Die verlorene Tochter

 

Hektisch, so als sei er vor irgend etwas auf der Flucht, radelte Kovacs durch das Tor der alten Fabrik, das entsprach gar nicht seiner Art, denn Hektik war inzwischen  zu einem Fremdwort in seinem Leben geworden, doch Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel.

Die Zeit drängte, er rechnete damit, dass Elena heute eintreffen würde, konnte sich nicht vorstellen wo sie ansonsten unterkommen sollte?

Er hastete die Gänge entlang, bis er sich schließlich vor Cornelius Arbeitszimmer wiederfand.

Mit einem Ruck öffnete er die Tür und erschreckte Cornelius.

„Kovacs? Was soll das? Warum kommst du so hektisch daher!“

„Ist sie schon da?“

„Wer?“

„Na Elena, wer denn sonst?“

„Elena, wie kommst du denn in aller Welt auf Elena?“ fühlte sich Cornelius überrumpelt.

„Dann müsste sie jederzeit hier aufkreuzen, ich dachte nur, sie sei schon da und ich käme eventuell  zu spät.“ gab Kovacs zu verstehen.

„Warum sollte Elena denn ausgerechnet bei mir aufkreuzen?“ fragte Cornelius sichtlich genervt.

„ Wo soll sie sonst hin, nach dem Erdbeben von gestern Abend?“

„Aha, du hast es auch gesehen?“

„Ja sicher! Ganz Melancholanien saß doch gestern Abend wie gebannt vor der Flimmerkiste, wie könnte ich mich da ausnehmen.“ gestand Kovacs.

„Ich glaube mich zu erinnern dass du einmal gesagt hast, dass du eher den ganzen Radung austrinken würdest, als dass dich jemand dazu bringt, eine solche Sendung anzusehen. Ist wohl schon ne Weile her, was?“ brachte Cornelius in Erinnerung.

„Natürlich sagte ich das! Aber gestern Abend gönnte ich mir  eine Ausnahme und es offenbarte sich, was ich versäumt hätte, wäre ich bei dieser Überzeugung geblieben. Ich habe alles vorbereitet.  Ich könnte Elena gleich mitnehmen, nachdem sie eingetroffen ist.“

„Na langsam, langsam, noch ist sie  gar nicht hier. Wir dürfen nicht so ungeduldig sein. Geduld ist das Gebot der Stunde. Sie braucht vor allem Ruhe und Zeit zum überlegen. So eine Wandlung ist ein tiefer Einschnitt. So etwas in der Art haben wir doch alle durch. Da darf man am Anfang nicht zu viel einfordern. Das kann leicht ins Auge gehen.“ warnte Cornelius.

„Also, wie ich Elena in Erinnerung habe, schien ihr das todernst gestern Abend. Die weiß genau, was sie tut. Und ich sage dir, sie wird kommen, du wirst sehen.“ beharrte Kovacs.

„Glaub mir, niemand wäre glücklicher als ich, wenn Elena jetzt zur Türe herein käme. Dieser Auftritt wird einiges bewegen. Sie hat es verstanden, die Massen aufzurütteln und das mit geradezu theatralischer Art, keiner wird diesen Abend so schnell vergessen, ich bestimmt nicht.“

„Ich auch nicht! Deshalb bin ich hier. Es besteht nämlich die Gefahr, dass sie aufgibt, noch bevor alles richtig ins Laufen kommt. Wenn ihr keine Helfer zur Seite stehen wird sie sich die nächsten Tage verdammt einsam fühlen . So was ist gefährlich.“

„Wem sagst du das? Aber ich kann es nicht ändern! Sie ist nicht eingetroffen, zumindest bis jetzt noch nicht. Ich habe keine Nachricht von ihr erhalten. Wir können nur abwarten und uns in Geduld üben.“

„Dann üb dich in Geduld! Ich werde derweil aufbrechen und nach ihr suchen.“ antwortete Kovacs recht ungehalten.

„Komm, setz dich wieder hin! Das ist doch Unsinn! Nach ihr suchen. Wo willst du denn nach ihr suchen? Sie kann im Moment überall sein . Bleib hier oder fahr wieder nach Hause und warte dort. Wenn ich mehr weiß, werde ich dir schon eine Nachricht zukommen lassen.

Kovacs tat wie ihm geheißen und nahm wieder Platz.

„Der Tag, den wir herbeisehnten, ist nun da. Mit Elena an unserer Seite wird sich das Blatt wenden, sie könnte zum Motor werden, der unserer Bewegung so lange gefehlt hat. Schnell müssen wir sie überzeugen und ganz an die Spitze stellen. Von nun an wird sie für uns sprechen.“

„Vielleicht, vielleicht aber auch nicht.“

„Wieso, hast du etwa Zweifel?“

„Eine gehörige Portion Zweifel hat noch niemals geschadet!“

„Ach Cornelius, du bist ein alter Miesmacher. Du weißt einfach nicht, was du willst. “ ärgerte sich Kovacs.

„Das ist es nicht. Du darfst auf keinen Fall die Gefahren außer Acht lassen, denen sie sich von nun an aussetzt.“

„Du glaubst, dass sie gefährdet ist?“

„Selbstverständlich!  Es ist doch nicht nur die Öffentlichkeit die in Aufruhr versetzt wurde. Es gibt zu viele denen sie von nun an im Wege steht. Die Regierung ist blamiert, die haben ihre oberste Einpeitscherin verloren und stehen jetzt im Regen. Gut, ich glaube nicht, dass aus dieser Richtung Unheil droht. Aber vom Blauen Orden mit Sicherheit, von denen geht im Moment die größte Gefahr für Elena aus denn  in dessen Augen ist sie eine Verräterin . Und was die mit vermeintlichen Verrätern machen, brauche ich dir nicht zu sagen.“

„Nein, das brauchst du wahrlich nicht!“ bestätigte Kovacs in Hinblick auf das Schicksal seiner Familie.

„Und dann wäre noch Neidhardt und seine Leute. Auch die müssen wir einkalkulieren.“ fuhr Cornelius fort.

„Neidhardt, wie kommst du denn auf den?“

„Weil sie ihm die Schau gestohlen hat und seine ehrgeizigen Pläne durchkreuzt.. Auch er könnte versuchen, sie auf irgendeine Art aus den Weg zu räumen. Sicher wird er sie nicht gleich umbringen lassen, möglicherweise versucht er zunächst sie auf seine Seite zu ziehen. Elena wird natürlich  seinen Lockruf überhören. Dann könnte er... ich weiß nicht, ich traue ihm einfach nicht über den Weg, er ist unberechenbar."

„Das kann sein! Ein Grund mehr, sie entsprechend zu schützen. Bei mir ist sie deshalb am besten aufgehoben, da vermutet sie keiner.“ bot Kovacs an.

„Das glaube ich auch, eine gute Idee sie mit nach draußen nehmen zu wollen. Hier bei mir würde man mit Sicherheit nach ihr suchen. Aber, wie gesagt, sie muss erst mal auftauchen, bevor wir weiter überlegen können.“

„Wo kann sie sein? Wenn man nur einen kleinen Anhaltspunkt hätte, das würde die Angelegenheit vereinfachen.“ bedauerte Kovacs."

" Aber den haben wir nicht, leider!“

In diesem Moment stürmte Mirjam zur Tür herein.

„Warum sind denn heute alle so hektisch? Was ist denn jetzt schon wieder los?“ erschrak Cornelius erneut.

„Eben hat Carlo angerufen. Stell dir vor, Elena ist bei Leander. Der hat sie in der vergangenen Nacht ausfindig gemacht und mit zu sich nach Hause genommen. Es ist niemandem aufgefallen, aber Leander möchte natürlich wissen, wie es weiter geht.“

„Leander, wie kommt der dazu? Also darauf wäre ich nie gekommen?“ stellte Cornelius erstaunt fest.

„Ich schon! Zwischen den beiden hat es gefunkt, im positiven Sinne, wenn du weißt was ich damit sagen will. Ein Teufelskerl! Genau das Richtige zur rechten Zeit. Eine tolle Leistung!“ begeisterte sich Kovacs.

„Ja also, Carlos sagt, sie bringen sie hier her. Ist das denn überhaupt mit dir abgesprochen?“ wollte Mirjam wissen.

„Was heißt abgesprochen. Ich habe denen nur aufgetragen uns Meldung zu erstatten wenn sie was von Elena in Erfahrung bringen.“ erwiderte Cornelius.

„Wird sie denn wieder bei uns wohnen? Soll ich alles herrichten?“ erkundigte sich Mirjam.

„Wenn sie das will, selbstverständlich. Aber ich denke unser Freund Kovacs hat was Besseres für sie gefunden.“ entgegnete Cornelius.

„Ich würde nicht sagen, etwas besseres. Ich bezeichne es als jene Art die ihr eher entspricht.“ gab Kovacs zur Antwort.

„Das muss sie entscheiden! Willkommen ist sie auf jeden Fall. Dann warten wir gespannt und harren ihrem Eintreffen.“ sagte Cornelius.

„Aber Leander? Nein wirklich, dass der die Initiative ergriffen hat? Wir sitzen und warten und er handelt. Der Junge ist in Ordnung. Das habe ich immer gesagt.“ lobte Cornelius.

„Wäre das nicht ein gegebener Anlass auch ihn mehr zu fördern? Der ist nicht nur mutig, sondern auch intelligent. Ich denke, er hat es verdient mit einer verantwortungsvollen Aufgabe betraut zu werden.“ schlug Kovacs vor.

„Hmm ja, könnte sein. Ich werde darüber nachdenken. Es gibt  sicher einiges wo man ihn einsetzen kann. Aber eine Arbeit kann ich ihm im Moment leider nicht beschaffen, wenn du das im Auge hattest.“ stimmte Cornelius zu.

