Gefährlicher Sieg


Was in den Prognosen schon tagelang prophezeit wurde, sollte sich am Abend der Entscheidung bestätigen.  Melancholaniens politischer Erdrutsch.
Die Wahlbeteiligung lang bei stolzen 93 %. Die war vor allem dem Umstand geschuldet dass die Menschen seit Jahrzehnten endlich wieder eine echte Alternative hatten.
Schon den ersten Hochrechnungen konnte man entnehmen, dass in Zukunft  nichts mehr so sein würde wie es einmal war.
Die Neue Liga schaffte es aus dem Stand auf 46%, so etwas suchte seinesgleichen nicht nur in Melancholanien, nein in ganz Europa,  auf der ganzen Welt.
Die beiden Altgedienten schmolzen hingegen fast zur Bedeutungslosigkeit dahin.


Die Superdemokraten erreichten ganze 18 % von bisher 51, die Musterdemokraten mussten sich gar mit nur 17% zufrieden geben von ehemals 49. zusammen konnten sie nicht einmal mehr ein Drittel der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen. Die gerechte Strafe für eine Politik, die das Land  Jahrzehntelang in einen regelrechten Trümmerhaufen verwandelt hatte, einer Gesellschaft die von tiefer Spaltung gekennzeichnet war, ein Staatswesen voller Widersprüche und Ungerechtigkeiten.
Neidhardts Steinerne Front kam auf 13 %. Ein Achtungserfolg, den ihnen am Ende kaum noch einer zugetraut hatte.


Doch der Jubel verhallte relativ schnell, als sich im Laufe der Wahlnacht herausstellte, dass Elenas Partei trotz dieses grandiosen Erfolges die absolute Mehrheit knapp verfehlt hatte. Allein regieren war nicht möglich und es wurde ein Koalitionspartner benötig. Da sich Elena permanent weigerte eine Zusammenarbeit mit den beiden großen Verlierern auch nur ins Auge zu fassen, kam nur noch eine Option in Frage. Es würde auf eine Koalition mit der Steinernen Front hinauslaufen.
Reichlich Zündstoff für die nun folgenden Wochen.


Als Elena vor die Fernsehkameras trat und in einer Flut von Blitzlichtern badete, konnte man ihr die Anspannung aus dem Gesicht ab lesen.
„Liebe Bürgerinnen und Bürger von Melancholanien. Wir wurden Zeugen eines historischen Ereignisses. Mindestens 2 Jahrhunderte hat es keine politische Veränderungen solchen Ausmaßes mehr gegeben. Die Neue Liga konnte ein grandioses Ergebnis einfahren.
Das übersteigt unsere Erwartungen bei weitem. Die Menschen in Melancholanien haben damit eindeutig ihre Bereitschaft bekundet weit reichende Veränderungen zu billigen und zu unterstützen. Denn die wird es geben, geben müssen. Wir sind bereit uns dieser Aufgabe zu stellen, gestärkt durch diese eindeutige Resolution. Es gibt viel zu tun. Wir müssen so rasch wie möglich mit der Arbeit beginnen, können uns Verzögerungen nicht leisten, das sind wir den Bürgern schuldig. Doch die Neue Liga wird nicht allein regiern können. Wir haben das Wahlziel einer absoluten Mehrheit nicht erreicht, dass ist der Wermutstropfen der sich unter den süßen Wein der Freude mischt.
Entschieden lehne ich eine Zusammenarbeit sowohl mit den Superdemokraten, als auch den Musterdemokraten ab. Diese Parteien haben die Quittung für eine Jahrzehnte währende katastrophale Politik serviert bekommen. Es darf nicht sein, das auch nur eine von ihnen mit einem blauen Auge davon kommt und in das weiche Bett einer Koalitionsregierung steigen kann, um von da aus mit einer Blockadehaltung den Fortschritt zu hemmen. Diese Parteien gehören in die Opposition, am besten für die folgenden 2 Jahrhunderte.


