Viele werden misstrauisch und hier müssten wir ansetzen,  wenn wir denn könnten.“

Neidhardt begann schon jetzt mir seinem Vortrag, den er sich doch für die sich an schließende Schulung vorgenommen hatte. Dort wollte er einen konkreten Plan unterbreiten, der sicherlich nicht bei allen auf Gegenliebe stoßen würde. Lars war gespannt was die Schulung offenbaren würde. Neidhardt war immer für eine Überraschung gut. So würde es auch diesmal sein. „Ja, wir leben in blöden Zeiten. Noch kein echter Aufbruch im Moment. Wir können vorerst nur Warten.“ Bedauerte Ansgar und Lars konnte dieser Aussage nur zustimmen. Die Zeit verstrich, die ersten begannen das Geschirr abzuräumen. Lars schloss sich ihnen an.

Nun würde eine kleine Ruhepause folgen, dann gab es wieder jede Menge Theorie. Wenn man nicht auf der Hut war, konnte einem schon recht bald der Kopf rauchen. Nein intellektuelle Leichtgewichte würden hier nicht lange bestehen. Deshalb kam es immer wieder vor, das Leute hier das Handtuch warfen und gingen, selbst auf die Gefahr hin draußen in der Masse der Paria unterzugehen.

Lars beschloss ein wenig zu ruhen, bevor er sich in die Schlacht warf. Eine richtige Entscheidung wie sich schnell herausstellen sollte, denn heute ging es hoch her. Neidhardts Neuigkeit bewegte die Gemüter derart, dass er sich gezwungen sah des Öfteren Kraft seiner unangefochtenen Autorität ein zugreifen, was er gewöhnlich stets zu vermeiden suchte.

Die Bürgerrechtsbewegung um Cornelius hatte den Kontakt zu den Radikalrevolutionären abgelehnt und dessen Bündnisangebot ausgeschlagen.  Auch auf Seiten der Revolutionäre gab es erhebliche Bedenken und es bestand Diskussionsbedarf. Neidhardt versprach sich von so einem Schulterschluss Vorteile, vor allem in Hinblick auf die Agitation in der Öffentlichkeit. „Ich bin mir vollkommen im Klaren darüber dass es vielen von euch nicht passt.Aber wir müssen , zumindest zum Schein, über unseren Schatten springen. Diese schroffe Zurückweisung habe ich von vorn herein einkalkuliert. Ich werde sie immer wieder erneuern bis sich Cornelius nicht mehr verweigern kann.“ Versuchte Neidhardt die Stimmung zu entschärfen.

„Aber Neidhardt, ich erinnere mich, dass du selbst noch bis vor kurzen ein entschiedener Kritiker von Cornelius Vorgehensweise warst. Gewaltloser Widerstand, ein schöner Traum aber leider absolut undurchführbar, das waren deine Worte. Woher nun dieser Sinneswandel.“ Wandte Gerold ein, einer der schon lange zum inneren Kreis der Bewegung gehörte. „Ich kann euch beruhigen, es gibt keinen Gesinnungswandel. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass Gewaltloser Widerstand Blödsinn ist. Aber wir benötigen einen Strategiewandel und den erreichen wir nur, wenn wir größere Schichten der Bevölkerung erreichen. Allein sind wir dazu nicht imstande, aber mit Hilfe von Bündnispartnern durchaus. Das Netzwerk um Cornelius ist uns um einiges voraus, aus dem einfachen Grund, weil die legal operieren. Wir können davon nur träumen, bisher zumindest.“ Versuchte Neidhardt den Vorwurf zu entkräften.

„Aber wir haben jede Menge eigene Publikationen hervorgebracht, die sich sehen lassen können. Wir brauchen uns hinter denen nicht zu verstecken.“ Lehnte Gerold weiter ab. „Aber wie fertigen wir die? Vom Ausland her. Alles wird in Technokratien gedruckt, dann muss es umständlich hertransportiert werden und von der Verteilung mal ganz zu schweigen. Es ist stets ein Kraftakt all das Zeug unter die Leute zu bringen.“ Entgegnete Ansgar, der sich sogleich auf Neidhardts Seite schlug. „Das stimmt schon! Das nervt manchmal ganz schön, aber bisher ist es uns immer gelungen.“ Widersprach nun Ronald. „Ja bisher, aber darauf können wir nicht immer setzen. Unsere Kapazität ist irgendwann erschöpft und ich denke, das wird schon recht bald erfolgen.“ Resignierte Neidhardt. „Ich mache euch auch darauf aufmerksam dass der Staatsschutz uns in dieser Hinsicht dicht auf den Fersen ist. Das ist unsere Achillesferse. Wenn wir hier zu leichtsinnig auftreten könnte es uns zum Verhängnis werden.“ Gab Tobias zu verstehen, der es ja wissen musste.