„Ist mir schon bewusst! Bei der knappen Kasse. Aber es reicht schon, wenn du ihm wenigstens eine bedeutende Funktion zukommen lässt.“ gab Kovacs zu verstehen.

„Obwohl ich schon beruhig  wäre, er könnte sich dieser geisttötenden Arbeit in dieser Fabrik endgültig entziehen.“

„Tja, wenn, dann müssten schon alle, die dort tagein tagaus schuften davon erlöst werden.“ gab Mirjam zu bedenken.

„Glaubst du, dass der Tag kommen wird, da niemand mehr zu solchen Arbeiten gezwungen wird, Cornelius?“ wollte Kovacs wissen.

„Du kannst Fragen stellen! Das steht in den Sternen. Ich muss gestehen, dass ich darüber noch gar nicht nachgedacht habe . Es wird wohl immer solche geben, die solcherlei Arbeiten verrichten. Das ist traurig, aber wahr. Unsere Aufgabe besteht darin, es denen so leicht wie nur möglich zu machen.“

„Ein bisschen wenig, oder?“

„Zeige mir eine wirkliche  praxistaugliche Alternative und ich bin sofort bereit darauf einzugehen. Im Augenblick haben wir die aber nicht.“ bedauerte Cornelius.

„Das ist ja gerade das Traurige, da schlummern Talente einfach so vor sich hin und haben nicht die geringste Chance eingesetzt zu werden. Werden statt dessen verheizt, sinnlos vergeudet.

Talentlose Taugenichtse hingegen führen überall in Melancholanien das große Wort. Und warum? Nur weil sie aus den Reihen der Privo kommen.“ beschwerte sich Kovacs erneut.

„Ich gebe dir vollkommen Recht. Ich bedaure es ebenso. Leander ist das beste Beispiel oder glaubst du nicht auch, ich habe seine Fähigkeiten längst erkundet. Ich verspreche dir, ich werde sehen, was ich für ihn tun kann.“ versprach Cornelius.

Kovacs hatte gewonnen. Er hatte  von Anfang an im Sinn Cornelius auf Leander aufmerksam zu machen.

Er wollte dem Jungen schon immer helfen, bisher aber noch keine geeignete Methode gefunden. Wenn Leander Elena tatsächlich liebte, bedurfte es einer wirklichen Aufgabe für ihn, aber woher nehmen, wenn nicht stehlen? Guter Rat war teuer.

 

Sie saßen den Vormittag zusammen und warteten, die Zeit verstrich, aber Elenas Ankunft verzögerte sich.

Endlich trafen sie ein. Es war ein Risikobeladenes Unterfangen. Elena wurde versteckt auf einem LKW gebracht. Ein wenig unsanft in einem Berg von alten Kleidungsstücken verstaut.

Es wurden  fast täglich alte Kleider angeliefert, um diese unter den Paria zu verteilen.

Niemand schöpfte daher Verdacht. Weder der Staatsschutz, noch der Blaue Orden oder Neidhardts Leute, auch die Presse tappte im Dunkel.

Elenas Wagen hatte man an einem sicheren Ort gut getarnt. Der sollte am Abend auf einem Großtransporter, der Altmetalle geladen hatte, herbeigeschafft werden.

Das Tor wurde geschlossen, auf dem Hof waren sie vorerst in Sicherheit. Leander begleitete Elena, er ließ sie nun scheinbar nicht mehr aus den Augen.

Alle waren erleichtert als sie endlich das Gebäude betraten.

Leander griff nach Elenas Hand und drückte diese, sie ließ es geschehen.

Als sie vor Cornelius stand, fehlten ihr zunächst die Worte.

„Elena, was für eine Freude, dich wieder zu sehen. Ich hoffte unaufhörlich darauf und  nun bist du tatsächlich hier. Sei herzlich willkommen. Was du gestern Abend getan hast, war großartig, wir alle mögen dich dafür. Du gehörst jetzt zu uns.“ begrüßte sie Cornelius.

„Nun bin ich wirklich hier! Ich..ich freue mich so sehr wieder bei euch zu sein. Ich verging vor Sehnsucht. Ich fühle mich zum ersten Mal im Leben richtig daheim.“

Nur unter Mühe konnte Elena die Tränen unterdrücken.

„Das bist du in der Tat! Wir sind, wenn ich das mal so sagen darf, ab jetzt deine Familie!“ meinte Cornelius. „ Wie du dich unschwer überzeugen kannst ist das Begrüßungskomitee zumindest in kleiner Runde erschienen.“

„Schön, dass du wieder bei uns bist, wir habe dich alle vermisst! Herzlich willkommen!" Mirjam umarmte Elena liebevoll.

„Hier ist noch einer! Es tut so unendlich gut, dich wieder bei uns zuhaben. Ich freue mich unendlich, dass du gekommen bist.“ Auch Kovacs nahm sie in die Arme.

„Ich …ich weiß nicht was ich sagen soll! Mir fehlen die Worte und das will ja was heißen.“ antwortet Elena und alle schmunzelten.

„Es war schlimm, als ich wieder in meinem Hause lebte kam ich mir wie eine Besucherin vor, alles erschien mir auf einmal so fremd. Mein Leben wurde mir zur Last. Ich erkannte, wohin ich wirklich  gehörte. Bei euch habe ich erstmals echte Liebe, Verständnis, Achtung kennen lernen dürfen und noch so vieles mehr, was das Leben reicher macht. Ich habe mich entschlossen! Gerne würde ich für immer bei euch bleiben, wenn ihr mich denn wollt.“ Lautete ihr Geständnis.

„Und ob wir dich wollen! Wir sind uns alle einig. Da bist willkommen.“ beruhigte Cornelius.

„Und ich darf auch bei euch wohnen?“

„Selbstverständlich, bei mir  wird es immer einen Platz für dich geben. Allerdings hat unser Freund Kovacs ein anderes Angebot für dich.“ bemerkte Cornelius.

„Richtig! Elena, du kennst doch meinen alten Bungalow, draußen am Stausee, zwischen den Feldern. Dort hat es dir doch ganz besonders gut gefallen, oder irre ich mich da.“ setzte Kovacs nach.

„Ja, sehr gut! Eine wunderschöne Gegend!“

„Es gibt noch eine Reihe weitere Häuschen dieser Art, die sind derzeit unbewohnt.

 Wie wäre es, wenn du einen Bungalow bewohnen könntest? Natürlich nur, wenn du magst. Zu diesem Zweck habe ich mit einigen Helfern schon vor ein paar Tagen einige notdürftige Renovierungsarbeiten durchgeführt. Jetzt steht er bereit, du brauchst nur noch einzuziehen.“

„Das…das hast du für mich getan? Aber du wußtest doch gar nicht, ob ich tatsächlich komme?“ wunderte sich Elena.

„Gewusst nicht, aber gehofft und innerlich gespürt, jetzt bist du da,  komm und nimm dein neues Zuhause in Besitz.“

„Oh Kovacs, danke! Ich danke dir! Ich danke euch allen!“

Sie fiel Kovacs um den Hals dabei füllten sich ihre Augen  mit Tränen.

„Du kannst aber auch hier bleiben. Das musst du entscheiden. Auch wir nehmen dich sehr gerne auf in unsere Hausgemeinschaft.“ bot Mirjam noch einmal an.

„Ich würde dann mit Kovacs gehen! Ich kann es gar nicht erwarten! Ich freue mich schon auf die abendfüllenden Gespräche mit dir, die habe ich so sehr vermisst.“ entschied Elena spontan.

„ Und wie ich mich erst freue. Wir haben uns so viel zu erzählen, das kann ich dir versprechen.“ erwiderte Kovacs

„Ja also, wie ich sehe braucht ihr mich ja nicht mehr, ich gehe dann mal.“ schaltete sich Leander in das Gespräch ein.

Hier waren die Intellektuellen unter sich, er kam sich außerordentlich deplatziert vor. Der Prolet hatte seine Schuldigkeit getan, nun konnte er gehen. Es blieb am Ende doch immer alles beim Alten.

Kovacs hielt ihn zurück.

„Nix da, Leander, hier geblieben! Wo willst du den auf einmal hin? Du kommst mit uns, wenn ich Elena ihr neues Heim zeige. Du musst doch wissen, wie Elena lebt, wenn du sie besuchen kommst.“

„Warum sollte ich Elena besuchen? Ich weiß gar nicht, ob sie mich wieder sehen will.“

„Aber selbstverständlich will sie das! Leander, was ist denn? Mein Retter! Du wirst mir jederzeit willkommen sein, wann immer du magst.“ Elena strich im über die Wange.

„Na, dann wäre ja alles geklärt. Ach so, ja, Leander, bevor ich es vergesse. Du wirst dich ohnehin die Tage mal bei Cornelius melden, der hat eine wichtige Aufgabe für dich. Du sagtest doch vorhin was vom Orga-Team oder? Da wolltest du Leander hinzuziehen.“ glaubte sich Kovacs zu erinnern.

„So, hab ich das? Ach so ja das! Vorhin! Ja klar, komm doch einfach zu mir, wann du Zeit hast, Leander, dann besprechen wir alles in Ruhe.“ bestätigte Cornelius.

Wieder war es Kovacs gelungen, Cornelius zu überrumpeln, nun hatte Leander seinen Posten so gut wie sicher.

„Wenn du willst, Elena, können wir so bald als möglich aufbrechen!“ bot Kovacs an.

Elena gelang es nicht mehr ihre Rührung zu verbergen. Plötzlich wollte alles aus ihr heraus.

