Die Urkommune

 

Die Urkommune, die Keimzelle einer sich neu formierenden Gesellschaft begann zu leben. Noch ahnte keiner der Beteiligten welche Dimensionen sich einmal daraus entwickeln sollten. Im Prinzip hatten die meisten, außer einer gehörigen Portion Naivität, recht wenig beizutragen.    

 

12 Leute waren durch Zufall zusammengekommen, Menschen wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Und daraus sollte sich eine neue Gemeinschaft entwickeln?

Wenn auch nur in Fragmenten, so spiegelte diese Gruppe doch die real existierende soziale Situation der melancholanischen Bevölkerung wieder.

Betrachtete man Zusammensetzung der Gruppe von außen, fielen einem sowohl die Defizite als auch die Vorteile ins Auge.

Es waren genau 6 Männer und 6 Frauen, geschlechtlich hatten sie also eine Parität. Doch damit endete schon die Gleichheit.

Was den sozialen Staus  betraf fiel sofort ins Auge, dass die Privo deutlich überrepräsentiert waren, der Wirklichkeit in Melancholanien entsprach das ganz und gar nicht. Elena, Gabriela und Alexandra, sowie Kovacs, Klaus und Folko entstammten  der privilegierten Oberschicht.

Aus der Preka-Kaste, also der deutlichen Mehrheit der Bevölkerung kamen Leander, Ronald, Mattias und Miriam. Dazu gesellten sich die beiden Paria-Mädchen Kyra und Kim.

Blickte man auf das Bildungsniveau, lies sich ähnliches feststellen.

Alle sechs Privo waren Akademiker, während die anderen keinen Abschluss dieser Art vorzuweisen hatten. Das bedeutete zwar keineswegs, in Miriam, Leander, Ronald, Matthias, Kyra und Kim Dummköpfe zu sehen, aber gerade das intellektuellen Gefälle sollte sich in Zukunft noch als bedeutender Reibungspunkt erweisen.

Was die Altersstruktur betraf so waren die Älteren deutlich in der Minderheit. Miriam war mit Anfang 50 die älteste, gefolgt von Kovacs mit Ende 40. Klaus war Anfang 40, Gabriela war Mitte 30, Elena Anfang 30, alle anderen unter 30.

Die Gemeinschaft wurde von Anfang an durch Paarbeziehungen geprägt. Fünf Paare und zwei Einzelpersonen zählte man am Anfang. Vier Heterobeziehungen und mit Kovacs und Matthias eine schwule, die von Anfang an bestand.

Elena und Leander fanden nur sehr zaghaft zueinander. Selbst hier, in diesem geschützten Raum der ihnen die Möglichkeit bot sich auf Augenhöhe zu begegnen, fielen sie nur zu oft in die alten, von ihrem jeweiligen Stand anerzogenen Denkstrukturen zurück, immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen, wenn sie sich auch jedesmal auf Kovacs besondere Initiative schnell versöhnten.

Dass es auch anders ging, bewiesen Ronald und Alexandra, die schon nach kurzer Zeit im siebten Himmel schwebten, der, so übervoll von Geigen, ihnen die Sicht auf die Wirklichkeit zu  versperren drohte. Ständig turtelten sie miteinander. Amors Pfeil hatte tiefe Wunden verursacht. Als günstig erwies sich hier sicher die Tatsache, dass Ronald sich schon vorzeiten von seinem Prekamilieu gelöst und den Weg des Berufsrevolutionärs eingeschlagen hatte.

Folko und Kyra ließen wiederum nur zaghaft ihre Gefühle für einander erkennen.  Eine Hassliebe, am Anfang überwog deutlich der Hass, sie stolperten Stück für Stück in eine Beziehung ohne sich dessen bewusst zu sein. 

Gabriela und Klaus waren als Paar in die Gemeinschaft gekommen und blieben es auch ohne weiteren Zusatz, zumindest vorerst.

Übrig blieben Miriam und Kim. Aufgrund dr Tatsache dass die Paare meist miteinander beschäftigt waren, verbrachten die beiden viel Zeit zusammen. Der deutliche Altersunterschied von 30 Jahren verhinderte zunächst eine erotische Annäherung, erinnerte eher an eine Mutter-Tochter-Beziehung, doch irgendwann brach das Eis und die beiden wurden auch eine Art  Paar. Somit konnte die Gemeinschaft auch mit einer lesbischen Beziehung aufwarten.

Trotzdem blieb das queere Element am Anfang deutlich unterrepräsentiert.

Mit Ausnahme von Klaus und Gabriela kennzeichnete alle diese Beziehungen eine enorme Gegensätzlichkeit, sowohl das sozialen als auch das intellektuellen Gefälle betreffend.

 Das sollte In Zukunft Schule machen und zu einem entscheidenden  Wesensmerkmal der späteren Kommune werden.

Was die Motivation überhaupt in diese Gemeinschaft einzusteigen betraf, ließ es sich nicht von der Hand weisen, dass bei den wenigsten echter Idealismus ihr Denken und Handeln bestimmte.

Idealisten, die an eine wahre Bestimmung ihres Aufbruches glaubten, waren neben Elena und Kovacs nur noch Miriam und Gabriela. Alexandra konnte nur im weitesten Sinne dazu gerechnet werden, denn ihre Einstellung war von schwärmerischen und oberflächlich-naiven Allüren gekennzeichnet. Ausgesprochene Zweifler waren Leander, Matthias und Kyra, bei ihnen sollte es sehr lange dauern, bis sie ihre anfängliche Skepsis verloren.

Folko und Ronald besaßen überhaupt keine Einstellung zu den Anliegen ihrer Umgebung, waren sie doch von ihren jeweiligen Organisationen als Beobachter mit einer ganz bestimmten Mission entsandt. Ihnen oblag es, ein Interesse vorzugaukeln, das sie in Wirklichkeit gar nicht besaßen,  dabei stets darauf bedacht sich nicht in die Karten blicken zu lassen.

Klau blieb, weil Gabriela blieb und der machte keinen Hehl aus seinem Desinteresse.

Schließlich noch Kim die beschlossen hatte zu bleiben weil sie feststellte, dass es ihr im Leben noch nie besser ging. Selten hatte sie so gut gegessen, so eine saubere Unterkunft besessen. Zudem waren alle  ausgesprochen freundlich zu ihr. Was also sprach dagegen hier dauerhaft sein Lager aufzuschlagen?

Und aus diesem bunt zusammen gewürfelten Haufen sollte einmal eine neue Weltordnung hervorgehen? Grob betrachtet, brachten die 12 völlig unterschiedlichen Charaktere nicht die geringste Voraussetzung dafür mit. Aus diesem Grund wirkten sie am Anfang wenig attraktiv auf ihre Umgebung, die mit Häme und Spott über die Gemeinschaft herzog. Es war allein der noch immer ungebrochenen Popularität Elenas zu verdanken, dass sie von der Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen wurden. Ohne Elena wäre diesem ungleichen Zusammenschluss nur eine geringe Lebensdauer zugekommen.

Elena vermochte es, die Truppe bei der Stange zu halten. Kovacs wirkte als der Theoretiker im Hintergrund.

Es waren zunächst die gescheiterten Randexistenzen aus der Pariawelt, die auf diese merkwürdige Gesellschaft aufmerksam wurden. Das verdankten sie natürlich Kovacs, der  schon vorher, als er noch als Eremit hier lebte, häufig aus deren Kreisen Besuch empfangen hatte. Nun schien sich daraus ein regelrechtes System zu entwickeln.

Die einst Privilegierten taten sich ausgesprochen schwer mit diesen neuen Bekannten, was nicht weiter verwunderte. Kyra und Kim bildeten hingegen von Anfang an den Brückenkopf in diese Kreise, waren ihnen deren Probleme doch nur zu vertraut.

 

Es gab kein wirkliches System, was das Zusammenleben regelte. Die Tage plätscherten so dahin. Müßiggang bestimmte den Alltag. Am Anfang nicht weiter tragisch, musste man doch schließlich erst zueinander finden. Kovacs erkannte bald, dass es so nicht weitergehen konnte. Das Problem lag auf der Hand, die Leute benötigten eine sinnvolle Beschäftigung. Eine Tätigkeit, die erfüllte und einen sicheren Halt gewährleistete.

Ferner bedurfte es natürlich auch Regeln, um das Zusammenleben zu koordinieren und einen Grad an Ordnung zu gewährleisten. Schließlich die Dauerfrage nach dem Sinn des ganzen Unterfangens.

Die Geschichtsschreibung streitet nach wie vor darüber zu welchem Zeitpunkt die Urkommune wirklich ihren konkreten Anfang nahm, die Meinungen darüber gehen weit auseinander. Doch die meisten Historiker einigten sich später darauf, den eigentlich Beginn auf einen lauen Abend im Spätsommer zu datieren, als sich alle auf dem Damm des Stausees einfanden, die Ruhe genossen und die langsam einsetzende Dämmerung genossen.

Bei dieser Gelegenheit legte Kovacs den Anwesenden ein Konzept vor, dass er schon vor Zeiten im Geheimen entworfen hatte.

„Sagt mal, Leute, glaubt ihr nicht auch, dass es an der Zeit wäre, uns einmal gründlich Gedanken darüber zu machen, wie es sich mit uns weiterentwickeln soll? Was wollen wir eigentlich? Warum haben wir uns hier zusammengefunden? Was hat das alles für einen Sinn? Leben wir einfach so in den Tag hinein, oder wollen wir etwas Bestimmtes damit aussagen?“

„Ach Kovacs, musst du ausgerechnet jetzt mit deinem philosophischen Kram kommen? Lass uns doch einfach den schönen Abend genießen. Darüber können wir doch sicher auch ein andermal sprechen!“ beschwerte sich Kim.

„Nein, ich finde, Kovacs hat Recht! Wir leben nun schon zwei Wochen hier beisammen, ohne wirkliches Ziel vor Augen. Ich denke auch, wir sollten uns ernsthaft Gedanken über die Zukunft machen!“ widersprach Elena.

„Zukunft? Was für eine Zukunft? Wie kommst du darauf, dass wir eine gemeinsame Zukunft anstreben?“ wunderte sich Klaus.

„Ich mache mir darüber keine Gedanken. Ich genieße es einfach so, wie es im Moment  läuft. Und ich muss sagen, es funktioniert spitzenmäßig!“ schaltete sich Alexandra ein, die sich, im Gras liegend, gerade von Ronald befummeln ließ.

„Du magst sogar recht haben, Alexandra! Es ist immer gut, den Augenblick zu genießen man kann nie wissen, was auf einen zukommt. Da ist auch gar nichts daran auszusetzen. Trotzdem sollten wir über den Tag hinaus denken, Vorsorge tragen, zum Beispiel!“ erwiderte Kovacs.

„Vorsorge tragen? Vorsorge für was?“ wollte Folko wissen.

„Zum Beispiel, wie wir uns nach außen aufstellen! Was sind wir? Wer sind wir? Wo wollen wir hin?“ gab Kovacs zu verstehen.

„Und wo wollen wir hin? Wollen wir denn überhaupt irgendwo hin?“ hakte Folko weiter nach.

„Das ist die entscheidende Frage! Was hat euch bewogen, hierher zu kommen? Fragt euch doch mal selbst. Welche Beweggründe haben euch geleitet, als ihr beschlossen habt, aufzubrechen?

Darüber müssten wir uns gründlich austauschen! Ich danke dir, Kovacs, dass du dir Gedanken darüber machst. Ich tue das beständig, habe aber noch nicht den Mut gefunden, es auszusprechen!“ bekundete Elena.

„Dann mach doch einfach den Anfang, Elena!“ schaltet sich Kyra ein, die ein wenig abseits Platz genommen hatte. „ Warum bist du hierher gekommen? Warum hast du dich an diesem sonderbaren Platz eingefunden? Ich möchte das gerne wissen! Das ist der Grund, warum ich hierher kam. Um aus der Nähe zu betrachten, welchen Weg Elena einschlägt. Ob sie es ernst meinte mit ihrer Botschaft, oder ob sie uns nur an der Nase herumführen will.“

„Da brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Elena nimmt es sogar sehr ernst. Ich hegte Zweifel am Anfang, doch die verflogen rasch, nachdem ich ihr hier begegnete. Sie ist einfach nicht wiederzuerkennen.“ gab Gabriela etwas aufgebracht zu verstehen.

„Freunde, wir wollen nicht über mich diskutieren, sondern über uns. Ich denke, meine Beweggründe sind hinlänglich bekannt. Ich stehe nach wie vor zu dem was ich gesagt habe.

Ich will euch nicht narren, Kyra. Nichts liegt mir ferner als das. Ich habe A gesagt und werde auch B sagen und das Leben akzeptieren wie es vor mir liegt . Es gibt für mich kein Zurück in die alte Welt.“ bekannte Elena.