Ich richte hiermit mein Angebot an die Steinerne Front und an Neidhardt, unverzüglich Verhandlungen über die Bildung einer neuen Regierung aufzunehmen. Die Steinerne Front darf sich dieser Verantwortung nicht entziehen. Es ist leicht, aus der Opposition heraus einen Forderungskatalog zu erstellen. Selbst regieren stellt eine ganz andere Herausforderung dar. Neidhardt muss unter Beweis stellen, dass er diesen Willen mitbringt.
Ich hoffe dass wir uns rasch einigen, auch wenn ich mit schwierigen und zähen Verhandlungen rechne. Unser Land kann sich kein Machtvakuum leisten, die Feinde der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit stehen schon in den Startlöchern und wetzen ihre Messer. Stehen wir zusammen und bekunden, dass wir solchen Kräften keine Chance geben.“


Letztere Aussage war eine eindeutige Kampfansage in Richtung Blauer Orden. Damit hatte sich Elena eindeutig positioniert. Denn durch das Koalitionsangebot an Neidhardts Organisation legte sie sich fest. Sie handelte im besten Wissen das Gute und Richtige zu tun, dem Land Stabilität und Sicherheit zu garantieren. Unbewusst sollte sie jedoch das genaue Gegenteil erreichen, doch ahnte zu jenen Zeitpunkt noch keiner davon, ausgenommen vielleicht Folko, der Genauestens über die Aktivitäten in der Ordensburg unterrichtet war, 

Neidhardt verstand es im Gegensatz zu Elena ausgezeichnet in der Pose des Siegers zu triumphieren
Kaum dass das Endergebnis feststand, präsentierte er sich in der Öffentlichkeit. Zum ersten Male konnte er, der nun ein Mandat errungen und somit Immunität genoss, vor laufenden Kameras seinen Standpunkt vertreten. Lars war ebenfalls zugegen, aber nur noch in der Rolle eines Statisten. Es sollte nicht der geringste Zweifel daran bestehen, wer von nun an in der Steinernen Front den Ton an gab .Die Strohmänner hatten ihr Schuldigkeit getan, nun konnten sie ins Glied zurücktreten und ihre Plätze auf den Hinterbänken einnehmen. Lars würde sich mit dieser Tatsache relativ schnell anfreunden. Es machte ihm offensichtlich nicht das Geringste aus, Neidhardt den Vortritt zu gewähren, es schien an jenen Abend eine große Last von seinem Schultern genommen.
Neidhardt erklärte die Steinerne Front kurzum zum eigentlichen Sieger des Tages.
„Wir haben einen Sieg errungen, einen großen Sieg. An der Steinernen Front geht nun kein Weg vorbei. Mit uns muss gerechnet werden, davon können sie alle ausgehen. Zum ersten Mal hat das einfache Volk, haben die Arbeiter, die an den Rand gedrängten, eine Vertretung im Nationalforum. Wir nehmen diese Aufgabe sehr ernst und versprechen in diesem Sinne zu wirken.


An uns wird die Wahl Elenas zur Kanzlerin nicht scheitern. Wir sind bereit sie zu unterstützen. Ebenfalls können wir uns vorstellen Cornelius zum Staatsoberhaupt zu küren. Die Mehrheiten in der Kammer sind eindeutig. Wir ergreifen die ausgestreckte Hand zur Zusammenarbeit. Mit uns geht es in eine neue Zeit. Aber unsere Hilfe ist nicht zum Nulltarif zu haben. Wir möchten so viel wie möglich unserer Ideen und Vorstellungen durchsetzen, das sind unsere Bedingungen. Ich gehe davon aus das sich Elena dieser Tatsache bewusst ist. Große Veränderungen stehen ins Haus. Nichts wird in Zukunft mehr so sein wie es einmal war. Neben einer ganzen Reihe von sozialen Forderungen, streben wir vor allem ein Verbot des Blauen Ordens an. Diese zu tiefst reaktionäre Vereinigung passt nicht mehr in die Gesellschaft, die wir anstreben. Dessen Vertreter haben die Bevölkerung lange genug drangsaliert, nun kommt die Zeit der Abrechnung. Lassen sie uns die Ordensburg schleifen.
Revolutionen waren immer die Lokomotiven der Geschichte. So wird es auch in Melancholanien sein. Die Revolution wird kommen, so oder so. Es gibt verschiedenen Wege  zu deren Erfolg. Wir haben jetzt die einzigartige Gelegenheit in diesem Lande revolutionären Verhältnissen durchzusetzen.“
Neidhardt provozierte, dass war offensichtlich. Der Verbalangriff auf den Blauen Orden sprach Bände. Man konnte sich des Eindruckes nicht erwehren, dass der alte Revolutionär die Leute aus der Ordensburg regelrecht zu einem Duell forderte. Konnte doch kaum damit rechnen dass die einfach so die Waffen streckten.