„Ich weiß nicht, was mit mir ist. Plötzlich kommt alles in mir hoch. Ihr seid alle so gut zu mir, dabei habe ich das nicht im Geringsten verdient. Eurer aller Verachtung ja, aber nicht diese herzliche Aufnahme.“

Elena begann heftig zu weinen. Kovacs nahm sie in die Arme, auch die andern, Cornelius und Mirjam, traten hinzu und nahmen sie in die Mitte, Leander stand weit abseits, näherte sich erst dann, nachdem ihn Kovacs mehrfach dazu aufgefordert hatte. Sie nahmen Elena in ihre Mitte.

Jeder versuchte auf seine Weise, die neue Schwester aufzurichten. Da saßen sie eng beisammen, die Keimzelle einer neuen, einer gerechten Welt.

Ein bewegender Moment,  geradezu historisch.

 

Später packten sie Elenas Gepäck in Kovacs alten Lieferwagen, der sich die meiste Zeit auf dem Fabrikgelände befand. Kovacs benötigte diesen  nur gelegentlich statt dessen  bewegte er sich lieber mit dem Fahrrad.

Damit wollte sie gleich zum Bungalow fahren. In dem alten klapprigen Gefährt würde man erst recht keine Elena vermuten.

Wieder wollte sich Leander zurückziehen.

„Ich mache mich dann los. Wenn ihr mich braucht,  meldet euch einfach!“

„Ich habe mich vorhin doch deutlich ausgedrückt, oder? Du kommst mit, Leander!“ entgegnete Kovacs im Befehlston. Der wollte etwas erwidern. „Keine Widerrede! Du wirst uns begleiten.“

„Ihr habt doch ohnehin nur Platz für zwei!“

„Na, dann fährst du einfach auf der Ladefläche!“

Kovacs schien immer die passende Lösung parat.

Zögernd nahm Leander die Einladung an, obgleich ihm nichts ehr wohl dabei war.

Elena nahm auf dem Beifahrersitz Platz, er beobachtete die beiden vom Ladedeck. Kovacs startete und setzte seinen Leichtransporter in Bewegung. Schon nach kurzer Zeit begann er heftig zu beschleunigen, er war für seinen rasanten Fahrstil bekannt. Nur unter großen Schwierigkeiten gelang es Leander, Balance zu halten. Während die beiden vorne heftig miteinander schäkerten, flog er hinten auf der Ladefläche von einer Seite zur anderen. Warum hatte ihn Kovacs nur so gedrängt mitzukommen, nun tat der so, als sei er gar nicht mehr vorhanden.

Die beiden passen ohnehin viel besser zueinander! Dachte Leander voller Grimm.

Hätte Kovacs nicht schon sein Herz an den strammen Landwirt Matthias verloren, Elena wäre wie geschaffen für ihn, ein Traumpaar . Nein, da konnte er nicht mit halten.

Das klapprige Gefährt nahm seine Fahrt durch die Getreidefelder, die sich im satten Beige des August präsentierten. Da es seit einigen Tagen nicht mehr geregnet hatte, zogen sie eine Staubwolke hinter sich her. Etwas davon drang auch auf das Ladedeck, was Leander zusätzlich noch zu heftigen Hustenschauern reizte.

„Fahr nicht so schnell! Denk dran, wir haben Leander auf der Ladefläche!“ mahnte Elena schließlich.

„Ach, an den hab ich gar nicht mehr gedacht! Gut das du mich erinnerst. Da muss ich einen Gang zurückschalten.“ bemerkte Kovacs.

„Ach der Ärmste, hoffentlich hat es ihn nicht zu sehr durchgeschüttelt! Hey Leander, bist du noch da?“ erkundigte sich Elena.

„Ja! Schön, dass ihr euch meiner erinnert!“ erwiderte Leander etwas barsch.

„Wir sind gleich da! Da bist du erlöst!“ rief Kovacs nach hinten.

Endlich waren sie am Ziel. Als Kovacs allzu scharf bremste, schleuderte es Leander um ein Haar vom Ladedeck 

Verbittert entstieg er dem Kasten. Elena schenkte ihm keine weitere Beachtung, sondern konnte gar nicht genug frohlocken beim Anblick der Umgebung.

„Ach, wie traumhaft schön! Ich weiß nicht warum, aber ich fühle mich wahrhaft zu Hause.“ Sie rannte auf eine kleine Anhöhe und blickte auf den See. Die leichte Brise ließ ihr Haar  dabei seitlich flattern.

„Komm, Leander, du kannst mir beim Abladen helfen!“ meinte Kovacs und es klang schon fast wie ein Befehl.  Als Gepäckträger war er gut zu gebrauchen.

Sie schleppten die schweren Taschen ins Innere der frisch renovierten Hütte in der es noch ein wenig nach Latex und Tapezierkleber roch, aber bei einigem Lüften würde sich der Geruch bald verflüchtigen.

Noch hatte sich Elena nicht von ihrem früheren Leben verabschiedet, denn es war allerhand an Gepäck, das transportiert werden musste. Dementsprechend schwer hatte Leander zu tragen.

Als sie fertig waren, erschien auch Elena im Inneren.

„Wie du siehst ist sie sogar ein klein wenig komfortabler als meine. Zwei Räume, das eine als Wohn- und -Arbeitszimmer, das anders als Schlafzimmer. Dazu eine kleine Küche, sowie Dusche und Toilette.  Es sieht noch ein wenig kahl aus. Aber das liegt daran, dass noch nicht alle Möbel eingetroffen sind, das haben wir leider nicht mehr geschafft. Die kommen in ein paar Tagen. Du kannst dich so einrichten, wie es dir beliebt. Auch wenn es deiner Meinung nach etwas zu ändern gibt. Ich denke aber, ich habe nicht zu viel versprochen.“

„Nein, das hast du wahrlich nicht! Es ist wundervoll. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Und das habt ihr alles für mich getan? Ich fasse es nicht!“

„Wir haben es gern getan! Wir möchten, dass du dich hier wohl fühlst.“ antwortete Kovacs.

„Das werde ich! Ganz bestimmt! Nun Leander, hast du hier auch kräftig mit gepinselt?“ wollte Elena wissen.

„Nein, habe ich nicht! Ich wusste nicht mal davon. Aber macht nichts, Hauptsache es gefällt dir!“ gab dieser mit frustrierendem Unterton zu verstehen.

„Danke! Nochmals danke für alles! Ich glaube, wir werden hier sehr glücklich!“ Elena fiel Kovacs um den Hals.

„Das kann ich mir vorstellen. Ich wünsche euch viel Spaß dabei. Also ich geh dann mal, ist schon reichlich spät.“ Leander wollte sich einfach nur verdrücken. Er hatte genug.

Doch wieder lehnte Kovacs ab.

„Kommt nicht in Frage! Ich habe ein Begrüßungsessen vorbereitet. Drüben bei mir. Da gehen wir jetzt hin, lassen es uns schmecken und reden dabei über Gott und die Welt. Danach kannst du dich hier in aller Ruhe einrichten.“

Erneut musste sich Leander geschlagen geben.

Die beiden gingen hinüber. Kovacs Stube wirkte einladend wie immer. Elena freute sich im Inneren wie ein kleines Kind. Auf die bevorstehenden geistreichen Abende mit Kovacs und all den Anderen.

Sie blickte sich um. Daheim, endlich daheim. Ein Zuhause, wie sie sich im Unterbewussten stets gewünscht hatte.

Schnell hatte Kovacs aufgetragen. Es gab Risotto mit allerlei Pilzen und sogar etwas Hühnerfleisch. Der Vegetarier Kovacs war ausnahmsweise mal über seinen Schatten gesprungen. Und jede Menge frische Salate, die gab es bei ihm immer zuhauf. Elena konnte gar nicht genug davon bekommen.

Dazu tranken sie erlesenen Weißwein. Eine gute Marke, wo er den bloß her hatte, nein, ein Kostverächter war Kovacs auf keinen Fall.

Alle waren guter Dinge, auch Leander hatte sich zunächst wieder gefangen. Sie flachsten und scherzten herum. Dann begannen sie tiefer zu schürfen in ihrer Gedankenwelt, am Anfang konnte Leander noch mit halten. Doch dann bereitete es ihm zunehmend Schwierigkeiten, dem intellektuellen Touch zu folgen. Nach und nach degradierten sie ihm zum bloßen Zuhörer.  Als sie schließlich  französisch zu reden begannen, hatte er genug.

„Tschüss, ich geh dann! Bis demnächst!“

Diesmal hielt ihn keiner auf. Beide schienen es nur am Rande mitzubekommen, so vertieft hatten sie sich in ihr Gespräch.

„Ja, tschüss Leander. Bis denne! Und nochmals danke für alles.“ rief Elena ihm nach. Schnurstracks trat er den Heimweg an. Noch war es hell, doch er hatte einen langen Fußmarsch zu absolvieren. Die Welt lief wieder in gewohnten Bahnen. Die Gebildeten hatten sich gefunden und gaben sich den schöngeistigen Dingen hin. Es war nicht seine Welt. Er fühlte sich wie hinein geborgt. Da halfen auch noch so viele schlaue Bücher nicht weiter, die er inzwischen gelesen hatte. Außerdem musste er  morgen in aller Frühe raus. Um 4 Uhr nämlich begann die Frühschicht. Die beiden Intellektuellen die er zurückgelassen, konnten ausschlafen.