„Und da bist du dir ganz sicher?  Ich weiß nicht. Auf alles verzichten? Ich konnte mich bisher noch nicht festlegen. Im Moment gefällt es mir, wie bereits erwähnt, sehr gut hier. Aber ich kann doch nicht wissen, wie ich in etwa einem Monat darüber denke, oder in einem halben Jahr. Ich… ich habe überhaupt kein Zeitmaß. Wenn es nicht anders geht dann…. dann könnte ich durchaus noch zurückgehen!“ stotterte Alexandra

„Ach wirklich? Na das sind ja ganz neue Töne von dir!“ stellte Ronald mit Verwunderung fest.

„Typisch! Diese Einstellung passt zu dir und zu deinem Stand!  Du hast  auch etwas, wohin du zurückkehren kannst. Andere besitzen solche Privilegien nicht!“ meldete sich nun Leander zu Wort, der sich bisher noch nicht an der Diskussion beteiligt hatte.

Mit dieser Feststellung traf er ins Schwarze. Hier traten die Standesunterschiede offen zu Tage. Die Privos konnten in der Tat jederzeit in ihr alt vertrautes Leben zurückkehren, wenn ihnen die Sache begann auf die Nerven zu gehen. Für die Preka gab es keine Rückkehr, denen blieb als Alternative nur mit den Paria zusammen in die Gosse ab zu steigen.

Kovacs erkannte das Konfliktpotential, doch bevor er etwas sagen konnte, ergriff Miriam das Wort.

„Ich muss sagen, dass ich schon ein wenig enttäuscht bin von euch allen. Wie wenig Vertrauen ihr doch habt. Vertrauen in eure eigenen Fähigkeiten. Also, was mich betrifft, so weiß ich sehr genau was ich hier suche. Ich habe mich der Gemeinschaft  angeschlossen, weil ich davon ausging, dass hier der Boden für etwas Neues bestellt wird.  Schon einmal gab ich alles auf um mich Cornelius anzuschließen, dieser Vorgang ist also nicht neu für mich. Cornelius ist ein guter Mann, davon bin ich auch heute noch überzeugt, aber ich habe ihn verlassen, weil ich glaubte hier mehr ausrichten zu können. Auch du, Kovacs bist ein tüchtiger und fähiger Theoretiker von dem man eine Menge lernen kann. Aber eben Theoretiker, genau wie Cornelius. Ich bin überzeugt, dass allein Elena imstande ist all die schönen Theorien in die Praxis überzuleiten, weil von ihr eine Kraft ausgeht, eine enorme Kraft, mächtig genug, um hier in Melancholanien gründlich aufzuräumen. Ich möchte Elena dabei unterstützen. Ich war der Ansicht, ihr wolltet das auch. Sollte ich mich da so sehr getäuscht haben?“

Das saß! Schweigen! Keiner vermochte darauf direkt einzugehen.

Selbst Elena war nicht wenig überrascht über das was ihr Miriam alles zutraute und welche Hoffnung sie damit verband.

„Ich danke dir, Miriam!“ unterbrach Kovacs nach einer Weile das Schweigen. „Ich glaube dem brauche ich nichts hinzuzufügen! Deine Absichten sind edel, echt und lauter. Deine Empfindungen sind auch die meinen. Aber ich werfe noch einmal die Frage in die Runde. Wie sieht es bei euch anderen aussieht?“

Betretenes Schweigen. Keiner wollte sich so recht aus der Reserve locken lassen.

Klaus, der auf dem Boden im Gras lag, erhob sich langsam und nahm auf einem Klappstuhl Platz.

„Warum bin ich hier? Ich denke das ich in der Lage bin eine eindeutige Antwort geben. Weil mein holdes Eheweib der Meinung war, sich Elena anschließen zu müssen. Ich möchte schlicht und einfach nicht von ihr getrennt leben, dass ist alles. Ich gebe zu, ich verbinde mit meinem hier sein recht wenig. Um nicht zu sagen, dass es mir gleich ist, was hier vor sich geht. Tut mir leid, aber ich kann nun mal kein Interesse heucheln das nicht vorhanden ist.“

„Ich habe dich nicht darum gebeten hier zu bleiben, Klaus. Wenn du gehen willst, dann tue es einfach. Das sage ich dir fast jeden Tag seit wir hier eingetroffen sind, aber du bist bis  geblieben. Freiwillig!  Toll!  Aber du musst für dich entscheiden. Du bist mir zu nichts verpflichtet. Ich habe mich entschieden und ich bleibe bei Elena. Wenn ich ihre Beweggründe auch noch nicht vollständig ergründet habe, vieles mir noch fremd erscheint. Ich möchte lernen. Auch ich unterstütze Elena.“ erwiderte Gabriela forsch.

„Zwei ehrliche Antworten! Klaus, du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Eine solche Offenheit ist mir bedeutend lieber als ein geheucheltes Verständnis. Ihr alle könnt eure Meinung kundtun. Ich denke, es ist der rechte Augenblick!“ gab Kovacs zu verstehen.

Derweil starrte Kyra unentwegt zu Folko, der sichtlich genervt von allem schien. Was würde er wohl sagen? Die Wahrheit? Damit war wohl kaum zu rechnen. Er zog es zunächst vor, weiter zu schweigen.

Vielmehr ergriff Kim das Wort.

„Na, bei so viel Ehrlichkeit will ich nicht hinten an stehen. Ich muss gestehen, dass ich auch keine sonderlich großspurigen Vorstellungen habe. Ich bin mit Kyra hierher gekommen, warum, weiß ich schon nicht mehr, möglicherweise, weil ich an jenem Tag Langeweile hatte.

Ich bin eine Paria, mir ist es gleich, wo ich wohne, ich habe keine Auswahl. Ich lebe hier sehr gu . Kaum ist es mir einmal besser ergangen. Zum ersten Mal lebe ich wirklich. Ihr seid alle so freundlich zu mir!“ Sie blickte zu Miriam und drückte fest deren Hand. „Ich möchte euch allen danken, auch wenn ich nicht weiß, warum ihr alle so nett zu mir seid!“ Nun kullerten  Tränen von den Wangen.

Wieder Schweigen, wieder hatte jemand den Nerv des Augenblickes getroffen.

„Was mich betrifft, ich bin einfach nur verliebt, das ist alles!“ warf Ronald ein.

„Im Grunde geht es mir ähnlich wie Klaus. Nur dass es bei mir eine ganz neue Erfahrung ist. Seit ich Alexandra kenne, kann ich an nichts anderes mehr denken. Ja doch, ich bleibe ihretwegen!“ Das stimmte natürlich nur zum Teil und beantwortete nicht die Frage, warum er sich auf den Weg gemachte hatte. Aber er konnte sich dahinter gut verstecken und keiner würde mehr nach seinen tatsächlichen Beweggründen forschen.

„Und du bist dir ganz sicher, dass das der einzige Grund ist!“ wollte Leander wissen, der schon lange ahnte, warum Ronald wirklich gekommen war.

" Sicher! Weshalb sonst? Sag uns doch lieber, was dich hierher gezogen hat. Wenn du ganz ehrlich zu dir bist, hat es dir doch auch eine ganz bestimmte Person angetan.“ verteidigte sich Ronald.

Eine Retourkutsche die ihre Wirkung nicht verfehlte, denn Leander befand sich  tatsächlich in einer ähnlichen Situation. Doch bevor er antworten konnte, wollte eine andere endlich ihre Frage loswerden.

„Sag uns, Folko, warum bist du hierher gekommen?“ Kyras Frage traf, nun hatte sie mit seiner Vermutung wahr gemacht.

 Ich bin gekommen, um zu beobachten! Damit bist du doch sicher zufrieden, Kyra, das wolltest du doch hören. Einfach beobachten, genau wie du selbst. Ich möchte sehen, was sich hier entwickelt, um später meine Schlüsse zu ziehen. Ich hege noch immer Skepsis, dass muss ich ehrlich bekennen, aber ich bin ein Mensch der sich überzeugen lässt wenn es etwas zum überzeugen gibt.“ versuchte sich Folko herauszuwinden.

„Ach, sieh einer an. Was du nicht sagst. Darauf wäre ich nie  gekommen.“ konterte Kyra leicht ironisch.

„Interessant, sehr interessant, da tut sich  Bemerkenswertes! Da habe ich wohl bei einigen ins Wespennetz gestochen. Aber solche Gespräche sind wichtig. Nur so kann unsere Gruppe tatsächlich zu einer Gemeinschaft wachsen. Alle haben sich geäußert. Nein, nicht alle.

Matthias, von dir haben wir noch gar nichts gehört.“ wandte sich Kovacs nun auch noch an seinen Geliebten.

Der schien wenig begeistert und hatte bis zuletzt gehofft,dass dieser Kelch an ihm vorüberziehen würde.

„Ich bin  schon seit geraumer Zeit hier. Bin vor euch allen gekommen, lebte mit Kovacs alleine hier, nicht ständig, aber wie es sich eben ergab. Einen Grund hier zu sein? Das frage ich mich ständig und finde keine Antwort. Ich weiß es nicht. Es ist nicht allein die Beziehung zu Kovacs, die mich hier hält. Es wäre zu einfach, würde ich das als einzigen Grund angeben. Da ist schon etwas mehr, aber ich vermag  im Moment nicht zu sagen, was.  Möglicherweise kann mir ja der Eine oder die Andere dabei behilflich sein.“

Und noch eine andere Antwort. Die Mensch unterschieden sich erheblich, das ließ sich kaum verleugnen.

Unruhig bewegte sich Elena auf dem Boden hin und her.

„Darf ich auch was sagen?“

„Natürlich! Darauf warten wir ja nur!“ forderte Kovacs auf.

„Ich danke euch allen, die ihr so großes Vertrauen in meine Fähigkeiten setzt. Aber ich bin nicht hierher gekommen um wieder eine große Show abzuziehen. Wenn ich ganz ehrlich bin, weiß ich überhaupt nicht was auf mich zukommt, was auf uns alle zukommt. Als ich die Zelte in meiner alten Welt abbrach machte ich mir kaum Gedanken um die Zukunft. Ich war einfach froh, dem bisherigem Leben entronnen zu sein. Konkrete Vorstellung habe ich noch immer nicht.  Es muss etwas ganz Neues entstehen, darin stimme ich mit Kovacs überein. Ich möchte mit dieser kaputten Welt dort draußen nichts zu schaffen haben. Aber eine Flucht? Ein Rückzug ins Private, wie man zu sagen pflegt? Nein, das kommt für mich auch nicht in Frage. Ich möchte aktiv werden. Und das, was ich tun will, sollte sich total von dem unterscheiden, was mein bisheriges Leben prägte. Dazu gehört auch, dass ich mich nicht einfach wieder auf den vordersten Platz drängen werde. Wir alle sollten auf Augenhöhe kommunizieren. Keiner sollte eine Vormachtstellung einnehmen. So sollte es sein! Oder wir sollten ganz schnell nach Hause gehen.“ Noch eine Ansprache von Format.

„Elena, was du tun könntet, darüber sprachen wir mehrfach. Das gilt nach wie vor. Du könntest als Ärztin arbeiten. Wir sollten wieder dran anknüpfen. Und was die anderen betrifft, ich gehe davon aus es wird sich für jeden etwas finden.“ schlug Kovacs vor.

„Na langsam, langsam!Du bestimmst hier einfach etwas über andere?

Ob und was ich tue, ist einzig und allein meine Angelegenheit“ beschwerte sich Klaus.

„Klaus, ich sage es noch einmal! Wie oft soll ich mich denn noch wiederholen? Niemand zwingt dich hier zu bleiben oder gar etwas zu tun!“ wies ihn Gabriela zurecht.

„Das trifft für alle zu! Niemand wird zu etwas gezwungen! Wer bleibt, schließt sich einer Freien Föderation an. Eine Vereinigung freier gleichwertiger Individuen. Es ist nur die Frage, in welchem Umfang wir es uns leisten können, Müßiggang zu finanzieren.“ klärte Kovacs auf.

„Also, sollte es hier Leute geben, die müsig gehen und glauben, wieder nur von der Arbeit anderer zu leben, packe ich meine sieben Sachen und haue gleich wieder ab. Nur dass ihr klar seht. Sollten wir so beginnen können wir alles vergessen. Du sagst es, Kovacs, entweder alle stehen auf einer Stufe, oder wir lösen den ganzen Verein auf noch bevor er überhaupt zu existieren begann.“ empörte sich Leander, dann erhob er sich und lief langsam den Damm entlang.

„Leander, beruhige dich! Davon war keine Rede. Dem würde ich nie zustimmen. Aber wir brauchen Zeiten des Übergangs. Zeiten, in denen das Bewusstsein reifen kann um entscheiden zu können. Komm doch zurück, Leander.“ versuchte Kovacs zu beruhigen.