Lars hielt sich zurück, er besaß noch zu wenig Hintergrundwissen um sich hier ein zubringen. „Wir sollten uns in Erinnerung rufen dass uns  Cornelius außerordentlich feindlich gesinnt ist. Bei keiner Gelegenheit versäumte er es sich von uns zu distanzieren, uns regelrecht in die Pfanne zu hauen.“ Legte Gerold noch einen nach.

„Ich habe das auch nicht vergessen und werde es auch in Zukunft nicht. Aber die Situation verlangt nach neuen Aktionen und die können wir nur auf diese Weise führen. Ich habe mich entschieden. Ich werde weiter auf ihn zugehen und nicht locker lassen. Gespräche zunächst, nicht mehr. Von einem Abkommen kann noch keine Rede sein. Und wer mich kennt, weiß dass ich ein außerordentlich harter Verhandlungspartner bin. Wenn es soweit ist werde ich unsere Forderungen mit großen Nachdruck durchbringen.“ Gab Neidhardt zu verstehen. Es gab wohl niemanden im Raum der ihm das nicht zutraute.

„Eine Unterwerfung kommt für uns nicht in Frage. Wenn Cornelius irgendwann die Bereitschaft zeigt auf uns zu zugehen und glaubt uns dann für seine Zwecke instrumentalisieren zu können, befindet er sich in einem gewaltigen Irrtum. Wer hier wen benutzt wird sich bald erweisen. Wir werden der eventuell neu entstehenden Widerstandsbewegung deutlich unseren Stempel aufdrücken, dafür sorge ich.“ Fuhr Neidhardt fort. Das brachte ihm erst mal eine großen Beifall ein, auch aus den Reihen seiner Kritiker.

„ Die haben auch dringend eine klare Linie nötig, wenn ich daran denke was sich da so alles für Leute tummeln. Ein breites Spektrum, vereint nur durch Unzufriedenheit. Aber ein wie auch immer geartetes Programm sucht man bei denen vergeblich. Ich weiß nicht was geschehen soll, wenn die tatsächlich an die Regierung kämen, die wüssten gar nicht wie man regiert. Phantasten, Traumtänzer zumeist. Keine Ahnung von der Realität. Wenn ich da zum Beispiel an diesen Kovacs denke und sein mystisch-esoterischer Unfug. Abstruser geht es schon gar nicht mehr.“ Warf Dagobert ein, der als einer der Ideologen innerhalb der Bewegung fungierte.

„Gerade das ist unsere Stärke! Uns zeichnet ein klares Profil aus. Wir haben eindeutige weltanschauliche Grundsätze die wir verwirklichen wollen. Nicht so eine Ansammlung von schwammigen Floskeln. Und genau diese Grundsätze werden wir verdeutlichen. Wir erobern uns dort unsere Position. Wir unterwandern das Netzwerk solange, bis es uns vollständig gehört.“ Ließ Neidhardt nun die Katze aus dem Sack.

„Das hört sich schon viel besser an!“ Rief Gerold, auch die anderen bekundeten ihre Zustimmung. " Aber was machen wir, wenn die merken was wir vorhaben und sich dem widersetzen?“ Gab Lars zu bedenken. Plötzliche Stille. Alle blickten zu Lars dem dieser Umstand ziemlich peinlich erschien. „Wer fragt danach? Ich denke wenn wir erst mal den Fuß im Netzwerk haben, stellen wir sie vor die Wahl. Entweder gehorchen, oder verschwinden. Die Entscheidung liegt bei jedem einzelnen.“

Hier sprach der zukünftige Diktator. Neidhardt lies mit dieser Aussagen keinen Zweifel daran, welche Staatsform er bevorzugte, wenn seine erst Stunde gekommen. Lars erschrak im Angesicht dieser Direktheit. Kein Wunder dass Cornelius die ausgestreckte Hand bisher zurückgewiesen hatte.

„Also kann ich davon ausgehen, dass wir das Gesprächsangebot, trotz derzeitiger Zurückweisung weiter aufrecht erhalten ? Gut, ich sehe trotz Widerstände breite Zustimmung. Etwas anderes habe ich auch nicht erwartet.“ Hakte Neidhardt das Thema einfach ab. Somit beugte er weiteren kritischen Anfragen vor.

„Wir kommen somit zum Zweiten großen Thema unserer Zusammenkunft. Die Legalisierung und alles was damit zusammenhängt. Es ist angedacht, das wir zu diesem Zweck eine politische Partei gründen, die später legal in der Öffentlichkeit wirken kann. Ich denke hier gibt es keinen Diskussionsbedarf.“ Wie schlau, diesmal lies er eine kritisch angedachte Diskussion von vorn herein erst gar nicht zu.