 

 

In den Folgetagen richtete Elena ihr neues Domizil ein. Wie versprochen erschienen Leute aus dem benachbarten Pariadorf und brachten die versprochenen Möbel. Alles aus zweiter Hand, aber gut in Schuss. Sie halfen auch wie selbstverständlich beim Einrichten. Das alles ging binnen kurzer Zeit über die Bühne. Elena konnte nun ein gemütliches Zuhause ihr Eigen nennen. Es machte ihr Spaß, dieses neue Leben in Einfachheit und Beschaulichkeit. Noch vor wenigen Tagen hätte sie das nie für möglich gehalten. Schon die gebrauchten Möbel. Es wäre ihr ein leichtes gewesen ihren Bungalow mit schicken Designermöbel zu bestücken, noch verfügte sie  über ausreichend finanzielle Reserven. Doch sie entschied sich ganz bewusst dagegen. Schnell machte sie die Feststellung, dass sie ohne diesen Luxuskram viel besser zurecht kam.

Als alles fix und fertig eingerichtet war, kam für sie der Moment der Planung. Wie sollte es jetzt weiter gehen? Weiterhin ein Leben in Müßiggang? Auf der faulen Haut liegen? Das wollte sie auf jeden Fall vermeiden.

Finanziell abgesichert, konnte sie für eine längere Zeitspanne auf eine Erwerbsarbeit verzichten. Sie verfügte über ausreichend freie Zeit und konnte entscheiden, ob und was sie tun wollte. Auf jeden Fall sollte es etwas Sinnvolles sein, eine Tätigkeit zum Nutzen jener Menschen, die nicht  auf Rosen gebettet waren.

Kovacs hatte sicher längst etwas in die Wege geleitet.

Sie wartete zunächst ab, genoss die schönen Tage des sich prächtig entwickelnden Spätsommers, schwamm im Stausee ihre Runden oder nahm ein Sonnenbad. Machte auch lange Wanderungen, um die Umgebung zu erkunden.  Ihr altes Leben vermisste sie nicht im Geringsten.

Kovacs war häufig unterwegs, so dass sie allein mit sich und ihren Gedanken war.

Am späteren Nachmittag und am Abend saßen sie zusammen, diskutierten, lasen Bücher, kochten gemeinsam und aßen. Meist waren sie zu zweit, hin und wieder war Matthias, Kovacs Lebensgefährte anwesend.

Langweilig wurde es ihr nie, eigentlich war immer etwas los.

Leander bekam sie hingegen nicht zu Gesicht.

Schließlich hatte der zu arbeiten, die Schichten dauerten lange und wenn er dann müde und abgespannt von der Arbeit kam, hatte er kaum noch den Elan raus zu fahren nur um diesem hochgeschraubten Gewäsch zu lauschen. Doch von Kovacs wusste Elena, dass er früher sehr oft zu Besuch kam. Was war geschehen? Mied er sie bewusst? Traute er sich deshalb nicht mehr hier her? Hatte sie ihn unbewusst gedemütigt?

Aber gerade das wollte sie doch vermeiden.

Elena begann sich mit der Zeit ernsthafte Gedanken  zu machen. Aber ändern konnte sie es nicht. Er bedeutete ihr etwas, sie würde ihn nicht zurückweisen doch lag es an ihm den ersten Schritt tun.

Wichtiger schien ihr im Moment die Frage einer sinnvollen Tätigkeit.

Als sie eines Abends zu zweit in Kovacs Hütte saßen, glaubte sie den rechten Zeitpunkt gefunden, um  nachzuforschen.

„Also, nun bin ich fast eine Woche hier, alles läuft bestens. So ein Urlaub ist toll, aber auf Dauer nicht zu rechtfertigen, denke ich. Was meinst du, Kovacs, wäre es an der Zeit sich Gedanken zu machen, ob und was ich tun könnte. Etwas Sinnvolles, etwas Nützliches, etwas von Bedeutung, das der Allgemeinheit zu gute kommt?“

„Hmm, natürlich! Wir wollen auf jeden Fall vermeiden, dass du dich hier langweilst. Lass mich überlegen. Was könntest du tun? Ist gar nicht so einfach!“ wollte Kovacs feststellen.

„Ach komm, alter Gauner! So wie ich dich kenne, hast du dir doch längst etwas ausgedacht oder sollte ich mich da täuschen?"

„Ich wüsste schon, was du sinnvolles tun könntest!“

„Und das wäre?“

„Ich gehe mal davon aus, dass du mal einen ganz passablen Beruf erlernt hast?“ wollte Kovacs wissen.

„Ich bin Ärztin, aber das weißt du doch. Warum fragst du?“ Elena wusste nicht recht, worauf er hinaus wollte.

„Hier in östlicher Richtung gleich hinter den Feldern beginnen die illegalen Siedlungen der Paria. Wellblechhütten, uralte ausgediente Wohnwagen, einige haben sich auch in unbenutzte Schrebergärten eingenistet. Jederzeit können die vertrieben werden. Schon lange entpersonifiziert, mit anderen Worten, sie existieren für unsere Gesellschaft nicht mehr.“ erklärte Kovacs.

„Ich kenne den Status der Paria! Worauf willst du hinaus?“ unterbrach Elena.

„Wer nicht existiert, hat keine Rechte, ist vogelfrei. Wer nicht vorhanden ist hat in Folge dessen auch keinen Anspruch auf medizinische Versorgung, da ihm die entsprechende Sozialversicherung fehlt.

Geld haben die natürlich auch nicht, um sich etwa privat behandeln zu lassen, versteht sich von selbst.

Aber es gibt viele Kranke unter denen, die dringend der medizinischen Hilfe bedürfen.

Wäre das nicht eine ideale Aufgabe für dich ?“

Elena schien zunächst geschockt, denn auf so etwas war sie ganz und gar nicht vorbereitet.

„Ich? Wieder als Ärztin? Zugegeben, ich habe selbst daran gedacht. Du spielst da sicher auf den Schluss meiner Ansprache im Fernsehen an. Im Nachhinein kann ich sagen, war etwas voreilig von mir dahingesagt. Ich habe in diesem Beruf schon seit  geraumer Zeit nicht mehr gearbeitet. Eigentlich nur ganz kurz direkt nach dem Studium, dann glitt Stufe ich für Stufe in das Glamourleben.  Ich bin mir nicht sicher, ob ich das noch könnte. Sicher, Lust habe ich schon, vor allem aber Angst dort zu versagen.“

„Du musst dich nicht sofort entscheiden. Lass dir Zeit, überlege in Ruhe. Wir können uns alles erst einmal betrachten. Du musst ja auch wissen, mit welchen  Leuten du es zu tun bekommst. Einfach ist das nicht, aber ich nehme an das ist auch mir bewusst. Du würdest aber viele Helfer bekommen. Ich bin mir sicher,dass es im Moment das bester für dich wäre .“ beschwor Kovacs.

„Also gut! Ich bitte mir Bedenkzeit aus. Ich werde in ein paar Tagen entscheiden. Du musst mich aber überall einführen!“

„Selbstverständlich! Ich fädele alles ein. Das heißt, im Prinzip hab ich schon damit begonnen.“

„Hab ich mir fast gedacht!“ schmunzelte Elena.

„Natürlich gibt es noch etliche weitere Betätigungsfelder für dich, viele Initiativen brennen nur darauf,dich zu kontaktieren. Dass Cornelius dich gern in seinem Stab hätte, versteht sich sicher von selbst.“ fuhr Kovacs weiter fort.

„Also politisch aktiv werden?“

„Ich denke, daran geht kein Weg vorbei. Du wärst eine große Bereicherung für die Bürgerbewegung. Doch auch hier musst du allein entscheiden. Die nächsten Wochen warten wir ohnehin erst mal ab. Wenn sich die Wogen einigermaßen geglättet haben könnten wir es wagen, dich in der Öffentlichkeit zu präsentieren.“ ließ Kovacs nun die Katze aus dem Sack.

„In der Öffentlichkeit? Also doch wieder. Das wollte ich eigentlich vermeiden. Ich hab dieses Kapitel gerade erst abgeschlossen. Wenn ich irgendwo auftrete richten sich die Blicke doch wieder nur auf mich. Ich weiß nicht, ob das gut wäre?“ schwankte Elena.

„Wie gesagt! Es eilt nicht! Lass dir Zeit, auch damit! Aber bedenke, welchen Dienst du für dieses geschundene Volk damit leisten würdest.“

Elena schwieg in sich gekehrt. Kovacs wollte sie heute auch nicht weiter bedrängen, deshalb versuchte er das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

„Und Leander? Läuft da was in der Richtung?“

„Wie laufen? Ich verstehe die Frage nicht!“

„Elena du verstehst sehr gut. Der bedeutet dir etwas und du ihm, das sieht doch ein Blinder mit Krückstock. Es wäre doch nett, wenn ihr euch regelmäßig trefft, mal was gemeinsam unternehmt oder so, euch dabei näher kommt…“

„Langsam, langsam Kovacs! Du willst mich doch wohl nicht etwa verkuppeln, oder?“ bog Elena zunächst ab.