„Also, was ich tue, dürfte auf der Hand liegen. Ich gehe zunächst meiner geregelten Arbeit nach. Ich habe einen Beruf, den werde ich nicht aufgeben,nur um hier Däumchen zu drehen. Sollte hier mal wirklich was mit Hand und Fuß entstehen, gut meinetwegen, dann bin dabei. Aber bis es soweit ist, verändere ich in meinem Leben erst mal gar nichts.“ gab Matthias zu verstehen.

Das konnte er auch, war er doch der einzige in der Runde, der noch einer geregelten Arbeit nachkam, er hatte seine Stellung in der Agrarkooperative noch nicht aufgegeben und war sehr froh über den Umstand, tagsüber außer Haus zu sein.

„Das ist etwas anderes. Natürlich kannst du deinen Beruf weiter ausüben. Keiner verlangt, dass du den vorschnell aufgibst. Das trifft für alle anderen ebenso zu. Wer aber nichts hat und gerne etwas tun möchte, dem sollten wir behilflich sein, etwas zu finden.“ bot Kovacs an                                                 Also gut! Ich möchte gerne etwas Sinnvolles tun! Ich höre! Schlage doch einfach etwas vor. Etwas,das einer wie mir entspricht. “ wollte Kyra wissen.

„Wenn du magst, kannst du mit mir zusammenarbeiten. Ich werde als Ärztin tätig sein, so wie es Kovacs angekündigt hat. Jede Menge Helfer werde ich benötigen. Du Kyra, könntest mir mit Tatkraft zur Seite stehen, bei deinen Kenntnissen, was die Welt der Paria betrifft. Aber es ist auch nur ein Angebot!“ schlug Elena vor.

„Wir zwei zusammenarbeiten? Na, ich weiß nicht, ob das funktioniert?“ zweifelte Kyra und kratzte sich am Hinterkopf.

„Warum nicht, Kyra. Ich habe dich in der letzten Zeit  kennen lernen dürfen. Du hast viele Fähigkeiten, alles was wir gut gebrauchen können. Also, ich könnte mir auch vorstellen, Elena zur Hand zu gehen. Dann wären wir schon zwei:“ bot sich nun auch Miriam an.

Ich habe mir ehrlich gesagt überhaupt noch keinen Gedanken darüber gemacht. Ist alles so neu für mich. Ich stehe gerne zur Verfügung. Aber ich muss natürlich auch einen Bezug zu allem finden.Zudem bin ich handwerklich nicht sonderlich begabt. Es nützt niemanden, wenn ich mich aufdränge um dann mehr zu behindern denn zu helfen..“ sinnierte Alexandra.

„Eine gute Antwort! Selbstverständlich müssen wir darauf achten. Ich bin mir aber sicher, dass wir auch für dich etwas geeignetes finden, Alexandra! So könnte ich mir zum Beispiel vorstellen, dass du eine gute Sekretärin wärst, um den ganzen Verwaltungskram und das Organisatorische zu managen. Da könnte ne Menge an Arbeit anfallen.“ war sich Kovacs sicher.

„Ich war lange in der Forschung tätig. Aber ursprünglich habe ich als Lehrerin gearbeitet. Wenn ich es recht überlege, dann wäre ich durchaus geneigt, so etwas wieder zu tun, wenn es gewünscht wird!“ meinte Gabriela.

„Aber natürlich haben wir dafür Bedarf. Genau das tue ich hier schon seit geraumer Zeit. Du kannst mit mir arbeiten, wenn du willst.“ kam es wie ein Geistesblitz über Kovacs.  

„Das ist toll, dann hätten wir ja schon gut die Hälfte unter. Und ich bin mir sicher, für die restlichen findet sich auch noch etwas!“ frohlockte Elena.

„Und da bist du dir ganz sicher?“ wollte Leander wissen, während er neben ihr Platz nahm.

„ Warum denn nicht? Ach, ich verstehe! Du bist dir nicht sicher, was du konkret machen möchtest?

Da müssen wir überlegen. Warum hilfst du mir nicht auch bei meiner Arbeit? Ich denke, da sind viele helfende Hände willkommen?“ schlug Elena vor.

„Na, da lass ich mich mal überraschen!“ Leander war kurz angebunden. Er könnte noch viel mehr zu dem Thema beisteuern, denn er zweifelte stark daran, dass sich so viel Theorie umsetzen ließ. Doch er ließ es dabei und beschloss darüber zu gegebener Zeit mit Elena und Kovacs unter vier bzw. sechs Augen sprechen.

" Die Arbeitsverteilung ist eine Sache! Ich denke, das wird sich finden. Aber damit haben wir noch immer nicht geklärt, welchen Sinn unsere Gemeinschaft  an sich hat. Kovacs, du selbst hast es angesprochen. Wofür stehen wir? Wo wollen wir hin? Was ist unser Ziel?“ rückte Miriam die große Frage wieder in den Mittelpunkt.

„Richtig, Miriam! Ohne Ziele, ohne Visionen, ohne einen sinnstiftenden Inhalt wäre unserer Gruppe kein langes Leben beschieden. Unter welchen Namen treten wir in der Öffentlichkeit auf, wenn wir darauf angesprochen werden, wer wir sind und was unsere Beweggründe sind, auf so eine Art zu leben? Und solche Fragen werden sie uns stellen, schon bald und sie werden nicht nur positiver Natur sein.“ bestätigte Kovacs.

„Wir brauchen ein Konzept! So eine Art Programm, eine Grundregel oder wie auch immer, eben irgend etwas!

Damit wenden wir uns an die Öffentlichkeit und stellen uns vor. Sagen denen da draußen, wofür wir stehen und welche Ziele wir verfolgen. Dann warten wir  die Reaktionen ab. Die werden mit Sicherheit  über uns herfallen, so wie sie es auch mit Cornelius getan haben.“ gab Elena zu verstehen.

„Du meinst wie du es mit Cornelius in der Öffentlichkeit getan hast!“ erinnerte sich Leander.

Das versetzte Elena einen Stich. Er hatte ihr noch immer nicht verziehen. Aber er sprach die Wahrheit und wie er würden sicher viele  denken.

„Ja, so wie ich es getan habe! Ich kenne meine schwere Schuld! Aber das kann uns jetzt von großem Nutzen sein, denn aus diesem Grund ist mit deren Vorgehensweise  sehr vertraut. Ich kenne die  Tricks mit denen die arbeiten.

Sie haben mehrere Möglichkeiten. Uns totschweigen, uns lächerlich machen, oder sie können uns zu einer Gefahr für das Land hochstilisieren. Darauf müssen wir uns vorbereiten und jeweils die geeignete Strategie entwickeln.“

„Strategie entwickeln? Das hört sich ja gefährlich an. Da könnte man ja vermuten, es stehe ein  Krieg bevor?“ gab Folko von sich.

„Genau das, Folko! Das, was auf uns zukommt, könnte durchaus einen solchen Charakter annehmen. Betrachten sie uns als Gefahr betrachtet , wird denen jedes Mittel recht sein,uns zu bekämpfen.“ antwortete Ronald. Hier sprach wieder der geschulte Revolutionär, der  geradezu auf eine solche Situation hinarbeitete.

„Ihr macht mir Angst! Da bin ich mal für ne Weile glücklich und zufrieden, da kommt ihr mit euren Horrorphantasien. Also wißt ihr!“ beschwerte sich Kim.

„Soweit wollen wir noch nicht denken. Die nächste Zeit werden sie uns noch Ruhe lassen, Kim.“ versuchte Kovacs zu beruhigen. „Aber natürlich müssen wir auf alles vorbereitet sein.

Was das Konzept betrifft so mache ich mir schon seit geraumer Zeit Gedanken und habe auf dieser Grundlage verschiedene Theorien ausgerarbeitet. Also, ich denke mir folgendes: Zunächst sollten wir vor Ort weiterkommen. Erst mal mit dem Renovieren der Häuser fertig werden. Danach beginnen wir in unseren Arbeitsbereichen, wie eben angeregt, auf Details will ich hier jetzt nicht eingehen. Parallel dazu fangen wir aber auch schon mit der politischen Arbeit an.

Vor allem die Vernetzung ist  das entscheidende Element!“

„Vernetzung? Was meinst du damit? Mit was und wem sollten wir uns vernetzen?“ wollte Leander wissen.

„Zum Beispiel mit Gruppen und Initiativen, die ähnliche Ziele verfolgen. Cornelius bietet sich natürlich als erster an. Es versteht sich von selbst, dass wir mit ihm kooperieren, seine Aktionen unterstützen und natürlich auch von ihm Hilfe in Anspruch nehmen können, sollten wir derer benötigen. Dabei müssen wir aber immer darauf bedacht sein, unsere Eigenständigkeit zu bewahren.“ fuhr Kovacs weiter fort.

„Was ist mit anderen Initiativen? Ich denke da an Neidhardt. Sollten wir nicht auch mit ihm zumindest Tuchfühlung aufnehmen. Auch seine Bewegung arbeitet in diese Richtung, auch die könnten uns helfen, denke ich!“ brachte Ronald vor. Es war ja sein Auftrag, dafür hatte man ihn hier her geschickt.

„Neidhardt? Ist aber ein gefährliches Pflaster. Ich kann mir nicht vorstellen, mit Leuten von Neidhardt zusammenzuarbeiten. Damit möchte ich nichts zu tun haben.“ wandte Klaus ein, der natürlich nichts von Ronalds Verbindungen ahnte.

„Ich kenne deine heimlichen Sympathien für Neidhardt und seine Gruppe, Ronald, das ist in der Tat ein gefährliches Spiel. Er mag in seiner Einstellung ähnlicher Meinung sein, aber seine Methoden sind ohne wenn und aber abzulehnen. Zeigen wir in der Öffentlichkeit allzu große Nähe, könnte uns das immensen Schaden zufügen. Auf so eine Gelegenheit wartet die Gegenseite nur. Wir liefern denen damit nur die Munition mit deren sie später auf uns zielen.“ lehnte Kovacs deutlich ab.

„Und wenn seine Bewegung den Kontakt zu uns aufnehmen und Gesprächsbereitschaft signalisieren würde, in bestimmten Fragen einlenken? Sollten wir so eine Bereitschaft nicht würdigen?“ warf Matthias in die Runde.

„Gesprächsbereitschaft ist immer richtig. Das sollte von Anfang an unser Handeln bestimmen. Das trifft natürlich auch auf Neidhardt zu, sowie alle anderen, die mit uns ins Gespräch kommen wollen.“ gab Kovacs zu verstehen.

„Wirklich für alle? Auch der Blaue Orden? Würdest du auch in diese Richtung die Hand ausstrecken?“ Folko provozierte natürlich bewusst mit dieser Frage.

„Der Blaue Orden? Na du hast Ideen! Wie kommst du denn darauf?“ erwiderte Kyra mit einigem Erstaunen.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Blaue Orden auch nur bereit wäre, unsere Idee zur Kenntnis zu nehmen, geschweige dem in einen Dialog mit uns zu treten. Ich kenne deren Ideen und Vorstellungen. Die haben mit den unsrigen noch nicht einmal im Ansatz etwas gemein. Nein, die sind für uns keine Gesprächspartner“  gab Elena ihre ablehnende Haltung unmissverständlich zu verstehen.

Damit war der Vorschlag vom Tisch.

„Also noch mal auf Cornelius zurück zu kommen. Er ist mir bestens bekannt. Ich werde den Kontakt herstellen und pflegen. Wir sollten mit ihm und den Seinen zusammenkommen und es sollte möglichst rasch geschehen.  Wir könnten ihn einladen, damit er sich ein Bild machen kann, damit wir uns sozusagen gegenseitig beschnuppern.“ schlug Miriam vor.

„Sehr guter Vorschlag! Du würdest das dann in die Wege leiten?“ nahm Kovacs den Faden auf.

Miriam signalisierte kopfnickend ihre Zustimmung.  

„Also Vernetzung ist eine gute Sache, eine wichtige Sache, das steht außer Zweifel. Aber was könnten wir  konkret von unserer Seite beisteuern? Welche Ideen, welche Vorstellungen? Um mit Cornelius zu arbeiten, bräuchten wir uns ihm nur anzuschließen und fertig. Wozu dann noch eine neue Kleingruppe, die letztlich nur nachplappert, was andere schon lange vor uns getan haben. Ich meine, was ist das speziell Neue an unserer Initiative?“ wollte Leander wissen.

Schweigen senkte sich wie ein grauer Nebel auf die Anwesenden. Hier hatte Leander den heikelsten Punkt angesprochen, denn genau das war ihr Problem. Wo war das Neue, dass sie anzubieten hatten?

„Leander hat Recht! Genau das ist die Frage, die mich schon die ganze Zeit bewegt.

Alles ist schon einmal da gewesen, in welcher Form auch immer. Viele Ideen, viele Vorstellungen. Sind sie realisierbar, oder nicht? Wann, wo, in welchem Zusammenhang entstanden sie, wer hat sie vertreten? Wir setzen nun diese Tradition fort, einerseits.