Der Führungsstab des Blauen Ordens, einschließlich Folko, der seinen Platz nun offiziell eingenommen hatte, vor allem zum Schein, hörten Neidhardts Rede mit Genugtuung.
„Ihr habt es gehört Kameraden, Neidhardt hat uns damit den Fehdehandschuh vor die Füße geworfen. Ich sage euch, er soll seinen Kampf bekommen und zwar so wie es ihm gebührt.
Wir sind bereit. Damit hat er uns einen großen Gefallen getan. Wir können mit gutem Gewissen die Patrioten und deren Freikorps alarmieren. Haltet euch bereit. Wir warten nur noch ab, ob es tatsächlich zu Koalitionsverhandlungen kommt. Sollte dies der Fall sein, schlagen wir zu.
Dann kann uns das Volk als Bewahrer der altbewährten Ordnung feiern.“
Thoralf rieb sich die Hände. Auf einem silbernen Tablett hatte ihm Neidhardt gerade den so lange gesuchten Anlass für einen Staatsstreich geliefert.
„Und du bist dir auch ganz sicher, dass ein Putsch zum gewünschten Erfolg führt? Ich meine, wir sollten die Wahlergebnisse nicht unterbewerten. Immerhin haben sich große Teile der Bevölkerung für einen eindeutigen Wandel entschieden. Das sollten wir nicht außer acht lassen.“ Versuchte Folko zu beschwichtigen, obgleich im die Sinnlosigkeit seines Unterfangens einleuchtete.


„Was interessiert mich dieses Volk und sein Wahlverhalten. Seit wann legen wir Wert auf des Volkes Stimme? Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen bei allem was mir heilig ist. Höchste Alarmbereitschaft! Wir müssen jederzeit zum Entscheidungsschlag bereit sein.“ Lehnte der Angesprochenen mit aller Entschiedenheit ab.

Nichts desto trotz herrschte in weiten Teilen der Bevölkerung Melancholaniens Partystimmung, auf den Plätzen und Straßen, in Parks und überall wo sich ausreichend Platz finden lies, feierten die Menschen den Sieg der Neuen Liga, begriffen diesen Umstand als Anbruch einer neuen Zeit, einer neuen Ära der sozialen Gerechtigkeit, der Freiheit und Gleichheit. Ausgelassene Stimmung wohin Mensch auch blickte. Keiner mochte jetzt zu dieser, von vielen als Stunde Null betrachteten Augenblick, an das Morgen und die damit verbundene Rückkehr zum Alltag mit all seinen Fallstricken, denken.


Leider kochte  hier und da der Volkszorn derart hoch, dass es zu Gewaltexzessen kam. Vor allem in den Pariasiedlungen taten die Randexistenzen ihren Unmut kund.
Das war natürlich wieder neues Öl auf die Mühlen des Blauen Ordens, der die Gelegenheit beim Schopfe nahm und noch an diesem Abend in den ihm treu ergebenen Medien eine Hetzkampagne gegen zu erwartende neue Regierung startete.
Es stand eine Unmenge von Teufeln zur Verfügung die sich an die Wand malen ließen.

Elena betrachtet all das mit großer Sorge, ihr war kaum nach Partylaune, auch wenn sie es geschickt verstand ihre wahren Gefühle unter dem Mantel der Begeisterung zu verbergen.
Kovacs warnende Worte meldeten sich in ihr Bewusstsein zurück. Vor ihr tat sich eine dunkle Leere auf.
Kovacs, wo war er jetzt zu dieser Stunde?  Mit ihm würde sie wohl kaum rechnen können.
Die anderen feierten hingegen in ehrlicher Siegesgewissheit. Sollten sie nur, Elena wollte ihnen auf keinem Fall die Stimmung vermiesen. Ohnehin feiert man am Feste wie sie fallen und der Alltag kehrte noch früh genug zurück.
„Was glaubst du, wer wird jetzt kommen wird? Ich meine in der neuen Regierung? Die brauchen  neue Minister und Staatssekretäre und alles was dazu gehört. Da bin ich mal gespannt wie sich Elena entscheiden wird. Ich meine, wen sie so alles in ihr Kabinett beruft!“ Orakelte Ronald, so als sei alles eine Selbstverständlichkeit.
„Sieh an sieh an, unser Exfunktionär meldet sich wieder. Kannst es wohl gar nicht erwarten