" Normalerweise braucht man das bei zwei erwachsenen Menschen, die sich mögennicht, weil die von ganz alleine zu einander finden. Aber bei euch zwei, denke ich, müsste man schon nachhelfen, ihr tut euch ausgesprochen schwer.“

„Und das aus gutem Grund. Es ist bisher gar nichts gelaufen! Sicher mag ich ihn, sehr sogar, aber ob man hier gleich von Liebe und Beziehung sprechen kann, ich weiß nicht, dafür ist es noch viel zu früh.“

„Ich weiß ja nicht, wie lange ihr warten wollt? Aber das Leben ist kurz. Es kann jederzeit zu Ende sein und dann? Lasst euch also nicht zu viel Zeit. Ach, Elena du bist in ihn verknallt, gib es zu!“

„Ach hör auf, Kovacs, das geht zu weit! Ich meine, ich habe, ich wollte…. Ach Mist. Ja, ich bin verknallt in ihn. So, bist du jetzt zufrieden?“ nun war es raus, Kovacs lachte sich eins ins Fäustchen

„Oh ja, sehr sogar! Das ist genau das, was ich hören wollte! Also brauch ich mir keine Gedanken machen, dann wirst du dich von allein in dieser Richtung bewegen. Wann dürfen wir den jungen Mann denn wieder begrüßen? Hat sich lange Zeit nicht mehr sehen lassen.“

„Aber dafür kann ich doch nichts! Ich lauf ihm nicht nach! Da muss er  schon die Initiative ergreifen. Wenn er das nicht für nötig hält, dann ist das sein Problem.“

„Ihr seid zwei harte Brocken! Setzt euch hin und jeder wartet auf des Anderen ersten Schritt. So wird das nie was. Da muss der alte Kovacs seine Phantasie spielen lassen.“

„Also doch verkuppeln?“

„Richtig, und zwar mit allem, was dazu gehört. Du wirst schon sehen.“

„Sag mal, Kovacs, warum werden wir eigentlich kein Paar, würden doch gut zueinander passen, oder?“ stellte Elena plötzlich fest.

„Elena, das meinst du nicht im Ernst?“

„Warum denn nicht? Findest du mich nicht attraktiv?“ Elena legte ihre Hand auf die seine.

„Es gibt in Melancholanien wohl kaum jemand, der dich von der Bettkante schubsen würde, weder Mann noch Frau. Allein deine Berührung lässt bei mir die Glückshormone Tango tanzen. Die Frage ob ich dich attraktiv finde, stellt sich nicht.“

„Woran liegt es dann?“

„Ich bin, wenn dir das entgangen sein sollte, bereits vergeben und diese Beziehung fordert ganzen Einsatz. Da geht es nicht selten auf und ab. Matthias lebt zwar nicht ständig hier, aber im Moment sind wir wieder derart auf einander fixiert, das für Parallelbeziehungen wenig Raum bliebe.“

„Das beantwortet meine Frage nicht. Wir können doch polyamory leben, tun doch viele aus der Privokaste.“

„Du sagst es. Selbstverständlich würden wir hervorragend zueinander passen. Zu gut, Elena.  Wir gäben, um es mal gelinde zu sagen, das ideale Traumpaar.  Das liefe einfach zu glatt, zu perfekt. Elena und Kovacs, was für eine Beziehung.

Ich sehe schon die Schlagzeilen in der Boulevardpresse. Elena findet auf ihren Trip in die Niederungen sozialer Abgründe den lange verschollenen Dichter Kovacs wieder. Die beiden finden sich, werden ein Paar, leben glücklich bis zum Ende ihrer Tage.“

„Und was wäre so schlimm an dieser Vorstellung?“

„Alles! Die große Intellektuelle paart sich mit dem von allen bewunderten Gelehrten, während der Prolet sich seine Proletissima sucht. Oh, wie öde und langweilig. Nein! Gerade wenn sich soziale oder intellektuelle Grenzen aufweichen, wird es spannend, dass gibt der Sache doch erst die richtige Würze. Hier keimt etwas, was morgen oder übermorgen zur vollen Blüte gelangt, wenn wir nur wollen. Hier begegnen sich Menschen aus den verschieden Schichten und finden zueinander, überwinden ihre gegenseitige Abschottung. Wäre das nicht wundervoll?“

„Zu schön, um wahr zu sein. Ich glaube nicht, dass das funktioniert. Kovacs, du bist ein alter Idealist. Die Realität sieht anders aus. Davor hab ich Angst.“ gestand Elena.

„Und genau die musst du überwinden. Lass dich auf die Beziehung zu Leander ein, du wirst sehen, es wird ein Hochgenuss für euch beide. Genau das erlebe ich jetzt mit Matthias, der ist auch kein Privo, auch kein Studierter, wir sind auf den ersten Blick erst mal total verschieden. Am Anfang gab es deshalb mächtig Zoff. Aber gerade diese Verschiedenartigkeit hat uns zusammengebracht, es heißt nicht umsonst, dass sich Gegensätze an ziehen. Sicher, wir leben in unserer eigenen Welt, was drum herum läuft, braucht uns nicht weiter zu interessieren. Viele können sich eine solche Einstellung nicht leisten. Wir aber können es. Du und Leander auch.“

„Wenn du meinst!“

„Ich meine, lass es einfach darauf ankommen. Du hast doch nichts zu verlieren dabei!“

„Aber da müssen wir erst mal zusammenkommen und wie du siehst, hält er es nicht für nötig, hier zu erscheinen.“

„Hast du ihn eingeladen?“

„Wie eingeladen?“

„Na, gib ihm ein Zeichen, lass ihn verdammt noch mal wissen, das du ihn sehen willst!“

„Du bist lustig! Wie soll ich das denn machen? Also doch zu ihm laufen. Ihn auf Knien bitten, oder so.“ lehnte Elena weiter ab.

„Wofür gibt es eigentlich Telefone?“

„Ist auch nichts anders. Ich rufe ihn nicht an!“ Elena schien sich im Schmollwinkel sehr wohl zu fühlen.

„Na gut! Dann werde ich es eben tun. Keine Widerrede! Das kann man ja nicht mehr mit ansehen.“

 

Als Elena sich in ihren Bungalow zurück gezogen hatte, war ihr gar nicht mehr bewusst, was sie eigentlich suchte. Kovacs hatte sie gründlich durcheinandergebracht. Die Sache mit Leander hing ihr nach, doch wollte sie sich im Moment nicht auch noch mit einer komplizierten emotionalen Beziehung belasten, es war auch ohne die schon schwer genug, in diesem neuen Leben Fuß zu fassen.

Sie warf sich auf ihr Bett und schlief bald ein, sollte der morgige Tag doch für sich sorgen.

 

In Leanders Leben war der Alltag zurückgekehrt. Es schien, als habe das Abenteuer mit Elena gar nicht stattgefunden. Das Fließband bestimmte weiter seinen Tagesrhythmus und forderte vollen Einsatz.

Groß war die Versuchung, einfach mal bei Kovacs  rein zuschauen. Schließlich würde er den besuchen, so wie vorher und eben ganz zufällig auch Elena dort antreffen. Andererseits fühlte er sich weiter deplatziert. Die beiden passten einfach bedeutend besser zueinander, das konnte jeder sehen. Die hatten sich gesucht und gefunden. Er war zwar davon ausgegangen, dass Kovacs sich mehr zu kräftigen athletischen Männern hingezogen fühlte, was man an seinem neuen Liebhaber Matthias unschwer erkennen konnte, doch schien sich das Blatt inzwischen gewendet.

Ach, sollten sie doch machen, sollten sie glücklich miteinander werden.

Sich cool und gelassen geben, nur so würde er Frieden in seinem Inneren finden. Doch es wollte nicht gelingen, die Eifersucht nagte schmerzend  an seiner Seele, er kam sich vor wie am Marterpfahl. Vor allem nachts piesackte es gewaltig. Dieses engelgleiche Gesicht, dieser makellose Körper,  diese kupferrote Lockenmähne, die ganze Art, wie sie sich bewegte, wie sie sprach, wie sie lächelte, das ließ ihn nicht mehr los. Er schien wie besessen von ihr. Er musst sie einfach haben und wusste doch, dass das unmöglich war, Preka und Privo, das konnte nicht gut gehen. Das käme einem Tabubruch gleich. Es gab eben Grenzen, die niemand zu überschreiten wagte und das aus gutem Grund. Was hatte er ihr zu bieten? Nichts? Er war ein Niemand! Sie der vergötterte Star! Auch wenn sie gerade im Begriff war, ihr Leben gründlich umzukrempeln, versuchte einfacher, bescheidener zu leben, etwas Sinnvolles tun wollte. Sie blieb auch dort, was sie war der Übermensch, die Powerfrau, die ihresgleichen suchte. Für ihn unerreichbar, gleich einem Wesen aus einer fernen Dimension.

Er musste sich damit abzufinden, basta! Je schneller, desto besser. Nein, er würde nicht an den See fahren! Einfach Schluss machen, solange es noch ging.

Doch ausgerechnet jetzt erreichte ihn Kovacs Nachricht, dass der angeblich dringend die geliehenen Bücher brauchte. Der schien auch nicht zu wissen, was er wollte, hatte er doch ausdrücklich versichert, die seien ein Geschenk. Na gut, sollte er sein Eigentum zurückbekommen. Also doch noch mal raus an den See, einmal noch in  Elenas Augen blicken und dann Schluss.

 

Etwa eine Stunde Fußweg brauchte Leander bis zum Stausee. Er lief gemütlich, Eile nicht geboten! Warum auch? Einerseits konnte er es kaum erwarten, Elena wieder zu sehen, auf der anderen Seite hatte er schrecklich Angst vor der Begegnung. Am Ende würde sie ihm doch nur wieder verletzen.

Langsam durchschritt er die reifen Getreidefelde, vor ihm lag der See, azurblaues Wasser spiegelte die Sonne.Der Sommer hatte noch einmal aufgeholt. Leander hielt inne und blickte lange auf das friedlich vor ihm schwappende Gewässer.

Kehre lieber um. Sprach eine innere Stimme. Als er jedoch er ein paar Schritte in die entgegen gesetzte Richtung gelaufen war, kam er sich albern und kindisch vor.

Angst vor Elena? Das kam nicht in Frage! Er machte kehrt und nahm  die letzten Meter mit einer gewissen Leichtigkeit.

Schon befand er sich vor Kovacs Laube. Der Garten drum herum wirkte wie immer etwas verwildert.

Er ging um die Hütte, blickte auf den Feldweg und das gegenüberliegende Weizenfeld.