„Wir werden diese in etwa so organisieren, wie es auch die bürgerlichen zu tun pflegen, zumindest was die Struktur betrifft, das Erscheinungsbild nach Außen. Nach innen behalten wir das Avantgardeprinzip ohne wenn und aber bei. Ich benötige einige Personen die bereit sind Verantwortung zu übernehmen und die Partei zu verwalten und nach außen zu repräsentieren. Ich kann das im Moment schlechthin selber tun. Als persona non grada, sind mir vorerst noch die Hände gebunden. Hinter den Kulissen werde ich selbstverständlich die Fäden weiter in den Händen halten.“

Der schlaue Fuchs, dachte Lars. Er bediente sich also Strohmänner, die zum Schein die Partei leiteten, er aber behielt das letzte Wort. Die graue Eminenz im Hintergrund. So konnte er schalten und walten wie es ihm beliebte. Jene die sich hier zur Verfügung stellten, waren im Begriff sich eine schwere Bürde aufzuladen, waren sie doch nach Außen für alles Verantwortlich. Sollte Neidhardt jedoch mit ihnen nicht zufrieden sein, konnte er sie jederzeit abservieren und durch neue Marionetten ersetzen. Er selber blieb hingegen unbescholten. So war es nicht weiter verwunderlich, dass kaum jemand Interesse dafür zeigte sich für dieses undankbare Unterfangen freiwillig zur Verfügung zu stellen.

Aber auch daran hatte Neidhardt gedacht. Für diesen Fall erteilte er einfach den so genannten Ehrenauftrag. Den konnte niemand ablehnen. Das war Tradition, keinem käme es in den Sinn diese zu brechen. „Ich habe mir auch schon Gedanken gemacht, wen ich mit diesem Auftrag beehre. Einmal unser Freund Dagobert, einer der fähigsten Philosophen und Denker im Hintergrund, der sich aber aus unserem militanten Kampf weitgehend zurück genommen hat. Ihm zur Seite stelle ich eine unserer jüngsten und erst kürzlich beigetretenen Aktivisten. Lars, ich habe hier an dich gedacht.“

Zunächst glaubte Lars dass sich Neidhardt mit ihm einen üblen Scherz erlaubte und ging gar nicht weiter darauf ein. Erst nachdem ihn Neidhardt erneut ansprach schien ihm aufzugehen was da eben vorgeschlagen wurde. „Lars hast du verstanden, was ich dir gerade angetragen habe?“ „Ich? Du meist das doch wohl nicht im ernst? Wie kommst du denn ausgerechnet auf mich? Ich…äh, ich kann das nicht! Tut mir leid!“

Lars hatte offensichtlich die Bedeutung des Ehrenauftrages noch nicht erfasst. „Lars es handelt sich hier um einen Ehrenauftrag, einen solchen kann man nicht einfach ablehnen.“ Klärte ihn Ansgar auf. „Also wir sind uns einig, du bist hiermit vorgeschlagen für den Aufbau der neuen Partei. Ich werde natürlich weitere Personen benennen. Es gibt innerhalb unserer Bewegung genügend fähige Leute für diese Aufgabe.“ Versuchte Neidhardt schon die Diskussion abzuwürgen. „Ja, es gibt genug fähige Leute, du sagst es. Ich bin doch erst ganz kurze Zeit hier, ich fühle mich so einer Aufgabe nicht gewachsen. Ich wüsste gar nicht was ich tun soll.  Wahrscheinlich würde ich mehr schaden denn nützen.“  Versuchte Lars verzweifelt, Neidhardt von seinem Vorhaben abzubringen.

„Wenn sich nach einer bestimmten Zeit herausstellt, dass du tatsächlich ungeeignet für diese Aufgabe bist, werde ich eine Lösung finden. Aber bis dahin wirst du dort stehen wo die Partei es für richtig erachtet. Du hast als Agitator der Gewerkschaft in der Spielzeugfabrikfabrik unter Beweis gestellt was in dir steckt. Auf diese Weise konntest du schon Erfahrung sammeln, die dir jetzt zugute kommt. Wir sind uns also einig. Ich dulde im Moment keinen Widerspruch.“ Punkt! Neidhardt hatte gesprochen und ließ deutlich erkennen, wer hier bestimmte Es gab  keinen weiteren Diskussionsbedarf.

Lars wollte noch etwas erwidern, doch die Worte stockten auf seinen Lippen, es machte einfach keinen Sinn sich dagegen auf zu lehnen. Er würde die Aufgabe übernehmen müssen, sollten die doch sehen was es ihnen brachte. Er hatte seine Bedenken offen geäußert. Es brauchte sich also keiner zu beschweren, wenn er Mist baute.

Neidhardt ging noch auf einige weitere organisatorische Dinge ein, die der Abklärung bedurften. Danach kam er schließlich zur eigentlichen theoretischen Schulung. Diese bestand üblicherweise aus einem langen Vortrag mit Diskussion. Es versteht sich von selbst dass Neidhardt möglichst wenig Kritik hören wollte. Zum Glück war er ein brillanter Redner, der es verstand seine Zuhörer zu begeistern. Einschlafen tat bei solchen Vorträgen keiner.