oder was? Glaubst du dass Elena am Ende dich in die neue Regierung beruft?“ Lästerte Kyra in ihrer typischen Art.
„Warum denn nicht? Ronald hat allemal das Zeug dazu. Ich wäre auf jeden Fall der Ansicht, dass er dorthin gehört!“ Bekannte Alexandra freimütig. „Dein Folko doch sicher auch. Sag mal wo steckt der eigentlich?“
„Keine Ahnung! Wenn ihm nicht zum feiern ist? Soll er sein Ding machen.“ Gab Kyra zurück.
„Wird denn nun  auch das Staatsoberhaupt ausgetauscht? Ich denke das würde allerhöchste Zeit. Dieser Quatschkopf da oben ist doch eine echte Zumutung.“ Stellte Lisa fest.
„Ich denke schon! Bei den erdrückenden Mehrheiten, kann der seinen Posten wohl kaum behaupten. Der wird vom Parlament gewählt. Da sind seine Chancen mehr als gering.
Ich gehe davon aus, dass man Cornelius mit dieser Aufgabe betraut, so wie wir es  von Anfang an vereinbart haben!“ Klärte Gabriela auf.
„Wer hätte das noch vor Wochen für möglich erachtet. Cornelius als Staatoberhaupt, Elena als Kanzlerin. Ich kann es noch gar nicht fassen!“ Begeisterte sich Ronald erneut.
„Freu dich nicht zu früh. Noch ist nicht aller Tage Abend. Wir müssen immer mit dem Unvorhergesehenen rechnen.“ Mahnte Colette zur Besonnenheit.
„Wieso? Was soll den jetzt noch schief gehen?“ Stellte Ronald in Frage.
„Du darfst nicht vergessen dass es keine absolute Mehrheit gibt. Neidhardt kommt mit ins Boot, daran geht kein Weg vorbei. Mit dem müssen wir rechnen und der wird seine Forderungen stellen, auch was Posten und Einfluss bedeutet. Du hast vorhin doch sein Statement  vernommen!“ erinnerte sich Colette.
„Ach der mit seinen gerade mal 13 %. Was kann der schon fordern? Der soll sich mal schön hinten anstellen, so wie sich das gehört!“ Polterte Kyra.
„Unterschätze Neidhardt nicht! Ich sage dir, der bekommt was er will. Da kannst du Gift drauf nehmen. Der wird alles in Bewegung setzen um an Macht und Einfluss zu gewissen.“


Mutmaßte Ronald. Und der musste es ja wissen, gehörte er doch noch immer zu dessen Führungsstab.
„Lasst doch einfach alles auf uns zukommen Leute. Wir dürfen uns nicht schon jetzt überfordern.
Einfach abwarten und den Dingen ihren Lauf lassen!“ Schaltete sich Leander ein, der dem bisherigem Gerede eher gelangweilt folgte. „Neidhardt ist ein harter Pokerer, das steht zweifelsohne fest, aber das sind Elena und Cornelius auch. Es könnten lange und zähe Verhandlungen folgen. Und was am Ende dabei herausspringt, vermag zur Stunde niemand zu sagen. Womöglich sogar Neuwahlen, wenn die Verhandlungen zu gar keinem Ergebnis führen.“
„Noch mal wählen? Was ist denn das für ein Quatsch?“ Wollte Lisa wissen.
„So lautet die Regel. Bisher gab es nicht vergleichbares in unserem Lande. Es bedurfte ja keiner Verhandlung, da es nur zwei Parteien gab, die sich regelmäßig in der Regierung abwechselten. Es könnte durchaus sein, dass sich die Leute schon nach kurzer Zeit nach diesem alten, vermeintlich besseren Zeiten zurücksehen, die Alten wieder auf den Schild heben und wir die Zustände bekommen, die wir gerade hinter uns gelassen haben!“ Glaubte Leander zu wissen.
„Das ist aber doch nicht dein ernst?“ entrüstete sich Alexandra.