„Hallo, ist keiner da?“

„Ach Leander, da bist du ja. Hast dich  auch schon lange nicht mehr blicken lassen. Schade. Aber du wirst sicher deine Gründe haben.“ begrüßte ihn Kovacs, der gerade von Seeufer zu kommen schien.

„Hier, ich hab die Bücher mitgebracht, die du wieder haben wolltest.“

„Bücher? Ach so, ja die Bücher! Richtig! Ja..äh gib her. Die brauche ich mal für eine Weile wieder.“ antwortete Kovacs auf eine etwas rätselhafte Weise.

Leander blickte aufgeregt um sich, so als suche er etwas ganz bestimmtes.

„Wenn weiter nichts ist, dann gehe ich mal wieder! War schön, dich wieder zu sehen.“

„Wie? Du willst schon gehen? Komm, setz dich doch erst mal. Hast du Durst? Möchtest du etwas trinken. Ist sicher angenehm bei den Temperaturen, denke ich!“ lehnte Kovacs ab.

„Na gut, eine kurze Weile kann ich bleiben.“ Leander nahm auf der alten Holzbank direkt neben dem Eingang zum Bungalow Platz.

Kovacs verschwand kurz im Inneren seiner Behausung, erschien wenig später mit einem Glas voll mit eisgekühlter Limonade.

„So trink das mal, das wird dich wieder erfrischen!“

„Danke, sehr nett von dir!“

„Hast du schon mit Cornelius gesprochen?“ wollte Kovacs wissen.

„Nee, hab ich nicht! Warum sollte ich denn? Gibt es etwas besonderes?“

„Na, du bist mir einer. Ich liege deinetwegen dem Alten ständig in den Ohren und du lässt es einfach schleifen. Du musst rein ins Geschäft, ich meine die Politik. Es läuft gut im Moment, es sieht danach aus, als ob die Bürgerrechtsbewegung starken Aufwind bekommt, wegen der Sache mit Elena, wo man hinhört bricht sich die Unzufriedenheit Bahn. Da müssen wir gewappnet sein. Das kann am Ende schneller gehen, als uns allen lieb ist. Vor allem brauchen wir noch viele, die sich beteiligen.“

„Du hast natürlich Recht. Ich mache gerne mit. Andererseits weiß ich nicht, wo und in welcher Funktion. Ich habe einfach Angst verheizt zu werden, verstehst du? Am Ende ist der Prolet immer der Dumme, wenn du weißt, was ich meine.“ gab Leander zu bedenken.

„Klar, deine Sorge ist berechtigt. Aber glaube mir, diesmal wird es besser laufen. Vor allem deshalb benötigen wir dringend unverbrauchte Leute. Menschen aus dem Zentrum des Geschehens. Aus den Fabriken, aus den Pariasiedlungen, da wo es am heftigsten brennt.“

„Und du glaubst, Preka und Paria werden so einfach zusammenarbeiten. Hier sehe ich große Schwierigkeiten. Die habe sich doch vollständig auseinander gelebt.“ zweifelte Leander.  

„Das ist auch meine größte Sorge, aber ich arbeite schon seit langem dran. Es kann gelingen, vor allem jetzt mit Elena im Schlepptau.“ sprach der Dichter mit Zuversicht.

„Elena! Da muss ich mich erst noch dran gewöhnen. Elena bei den Paria, das ist so unwirklich das ich es mir nicht vorstellen kann. Elena war es doch, die versuchte uns ständig darüber aufzuklären, dass wir uns um diese Nichtexistenzen keine Sorgen machen sollten. Das hat bei vielen Preka gefruchtet. Da brauch ich mich gar nicht weit zu bewegen, das fängt in meiner eigenen Familie an.“

„Glaub mir, Leander, ich werde Elena mit den Paria zusammenbringen sehr frontal, so dass sie deren Existenz  nicht mehr leugnen kann. Schon die nächsten Tage werde ich sie mit deren Welt konfrontieren.“

„Du willst sie in die Siedlung drüben mitnehmen? Na, dann paß nur auf, das sie nicht allzu schnell die Hosen voll bekommt und die Kurve kratzt. Dann ist es aus mit deinen Träumen. Pah, in die Siedlung. Da würde sogar ich mich fürchten.“

„Ich weiß, was ich tue, Leander! Sicher kann es sein, dass sie schwach wird. Um das zu verhindern, weiß ich ein gutes Gegenmittel!“ behauptete Kovacs.

„So? welches denn?“

„Dich!“

„Mich? – Wie meinst du das?“

„Du wirst in Elenas Leben treten! Du liebst sie! Nicht widersprechen, Leander, du liebst sie und sie dich. Sie hat es mir gesagt!“

„So, hat sie das?“

„Ja, und es ist die Wahrheit! Wenn sie einen Menschen in ihrer Nähe hätte, der ihr wirklich etwas bedeutet, jemanden den sie liebt, dann wird sie bleiben. Oder kann es einen besseren Grund geben?“

Leander schwieg verwirrt. Er konnte nicht widersprechen, denn Kovacs Worte klangen eindeutig.

„Leander,  es ist eine schöne Aufgabe, die vor dir liegt. Ganz Melancholanien wird dich dafür beneiden. Sie mag dich sehr. Geh zu ihr, jetzt gleich! Sie ist am Ufer, oben auf dem Deich und sonnt sich. Geh! Sie wird sich freuen, dich zu sehen.“ forderte Kovacs mit Nachdruck.

Leander zögerte zunächst.

„Geh schon! Oder soll ich dich vielleicht auf den Deich tragen tragen?“

Leander stellte sein Glas zur Seite, erhob sich von der Bank, atmete einmal kräftig durch, dann ging er wortlos in Richtung See. Er bestieg den Deich und blickte sich kurz um bis er seine Traumfrau in kurzer Entfernung beim Sonnenbad erblickte. Wieder musste er schlucken. Dieser Anblick. Sie hatte das Sonnenbad gar nicht mehr nötig, so schokoladenbraun war ihre Haut.

Die eleganten Beine lässig über einander geschlagen, stützte sie sich mit dem Ellenbogen vom Boden ab und ließ den Kopf mit der wallenden Mähne nach hinten fallen. Ein Jammer, dass er keinen Fotoapparat dabei hatte, ein ideales Motiv für einen Akt.

Leander nahm allen Mut zusammen und schritt auf sie zu.

„Hallo Elena!“ grüßte er sie fast schüchtern.

„Leander? Hey, das ist aber eine Überraschung. Sieht man dich auch mal wieder. Komm, setz dich zu mir. Ich dachte schon, dich gäbe es gar nicht mehr.“ erwiderte Elena ausgesprochen freundlich und  mit einladend klingender Stimme

Elena rutschte auf ihrer Decke etwas seitlich so dass Leander noch reichlich Platz fand.

Ohne Zögern nahm er die Einladung an.

„Hab halt viel zu tun gehabt! Da bleibt wenig Zeit zum faulenzen!“

„Verstehe schon! Jetzt bist du  hier und das ist das Wichtigste!.“

„Du siehst echt toll aus!“ sprach Leander und senkte seinen Blick schüchtern wie kleiner Junge zu Boden.

„Danke! Du auch!“

„Na, hast du dich in der Zwischenzeit schon etwas eingelebt?“ wollte Leander wissen.

„Ja, das ging schnell! Gefällt mir echt gut hier! Ist nur etwas einsam manchmal!“

„Einsam? Aber du hast doch Kovacs!“

„Natürlich! Der ist auch total hilfsbereit. Oder die sind es, sollte ich sagen, denn sein Partner ist häufig hier.  Selbstverständlich wollen die dann auch mal alleine sein. Dann sitze ich in meiner Laube oder hier am Wasser und blicke auf die Wellen und harre der Dinge, die noch geschehen könnten.“

Also hatten die beiden tatsächlich nichts mit einander? War sein Weg frei? Konnte er es wagen??

„Und deine Freunde von der anderen Seite? Besuchen die dich denn nicht mal?“

„Bisher nicht! Die haben wohl Angst sich auf fremdes Terrain zu wagen. Nein, die werd ich wohl so schnell nicht wieder sehen. Komisch, ich hätte nie geglaubt, dass ich zu so einem Leben imstande wäre. In meinem alten Leben, war jeden Tag was los, immer Abwechslung! Auf Partys gehen, Tanz und Amüsieren. Es wurde nie langweilig, jede Nacht in einem andern Club und oft am Morgen danach in fremden Betten aufwachen.“

„Da hattest viele Liebhaber?“ Leander wurde nun direkter.

„Kann man wohl sagen. Ich hab sie nicht gezählt. Männer und Frauen, es war phantastisch. Aber mit der Zeit wurde es zur Routine. Es kommt der Tag, da macht es Klick im Kopf und du bist dir sicher, das da etwas gründlich aus der Bahn geraten ist, etwas das du korrigieren musst, bevor es zu spät ist.“ gestand Elena ohne Hemmungen.

„Stell ich mir aufregend vor! Tja, da kann ich leider nicht mitreden. Mein Leben verläuft seit ich denken kann, öde, trist und langweilig. Immer der gleiche Trott, tagein, tagaus. Ein Ausbrechen gibt es nicht.“ stellte Leander resignierend fest.

„Ich verstehe! Das andere Extrem! Kein Ausbrechen möglich, nicht mal für ne Weile?“

Elena richtet sich auf, zog die Füße an sich und umschlang ihre Beine.

„Kein Ausbrechen! Wie denn? Ich kann mich glücklich schätzen überhaupt noch Arbeit zu haben und nicht in die Pariakaste abrutsche. Nein, wenn ich mir ein kleinen Patzer erlaube, ist es aus.“ Da hatte sie ihn wieder eingeholt, die Realität, auch hier draußen konnte er kaum abschalten. Er musste sich eingestehen, inzwischen fast schon wie sein Vater zu denken.