„Also was war der Inhalt unserer letzten Schulung? Wer erinnert sich noch daran?“ Lautete Neidhardts etwas provokante Frage. „Die Frage nach der besten Form der Eroberung der politischen Macht!“ Erinnerte sich Gerold. „Wir besprachen den Weg bis dorthin und die verschiedenen Möglichkeiten die uns aus der Geschichte bekannt sind. Reformen oder Revolution. Also allmähliches Hineinwachsen, z.B durch Teilnahme an Wahlen oder die Eroberung der Macht durch einen gewaltsamen Umsturz. Wenn ich mich recht entsinne konnte wir in dieser Frage nicht so recht zu einer Einigung gelangen.“

„Sehr richtig Gerold! Die aktuelle Lage lässt auch den berechtigen Zweifel zu, wie wir bereits gesehen haben. Wir kommen also auf unser Eingangsthema zurück und die Frage eines Bündnisses und die daraus resultierenden Folgen. Wir haben auf der einen Seite die theoretischen Konzepte, auf der anderen die praktische Tagespolitik. Bisher favorisierten wir den gewaltsamen Umsturz. Die Eroberung der politischen Macht mittels einer Revolution, als Folge weitgehender Ausschaltung des bestehenden alten Apparates und dessen Ersatz durch einen neuen, eben revolutionären.

Die Errichtung einer autoritären Ordnung,die von Nöten ist, weil es uns auf andere Weise kaum gelingen wird unsere Vorstellungen zu verwirklichen. Zumindest am Anfang haben wir mit hartnäckigem Widerstand aus der Privokaste zu rechnen. Also wenn man es so bezeichnen will, eine Übergangsdiktatur. Wir erobern die Macht, die ganze Macht im Lande, dazu gehört vor allem die ökonomische Macht, denn die ist die entscheidende. Nur wer die Besitzverhältnisse umwirft, ändert tatsächlich etwas.

Zu gegebener Zeit , wenn unsere Revolution die ersten Früchte trägt, können wir dazu übergehen nach und nach die politische Macht aus der Hand geben und dorthin gelangen, wohin wir eigentlich wollen, zur Auflösung des Staates. Denn wenn es keine sozialen Kasten mehr gibt, benötigen wir auch keinen Staat mehr. Die Funktion des Staates erlischt mit der Auflösung der Kasten. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg, es müssen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte einkalkuliert werden.“ Leitete Neidhardt seinen Vortrag ein.

„Und die Verantwortlichen, die nach erfolgreicher Revolution alle Macht in ihren Händen halten, die werden dann so einfach ihre Machtfülle aus den Händen geben, wenn die Zeit gekommen ist?“ Lautete Lars provokative Frage. Eisiges Schweigen im Raum, man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können. „Diese Frage höre ich sehr häufig. Die wird uns vor allem von unseren politischen Gegnern gestellt? Die gehen davon aus, dass einer der die Macht erst einmal errungen hat diese nie und nimmer freiwillig aus den Händen geben wird. Ich aber behaupte: Doch! Er wird! Und ich kann euch auch sagen warum er das tun wird, weil er ein Revolutionär ist, von unserer Philosophie durch und durch geprägt, weil ihm das Wohl des Volkes über alles geht. Daher wird er imstande sein diesen für bürgerliche Gemüter völlig unlogischen Schritt zu vollziehen. Unsere Kritiker sind die Prototypen dieser bürgerlichen Denkstruktur, daher sind sie unfähig sich das Unmögliche auch nur vorzustellen.“

Eindeutig, Lars aber wollte sich mit dieser Antwort nicht zufrieden geben. Er bezweckte natürlich auch noch etwas anderes. Wenn er ständig Zweifel hegte und diese auch nach außen bekundete, würde Neidhardt sicher von seinem Vorhaben absehen, ihn für die geplante Aufgabe innerhalb der neuen Partei einzusetzen. Einen Querulanten konnte er dort mit Sicherheit nicht gebrauchen . „Und du bist dir  absolut sicher Neidhardt?“ „Absolut! Kein wirklicher Revolutionär wird jemals von diesem hehren Ziel abrücken. Tut er es doch ist er nie ein Revolutionär gewesen, sondern bloß ein mittelmäßiger Mitläufer, der auf Kosten der Partei Karriere machen wollte.“ Gab Neidhardt selbstsicher zu verstehen.

„Aber ich denke, wir müssen davon ausgehen, dass wir solche Typen in unseren Reihen haben. Leute die die Partei nur benutzen, die, einmal oben angekommen, Gefallen an der Macht finden und nicht daran denken diese weiter zu reichen. Welche Möglichkeiten gibt es, sich solchen Charakteren zu widersetzen?“ Nun schien für einen kurzen Moment sogar der große Neidhardt ratlos. Hier rüttelte einer an einem Dogma, was da lautete. Es kann nicht sein, was nicht sein darf!