„Doch! Das ist sein voller Ernst! Es könnte so kommen! Ich sehe diese Gefahr auch!“ Pflichtete ihm Gabriela bei.
„Ach das glaube ich nicht! Die Stimmung hat sich deutlich in Richtung Wechsel bewegt, das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern. Jetzt so einfach zur Tagesordnung zurückkehren dürfte außerordentlich schwer fallen.“ Widersetzte sich Ronald diesen Denkspielen vehement.
„Sag mal, haben sich eigentlich die beiden großen Verlierer schon zu Wort gemeldet? Die verhalten sich ausgesprochen ruhig bis jetzt, findet ihr nicht auch?“ Flocht Colette ein.
„Was sollen die denn sagen? Die sind so sehr damit beschäftigt ihre Wunden zu lecken, dass ihnen glatt die Spucke wegbleibt.“ Glaubte Kyra zu wissen.
„Na auf die langen Gesichter bin ich mal gespannt! So etwas haben die in ihrer endlosen Laufbahn nicht einmal eingeplant. Solche Niederlagen sind für beide ein absolutes Novum.“
Frohlockte Ronald voller Schadenfreude.


Leander konnte dem Smalltalk nichts mehr abringen und verlies die Runde.
Elena, betrat von Chantal begleitet das ehemalige Refektorium der alten Abtei, das nun schon seit geraumer Zeit als Gemeinschaftsraum fungierte.
„Ich mach mich nur ganz kurz etwas frisch, dann komme ich wieder und wir können aufbrechen.“ Meinte Chantal.
„Lass dir Zeit! Wir nehmen sie uns einfach!“ Erwiderte Elena.
„Na du? So nachdenklich? Ein komisches Gefühl ist das, wenn man so eine Stunde null erlebt, nicht wahr, Liebster?“
„Du bist dir ganz sicher dass es eine Stunde null ist, in der wir uns gerade befinden?“ Wollte Leander sehr direkt wissen.
„Ganz gleich in welcher Hinsicht, es ist eine. Große Veränderungen stehen ins Haus, davon müssen wir ausgehen. Die Frage ist nur, wohin bewegen wir uns genau? Das vermag in dieser Stunde keiner zu sagen!“ Gab Elena zu verstehen.
Elena lies sich geschafft in einen bequemen Plüschsessel fallen.


„Ihr geht zur Elefantenrunde? Du und Chantal?“ Hakte Leander nach.
„Ja! Nur mal kurz ausruhen! Das könnte eine Schlammschlacht werden. Ich habe aus sicherer Quelle erfahren das Neidhardt angekündigt hat dort zu erscheinen. Er ist gewählter Abgeordneter des Nationalforum, von dieser Stunde an ist er rehabilitiert. Der Bann ist gebrochen. Lars war nur ein Lückenfüller, der kann es sich von nun an auf der Hinterbank bequem machen. Mit Neidhardt haben wir kein so leichtes Spiel, der macht uns bald die Hölle heiß.“ Antwortete Elena.
„Aber er hat doch seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit bekundet! Das sollte uns doch beruhigen?“
„Sicher! Aber er wird nichts unversucht lassen uns seine Positionen aufzuzwingen und alle Mittel in Bewegung setzen um uns aus zu tricksen.“
„ Stunde Null und was kommt dann? Wir müssen wohl mit allem rechnen?“
„Das fürchte ich auch! Aber wir haben uns, haben diese Lebensgemeinschaft hier und wir können uns auf alle verlassen, das ist erst einmal das Wichtigste.“
„Haben wir uns denn auch wirklich?“ Der Zweifel in Leanders Unterton war deutlich zu spüren.
„Was willst du damit sagen, Liebster?“
„Ich meine, du und deine neue Schwesternschaft. Was bezweckst du damit. Ich kann deren Sinn noch immer nicht richtig verstehen. Seit ihr so eine Art Orden, oder? So was wie…“
Leander brach ab, doch Elena vermutet richtig worauf er hinaus wollte.
„Du wolltest sagen, so etwas wie der Blaue Orden?“
„Das hast du gesagt!“
„Auf keinen Fall! Nie würde ich auf die Idee kommen, mich an denen zu orientieren. Ich würde eher sagen wir betrachten uns als das genaue Gegenteil.“
„Wenn du es sagst!“
Elena erhob sich, schritt auf Leander zu, umarmte ihn und drückte ihn ganz fest an sich.
„Du glaubst, du könntest zu kurz kommen? Habe ich recht?“
„Du wirst jetzt Kanzlerin und zudem hast du diese Schwesternschaft. Da wird für mich nur noch wenig an Zeit verbleiben. Das kannst du nicht verleugnen.“