„Ich will ja raus dort! Aber ich weiß nicht, wie ich das anstelle ohne zu scheitern!“ bekannte Leander schließlich. Hoppla, hatte er sich ihr gegenüber damit schon zu weit geoutet? Schon bereute er sein Geständnis.

„Ich kann nur sagen, versuch es einfach! In dir steckt viel mehr als dein Leben ausmacht. Du darfst deine Talente nicht ungenutzt lassen. Du kannst etwas aus dir machen, wenn du willst.“ glaubte Elena zu wissen.

Da war sie wieder, die unwillkürliche Belehrung. Elena meinte es sicher gut, aber der Vorschlag war theoretisch und ging ins Leere. Es lies sich nicht verleugnen, von ihr trennten ihn tatsächlich Welten.

Leander vermied, es auf diesen Vorschlag direkt einzugehen und gab dem Gespräch eine andere Note.

„Und du? Hast du dir schon überlegt was du machen willst in Zukunft, ich meine außer Sonnenbaden?“

Elena lächelte verführerisch und wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Noch nicht ganz! Kovacs ist der Meinung ich könnte wieder als Ärztin arbeiten, drüben bei den Paria. Ich bin mir noch nicht sicher und  habe mir Bedenkzeit ausgebeten.“

 Bedenkzeit! Auch so ein Privileg der Privo, er hingegen  musste nehmen was sich ihm darbot, da gab es nie etwas zu überlegen.

„Könnte sicher ne aufregende Sache werden. Und gebraucht wirst du dort allemal: Warst du schon mal drüben in der Siedlung?“

„Nein, bisher noch nicht. Kovacs will morgen mit mir rüber gehen.“

Also sie kannte die Siedlung noch gar nicht. Das konnte einen echten Schock bedeuten. Dort wartete praktisch die Hölle und sie saß so friedlich auf dem Deich und starrte den am Himmel ziehenden Wolken nach. So sorglos konnte nur eine Privo sein.

Auch Kovacs war sich dessen bewusst. Deshalb hatte er Leander als eine Art von Köder auserkoren. er sollte ihr das Bleiben erleichtern. Aber ob das funktionierte stand auf einem anderen Blatt. Elena hatte es nicht nötig so tief nach unten zu steigen. Noch war sie nicht erledigt. Das Band zu ihrem früheren Leben nicht endgültig durchtrennt. Sie konnte jederzeit zurück. Ihre reichen Freunde würden ihr schon bei stehen.

„Na, dann bereite dich auf einige Unannehmlichkeiten vor. Also die Paria sind… ich weiß nicht wie ich es sagen soll. Sie sind…“

Leander stockten die Worte auf der Zunge.

„Sie sind nicht existent, wolltest du das sagen?“

„Ja, so was in der Art!“

„Du glaubst, das ich nicht recht fertig werde mit dem, was ich da zu sehen bekomme, oder?“

„Das könnte sein, das könnte gut sein! Unvorstellbares Elend, einige haben es noch ganz gut getroffen, die sind z.B. in Gartenlauben oder stillgelegten Fabrikgebäuden untergekommen, es gibt aber auch solche, die in Wellblechhütten hausen. Von sanitären Anlagen findest du da keine Spur. Um es mal harmlos auszudrücken.“

„Mache dir um meinetwillen keine Gedanke, ich bin vorbereitet. Aber ein Kulturschock könnte es durchaus werden.“ meinte Elena noch. „Wie gesagt ich habe mich noch nicht festgelegt. Ich halte mir alle Optionen offen.“

Schön wenn man das konnte.

Da saßen sie beisammen und fanden nicht die rechten Worte für ihre Unterhaltung. Leander versuchte es mit einem banalem Thema.

„Warst du schon schwimmen heute?“

„Schon zweimal, gleich am Morgen und dann noch mal vor etwa ner Stunde.“ antwortet Elena.

„Muss schön sein bei dieser Hitze!“

" Ist es auch! Komm doch einfach mit rein. Heute nicht mehr, aber wenn du wiederkommst die Tage, könnten wir doch mal gemeinsam schwimmen gehen, oder?“ bot Elena an.

„Ja, gern! Gute Idee, können wir machen! Hab aber gar keine Badehose, fällt mir ein im Moment!“

„Wozu brauchst du die ? Ich schwimme auch ohne Badeanzug !“

Elenas Schamgrenze war,  wie er schon mehrfach feststellen konnte, äußerst niedrig. Da wusste er gleich, was ihn erwartete.

Mit äußerster Genugtuung beobachtete Kovacs die beiden Turteltauben von seiner Laube aus, es war genau das, was er zu erreichen gedachte. Da schien es immer deutlicher zu funken.

Irgendwann stellte er fest, dass Leander seinen Arm um Elena gelegt hatte und sie ihren Lockenkopf an seine Schulter lehnte. Es ging voran.

Doch war der Durchbruch offensichtlich noch nicht ganz geschafft. Nach einer Zeit erhob sich Leander, um sich zu verabschieden.

„Dann bis morgen Elena, ich komme! Ich komme ganz bestimmt!“

„Ich freue mich! Ich erwarte dich! Und denke daran, morgen wird geschwommen.“

„Hab es nicht vergessen!“

Leander schritt den Deich hinab und befand sich Kovacs gegenüber.

„Du willst schon gehen? Schade! Der Abend bricht sich doch erst seine Bahn.“

„Das mag sein! Aber für Schichtarbeiter, die gegen 4 Uhr mit der Arbeit beginnen, ist das ohne Belang.“ klärte Leander auf.

„Verzeichnung! Ich vergesse das immer wieder!“

„Ich geh dann mal! Wir sehen uns die Tage!“ verabschiedete sich Leander.

„Ja sicher! Ach ja ! Hier sind deine Bücher, kannst sie gerne wieder mitnehmen. Ich habe festgestellt, dass ich sie doch nicht brauche.“

Kovacs hielt ihm den Beutel entgegen.

„So? Dann darf ich die wieder nach Hause schleppen? War wohl nur ne Finte mich hier raus zu locken, oder?“

„Ich überlasse es dir, wie du das betrachtest! Du kannst gerne mein Fahrrad nehmen. Bring es doch wieder mit, wenn du morgen kommst!“

„Morgen? Also bist du auch der Meinung, dass ich schon morgen  wieder kommen soll?“ wunderte sich Leander.

„Natürlich! Das Beste wäre allerdings du könntest dich dazu durchringen, deine Zelte dauerhaft hier aufzuschlagen, das wäre noch besser.“

„Du kennst meine Situation. Da wird sich auch in absehbarer Zeit kaum etwas ändern. Es sein denn, es geschieht ein Wunder!“

Leander schwang sich auf den Drahtesel und radelte los.

„Also dann bis morgen!“ rief er noch zu Kovacs, bevor er in den Tiefen der Getreidefelder abtauchte.

Tiefe Zufriedenheit erfüllte ihn. Man konnte es mit Fug und Recht als Glück bezeichnen, was da gerade von ihm Besitz ergriff. So gut hatte er sich in seinem ganzen Leben noch nicht gefühlt. Er würde doch tatsächlich mit Elena schwimmen gehen, er, der Niemand, der Prolet.

Wieder dem Anblick ihres Körpers auf sich wirken lassen und damit kämpfen, seine Erregung zu verbergen.

Und das alles schon morgen. Nun schien sich ihm wohl alles im Eiltempo zu nähern.

Quietschvergnügt erreichte er schließlich den Häuserblock. Das all vertraute Stimmengewirr begrüßte ihn schon aus der Ferne.

Als er aber die elterliche Wohnung betrat, musste er sich schnell von Wolke 7 verabschieden, um wieder in die Niederrungen der Realität abzutauchen.

Es hatte wohl wieder Zoff gegeben. Nichts Neues, den gab es seit Hannes Rausschmiss aus der Firma tagtäglich.

Wütend kam ihm seine Mutter auf dem Flur entgegen.

„Es ist nicht mehr auszuhalten. Ich kann nicht mehr, der dreht von Tag zu Tag mehr durch, dabei müssten wir gerade jetzt einen klaren Kopf behalten.“

„Was ist denn nun schon wieder los?“

„Ach hier lies selbst!“ Anna streckte ihm eine Schriftstück entgegen.

„Die Sopo hat sich angekündigt. Die wollen die nächsten Tage hier aufkreuzen, um alles auf den Kopf zu stellen.“

„Und wann genau soll das ablaufen?“

„Haben die nicht mitgeteilt. Machen die doch nie. Die wollen uns doch sozusagen in Flagranti erwischen. Sie suchen hier nach verstecktem Geld und Wertsachen. Wollen die Wohnung vermessen und entscheiden ob und wann wir hier wegmüssen.“

„Ist es also tatsächlich schon soweit! Das ging aber schnell!“

„Ja, so läuft das eben. Du kannst dir vorstellen was passiert, wenn dass Einsatzkommando der Sopo hier auftaucht. Die Nachbarn werden das alles mitbekommen. Was für eine Schande, was für eine Blamage. Für Vater ist das natürlich besonders schlimm. Der hält sich nach wie vor für einen guten Melancholanier und ist der Meinung, solchen dürfe so etwas nicht widerfahren.“

„ Scheinbar hat er noch immer nicht begriffen. Ich habe die Befürchtung, das wird er auch in Zukunft nicht mehr.“ gab Leander resigniert zu verstehen.

Langsamen Schritte bewegte er sich auf das Wohnzimmer zu und öffnet schließlich die Tür.

„Guten Abend Vater!“ Na wie läuft's denn?“

„Frag doch nicht so dämlich! Du weißt doch ganz genau, was hier abgeht!“ schnauzte Hannes ihn gleich an.