Zunächst jedoch schaltet sich Dagobert ein. „Widersetzen? Wieso widersetzen? Einem Revolutionär kann man sich gar nicht widersetzen. Das wäre ja Konterrevolution und die können wir nicht dulden. Auch nicht aus den eigenen Reihen, bzw schon gar nicht aus den eignen Reihen. Diese Frage stellt sich nicht. Du hast Neidhardt gehört. Es ist ausgeschlossen dass sich so etwas ereignet. Aus diesem Grund brauchen wir uns auch nicht weiter den Kopf darüber zu zerbrechen.“

„Aber wir bekämpfen die Macht. Wir sehen im derzeitigen Regime, was Machtausübung anrichtet, deshalb rebellieren wir dagegen und das ist richtig. Die müssen weg da oben. Wäre es denn nicht möglich den Staat gleich nach einer Revolution abzuschaffen?“

„Anarchie! Chaos! Gesetzlosigkeit! Verfall!“ Hörte er jetzt von allen Seiten. Er hatte offensichtlich in ein Wespennest gestochen. „Ohne Staat? Wie soll das denn funktionieren? Wir können doch nicht ohne Staat leben! Du hast gehört, das wir eine lange Übergangsperiode benötigen!“ Wies ihn Gerold zurecht.

Neidhardt klatschte dreimal in die Hände, das bedeutete üblicherweise, Ende der Diskussion. „Ein interessanter Vorschlag Lars! Die alte Frage, die schon Generationen von Revolutionären erfasst und entzweit hat, überall auf der Welt. Nein, das funktioniert nicht, das kann nicht funktionieren. Wir würden nach einer Revolution im Chaos versinken ohne eine straffe zentrale Führung von Oben. Jeder würde schlichtweg tun was er will, es gäbe keine Gesetze mehr, keine Ordnung, keine Polizeigewalt, keine Rechtssprechung etc. Die Wirtschaft würde den Bach runter gehen, ebenso die Kultur. Nein, das wird ein frommer Wunsch bleiben, etwas für Träumer und Fantasten vom Schlage eines Kovacs. Wir hingegen wissen was zu tun ist und das können wir nur mit einer straffen Führung. Es kommt aber einem Naturgesetz gleich, das sich das irgendwann ändert, eben dann wenn die Zeit gekommen ist. Womöglich erleben wir das selber gar nicht mehr, kein Problem. Wir haben den Grundstein gelegt und das ist entscheidend.“

Lars glaubte nun sein Ziel erreicht, wollte nicht weiter nachbohren. Neidhardt würde ihn jetzt sicher für unbrauchbar erachten. Wie Recht er mit seiner Einschätzung hatte, konnte aber auch er im Moment nicht ermessen. „Also gut! Das hätten wir geklärt. Die Angelegenheit müssen wir ohnehin erst einmal auf Eis legen, denn die Revolution lässt weiter auf sich warten. Wollen wir sie jemals noch erleben, bedarf es zunächst eines Strategiewechsel, wie ich es schon anregte. Es gibt eine weitere Version um an die Macht zu gelangen. Man stellt sich zu einer Wahl und erobert die politische Macht indem man sich an die Spitze des Staates wählen lässt. Auf Zeit wählen lässt um genau zu sein. Da könnte man in aller Ruhe und auf friedliche Art Reformen einleiten.

Viele Revolutionäre überall auf der Welt sind dieser Vorstellung schon erlegen, hörten somit de facto auf Revolutionäre zu sein. Diese Vorstellung ist abstrus. Die verkennt völlig, dass die reine politische Macht nur eine Scheinautorität darstellt. Die wirkliche, die ökonomische Macht bliebe dabei unangetastet. Die Anhänger dieser Theorie gehen davon aus, das sie, wenn sie denn die Regierung stellen, einfach so den Privo soziale Reformen abtrotzen notfalls gegen deren Willen. Die Privo aber sind es die die ökonomische Macht weiter ungeteilt in den Händen halten, die werden den Teufel tun und statt dessen ihre starke Position dafür gebrauchen um der neuen Regierung zu schaden wie immer es ihnen auch beliebt. Das beginnt zunächst mit passivem Widerstand, etwa dem Investitionsstreik, mit Massenentlassungen und sonstigem asozialem Gehabe.

Die Folge: Eine Wirtschaftskrise jagt die andere, am Ende droht der Kollaps. Was glaubt ihr, wen die Bevölkerung für den Schlammassel verantwortlich machen wird? Die Wirtschaft, die Kapitalverbände? Nein, die Regierung, und nur diese. Die darf bei den folgenden Wahlen den Kopf hinhalten, wird abgestraft und das Volk läuft ganz brav den alten Eliten hinterher, wählt konservativ, selbstverständlich die sollen`s nun wieder richten.

Die schaffen das auch, denn nun werden die zuvor zurückgehaltenen Investitionen vorgenommen. Folge: Die Wirtschaft beginnt zu boomen,kurzzeitig nur, aber das spielt keine Rolle, die eingelullte Bevölkerung sieht das und? Und? Klar die Linken, die Sozialreformer können nicht regieren, die dürfen wir auf keinen Fall wieder unterstützen. Das ist die friedliche Variante.“ Klärte Neidhardt alle mit kühnem Verstande auf.