„Ganz gleich welche Verpflichtungen mich auch binden, für dich werde ich mir alle Zeit der Welt nehmen.
Ich bin mir bewusst das es nicht einfach wird. Aber du wirst dich mit der Zeit daran gewöhnen. Du wußtest, was dich erwartet, als du dich für mich entschieden hast. Elena gehörst nun mal dem ganzen Volk. Aber trotz alledem hat auch Elena ein recht auf ein wenig Privatleben.“
„Ich werde dich daran erinnern, wenn es soweit ist!“ Tat Leander seinen Zweifel weiter kund.
„Alter Brummbär!“ Elena küßte ihn leidenschaftlich.
Währendessen eilte Chantal die Treppe hinunter.
„Entschuldige! Ich habe mich ein wenig in der Zeit vertan. Komm, Elena wir müssen los. Die Zeit drängt. Noch kommen wir nicht zu spät.“
„Ja, dann werde ich wohl müssen!“
Elena befreite sich aus Leanders Umarmung, tastete nach Chantal. Hand in Hand verließen sie den großen Raum. Voller Sehnsucht blickte ihnen Leander nach. Wieder einmal kam er sich überflüssig vor. Warum nur konnte er keine Frau sein. Frauen unter einander, das war so locker, so unkompliziert, aber auch ebenso innig, so tief verbunden. Nie würde er zur Schwesternschaft gehören, er war ja nur ein Mann.
Lag hier sein Problem begründet ? Oder begann er langsam aber sicher Gespenster zu sehen?

Zur besten Sendezeit wurde die große Runde der Spitzenpolitiker, im Volksmund einfach Elefantenrunde genannt, übertragen.
Chantal hatte ihre Stellung beim Sender wie nicht anders zu erwarten verloren, immerhin war ein Millionenpublikum Zeuge, wie sie von Elena persönlich in diese Schwes-
ternschaft aufgenommen wurde. Es versteht sich von selbst dass sie nun nicht mehr als unparteiisch eingestuft wurde.
Sie betrachtete das ganze Geschehen eher als Zaungast. Doch das machte ihr nichts aus, dafür durfte sie dauerhaft in Elenas Gesellschaft leben. Einen besseren Tausch konnte es wohl kaum geben.
Wer würde die Runde dominieren? Diese Frage bewegte eine ganze Nation. Elenas herausragende Rolle schien zunächst unangefochten, doch nun sollte Neidhardt ins Spiel kommen. Sie hatte es mit einem intellektuellen Schwergewicht von besonderem Format zu tun. Mit dem hatte kein so leichtes Spiel wie mit den anderen.
Zum ersten Mal durfte mit einem direkten Schlagabtausch zwischen Elena und Neidhardt gerechnet werden, die Zukunft warf ihre Schatten voraus.
Zu jener Stunde konnte jedoch noch keiner ahnen, was sich da hinter den Kulissen anbahnte.
Im Kulturpalast hatte sich die Runde eingefunden und wartete voller Spannung auf ihren Auftritt.
John der Moderator erinnerte in seinem Erscheinungsbild an einen amerikanischen Collageboy aus den 60ger Jahren mit seinem Kurzhaarschnitt und der schwarz umrandeten Hornbrille und genauso gebärdete er sich auch. Es schien, als habe er sich verirrt und sei nur durch einen Zufall hier her geraten.
Seine Moderation sollte im Laufe des Abends vollends zum erliegen kommen.