Doch andererseits, was haben wir im Gepäck, was noch keiner vor uns wagte? Gibt es das noch nie da gewesene überhaupt noch, das Neue, das uns auszeichnet?“ stimmte Elena zu und blickte dabei fragend in Kovacs Augen.

„Ich gehe sicher recht in der Annahme, dass du jetzt mein Konzept zu diesem Thema hören möchtest?“ erkannte dieser sogleich.

„Genau das! Wenn du etwas erarbeitet hast, lass es uns wissen. Lass uns daran teilhaben und darüber diskutieren, heute, die folgenden Tage, wenn nötig Wochen. Jeder einzelne von uns sollte sich darauf hin eigene Gedanken machen, überlegen was er oder sie selbst dazu bei tragen könnte.“

„Ich habe mir eine Unmenge von Konzepten konstruiert. Ich bin mir nicht sicher, ob sie alle hören wollen. Das ist zum Teil knochentrocken. Ich musste  zum Teil ganz schön ausholen. Um alles zu reflektieren müssten wir womöglich wir bis Sonnenaufgang beisammen sitzen. Ich könnte das Thema heute lediglich anreißen, mehr nicht. Wir müssten uns schon häufiger treffen, um alles intensiver verinnerlichen zu können.“ gab Kovacs zu bedenken.

„Aber hoffentlich nicht so schwer verdauliches Zeug, das mir auf den Magen schlägt. Denke daran, hier sind auch einfache Leute dabei, die nicht das Glück hatten, eine höheren Bildung zu genießen.“ warnte Kyra.

„Ich kann dich beruhigen. Ich habe alles so  entworfe weil ich gerade die einfachen Leute  im Blick hatte. Ich hoffe, damit breite Teile der Bevölkerung vertraut zu machen.“ beruhigte Kovacs.

„Also, ich bin sehr interessiert! Lass uns hören, was du dir ausgedacht hast. Ich denke, es geht den meisten  so. Ich bin sehr gespannt darauf. Ich möchte mich gerne mit deinem Gedankensprüngen vertraut machen.“ drängte Gabriela.

„Aber ich muss euch warnen. Kovacs neigt dazu, manchmal schon sehr weit auszuholen. Vor allem was seine spirituellen Eingebungen betrifft, ist das schon manchmal schwer vermittelbar. Ich kann dir zustimmen, ein Abend reicht hier mitnichten aus, um deine Philosophie verständig rüber zu bringen.“ warf Leander ein.

„Ich will es versuchen, Leander. Ihr könnt mich natürlich immer wieder unterbrechen und Fragen stellen, sollte euch etwas nicht sofort einleuchteten. Wir wollen  diskutieren , auch ich bin nicht vollkommen, auch meine Analysen sind oft  unvollständig und fehlerhaft. Auch ich bin nur ein Mensch.“ versuchte sich Kovacs schon vorweg zu rechtfertigen.

„Ich konnte mich schon ein wenig damit vertraut machen, nur ganz sporadisch. Das wenige was ich davon mitbekommen habe, reicht sicher nicht aus, um schon jetzt zu einem Urteil zu gelangen, aber ich kann versichern es wird euch allen gefallen.“ erinnerte sich Elena.

„Warum fängst du nicht einfach damit an! Dann werden wir ja sehen, ob es uns zusagt oder nicht!“ schlug schließlich Alexandra vor.

„Also gut! Auf eure Verantwortung! Wie gesagt, immer wieder nachfragen, wenn etwas nicht einleuchtet!“

„Das werde ich mit Sicherheit !“ kündigte Kyra an.

„Wo fange ich an? Der Einstieg ist immer am schwierigsten. Hm! Das Neue, genau, ihr wolltet wissen, ob es heute in dieser konsumorientierten Spaßgesellschaft noch Neues gibt, das Menschen begeistern könnte, sie zum Nachdenken, womöglich zum selbständigen Handeln ermutigt!“

„Spaßgesellschaft? Für wen? Ich finde diese Gesellschaft alles andere als spaßig!“ unterbrach Kim sogleich.

„Lass ihn doch erst mal anfangen!“ erwiderte Klaus.

„Aber wieso denn, er hat doch selbst vorgeschlagen, dass wir ihn unterbrechen sollen, wenn wir etwas nicht verstehen!“ wehrte sich Kim.

„Ganz richtig, Kim! Ich will versuchen es zu erklären!“ stimmte ihr Kovacs zu, um anschließend mit seinen Ausführungen fortzufahren.

„Das, was ich als Spaßgesellschaft bezeichne, besteht tatsächlich, aber nur für bestimmte Kreise. Für euch Paria natürlich nicht, für die Preka nur ganz sporadisch. Es kommt immer auf den Standpunkt an, von dem man die Gesellschaft betrachtet. Ich werde später noch näher darauf eingehen.

Aber die eigentliche Frage lautete  nach dem spezifisch Neuen, das von unserer Gruppe ausgehen könnte. Vor allem, wer sich davon ansprechen ließe.

Cornelius versucht mit seinen Getreuen auf friedlichem Wege Reformen in unserem Land einzuleiten, mit dem Ziel einer Besserung der Verhältnisse. Zu diesem Zweck versucht er eine politische Partei aufzubauen, an Wahlen teilzunehmen um so an die Macht zu gelangen.

Neidhardt und seine Leute versuchen eine revolutionäre Bewegung zu installieren, die irgendwann imstande ist, einen gewaltsamen Umsturz herbeizuführen um auf diese Weise die Macht zu erobern, auch sie wollen vieles danach verbessern. Zwei unterschiedliche Herangehensweisen, beide sind zum Scheitern verurteilt.“

„Beide sind zum Scheitern verurteilt? Das hört sich aber nicht ermutigend an. Das bedeutet mit anderen Worten, gar nichts tun, alles so belassen wie es ist, alles hinnehmen. Kopf einziehen und durch bis zum bitteren Ende?“ grübelte Kyra.

„Nein, das wollte ich damit nicht sagen! Beide sind zum Scheitern verurteilt, weil sie das Grundübel nicht beseitigen, sondern im Gegenteil sogar festigen!“

„Und dieses Grundübel wäre?“ wollte Ronald wissen.

„ Der Staat! Die staatliche Ordnung! Es ist der Staat, unter dessen Obhut jegliche Ungerechtigkeit wachsen und gedeihen kann, der schützend seine Hände über die Machthaber jedweder Couleur hält. Deshalb müssen wir uns von ihm verabschieden.“ präsentierte Kovacs seine Lösung.

„Was? Den Staat willst du abschaffen? Wie soll das denn funktionieren. Meinst du nicht, dass diese Vorstellung ein wenig  naiver Natur ist? Den Staat verbessern, kann ich einsehen. Aber ihn deshalb gleich abschaffen?

Es hat immer Staaten gegeben, solange es Menschen gibt. Ohne Staat kann kein menschliches Zusammenleben funktionieren. Deshalb ist eine Gesellschaft ohne staatliche Ordnung zum Scheitern verurteilt! Ich kenne diese anarchistischen Thesen aus dem 19 Jahrhundert, habe mich eingehend damit auseinandergesetzt. Theorie! Reine Theorie ohne Praxisbezug!“ lehnte Folko diesen Vorschlag mit Nachdruck ab.

„Da bist du einem schweren Irrtum erlegen, Folko. Die Menschheit hat Jahrtausende ohne staatliche Institutionen gelebt und sie wird es eines Tages auch wieder. Der Staat stellt nur eine Zwischenstufe in der Entwicklung dar, die sicher zu bestimmten Zeiten durchaus ihre Berechtigung hatte. Heute aber sind wir einen gehörigen Schritt weiter. Wir haben ein Stadium erreicht, dass uns befähigt, eine Gesellschaft ganz ohne Staat herzustellen. Auch im 19 Jahrhundert waren die Menschen noch nicht soweit. Aus diesem Grund gab es in der anarchistischen Bewegung zahlreiche Fehletwicklungen.“ widersprach Kovacs.

Also, ich weiß nicht! Das kommt mir jetzt aber ganz schön abgehoben daher. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas funktioniert. Das klappt nie und nimmer. Ich kann mich hier nur Folkos Meinung anschließen. Lies Klaus deutlich seine Zweifel erkennen.

„Aber es wäre das noch nie da Gewesene. Das spezifisch Neue, das wir vermitteln wollen!“ glaubte Elena.

„So könnte man es nennen, Elena! Nur dass es so neu gar nicht ist. Im Gegenteil! Wie ich eben sagte. Die Anfänge der Menschheit verliefen ganz und gar ohne Staat, ohne Hierarchien. Und das zog sich über die Jahrtausende. Genau dort müssen wir wieder hin.“ klärte Kovacs weiter auf.

„Willst du damit andeuten, dass wir zurück in die Steinzeit wollen. Also bei dem Gedanken  wird mir jetzt schon Angst und Bange!“ gestand Alexandra.

„Ja, und nicht nur dir!“ pflichtet ihr Klaus bei.

Kovacs bemerkte, dass sie sich langsam einer Sackgasse näherten. Seine Idee stießen zunächst einmal auf Barrieren in den Köpfen. Barrieren, die durchaus verständlich waren.

In der Zwischenzeit war die Dämmerung der nächtlichen Dunkelheit gewichen. Es schien, als würden sie in der Tat bis zum Morgengrauen sitzen, um zur Erleuchtung zu gelangen.

„Wie ich sehe, habt ihr noch nicht verstanden, worauf ich hinaus will. Das ist nicht weiter tragisch, damit habe ich gerechnet. Auch ich musste mich durch einen langen Lernprozess arbeiten, bevor ich zu dieser Erkenntnis gelangte. Ich sehe schon, ich werde ein wenig ausholen müssen, um zum Ziel zu kommen.“

„Für mich sind deine Ausführungen nicht ganz neu. Ich erinnere mich an unsere Zusammenkünfte hier bei dir. Du machtest zumindest Andeutungen in dieser Richtung, aber das kam alles so rätselhaft, so verschlüsselt rüber. Heute bist du zum ersten Mal präziser geworden. Ich möchte sagen, endlich. Zum ersten Mal kann ich dir wirklich folgen. Du hast die Katze aus dem Sack gelassen.“ glaubte Leander zu wissen.

„Stimmt! Mir ging es ganz ähnlich! Als ich zum ersten Mal in eurer Runde zugegen war, kam mir das alles recht abenteuerlich vor. Damals war ich  auch noch von meinen  Blockaden bestimmt und erhob dagegen heftigsten Protest, sodass ich meist wutentbrannt von dannen zog. Heute lichtet sich der Schleier und ich kann ergründen, wohin du uns führen willst. Ein Rest an Zweifel ist auch bei mir geblieben“ stimmte Elena dem zu.

„Es wird ein steiniger Weg! Dessen bin ich mir bewusst. Aber trotzdem ist es nicht unmöglich. Wir sollten  den Versuch wagen.“ erwiderte Kovacs.

„ Den Staat überwinden? Einfach so! Aber wir leben doch nun mal in einem. Den können wir doch nicht einfach ignorieren. Er umgibt uns, ganz egal, wohin wir auch gehen. Wir sind ein Teil von ihm, ob wir nun wollen oder nicht. Wir leben nicht in einem luftleeren Raum, wir können uns nicht so einfach daraus verabschieden.“ antwortete Gabriela.

„Das kann ich mit einem Ja und Nein beantworten!“ entgegnete Kovacs. ," wir leben darin und müssen zumindest nach außen mit ihm kooperieren, aber nur, was die notwendigsten Dinge betrifft. Ansonsten betrachten wir uns als vollständig autonome Körperschaft. Es kommt darauf an, sich in kleinen Schritten auf das große Ziel zu bewegen. Wir betrachten uns nicht mehr als Teil des staatlichen Systems. Unser Modell ist so angelegt, das wir tendenziell gegen die staatliche Institution gerichtet sind und die Herrschaftsstrukturen zersetzen, um so im Schoße des alten Staatswesens bereits die Saat einer neuen herrschaftsfreien Gesellschaft aufkeimen zu lassen. Das ist es, was uns von den anderen revolutionären Bewegungen unterscheidet, die lediglich eine Herrschaftsform durch eine andere ersetzen wollen.“

„Trifft das auch auf Cornelius zu?“ Wollte Miriam wissen.

„ Ich schätze Cornelius sehr, seine Ideen sind aufrichtig und ehrbar. Er glaubt, auf friedliche Weise an die Macht zu kommen, um dann die Gesellschaft von oben herab humaner zu gestalten. Er könnte  auf manchen Gebieten durchaus Teilerfolge erringen, das eine oder andere verbessern. Aber im Großen und Ganzen wird seine Idee kaum in die Praxis umzusetzen sein. Denn er will alles auf der Grundlage der bestehenden Ordnung schaffen. Eine Illusion. Die Mehrheit im Parlament bedeutet nicht zwangsläufig Macht, denn die Besitzverhältnisse bleiben weitgehend unangetastet.  Nur Ökonomische Macht ist wirkliche Macht.