„Erläutere doch auch noch die harte die militante Variante, Neidhardt!“ Forderte Dagobert ihn auf. „ Sollte die Reformerregierung nicht auf diese Weise zu Fall gebracht werden gibt es als letztes Mittel noch den gewaltsamen Umsturz. Dann bedient sich die Privoelite solcher obskurer Gruppierungen, wie dem Blauen Orden und seiner Helferorganisationen. Es wird ein Notstand ausgerufen, da beschwört man Gefahren, die vom Ausland kämen oder von radikalen Gruppe hierzulande. Folge: Eine Diktatur. Im Grunde ist es gleich ob Diktatur oder Pseudodemokratie, wichtig ist vor allem das die Privilegien der Privo unter keinen Umständen angetastet werden. Ihr seht also, auf Wahlen zu setzen und auf eine Regierung die Reformen durchsetzt ohne vorher die Besitzverhältnisse zu ändern ist abenteuerlich, zeugt von einer beispiellosen Naivität. Eine parlamentarische Mehrheit bedeutet noch lange keine wirkliche Macht. Leider haben das Traumtänzer wie Cornelius nicht begriffen, sonst würden sie nicht so darauf beharren.“

„ Aber du erklärtest vorhin, dass auch wir uns an Wahlen beteiligen wollen. Wir kritisieren Cornelius, tun es ihm aber gleich. Wie passt das zusammen?“ Machte sich Lars wieder durch eine provokante Frage bemerkbar. „Wenn du vorhin richtig zugehört hättest, würdest die Antwort bereits kennen. Wir beteiligen uns daran um eine Plattform zu bekommen mit deren Hilfe wir agieren können. Angefangen beim Wahlkampf bis hin zu der parlamentarischen Auseinandersetzung, überall bietet sich uns die Möglichkeit an die die Öffentlichkeit  zu gehen. Wir sollten alle Möglichkeiten die sich bieten auch nutzen. Unser eigentliches Ziel bleibt nach wie vor die Eroberung der Macht durch einen revolutionären Akt, daran werde wir immer festhalten, ohne wenn und aber.“ Gab Neidhardt zu verstehen.

Lars leuchtete das ein. Was die Variante der Eroberung der Macht durch Wahlen betraf stimmte er Neidhardt unbedingt zu, das war blauäugig und konnte kaum gelingen. Aber die Version mit dem gewaltsamen Umsturz und einer darauf folgenden Diktatur? Hier konnte er  Neidhardts Enthusiasmus nicht teilen. Politiker die ihre absolute Machtfülle freiwillig aus der Hand geben? Das klang doch ein wenig zu idealistisch, Theorie und Praxis klafften weit auseinander. Einen dritten Weg? Den gab es  nicht. Zumindest hatte dem Anschein nach noch keiner ernsthaft einen solchen in Erwägung gezogen. Aber noch war es nicht so weit, es würde wohl noch viel Zeit verstreichen. Wie hieß es doch immer so schön. Kommt Zeit kommt Rat! Man musste einfach abwarten.

„Also wenn ich dich recht verstanden habe gibt es so etwas wie einen Dritten Weg nicht, oder?“ Setzte Lars dass Frage und Antwortspiel weiter fort. „Nein! Ich kann mir nicht vorstellen wie der aussehen sollte. So was fordern Leute die sich nicht entscheiden können oder wollen. Entweder oder! Stell dir vor du fährst mit dem Auto an eine Kreuzung, dort geht eine Straße in die Linke und eine in die Rechte Richtung. Nun musst du dich entscheiden, denn du kannst ja unmöglich in beide Richtungen gleichzeitig fahren.“ „Es sei denn es gibt einen Weg der geradeaus führt!“ Unterbrach Lars. Das löste ein Gelächter aus. „Sehr originell Lars.  Das mag im Straßenverkehr vor kommen, in der Politik jedoch gibt es so etwas nicht. So ist das nun mal. Du musst dich entscheiden. Wäge genau ab. Lass dich nicht verunsichern von bürgerlichen Propheten die vor geben die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, die lauern überall.“ Forderte Neidhardt auf.

Lars zog es vor nicht weiter zu provozieren, hatte er Neidhardt schon genug gereizt. „Denkt immer daran, die wichtigste Frage ist immer jene nach der Macht. Unser Ziel muss es immer bleiben, die Macht zu erobern und diese nach Möglichkeit mit niemanden zu teilen. Sollte sich das dennoch nicht vermeiden lassen, dann nur auf Zeit oder zum Schein. Die Machtfrage ist die entschiedenste überhaupt, an ihr kommt keiner vorbei.“ „ Und aus diesem Grund darf die Ideologie, die unser Fundament ausmacht auch niemals verwässert werden. Wenn wir also Bündnisse eingehen, dann immer nur der Form halber, um den Schein zu wahren.“ Fügte Dagobert hinzu, der sich damit offensichtlich nur wichtig machen wollte. „Sicher, das versteht sich von selbst!“ Blätterte ihn Neidhardt ab.