„Ach wegen der Sache mit der Sopo? Mach dich doch nicht so verrückt. Wird schon werden, geht doch jeden Tag vielen so in unserem Land.“

„Aber doch nicht uns! Nicht unsere Familie!  Das dürfen die nicht! Verstehst du, das dürfen die nicht! Wir sind gute Melancholanier. Ich habe gearbeitet, habe meinen Beitrag geleistet über 30 Jahre lang. Nein, hier in diese Wohnung kommt mir keine Sopo.“

Die alte Leier.  Leander hatte dieses Gejammer in den letzten Tage nonstop über sich ergehen lassen müssen.

„Und was willst du machen? Du musst die Sopo ins Haus lassen, sonst machst du dich strafbar.“

„Ich? Nein, niemals! Nicht in diese Wohnung! Wir sind keine Paria, mit denen kann man so was machen, aber nicht mit uns, wir sind immer noch gute Melancholanier. Mich aus der Wohnung werfen, na das wollen wir doch mal sehen. Noch gibt es Rechte in diesem Land, die man einklagen kann.“

„Rechte? Vater, es gibt theoretische Rechte für uns Preka. Bald wirst du kein Preka mehr sein, bald seid ihr Prekaparia, dann habt ihr nur noch eingeschränktes Bürgerrecht. Nach einer Weile seid ihr Paria dann ist Recht nur noch ein Begriff aus der Schattenwelt..“

„Aufhören! Ich will nichts mehr hören!“ schrie Hannes. „Niemand wird mich zum Paria machen, niemand verstehst du? Niemand!“

Anna stürzte ins Zimmer.

„Dann schrei doch gleich das ganze Haus zusammen.“ Sie schritt zum Fenster und öffnete es weit. „Hier komm ans Fenster und schrei es hinaus. Damit es auch noch der letzte im Viertel hören kann, das wir bald an der Reihe sind.“

Vor Wut schlug Hannes das Fenster zu, so heftig, dass das Glas heraus splitterte.

„Na prima! Ganz ausgezeichnet. Immer weiter so. Demoliere doch die Wohnung, bevor sie uns vor die Türe setzen.“

Laut weinend verließ Anna das Wohnzimmer und krachte auch noch die Küchentüre hinter sich zu.

„Nach einem schönen Tag, noch eine schöne Abendstimmung. Ganz hervorragend. Ja so ist das Leben.“ gab Leander von sich.

Hannes kramte in den Splittern herum.

„Lass das, Vater, du schneidest dich nur noch. Ich hole Besen und Schippe und wir räumen das gemeinsam weg.

Als Leander mit den Utensilien zurückkam, hatte sich Hannes natürlich schon geschnitten.

„Komm hör auf. Ich hole Verbandszeug.“ wieder eilte Leander in den Flur, hörte seine Mutter in der Küche heulen.

Dann verband er die Schnittwunden seines Vaters und begann die Scherben zu entsorgen, immer dabei auf der Hut, dass er sich nicht auch noch eine Wunde zuzog.

„Die dürfen das nicht! Die dürfend das einfach nicht, Leander! Die haben kein Recht dazu! Es gibt Gesetze!“ jammerte Hannes wieder auf.

„Vater! Die dürfen! Das und noch vieles andere mehr!“

„Aber was ist mit den Gesetzen? Es gibt doch Gesetze!“

„Kannst oder willst du nicht begreifen? Die Gesetze sind von den Privo erlassen, damit die Privo in Sicherheit und Ordnung leben können. Hat man denn jemals einen Preka um seine Meinung gefragt, bei Gesetzesvorlagen, oder gar einen Paria?“

„Die Paria sind anders. Die haben es nicht verdient Mensch genannt zu werden. Sie sind Abschaum. Das sind keine richtigen Melancholanier. Aber wir, wir sind besser. Wir arbeiten, wir haben immer unseren Beitrag zum Gemeinwohl beigesteuert. Mit uns werden die so nicht  um springen, nein nicht mit uns.“

„Es reicht! Ich hab die Schnauze voll von deinem Gedöns. Geh ins Schlafzimmer, leg dich hin. Ich mache hier alleine weiter. Das kann sich keiner mehr mit anhören. Standesdünkel bis zum bitteren Ende.“

Hannes versuchte etwas zu erwidern, aber Leander hinderte ihn daran, schickte ihn unversehens schlafen.

Endlich Ruhe. Auch seine Mutter schien sich ein wenig beruhigt zu haben. Leander nahm den Eimer mit den Scherben und begab sich in den Flur, dann ins Treppenhaus um zu den im Hof aufgestellten Glastonnen zu gelangen.

Schwungvoll entleerte er dort den Eimer so dass es nur so klirrte Von allen Seiten konnte er ähnliche Geräusche vernehmen.

Wunderbare Abendstimmung eben. Welch ein Kontrast zu dem Erlebnissen am See. Eine eiskalte Dusche war nichts dagegen. Aber ein Preka musste damit leben. Hier galt  es stets, zusammennehmen und die Nerven behalten.

Leander ließ den Aufzug und stieg die Stufen nach oben. In seinem Zimmer, seiner kleinen Welt war er mit sich und seine Gedanken allein. Was würde wohl Elena tun? jetzt in diesem Augenblick?

 

Die Frau seiner Träume machte es sich unterdessen weiter am Strand des Staussees bequem.

Inzwischen war auch Matthias eingetroffen. Der bewahrte immer ein wenig Distanz zu der neuen Nachbarin.

Obgleich er ihr äußerst respektvoll, höflich und hilfsbereit gegenübertrat.

Sie übersah aber nicht, dass Matthias sie als eine Art von Störfaktor betrachtete. Er wollte schlichtweg mit Kovacs allein sein, wenn er von seiner Arbeit in der Agrargenossenschaft kam.

Kovacs aber kümmerte sich seit Elenas Einzug ausgesprochen engagiert um die neue Mitbewohnerin, so dass Matthias oft das Nachsehen hatte. Aber wie die meisten Preka hatte er lernen müssen, sich in Geduld zu üben.

Inzwischen hatte sich die Dunkelheit über den See gebreitet. Ein Tisch und ein paar Korbstühle waren schnell auf den Deich gebracht, ein flackerndes Windlicht sorgte zusätzlich für gemütliche Stimmung. Ein gute Flasche Rotwein rundete das ganze ab.

Die drei begossen so den hinter ihnen liegenden Tag.

„Schade, dass Leander nicht bei uns sein kann. Ich denke zu viert wäre es jetzt wohl am idealsten.“ meinte Kovacs zu Matthias blickend.

„Und wann wird der hier einziehen?“ wollte der wissen.

„Einziehen? Davon war nicht die Rede. Ich denke, er will das gar nicht und Ich kann ihn irgendwie verstehen.“  bekundete Elena.

„Da wäre ich mir nicht so sicher. Leander ist halt so, den musst du immer ein wenig vor dir herschieben, bis er einsieht, was gut und richtig für ihn ist. Aber auf die kleinen Schritte kommt es an. Heute hast du einen ersten Erfolg eingefahren, Elena. Die Saat ist gelegt. Alles weitere wird sich finden.“ erwiderte Kovcas.

„Wir kommen uns schon näher. Ich spüre etwas. Aber andererseits geht er auf Distanz. Wir kommen eben aus zu unterschiedlichen Welten.“ gab Elena zu verstehen.

„Etwa so, wie ich und Kovacs. Aber wir haben es endlich geschafft! Oder irre ich mich da?“ antwortet Matthias.

„Nein, du irrst dich nicht! Aber bei uns war es auch ein wenig einfacher, immerhin sind wir beide Männer.“ gab Kovacs zu bedenken.

„Du glaubst, dass das unter Männern einfacher ist?“ wollte Elena wissen.

„Viel einfacher! Ich denke nicht viel anders ist es unter Frauen. Ja die Geschlechter! Wenn die doch nur nicht so unterschiedlich gepolt wären, da könnte vieles einfacher laufen."

„Aber dabei ist es ist gerade die Gegensätzlichkeit, die das Leben aufregend macht! Ich hätte mir noch vor Wochen niemals träumen lassen in den Armen eines Preka so erregt zu sein. Stets bin ich davon ausgegangen, Preka seien stumpfsinnige, gefühlsarme und schwerfällige Wesen, zu emotionalen Handlungen kaum imstande.  Und nun erlebe ich das. Und es ist wunderschön!“ erinnerte sich Elena.

„So? Also bin ich stumpfsinnig? Bin ich schwerfällig oder gefühlsarm, Kovacs?“ provozierte Matthias ein wenig.

„Davon hab ich nichts mitbekommen. Gefühl steht bei dir an oberster Stelle. Ja Elena, du hast deine erste Lektion erfolgreich verinnerlicht. Man muss die Menschen erst einmal persönlich kennen lernen bevor man den Stab über ihnen bricht. Ein einfaches Prinzip, trotzdem aber tun sich die Privo sehr schwer damit. Wenn alle Privo die Erfahrungen machen könnten, die ich bereits habe und die du im Begriff bist zu entschleiern, dann gäbe es bald keine Kasten dieser Art mehr.“

„Na, die werden sich bedanken. Die leben in ihren Palästen und Villen ihr Leben und alles Weitere geht sie nichts an.“ bemerkte Matthias weiter.

„Aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Wer weiß, vielleicht folgen in absehbarer Zeit doch noch einige weitere Elenas Beispiel, um auf der andern Seite heimisch zu werden.

Es geschehen stets Zeichen und Wunder auf der Welt, Matthias. Wir zwei dürfen am heutigen Abend mit einem solchem zu Tische sitzen.“