Victor und Helmfried, die beiden großen Verlierer des Tages; präsentierten sich schon jetzt in ihrer neuen Rolle als Randfiguren, die man nur noch der Form halber in das Gespräch ein zu beziehen hatte,  schon in diesem Augenblick riefen sie kaum noch Interesse hervor.
Neidhardt ließ keinen Zweifel daran, dass er geneigt war die dominante Rolle zu übernehmen.
Er betrachtete sich als die wichtigste Person des Abends, doch Elena war kaum gewillt ihm diesen Triumph zu überlassen.
„Ich möchte noch einmal betonen, dass die Neue Liga der überragende Wahlsieger dieses Abends ist. Wenn man jedoch Neidhardts Ausführungen lauscht könnte man geneigt sein an zunehmen, es sei die Steinerne Front, die 46 % verbuchen konnte.
Die Neue Liga wird in den folgenden Jahren die Politik in diesem Lande maßgeblich bestimmen. Natürlich benötigen wir einen Partner. Ich werde, trotz teilweise erheblicher Bedenken, das Koalitionsangebot Neidhardts an nehmen, wie ich bereits bekundete. Aber wir werden uns nicht in die Enge treiben lassen. Der kleine Partner hat die Rolle einzunehmen die ihm gebührt, die in der zweiten Reihe.“


„Ich akzeptiere den großen Erfolg der Neuen Liga durchaus, Elena. Selbstverständlich sind wir der kleinere Partner, daran besteht kein Zweifel. Aber ohne uns geht es eben auch nicht und das musst du akzeptieren. Wir sind zur Zusammenarbeit bereit, können, wenn es sein muss schon morgen mit den Verhandlungen beginnen. Ich halte nichts von Verzögerungen.
Aber die Neue Liga muss auf uns zukommen, uns die entsprechenden Angebote machen. Wir lassen uns gerne umwerben.“ Gab Neidhardt in bemerkenswert sanften Tonfall zur Antwort, wie man es von ihm gar nicht gewohnt war.
Elena erkannte gleich dass dahinter reine Taktik steckte.
Im Laufe des Abends würde er die Katze aus dem Sack lassen.
„Armes Melancholanien, kann ich nur sagen,“ mischte sich Helmfried ein, in der Annahme, das es noch Interessenten für seine Ausführungen gab.
„Wohin steuert unser Land? Wir werden also, wie ich es bereits vor der Wahl prophezeite von Terroristen regiert. Dann ist es aus mit dem Wachstum, aus mit der Stabilität, dann ist es vorbei auch mit dem Wohlstand!“
„Ja, selbstverständlich! Mit deinem Wohlstand ist es wohl endgültig vorbei!“ Frohlockte Neidhardt.
„Soll das eine Drohung sein? Oder wie habe ich das zu verstehen?“ Beschwerte sich der Angesprochene.
„Wenn du es so siehst? Wer weiß?“ Neidhardt gefiel sich in der neuen Rolle des Triumphators.
„Nun, wir wollen doch sachlich bleiben. Persönliche Aversionen dürfen uns nicht weiter beschäftigen. Kommen wir zum Wesendlichen zurück. Wie könnte eine neue Regierung nun tatsächlich aussehen?
Elena als Kanzlerin und Neidhardt als ihr Vize?“


John sprach Elena direkt an. Diese war sich bewusst, dass es darauf nur eine konkrete Antwort geben konnte.
„Ich bin während des Wahlkampfes stets davon ausgegangen, das der Spitzenkandidat der Steinernen Front Lars sei und nicht Neidhardt. Somit bin ich schon ein wenig irritiert über deine Frage. Ich wende mich daher zunächst an Lars mit der Bitte um eine entsprechende Stellungnahme. Mit ihm hätte ich keinerlei Probleme. Lars wäre sicherlich ein ausgesprochen guter Vize.“ Konterte Elena geschickt. Somit hatte sie Neidhardt in eine prekäre Situation gebracht, mehr jedoch Lars, der an Neidhardt Seite saß und dessen Gesicht die Farbe einer reifen Tomate annahm.
„Äh. Ja äh! Ich meine, ich wollte… damit sagen dass ich, äh ich meine…“
„Er will damit sagen, dass es ihm eine große Freude bereitet, mir den Vortritt zu lassen!“ Unterbrach Neidhardt geistesgegenwärtig das Gestammel und verhinderte dadurch noch rechtzeitig eine ungeheure Blamage.