Die Diskussion ging noch weiter. Es gab sehrviele die sich selber gerne reden hörten und wiedergaben, was schon ausgesprochen war. Sie bestätigten nur alle Neidhardts Ausführungen, daher zog sich alles unnötig in die Länge.

Mit Erleichterung vernahm Lars Neidhardts Schlusswort. Jetzt erst mal an die frische Luft. So einen schönen Tag sollte man ohnehin lieber im Freien verbringen.

Neidhardt winkte Lars noch kurz zu sich. Wie würde er wohl reagieren. „Ach Lars. Ich finde es gut wie du dich verhalten hast. Ich sehe, du denkst mit. Das ist gut! Das ist wirklich gut. Ich kann nur sagen  dass dieser Umstand meine Entscheidung für dich bestätigt. Du bist genau der Richtige für die Aufgabe.“ Somit hatten seine Provokationen das genaue Gegenteil von dem zur Folge was er zu erreichen trachtete.  Er hatte sich gründlich verschätzt. Neidhardt entfernte sich aus dem Saal und ließ den verwunderten Lars zurück. Ansgar;Tobias und Ronald stürzen auf ihn zu. „He Lars,war ja ne tolle Nummer die du da abgezogen hast. Ich muss schon sagen alle Achtung, so hat sich hier noch keiner mit Neidhardt angelegt. Ist ganz schön gefährlich so was.“ Beschwor Ansgar. „Wieso, ich hab doch nur ein paar Fragen gestellt. Ist es denn verboten Fragen zu stellen?“ „Das nicht! Aber die Art wie man sie stellt. Es konnte ja der Eindruck entstehen, dass du Neidhardts Autorität in Frage stellst. Das geht natürlich unter keinen Umständen:“ Wies Ansgar auf das ungeschrieben Gesetz hin.

„Was hat er denn eben zu dir gesagt? War bestimmt eine Rüge oder so was?“ Vermutet Ronald. „Nee, ganz im Gegenteil, der hat mich ausdrücklich gelobt. Er schätze so eine Art von Mitdenken meinte er und das er wohl die richtig Wahl getroffen habe.“ „Echt? Hat er das gesagt? Du willst uns doch auf den Arm nehmen?“ Mistraute Tobias dem Gehörten. „Ich wollte es wäre so. Ist es aber nicht. Ich gedachte durch meine Provokation zu erreichen, dass mich Neidhardt ablehnt und in Zukunft mit seinem Ehrenaufträgen in Ruhe lässt, aber offenbar habe ich damit das genaue Gegenteil erreicht. Zu blöd. Nun ist er erst recht auf mich aufmerksam geworden.“ Gab Lars zu verstehen.

„Komisch! Das passt überhaupt nicht zu Neidhardt. Der reagiert doch sonst immer eitel und herablassend wenn man seine Anschauungen kritisiert.“ Wunderte sich Ronald weiter. „Hm, das könnte natürlich an diesem Strategiewechsel liegen der hier angedeutet wurde. Ich werde da auch nicht richtig schlau draus. Ihr habt ja gesehen, dass viele diesem Ansinnen ablehnend gegenüber stehen. Hier benötigt er Leute die nicht einfach alles vorbehaltlos nachbeten, sondern eine eigene Kreativität erkennen lassen.“ Glaubte Ansgar dem entnehmen zu können.

„Mag sein! Jedenfalls bleibt jetzt alles an mir hängen! Ich weiß gar nicht wie der auf so eine Idee kommen konnte. Es gibt doch nun genügend andere die für so eine Aufgabe geeignet sind.“ Schimpfte Lars. „Na ich weiß nicht was du dagegen hast. Das bedeutet vor allem Schreibtischarbeit, weg mit der Schaufel, rann an die Schreibmaschine. Freu dich doch, ist ne tolle Abwechslung und unterwegs wirst du auch viel sein, kommst mal raus aus diesem Kaff. Ich wollte er hätte mich ausgesucht.“ Bedauerte Tobias. „Kein Problem, ich tausche gerne mit dir! Kannst den Posten sofort von mir haben.“ Bot Lars an. „Haha sehr witzig! Du kennst doch meine wahre Identität. Einen besseren Wink könnten wir dem Staatsschutz gar nicht bieten.“ Lehnte dieser aus den bekannten Gründen ab. „Genieße es und sieh es als Wink des Schicksals. Wer weiß für was das noch mal taugen kann, man kann nie wissen.“ Ansgar klopfte Lars kräftig auf die Schulter, dann ließen ihn die andern alleine.

Schon der folgende Tag offenbarte, dass für Lars tatsächlich eine neue Ära anbrach. Er hatte gerade seine Arbeit aufgenommen, die an diesem Tag aus Maurertätigkeiten in einer alten Scheune bestanden, als er auch schon von Dagobert gerufen wurde. Der lange dürre Kerl sah mit seinem 3mm Stoppelhaarschnitt aus, als wäre er gerade dem nächst besten Straflager entschwunden.Die mausgraue Parteiuniform schlapperte so an ihm als sei er dort hineingeborgt. Stets und ständig trug er eine alte abgewetzte braue Lederaktentasche unter dem Arm, wie ein Buchhalter, der grade aus dem Büro kam, aber aus einem das vor etwa 100 Jahren seine Tür geschlossen hatte.