In den Chefetagen der Großkonzerne und Banken sitzen die eigentlichen Machthaber und nicht in Regierungen und Parlamenten, das sind nur Marionetten.“ fuhr Kovacs weiter fort.

„Richtig! Und aus diesem Grund strebt Neidhardt einen Umsturz im großen Umfang an , er glaubt ebenfalls nicht an die Macht der Parlamente. Er will die Besitzverhältnisse radikal verändern, eine Umverteilung zu Gunsten der Schwachen einleiten.“ versuchte Ronald wieder seinen Herrn und Meister ins Spiel zu bringen.

„Neidhardt stürzt die alten Eliten. Aber nur, um nach einer Übergangsphase, eine neue Elite zu konstruieren. Danach folgt die Diktatur! Denn ein Parlament, das eine Kontrollfunktion ausübt, benötigt er kraft seiner ideologischen Selbstüberhöhung nicht mehr.“

Kovacs Ansichten schienen zumindest in diesem Punkt einzuleuchten.

„Aber was kommt auf uns zu, wenn deine Vorstellungen greifen? Auch du willst  die alten Eliten beseitigen. Um die Macht zu festigen, müsste auch dein Konzept früher oder später auf eine diktatorische Amtsführung zurückgreifen. Sind deine Vorstellungen denen Neidhardts nicht in gewisser Hinsicht ähnlich?“ glaubte Folko festzustellen.

„Ich gestehe dass es auf den ersten Blick durchaus den Anschein hat. Aber du vergisst den wesentlichen Unterschied. Neidhardt geht es um die Eroberung der Macht, mir geht es um deren Beseitigung. Existiert langfristig keine Macht mehr, kann diese folglich auch nicht mehr pervertieren.“ konterte Kovacs geschickt.

„Aber dann entsteht ein Machtvakuum, wie willst du dass füllen?“ hakte Folko nach.

„Niemand will ein Vakuum. Der Staat wird ersetzt durch ein Netzwerk sich frei verwaltender sozialer Gebilde, die nach libertären Grundsätzen funktionieren. Arbeiten wir gut und öffentlichkeitswirksam könnten unserem Beispiel bald weitere folgen, das ist mein langfristiges Ziel. Das kommt nicht von heute auf morgen, wird viel, viel Zeit in Anspruch nehmen, gerade deshalb sollten wir jetzt den Grundstein dafür legen. Wir sind nur wenige, das ist wahr, möglicherweise kommen noch einige hinzu, ich weiß es nicht. Aber wir haben einen Trumpf im Ärmel, den wir nicht unterschätzen sollten. Elena und ihre noch immer ungebrochene Popularität in der Bevölkerung.“ antwortete Kovacs und blickte dabei auf die Powerfrau, die direkt neben ihm saß.

Die schreckte beim Vernehme dieser Worte innerlich zusammen

„Langsam, langsam, Kovacs! Mag sein, dass ich noch populär bin, derzeit sicher. Aber die Frage ist, wie lange noch. Unser melancholanisches Volk neigt dazu, sehr schnell zu vergessen.

Das solltest du doch aus eigener Erfahrung wissen. Auch du warst einmal berühmt und hattest Einfluss. Aber wie schnell hat dich die Öffentlichkeit abserviert. Totgeschwiegen!

Bei mir dürfte das mittelfristig nicht anders verlaufen.“ bog Elena schnell ab.

„Aber die Menschen mögen dich! Das haben sie immer getan. Du bist zu einer Ikone geworden, einer lebenden Legende. Ich kann mir vorstellen, dass es sich in deinem Fall etwas anders verhält. Denk doch an deinen letzten Auftritt, der hatte es wahrlich in sich. Ich glaube die Menschen werden dich noch lange in Erinnerung behalten und darauf warten das du wiederkommst in welchem Aufzug auch immer.“ widersprach Gabriela.

„Mag sein! Aber selbst wenn es so wäre, was könnte ich dann ausrichten? Ich habe keinen TV-Sender mehr, der meine Botschaften über den Äther bringt. Oder glaubt ihr ich stolziere einfach in die Redaktion, sage denen, so hier bin ich wieder. Ich brauche den Sender, um meine revolutionären Botschaften zu verbreiten, damit es bald zu einer Revolution kommt und so weiter?“ gab Elena zu verstehen.

„Natürlich nicht so! Das ist mir schon bewusst, aber auf ähnliche Art. Ich sagte doch vorhin, in kleinen Schritten müssen wir den Weg beschreiten.

Erst mal könnte dir deine neue Arbeit unter den Armen  zugute kommen, ich bin sicher, die Presseleute werden sich auf diese Story wie die Aasgeier stürzen, wenn sie Wind davon bekommen. Sollten sie geneigt sein Interviews zu machen, gewähre sie ihnen, so hast du schon mal ausreichend Publicity.

Ferner könntest du auf Versammlungen sprechen, als Gastrednerin bei Cornelius zum Beispiel, wenn er seine Aktionen startet. Und nicht zu vergessen die von ihm vor kurzen ins Leben gerufene Zeitung. Im Moment hat die eine sehr bescheidene Auflage, aber rate mal, welche Steigerung einträte wenn die Leute in Erfahrung bringen, dass Elena dort Artikel veröffentlicht. Stell dein Licht nicht unter den Scheffel.“ entgegnete Kovacs.

„Und da bist du dir ganz sicher?“ hinterfragte Leander.

„Warum denn nicht? Lass es uns doch einfach versuchen? Mehr als daneben gehen kann es doch nicht, oder?“ konterte Kovacs.

Das erntet allgemeine Zustimmung.

„Ich bin einverstanden! Ich will es auf jeden Fall versuchen! Aber nur, wenn ihr mich auch alle dabei unterstützt.“ stimmte Elena auf einmal zu.

„Na klaro, tun wir doch alle, tun wir doch gern!“ warf Kim in ihrer ungezwungenen Art in die Runde. Alle anderen signalisierten ebenfalls Zustimmung.

„Ausgezeichnet! Leute, damit hätten wir einen Anfang! Das ist mehr, als ich vom heutigen Abend erwartet habe. Nun werden wir daran arbeiten, dass es sich weiterentwickelt. Schon in nächster Zeit beginnen wir Pläne zu schmieden. Wir dürfen nicht allzuviel Zeit verstreichen lassen.“ frohlockte Kovacs.

„Das ist schon in Ordnung, aber irgendwie sind wir vom Thema abgekommen.  Wolltest du uns denn nicht noch  mehr mit deinen theoretischen Entwürfen vertraut machen? Du hast es nur mal kurz angeschnitten, das ist mir aber zu wenig. Ich würde gern mehr darüber in Erfahrung bringen.“ gab Miriam zu verstehen.

„Genau! Denn gerade was das betrifft, habe ich erhebliche Zweifel. Ich lasse mich gerne überzeugen, aber dass könnte Zeit in Anspruch nehmen!“ pflichtet ihr Folko bei.

„Selbstverständlich tue ich das! Aber wie ich schon sagte, dafür reicht ein Abend bei weitem nicht aus. Wir benötigen viele weitere dieser Art. Ich schlage daher vor, dass wir uns in regelmäßigen Abständen gemütlich zusammensetzen und darüber diskutieren. Wir sollten das zu einem festen Ritual machen.“ bot Kovacs an.

„Hört sich gut an, da bin ich auf jeden Fall dabei, auch ich möchte gerne weiter vordringen in deine Ideen.“ stimmte Ronald zu.

„Ich bin auch interessiert! Aber denke an das, was ich schon am Anfang sagte. Leicht verständlich. Nicht alle verfügen über so einen scharfen Intellekt wie du!“ brachte Kyra noch einmal ein.

Die anderen stimmten ebenfalls zu.

„Ach, was ich noch fragen wollte!“ meldete sich Klaus zu Wort.  Bist du jetzt unser Anführer? Oder ist es Elena? Oder wer sonst! Ich kann mich nicht daran erinnern, einen aus unseren Reihen bestimmt zu haben. Oder irre ich mich da?“

„Also ich bin es mit Sicherheit nicht!“ lehnte Elena kategorisch ab.

„In der von uns angestrebten Ordnung sind Anführer so wie wir sie bisher kennen, gar nicht vorgesehen. Ich bringe lediglich Ideen ein, über die gemeinsam diskutiert wird. Wenn wir zu unseren Plena zusammenkommen, bestimmen wir eine Person als Versammlungsleiter- oder -Leiterin.  das geht der Reihen nach. Jeder kommt mal an die Reihe: Alle anliegen die die Gruppe betreffen, werden hier gemeinsam diskutiert, abgestimmt und später in die Tat umgesetzt. Das ist auch so ein Prinzip, mit dem wir uns vertraut machen müssen und das ist alles andere als einfach. Aber ich denke, auch das lässt sich erreichen. Ich schlage aber vor, das wir für heute erst mal Schluss machen!“

„Das ist wahrlich eine gute Idee!“ freute sich Kim und ließ sich auf den Boden fallen,  allgemeine Erheiterung war die Folge.

Die Zusammenkunft löste sich auf, nun gingen die Beteiligen zum gemütlichen Teil über.

Der Anfang war gemacht. Es würde sich zeigen, ob die Gruppe tatsächlich der Herausforderung standhalten konnte, die sich aus all dem Angesprochenen ergab. Alle waren auf je unterschiedliche Weise berührt von dem, was sie gerade vernommen hatten. Wenn sie auch durchaus unterschiedlicher Meinung darüber waren, keinen ließ das Gehörte kalt.

 

An diesem lauen Sommerabend wurde ganz nebenbei Geschichte geschrieben. 

Die Saat war ausgebracht. Nun begann die Reise die einmal in Anarchonopolis und Akratasia ihren Bestimmungsort finden sollte.

Elena erhob sich und streckte ihre Arme weit in den Sternenhimmel. Leander näherte sich ihr von hinten und umfasste sanft ihre Taille, sie schmiegte sich in seine Arme. Sie kamen sich immer näher, auch wenn sie noch immer kein richtiges Liebespaar waren.

„Wollen wir noch ein Stück auf den Deich entlang gehen, die Nacht ist so schön und ich bin so aufgewühlt von alldem. Ich muss das erst mal verarbeiten!“ lud Elena ein.

„Ja sehr gern! Mir geht es ebenso!“ stimmte Leander zu.

Langsam entfernten sie sich von den anderen.

 

Unterdessen näherte sich Folko Kovacs, der gerade im Begriff war, seine Manuskripte in einer alten Lederaktentasche zu verstauen.

„Sag mal, Kovacs, du bist dir doch im Klaren darüber dass deine Vorstellungen reine Anarchie sind!"

"Der Begriff Anarchie ist historisch sehr negativ besetzt. Ich verwende  lieber die Bezeichnung Akratie!" antwortete Kovacs. "Klingt besser."

„Mag sein, aber das ist zunächst reine Wortklauberei. Mit dem Begriff Akratie können  viele, sagen wir lieber gleich die übergroße Mehrheit im Lande nichts an fangen, weil er völlig unbekannt  und somit auch ungefährlich ist.“ antwortet Folko wenig beeindruckt.

„Genau da liegt der springende Punkt. Das ist das eben jenes Neue, das wir anstreben, auch wenn es nur ein Begriff ist, der etwas bezeichnet, das gar nicht so neu ist, im Gegenteil. Ein uralter Menschheitstraum, Jahrhunderte, nein Jahrtausende verschüttet. Verdrängt ins Unterbewusstsein. Wir sind wie Archäologen, die eine alte Kultur freilegen, nur dass es sich hierbei nicht um Gestein, sondern um Ideen handelt.“ bekräftige Kovacs und nahm wieder auf einem Stuhl Platz.

„Eine sehr umstrittene These! Zunächst reine Spekulation. Der Beweis, dass es eine Art von Urkommunismus in prähistorischer Zeit gab, ist nie erbracht worden. Ich denke, er wird sich  auch in Zukunft kaum beweisen lassen.“ drückte Folko weiter seinen  Zweifel aus.

„Das hängt vor allem damit zusammen, dass unsere Wissenschaft, unsere Historiker kein Interesse daran haben, sich mit solchen Dingen eingehender zu beschäftigen, stehen sie doch im Solde der führenden Elite unsere Landes und deren These lautet nun mal im Bezug auf die gesellschaftliche Ordnung?“ Kovacs Frage provozierte.

„Es gibt keine Alternative!“ entfuhr es Folko wie auf Befehl.

„Genau! Unsere schöne Weltordnung, die davon ausgeht, dass nur eine Elite führen kann, wäre gründlich widerlegt, würde der Beweis dafür erbracht, das es auch anders geht. Sie hat daher kein Interesse an der Wahrheit, bzw. ist ständig bestrebt, sich eine eigene Wahrheit zu stricken, die ganz in ihren Sinne ausgelegt werden kann, getreu dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf!“

„Und du bist dir ganz sicher, dass nicht auch du nur deine eigene Wahrheit konstruierst? Weil der Gedanke an so ein Urparadies nun mal so toll ist?“ konterte Folko.

„Ich glaube nicht an ein Urparadies! Diesen Vorwurf bekomme ich häufig zu hören. All jenen die in der Vergangenheit ähnliche Thesen vertraten erging es ebenso Niemand ist imstande ein Paradies zu entwerfen. Dazu bedarf es fehlerfreier Menschen und die gibt es nicht. Es geht darum Voraussetzungen zu schaffen für eine gerechte Weltordnung, das ist alles, wie es sich  weiter entwickelt vermag niemand vorher zu sagen.  Die Menschen sind  herausgefordert, ständig an sich zu arbeiten.“

 

Derweil waren Leander und Elena ein Stück am Deich entlang spaziert.

„Eine wundervolle Nacht, findest du nicht auch?“ wollte Elena wissen.

„Ja, so friedlich alles. Man könnte meinen es sei immer so.“ antwortete Leander.

„Du warst so schweigsam in der großen Runde, hast dich selten geäußert, das ist doch sonst gar  nicht deine Art. Hat das einen bestimmten Grund?“ versuchte Elena aus ihm heraus zu bekommen.

„Wieso, ich habe mich doch beteiligt!“ verneinte dieser.

„Aber nicht, wie ich es von dir gewohnt bin.“

„Ach, diese ganze schöne Theorie.  Solchen Diskussionen erscheinen mit der Zeit wirklichkeitsfremd. Kovacs ist eben ein Idealist durch und durch. Leider besteht unsere Gesellschaft nun mal nicht nur aus Leuten seines Schlages. Ich hege großen Zweifel, ob diese Ideen je verwirklicht werden können.“ gestand Leander.

„Du bist ein großer Skeptiker, das ist mir schon lange aufgefallen.“ erwiderte Elena während sie sich enger an ihn schmiegte, ihren Arm um seine Taille legte. „ Man mag das alles in Ruhe auf sich wirken lassen.  Auch ich kann vieles noch nicht nachvollziehen. Wir stehen am Anfang, sind Pioniere einer neuen Zeit und solche haben es niemals leicht. Aber wir haben uns und das ist das Wichtigste!“ versuchte Elena seine Zweifel zu zerstreuen.

„Haben wir uns wirklich?“ Auch hier zweifelte Leander.

„Aber ja! Warum denn nicht?“

Leander hielt an, umfasste Elena und zog sie an sich.

„Wir haben uns gefunden, sicher! Es geht mit uns voran, aber ein Paar sind wir deshalb noch lange nicht. Oder findest du, dass wir in der Zwischenzeit eins geworden sind?“

Wieder musste er zu ihr auf sehen, um in ihre Augen zu blicken und das wurmte ihn ohnegleichen.

„Läuft es denn nicht gut mit uns? Wir dürfen am Anfang nicht zu viel erwarten. In unserer Beziehung tasten  wir uns langsam auf einander zu, Das braucht Zeit. Ich muss vieles erst verarbeiten. Ich habe eine Lebenswende hinter mir, einen Zusammenbruch aller Werte, an die ich einmal glaubte. Und Neues konnte sich noch nicht entfalten.“ versuchte Elena abzuwehren.

„Wir tasten uns auf einander zu, aber wie zwei, denen man die Augen verbunden hat. Vergiss bitte nicht das auch ich mein bisheriges Leben aufgegeben habe , um dir zu folgen. Und im Gegensatz zu dir ist  eine Rückkehr  in ein altes Leben ausgeschlossen.“ stellte Leander klar.

Elena strich ihm über die Wangen, dann küßte sie ihn.

„Lass mir Zeit, lass mir einfach noch ein bisschen Zeit, das ist schon alles was ich erwarte. Ich liebe dich doch, aber jegliches braucht seien Zeit.“

„Das ist merkwürdig. Der Elena von einst sagt man ein turbulentes Liebesleben nach. Damals hattest du offensichtlich keine Probleme ständig zu wechseln, immer wieder neue Abenteuer.

Aber bei mir hast du plötzlich  Probleme?“

Elena entwand sich seiner Umarmung trat auf das Ufer zu und starrte auf das Wasser des Staussees, in dem sich die Sterne spiegelten.

„Begreifst du denn nicht? Ich hatte damals keine Probleme, weil mir die Leute nichts bedeuteten. Aber du! Du bedeutest mir sehr wohl etwas! Eine völlig neue Erfahrung. Damit muss ich mich erst vertraut machen. Ich will keine Fehler begehen! Vor allem möchte ich dir nicht permanent weh tun!"

Leander schwieg verwirrt, er hatte keineswegs vor, sie auf diese Weise zu treffen,  andererseits war es wichtig, die Dinge so anzusprechen, wie sie sich aus seiner Sicht darstellten.

„Warum musst du mit deinem ständigen Zweifel alles zerstören? Ich bin verliebt, zum ersten Mal im Leben richtig verliebt. Ich hatte ja keine Ahnung, wie sich das anfühlt, bevor du kamst. Ist es da nicht verständlich, wenn ich mich  ein wenig ziere? “

„Ich liebe dich doch auch! Aber betrachte meine Situation. Ich bin nichts und ich habe nichts. Ein Preka aus der Plattenbausiedlung, einer, der sein bisheriges Leben am Fließband verbrachte. Und nun? Nun stehe ich der schönsten und begehrenswertesten Frau gegenüber, die unser Land je gesehen hat. Alles an dir scheint übernatürlich, nicht von dieser Welt. Dein wunderschönes Gesicht, deine makellose Figur.

Dazu eine Intelligenz, die einen Albert Einstein in die Tasche stecken könnte. Du bist reich, du bist eine Berühmtheit, die ganze Bevölkerung liegt dir noch immer zu den Füßen. Nach wie vor hast du alle Möglichkeiten der Welt, auch was die Suche nach potenziellen Liebhabern betrifft. Wie kann ich wissen, dass du es ernst mir meinst und nicht nur mit mir spielst. Mich solange gebrauchst, wie ich als Lückenfüller tauge. Bis zu dem Zeitpunkt, da der große Unbekannte ins Spiel kommt, der große akademisch geschulte Geist mit Adonisfigur, der dir viel besser entspricht, als ich es jemals könnte.“

Endlich hatte Leander eine Gelegenheit gefunden, seine Seele auszuschütten, darauf musste er sehr lange warten und er glaubte, dass es der rechte Zeitpunkt war. Heute an nach diesem Abend des ultimativen Neubeginns.

Elena wandte sich zu ihm, mit feuchten Augen warf sie sich spontan in seine Arme.

„Das wird niemals geschehen! Ich lasse nicht mehr von dir. Ich könnte keinen andern mehr lieben. Ich will mich doch ändern. Ich versuche es doch beständig. Sei gewiss dass ich niemals mit dir spiele. Das verspreche ich dir. Verachtung soll mich treffen, wenn ich jemals etwas anders tue.“

Lange lagen sie sich in den Armen. Keiner wagte mehr zu reden, weil sie fürchteten, das falsche Worte nur zerstören, wo sie nicht hingehören.

Ganz nahe am Siedepunkt, doch in dieser Nacht schliefen sie getrennt. Wann würde sich das ändern? Bald oder Nie!

 

Ein anderes Paar schien schon bedeutend weiter. Alexandra und Ronald hatten ihre Premiere schon vor einer Woche und die Glut der Leidenschaft brannte in Ihren Herzen wie ein frischer Lavastrom.

Nun hatten sie vor drei Tagen gemeinsam einen frisch renovierten Bungalow bezogen, doch im Gegensatz zu Leander und Elena benötigten sie nur ein Schlafzimmer.

„Hereinspaziert in die gute Stube, schöne Lady!“ schmeichelte Ronald, nachdem er die Tür geöffnet hatte und im Begriff war, den Lichtschalter zu betätigen.

„Nein, lass das Licht besser aus! Wegen der  Mücken. Die haben mir die letzte Nacht arg zugesetzt.“ versuchte Alexandra ihn von diesem Vorhaben abzubringen.

„Ja? Komisch, ich hab nichts bemerkt.  Aber klar, eine solch süße Person wie du verfügt mit Sicherheit auch über besonders süßes Blut, das selbst die Mücken um den Verstand bringt.“ erwiderte Ronald und schloss sie in seine Arme.

"Auf diese Blutsauger kann ich gerne verzichten, auf dich nicht, das ist der Unterschied.“

Sie gab ihm einen dicken Kuss.

„ Wofür brauchen wir Licht, wir finden auch so zueinander. Selbst in der größten Dunkelheit würde ich dich nie verfehlen.“ frohlockte Ronald.

„Sag mal, wie fandest du das  eben?“

„Was meinst du denn?“

„Na, den Vortrag von Kovacs.“ erklärte Alexandra. „Mit was für Dingen der sich  beschäftigt! Ganz schön erstaunlich, beeindruckend, meine ich. Aber den Durchblick habe ich trotzdem nicht bekommen. Ein Staat, der keiner ist, habe ich das richtig verstanden?“

„Kovacs ist ein Träumer, ein sehr liebenswerter zugegeben. Aber seine Idee? Zuviel Utopie, zu wenig Realismus. Ich habe da ganz andere Vorstellungen, die sind bedeutend handfester, verstehst du?“ entgegnete Ronald während er damit begann, Alexandra ganz sanft zu entkleiden.

„So? Was verstehst du denn unter handfest, wenn ich fragen darf?“

„Na eben handfest! Ist doch kaum zu realisieren, eine Gesellschaft ohne Staat, ohne Hierarchien. Tolle Vorstellung ,zugegeben, aber reine Utopie. Der alte Staat ist morsch, verkorkst, überholt, das ist richtig, also beseitigen wir ihn und  an dessen Stelle tritt ein neuer, ein besserer, ein gerechterer. Die Bevölkerung wird mit Kovacs Ideen nie zurechtkommen. Die sind kaum imstande,  selbständig zu regieren. Die brauchen eine starke Hand, die führt, so ist das nun mal“ klärte Ronald auf.

„Komisch?“

„Was ist daran so komisch?“

„Ich war vor einiger Zeit mit so einem merkwürdigen Typen leiert. Ganz feiner Pinkel, total penibel, manchmal auch recht stressig. Mitglied in diesem Blauen Orden. Der hatte ganz ähnliche Ansichten. Der träumte auch von so einem autoritären Führerstaat, wo alles nach einer Pfeife tanzt,  die Bevölkerung sich total unterordnen muss. Eine starke Hand, die führen muss. Richtig, genau das waren seine Worte.“ erinnerte sich Alexandra, während sie ihren BH über den Kopf zog und ihre vollen runden Brüste präsentierte.

Ronald stockte bei dem Anblick der Atem, sanft begann er mit seinen Handflächen das Objekt der Begierde zu ertasten.

„Also mit dem Blauen Orden habe ich nicht das Geringste zu tun. So etwas kann man nicht vergleichen. Die wollen nur Macht und Kontrolle über das Volk, um es auszubeuten:“

Es viel ihm sichtlich schwer, sich zu konzentrieren. Er sank auf die Knie und begann Alexandra den Slip abzustreifen, die steig ein Bein nach dem anderen daraus.

„Also für mich hört sich das trotzdem ähnlich an. Naja, viel hab ich mich noch nicht mit Politik beschäftigt. Mal sehen, was ich hier noch dazu lernen kann, ich meinehhhhh….oh ja, immer weiter so.“  Ronald hatte in der Zwischenzeit damit begonnen, ihren Venushügel zu streicheln, was ihr sichtliches Behagen bereitete.

„Sag mal, was möchtest du eigentlich jetzt, Sex oder dich mit mir über Politik unterhalten?“ lautete Ronalds Frage, während sie ihm mit den Händen durch sein Lockenhaar fuhr.

„Das ist aber eine außerordentlich schwere Entscheidung, die du von mir verlangst. Warum tun wir nicht beides zugleich?“ schlug Alexandra dem Überraschten vor. „Ist doch mal was Neues und wir wollen doch von heute an alles neu machen, wenn ich recht verstanden habe.“

„Gut, wenn du willst, aber ich kann nicht versprechen, dass sich da mit voller Konzentration dabei bin. Bei deinem Anblick verschlägt es mir jetzt schon die Sprache.“ gestand Ronald.

Dann hob er sie vom Boden und trug die völlig Entkleidete in die angrenzende Schlafkammer.

„Lass es uns doch einfach versuchen. Wenn wir durcheinander kommen, müssen wir uns eben auf eine Sache beschränken, bin mal gespannt für welche.“ antwortete Alexandra, nachdem er sie sanft auf die Kissen gebettet hatte.