„Also, dein Arbeitsplatz ist ab heute das Büro, dort im Hauptgebäude, direkt neben Neidhardts und meinem. Wir werden dann in der Folgezeit täglich miteinander zu tun haben, denn es gibt wie du dir sicher denken kannst, eine Menge vorzubereiten. Von den Bauarbeiten bist du selbstverständlich entbunden.“ „Schön! Naja wenigsten etwas, was diese Aufgabe eingebracht hat.“ Antwortet Lars und ließ damit durchblicken, dass er die Angelegenheit noch immer nicht ganz ernst zu nehmen wusste. „Also ein bisschen mehr Begeisterung hätte ich von dir schon erwartet. Es handelt sich hier schließlich um eine ehrenvolle Aufgabe. Jeder  wird dich um diesen Auftrag beneiden.“ Wies ihn Dagobert zurecht. „Wirklich? Naja gut wenn du es sagst! Da werde ich mich mal bereit dafür machen!“ Sprach Lars und legte die Maurerkelle beiseite.

Wortlos und mit grimmigem Blick verließ Dagobert die Scheune und machte sich auf zu seinem Büro. „Wetten dass der bestimmt noch keine Schaufel in der Hand hatte. Der würde ja glatt in der Mitte durchbrechen, wenn er mal ne schwere Last transportieren müsste.“ Rief Lars zu Ansgar der gerade von einer Leiter herabstieg. „Kann ich mir auch nicht vorstellen. Von dem weis hier keiner etwas genaues, ist aber schon ewig in Neidhardts Gefolge. Ausschließlich mit Bürotätigkeiten beschäftigt.“ „Na gut, dann gehen wir arbeitsmäßig nun getrennte Wege. Ich will nur hoffen das ich einen guten Tausch mache.“ „Ja sicher, warum denn nicht. Nimm es gelassen. Wird alles nicht so heiß gegessen wie gekocht.“ Versuchte Ansgar zu beschwichtigen.

Lars machte sich ebenfalls vom Acker, ging ins Haus um sich zu waschen und umzuziehen. Schon am Abend zuvor hatte er ebenfalls eine nagelneue mausgraue Parteiuniform erhalten, im Gegensatz zu Dagobert passte sie ihm wie angegossen. Nun unterschied er sich also auch rein äußerlich von den übrigen.  Auch hier gab es Hierarchien, obwohl die doch angetreten waren um für Gleichheit einzustehen. Aber in jeder Gesellschaft gab es wohl solche die etwas gleicher waren als die andern.

Wenig später betrat Lars sein neues eigenes Büro. Es war ebenso spartanisch eingerichtete wie jene der anderen. Er fand einen alten Holzschreibtisch, dahinter einen Drehstuhl, einfache Regale an der Wand dazu ein Holzspinnt. Leer und kahl wirkte der Raum, nicht ein einziges Bild zierte die Wand. Dafür konnte er ein Waschbecken sein eigen nennen. Nicht gerade heimelig dafür um so zweckmäßiger. Das erinnerte ihn doch sehr stark an das Leben das er gerade hinter sich gelassen hatte. Wie pflegte doch Elena immer in ihren Talkshows zu sagen? Ein Arbeitsplatz sei zum arbeiten da und nicht zum Wohlfühlen. Hier schien diese Einstellung verwirklicht. Natürlich meinte Elena damit vor allem die Arbeitsplätze der Preka. Die Privo durften sich an den ihren dafür umso wohler fühlen.

Zumindest war hier die Einheit der Kasten hergestellt, denn unter Neidhardts Leuten befanden sich auch solche aus der Privokaste. Hier arbeiteten alle unter den gleichen Bedingungen. Wenigstens etwas. Er, der Preka hatte jetzt sogar eine gehobenere Stellung als Ansgar der Privo. Wo fand man sonst noch so einen Umstand im Lande. , Er würde jetzt hier tätig sein. Musste es akzeptieren. Die anderen hatten recht, warum nicht? Möglicherweise konnte er ja doch etwas erreichen. Wer hätte gedacht,dass er eine neue Partei mit begründen und sogar an deren Spitze stehen sollte. Ein Politiker werden, so wie jene Typen die er sonst nur im Fernsehen kannte. Da käme ja möglicherweise sogar ein großes Abenteuer auf ihn zu. Vor allem Abwechslung, interessante Leute kennen lernen, in der Öffentlichkeit stehen, vielleicht sogar auf Empfänge gehen? Das hing davon ab auf welchen Empfang ein Revolutionär überhaupt gehen durfte. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig als alles auf sich zukommen zu lassen.