„Möchtest du in einem autoritären Staat leben, ohne Freiheit, ganz der Obrigkeit ausgeliefert?“ fragte Alexandra nach einer Weile, während Ronald begann, an ihren Zehen zu lutschen.

„Nein! Natürlich nicht! Wie kommst du denn darauf?“

„Weil du  eben sagtest, du willst einen Staat, der von einer starken Hand geleitet wird. Ich könnte mir vorstellen, dass es da kaum noch Platz gibt für die Freiheit.“

Ronald begann  ihre Waden zu lecken, arbeitet sich langsam nach oben.

„Ich will die Freiheit keineswegs beseitigen. Du bist im Irrtum, wenn du das glaubst. Es kann nur sein, das diese vorübergehend eingeschränkt werden muss, bis alle Gegner der neuen Ordnung eliminiert sind.“ ließ Ronald erkennen, in der Zwischenzeit während er die Innenseiten ihrer Oberschenkel erreichte

„Das heißt, wenn ihr  die Gegner ausgeschalten habt…hah aahhh, oh ja ja ja ja, dann könnte ihr die Freiheit wieder ein….jaj jaj jaja weiter so, oh ich werde noch verrückt, oh tut das gut. Äh wenn ihr die Gegner ausgeschalten habt, gibt es wieder so etwas wie Freiheit im Lande?“ Alexandra trieb langsam dem Höhepunkt entgegen.

Ronald war in ihr. Wer von beiden wollte sich da noch auf Politik orientieren?

„Jetzt machen wir unsere kleine private Revolution, mein Engelchen, meine feine Privolady.

Der Revolutionär und die Comtesse aus der Oberschicht, das ist geil, das ist supergeil. Puuuaaahh, wenn das Neidhardt wüsste, dem würden die grauen Haare wie Antennen zu Berge stehen. Ihr Privofrauen seit die Versuchung in Person.“

„Oh ja, nimm mich, erobere mich, stürze mich von meinem Thron, ich werde selbst zu Revolutionärin…jajajaja, immer weiter, ohhh ja ich beginne zu fliegen. Ich gehöre jetzt zu euch, zum Teufel mit den Privo, ihr Revolutionäre seit Leidenschaft ohne Ende.“

Sie schlang Arme und Beine um seinen Körper und preßte sich immer dichter an ihn ran.

Nun entschwanden ihre Seelen erst einmal im Elysium der Lust, keiner erwartet von ihnen, dass sie in den folgenden Augenblicken noch politikfähig waren, hier war Konzentration auf eine und nur eine Sache geboten. Vor allem für so frisch Verliebte versank die Welt mit ihren Unzulänglichkeiten im Nebel der Nacht. 

Langsam, ganz langsam kehrten sie nach einer Ewigkeit in die Realität zurück.

Wie ein Kätzchen kroch Alexandra an seine Seite und schnurrte auch dementsprechend vor Wohlergehen. Nun ganz sachte den eben erlebten Höhenflug verarbeitend. Sanft legte Ronald einen Arm um sie. Ihre duftenden brünetten Haare kitzelten ihm in der Nase.

„Neidhardt!“ hörte er sie flüstern.

„Hm? Hast du was gesagt?“

„Neidhardt, du hast vorhin von Neidhardt gesprochen!“ glaubte Alexandra sich zu erinnern, während sie ihm die Brust streichelte.

„Hähh…wie kommst du denn jetzt ausgerechnet auf Neidhardt?“ entfuhr es Ronald, der noch immer nicht ganz gelandet war. Im Angesicht der Tatsache, dass er diesen weichen, geschmeidigen, wohlgeformten Venuskörper in seine Armen hielt, war der mürrische, spröde Altrevolutionär der Letzte, an den er einen Gedanken verschwenden wollte.

Du hast so ganz nebenbei von Neidhardt erzählt, erinnerst du dich nicht mehr, das war, lass mich überlegen, als wir gerade auf dem Weg zu Wolke 7 waren.“ gab Alexandra zu verstehen, während sie langsam ihren Kopf hob und zur Seite rollte.

„So? Hab ich das? Ist mir gar nicht aufgefallen!“

„Aber mir! Hast du was mit ihm zu tun? Ich meine, wer denkt in einem solchen Augenblick schon an Neidhardt?“

„Und wenn es so wäre?“ begann Ronald langsam zu gestehen.

Alexandra hob leicht den Kopf, um ihm in die Augen zu sehen.

„Echt? Hm, Probleme hätte ich sicher nicht damit, nicht nach einem solchen Augenblick wie eben. Aber überraschend wäre es schon. Machst du nur Spaß, oder meinst du es ernst?“

Ronald beschloss, ihr reinen Wein einzuschenken, eine Frau, die ihn auf so eine Art lieben konnte, hatte einfach ein Recht auf die ganze Wahrheit.

Es ist so, ich gehöre zu Neidhardts Leuten und zwar schon seit geraumer Zeit sogar zu seinem engsten Stab. Ich bin hier um, naja, sagen wir mal, auszuloten, wie sich die Sache entwickelt. Keine Sorge, wir haben nichts Böses im Sinn, wir wollten nur wissen, was Elena vorhat, um unsere Schlüsse daraus zu ziehen.“

„So ist das! Und ich habe gar nichts bemerkt!“ Alexandra ließ sich wieder zur Seite rollen und schmiegte sich noch enger an ihn.

„Bist du jetzt enttäuscht von mir, oder hat es dich erschreckt?“

„Nein, würde ich nicht sagen. überrascht, aber nicht  enttäuscht. Du bist der Gleiche wie noch vor einem Augenblick, da ich es noch nicht wusste.“ erwiderte  sie

„ Dass ich hier auf dich treffen würde, war natürlich nicht einkalkuliert. Das ändert viel. Im Prinzip hätte ich längst zurückkehren sollen, um Bericht zu erstatten, verspüre aber nicht die geringste Lust dazu.“ sagte er mit Wehmut in der Stimme.

„Dann bist du also ein echter Revolutionär? Sind alle Revolutionäre so lieb? Wenn ja, kann die Revolution von mir aus schon morgen beginnen!“ meinte Alexandra. Ronald schlang wieder seinen Arm um sie und drückte sie an sich.

„Ich fürchte, es sind nicht alle so lieb. Aber trotzdem brauchst du nichts zu fürchten.“

„Und wie geht es jetzt weiter? Möchtest du bleiben?“

„Nichts könnte mich bewegen, hier fortzugehen. Es liegt an dir, wie es mit mir  weitergeht.“ behauptete Ronald.

„An mir, wieso an mir?“

„Du kennst jetzt mein Geheimnis. Ich weiß nicht, wie die anderen darauf reagieren. Ich denke, es wird ihnen nicht gefallen. Wenn du es weiter erzählst, werden die mich wohl hier nicht mehr dulden. Dann ist Schluss mit lustig. Dann muss ich von dannen ziehen. Lebe dann an Neidhardts Seite wie ein Mönch in meiner mausgrauen Parteiuniform. Du kannst hier bleiben und musst dir einen anderen suchen.“ gab Ronald zu verstehen.

„Nein, das würde ich nicht lange durchstehen!“

„Dann könntest du in deine Welt zurückkehren. Kannst wieder mit tollen Autos durch die Gegend brausen, durch die Welt reisen, auf Partys gehen, schicke Klamotten tragen, dich von den Paparazzi jagen lassen, und vielleicht auch wieder einen neuen Film drehen?“

„Oh, wie langweilig. Keine Sorge! Ich werde schweigen wie ein Grab. Ich habe nichts gehört von einem Revolutionär. Ich kenne nur meinen netten süßen Ronald, der ganz zufällig hier eintraf und einer armen hilflosen Schauspielerin bei einer Autopanne half.“

Ronald küßte sie leidenschaftlich auf den Mund. Was konnte es für einen größeren Liebesbeweis geben, als sich seiner Liebsten in die Hand zu geben? Denn das hatte er mit seinem Geständnis getan. Er vermochte wirklich nicht zu sagen, wie die anderen darauf reagieren würden.

 

Unterdessen hatte Folko sein hochgeistiges Gespräch mit Kovacs beendet. Auf dem Deich stehend, zündete er sich ein Zigarillo an und schritt dort eine Weile auf und ab. Das soeben Gehörte bewegte ihn tief. Er war nicht überzeugt, aber erste Zweifel taten sich auf, wenn er auf sein bisheriges Leben zurückblickte. Er ging den Damm hinunter und näherte sich der gegenüberliegenden Gartenanlage. Dort begegnete er Elena, sie schien ihn gar nicht zu bemerken. Die feuchten Augen verrieten ihm, dass sie offensichtlich geweint hatte. Er schritt an den einzelnen Häuschen entlang, verweilte kurz an jenem vom Ronald und Alexandra, um leicht schmunzelnd das leise Gestöhne zu vernehmen, das von dort nach draußen klang, dann ging es die Ligusterhecke entlang, in deren Blattwerk gerade ein Grillenkonzert einsetzte. Schließlich erreichte er seinen eigenen Bungalow, er war derzeit der Einzige, der einen für sich ganz allein besaß. Da bemerkte er, dass Kyra auf dem davor stehenden  Liegestuhl Platz genommen hatte.

„Noch immer auf? Du scheinst ja gar nicht müde zu werden?“ sprach sie ihn von der Seite an.

„Noch nicht ganz, aber bald, denke ich! Aber wie ich sehe, kannst du auch du keinen Schlaf  finden?“   

„Ich würde schon gern, habe nur keine Möglichkeit  mein müdes Haupt zur Ruhe zu betten. Naja egal, werde ich hier draußen tun, bin ich ja gewohnt. Erlaubst du dass ich hier vor deiner Tür nächtige?“  wollte Kyra wissen.

„Wieso? Haben sie dich rausgeworfen?“

Kyra bewohnte einen Bungalow mit Miriam und Kim zusammen.

„Das nicht gerade, aber die beiden waren so miteinander beschäftigt, dass ich mir überflüssig vorkam.“

Folko ließ sich auf einer Hollywoodschaukel nieder.

„So, ich dachte immer, du und Kim ihr wärt ein Paar?“ erinnerte sich Folko.

„Ist schon lange her, das wir fest liiert waren. Mal getrennt, mal wieder zusammen, wie es eben so kommt. Nun hat sie wohl ihre große Liebe in Miriam gefunden. Ich gönne es ihr.

Aber schön ist es nie, wenn man abgelegt wird.“ machte sich Kyra Luft.

„Du musst nicht im Freien schlafen, ich habe einen Bungalow für mich allein, da gibt’s ne Menge Platz, du kannst gerne bei mir schlafen, wenn du magst.“ bot Folko an.

„Das würde dir gefallen: Kann ich mir vorstellen. Aber mach dir keine Sorgen, ich komme schon klar.“

„Ich habe gesagt, bei mir schlafen. Ob du mit mir schlafen willst, musst du selbst entscheiden.“

„Direkt wie immer! Aber das mag ich an dir!“

„Der erste Schritt zur Entspannung. Nein, Spaß beiseite, du brauchst dich nicht zu zieren, ich wäre übrigens über ein wenig Gesellschaft nicht abgeneigt.“ wiederholte Folko sein Angebot.

„Also gut, ich werde es mir überlegen. Schon in Anbetracht der Mücken empfiehlt es sich sicher.“ schlug Kyra ein. „Aber erst mal rauche ich eine!“

Sie kramte Tabakbeutel und Sticks hervor und begann sich eine Zigarette zu drehen, ganz professionell, leckte  an der Seite, so dass die Banderole zusammenhielt.

Folko hielt ihr sein brennendes Feuerzeug entgegen und sie steckte ihren Glimmstängel an.

Zog einmal kräftig und inhalierte genüsslich.

„Ein Joint ?“

„Na, was dachtest du denn?“ antwortet Kyra in ihrer kecken. „Wenn du magst, kannste dir gerne auch einen drehen.“

„Danke! Ich bevorzuge meine spezielle Marke!“ lehnte er freundlich ab.

„Auch gut! Klar, du bist  was Feineres gewohnt!“

Folko steckte sich noch einen Zigarillo an. Eine Weile betrachten sie sich wortlos.

„Hast noch lange mit Kovacs gesprochen: Und? Bist Du überzeugt von seinen Ideen?“ wollte Kyra wissen.

„Eher nicht! Zugegeben, einiges klang recht überzeugend. Aber sein Ziel? Da sehe ich noch erhebliche Defizite. Na gut, ist  erst mal nur ne Theorie. Man muss sehen, wie sich alles entwickelt. Sagen wir mal so, ich bin am Anfang, aber ich bin auf dem Weg.“ gab ihr Folko zu verstehen. „Und wie ist es mit dir?“

„Hm, schwer zu sagen, viel abgehobenes Zeug finde ich. Wenn es ihm gelänge, es in einfacheren Worten auszudrücken, wäre sicher viel gewonnen. Ich finde seine Ansichten erst mal ok. Wenn er auch noch an einigen arbeiten muss.“

„Du bist also auch in Zweifel darüber, ob  einfach gestrickte Menschen selbst regieren können?“ stachelte Folko, im Bewusstsein, bei ihr möglicherweise in ein Wespennest zu stechen.

„Warum sollten die das nicht?“ entfuhr es ihr sogleich. „Wir haben zur Genüge bewiesen, dass wir es können. Parias müssen das, schließlich kümmert sich kein Staat um uns, es sei denn das wir mal wieder im Wege stehen. Da erst wird man auf uns aufmerksam. Ansonsten sind wir denen scheißegal. Wenn wir uns auf diesen Staat verlassen, dann sind wir verlassen, kannste glauben.“

Folko musste sich eingestehen, das sie die Wahrheit sprach, die Paria hatten ihre Parallelwelt so gut es ging alleine organisiert, wenn auch ohne große theoretische Vorarbeit.

„Da könnte sich manch feiner Pinkel was davon abschneiden, na, und von den Preka ganz zu schweigen. Die lassen ja keinen Furz, ohne vorher ihren Chef um Erlaubnis zu fragen.“ fügte sie hinzu.

„Entschuldige! Ich hatte nicht vor dich, zu beleidigen!“ antwortete Folko reumütig.

„Schon gut! Schwamm drüber!“ Kyra nahm noch einen kräftigen Zug und legte anschließend den Kopf nach hinten. Es hatte den Anschein, dass sie in eine leichte Trance fiel.

„Ach, Scheiße Mann! Da sitzen wir hier zusammen und verplempern den schönen Abend mit so fadem Geschwätz!“ entfuhr es ihr schließlich, nachdem sie ihre Kippe mit dem Zeigefinger von sich schnippte. Sie zog ihre Beine an, so dass sie im Schneidersitz saß.

Welch ungleiches Paar, der feine welterfahrene Dandy, gekleidet in oliv-grüne Khaki-Hose mit dazu passender ebenso farbiger Weste, darunter ein graues Leinenhemd, um den Hals ein weinrotes, weißgepunktetes Schweißtuch. Selbst in diesen Geländeklamotten wirkte er wie ein echter Gentleman, elegant die Beine übereinander geschlagen und an seinem Zigarillo ziehend. Er strahlte Würde, Erhabenheit und einen hohen Intellekt aus.

Welch ein Kontrast zu Kyra, der rauhen Punkerin, barfuß in ihrer zerschlissenen Jeans, ihr schwarzes T-Shirt mit Löchern und Flecken. Ihr Haare punkermäßig zerzaust, schwarz-rot gefärbt und an den Seiten rasiert, ein Piercing im Nasenwinkel und am rechten Oberarm kam eine große Tätowierung zum Vorschein.

Doch je mehr Folko sie beobachtete, desto mehr fühlte er sich zu ihr hingezogen.

„Wir können uns auch gerne über etwas anders unterhalten. Ich finde Politik in einer so lauen Sommernacht auch ein wenig fade.“ durchbrach Folko das Schweigen.

„Nein, dass ist es nicht! Ich philosophiere gerne mit dir, auch oder gerade in einer solchen Nacht. Ich meine nur, die Andern sind mit was Besserem beschäftigt, findest du nicht auch.“

Hoppla, war das jetzt ein Angebot?  Folko traute seine Ohren nicht, war sie etwa schon  soweit?

„Ich konnte entsprechende Geräusche aus verschiedenen Hütten vernehmen. Wir scheinen die Einzigen,einsamen in dieser Nacht.“

„Sind wir das? Ja! Das ist schade, das ist wirklich schade!" Bedauerte Kyra.

„Na was nicht ist, kann noch werden! Wir haben uns ganz schön verändert, die kurze Zeit, die wir hier zusammenleben, und das auf recht engem Raum?“ stellte Folko fest.

„Stimmt! Du hast du recht! Ich, ich bin aber jetzt müde. Ich glaub ich muss mich hinlegen, der Joint entfaltet seine Wirkung.“ Kyra erhob sich und kam ins Taumeln. Geistesgegenwärtig sprang Folko auf und verhinderte, dass sie auf den Boden stürzte, indem er sie auffing und auf seine Arme hob.

Da bemerkte er die leere Flasche Rotwein unter dem Tischchen. Kyra hatte die dem Anscheine nach ganz alleine geleert. Sie verstand ihren Schwips gut zu verbergen, doch nun schien es ihr egal zu sein.

Folko trug sie in seinen Bungalow, betrat eine der beiden Schlafkammern und bette sie dort auf die Liege.

„Mir is schlecht! Ich glaub ich muss kotzen! Hast du nen Eimer oder so was. Folko eilte ins Bad und fand zu seiner Erleichterung gleich einen. Er kam gerade noch recht, um Kyras Strahl aufzunehmen.

„Mist! Nun hab ich mich auch noch vollgekotzt!" Halb im Taumel begann sich Kyra zu entkleiden, erst das T-Shirt, dann die Hose, bis sie  vollständig nackt  war, seine Gegenwart schien ihr dabei nicht zu stören, womöglich war sie auch zu betrunken um diese noch wahrzunehmen.

Folko begab sich noch mal in das kleine Badezimmer, besorgte einen Lappen, ein Handtuch und füllte eine Schüssel mit Wasser.

Kyra hatte sich auf dem Bett ausgestreckt. Ihr nackter Körper war schweißgebadet. Folko begann sie sanft mit dem feuchten Tuch abzureiben.

Zum ersten Mal konnte er sie entblöst betrachten. Schlank, extrem schlank, der Körper fast Knabenhaft. Die dauerhafte Mangelernährung forderte ihren Tribut, kein Lot Fett zu viel, man konnte die Rippen durch ihre Brust deutlich erkennen, trotzdem hatte sie erstaunlich gut entwickelte Muskeln. Ihre Brüste klein und flach, wie zwei Knospen, die sehnsuchtsvoll auf das Erblühen hoffen. Sie war deshalb nicht hässlich, ganz im Gegenteil. Ihr schmales Gesicht, die feinen Züge, die schmale leicht gekrümmte Nase und ein sinnlicher Mund. Es bedurfte nicht viel, hier und da eine leichte Veränderung, ein paar schicke Kleider und sie würde Folko auf jeden Empfang in seinen Kreisen begleiten können.  So glaubte er zumindest.

Kyra griff nach seiner Hand und hielt sie fest, Folko erwiderte mit einem sanften Druck.

„Ach, tut das gut! Ja, das machst du ganz phantastisch!“ flüsterte sie leise wie im Halbschlaf.

Folko betupfte ihre Stirn, hob ihren Kopf und hielt sie eine ganze Weile so. Als er vernahm das sie eingeschlafen war, bette er ihren Kopf sachte in das Kissen zurück, zog sich im Anschluss in die gegenüber liegenden Schlafkammer zurück und begab sich auch zur Ruhe.

Die stehende stickige Wärme im Raum verhinderte ein baldiges Einschlafen. Durch das geöffnete Fenster konnte er dem Gesang der Heimchen lauschen, sonst war es totenstill.

Lange lag er wach und sinnierte über die Erlebnisse des ereignisreichen Tages.

Er zählte die Stunden nicht, wie viel Zeit mochte wohl vergangen sein? Graute am Horizont etwa schon der neue Tag?

Plötzlich bemerkte er wie sich der Türspalt öffnete, Kyra schwarz-rot Schopf erschien.

„Kannste auch nicht schlafen?“ flüsterte sie mit halb zugekniffenen Augen

„Nein! Daran ist wohl nicht zu denken! Na komm doch rein, wenn du magst!“

„Danke!“

Kyra schlüpfte durch den Türspalt und mit einem Sprung lag sie an seiner Seite. Eine Decke benötigten sie aufgrund der hohen Temperatur nicht. Eine tiefe Umarmung und sie rieben ihre schweißnassen Körper aneinander, so als seien sie alte Vertraute, die sich eine Ewigkeit kannten.

„Danke, dass du dich um mich gekümmert hast. War wohl ein Schluck Wein zuviel!“ flüsterte sie ihm ins Ohr.

„Macht nichts! Kann vor kommen!“ erwiderte Folko, während er ihren Nacken streichelte.

Nun bedurfte es keiner Worte mehr. Premiere! Erste gemeinsame Liebesnacht, was braucht es da für Worte. Wieder hatte sich ein Paar gefunden. Das schien hier Schlag auf Schlag zu gehen. Lag am Ende über der kleinen Gartensiedlung gar ein Liebeszauber?

Lauschte man an den Türen der verschiedenen Hütten konnte man geneigt sein daran zu glauben, denn überall vernahm man die gleichen Laute. Mit einer Ausnahme.

Elena und Leander schliefen in dieser Nacht in getrennten Betten.

So war das Leben in der legendären Ur-Kommune. Spätere Generationen beriefen sich immer wieder gern auf dieses Beispiel. Wenn dieser Gemeinschaft auch kein langes Leben beschieden war und das dort aufblühende alternative Leben durch den Ausbruch der Revolution jäh unterbrochen wurde, so lag doch hier die Keimzelle der späteren Akratasischen Föderation, die ganz Melancholanien überziehen sollte, schließlich den Staat als solchen ersetzen würde. Darüber hinaus wirkten sie als Ideengeber für die unzähligen Kommunen auf der ganzen Welt, auf allen Kontinenten, die beschlossen, nach der Elena-Regel zu leben.

Es blieb nicht bei den 12 Leuten, weitere  gesellten sich hin zu, alle mit reichlich neuen Ideen und Vorstellungen im Gepäck. Bunte Vielfalt statt mausgrauer Eintönigkeit.

 

Schon Tags darauf startete man den Versuch, das theoretische Konzept der Praxis anzupassen.

Zunächst sollten die Arbeitsbereiche eingerichtet werden.

Elena trieb nun den Ausbau ihrer Praxis voran. Miriam, Kyra und Leander halfen ihr dabei bereitwillig, letzterer natürlich mit ausgesprochen gemischten Gefühlen. Kyra schien wie ausgewechselt, die neue Liebe tat ihr ausgesprochen gut, erweckte in ihr ungeahnte Energien. In einem der noch leer stehenden Bungalows sollte eine improvisierte Praxis eingerichtet werden, da gab es noch allerhand Handgriffe zu bewältigen.

Kovacs bereitete parallel dazu seine „kleine Volksschule“ vor, wie er sein Projekt zu nennen pflegte. Unterstützt von Gabriela und Klaus. Dieser machte natürlich nur mit, um der Langeweile zu entkommen, zum andern, um  Gabriela im Auge zu behalten. Auch er war Lehrer von Beruf, würde also hier entsprechend seinen Fähigkeiten wirken können.

Matthias ging nach wie vor seiner Arbeit auf der Agrarkooperative nach.

Alexandra versuchte sich in Verwaltungsaufgaben, Organisation und Koordination, ihr oblag, wenn man es denn so nennen will, das Management der jungen Gemeinschaft, das wurde bei dem drohenden Chaos auch dringend benötigt.

Kim schließlich erwies sich als ausgesprochen tüchtige Hausfrau, ob es um Kochen, Putzen, Einkaufen ging, stets war sie zur Stelle. Und das wichtigste, es schien ihr Spaß zu machen, endlich einmal etwas Sinnvolles .

Noch nicht versorgt waren zunächst noch Ronald und Folko. Doch die suchten und fanden schnell ihre eigene Bestimmung. Ronald, der gelernte Kfz-Mechaniker, richtete sich eine Werkstatt ein und begann Fahrzeuge aller Art instandzusetzen, dabei erwies er sich als ausgesprochen kreativ und geschickt. Seine Dienste waren begehrt, vor allem bei Leuten, die über wenig finanzielle Reserven verfügten.

Folko betätigte sich als, man höre und staune, als Sozialarbeiter. Mit Kyras und Kims Hilfe fand er schnell Kontakt zu den verwahrlosten Paria-Jugendlichen, versuchte deren Freizeit einen Sinn zu geben, indem er sportliche Aktivitäten anbot, sie zum Beispiel im Krafttraining unterrichtete und für viele unterschiedliche Angebote begeisterte.

Die Beschäftigung gab allen eine Erfüllung. Auch dadurch traten sie öffentlich immer deutlicher in Erscheinung.

Lediglich Leander fühlte sich deplatziert eingesetzt. Was aber konnte er sonst tun? Er war für ein Leben als Bandarbeiter bestimmt und in diesem Sinne gestaltete sich sein Leben, Alternativen waren nicht vorgesehen.

Er half bereitwillig bei den zu leistenden  Hilfsarbeiten, aber der Konflikt mit der Frau die er liebte, war absehbar. Zu sehr litt sein Stolz unter der Tatsache, dass er sich ihr wohl in allem nachzuordnen hatte.

Kovacs betrachtet das mit großer Sorge und entsann einen Plan.