„Das war eine deutliche Antwort! Auch wenn sie mir etwas merkwürdig erscheint!“ Bestätigte John.
„Elena, du hast es vernommen, Lars hat sich offensichtlich zurückgezogen.“
Nun gab es kein entrinnen mehr. Nun musste Elena Farbe bekennen.
„Wir werden uns auch dieser Situation stellen. Gut, dann wird eben Neidhardt unser Verhandlungspartner, auch wenn mir das noch nimmer recht befremdlich erscheint. Aber darauf haben wir keinen Einfluss:“
„Du willst tatsächlich mit Neidhardt koalieren? Nie hätte ich angenommen, dass du soweit gehen würdest. Hier sitzen zwei weitere potentielle Koalitionspartner, die ebenfalls ihre Zusammenarbeit angeboten haben. Bereit ihren Schatten zu überspringen, wenn es dem Wohle des Landes dient:“ Beschwerte sich Helmfried heftig.
„Zum Wohle des Landes? Zu eurem Wohle doch eher! Ihr habt das Land lange genug geschröpft und ausgesaugt. Die Geschichte hat euch satt,  hat euch soeben aus dem Bewusstsein Melancholaniens hinweggefegt. Wir brauchen euch nicht mehr. Ihr seit überflüssig wie ein Kropf.“ Polterte Neidhardt in seiner ureigenen Art, was natürlich auf wenig Gegenliebe stieß.
„So etwas brauchen wir uns nicht bieten zu lassen. Unsere Parteien haben diesem Lande über Jahrzehnte treu gedient, haben in selbstloser Hingabe dazu beigetragen, das es dem Volke an nichts fehlt, haben uns aufgeopfert ohne gleichen….“ Versuchte sich Viktor in das Gespräch ein zu bringen, doch Neidhardt schnitt ihm einfach das Wort ab.


„Pah, wenn ich diesen Pathos schon höre! Damit habt ihr das Volk lange genug an der Nase herum geführt und mit euren Lügen von einer Schandtat zur nächsten gerettet. Aber nun ist Schluss damit. Wir werden ein neues, ein besseres Melancholanien schaffen. Ein Melancholanien der Gleichheit und Gerechtigkeit, ein Melancholanien ohne Klassenunterschiede. Ein Staat mit völlig  veränderten Strukturen. Unsere Partei wird das Volk in eine neue Zeit führen, in das Licht. Nichts wird mehr an das erinnern, was einmal war. Ein Staat neuen Typus wird entstehen, der über all seine Gegner triumphiert.“
„Aber zunächst müssen wir die dringendsten Probleme lösen und das wird alles andere als ein Zuckerschlecken;“ fiel ihm Elena ins Wort um ihm wieder auf den Boden der Realitäten zurückzuholen.
„Sicher ist es uns erlaubt zu träumen, von einer besseren Welt. Ich möchte diese auch. Aber zunächst müssen wir die alte, aus den Fugen geratene aufrichten, komplett um gestalten und das bedarf der Geduld. Vor allem dürfen wir am Anfang nicht zuviel erwarten. Das habe ich in meine Wahlauftritten immer wieder betont. Aber die Menschen sind nun einmal vergesslich, lassen sich lieber von Parolen einlullen. Das ist sehr gefährlich. Ich reiche Neidhardt die Hand zur Zusammenarbeit, das ist war. Aber keineswegs werde ich mich über den Tisch ziehen lassen.“


„Du hast uns aber noch immer nicht verraten, ob du Neidhardt tatsächlich als deinen Vize in die Regierung holst. Diese  Frage brennt den Menschen auf den Nägeln .“ Versuchte John sich wieder einzuschalten, denn es dämmerte ihn dass die Runde auch ohne ihn zu funktionieren schien.
„Dieser Posten steht mir rechtmäßig zu. Daran lasse ich keinen Zweifel und ich werde diesen einfordern.“ Bestand Neidhardt auf sein Recht. In Wirklichkeit jedoch hatte er nicht das geringste Interesse an einem Stellvertreterposten. Nie und nimmer würde er sich einem oder einer anderen unterordnen. Das war unter seiner Würde Und täte aus seiner Sicht die Moral untergraben. Er wollte die absolute Macht und wenn er sie errungen hätte mit keinem anderen teilen, beanspruchte die erste, die unangefochtene Stelle.
Natürlich konnte er das nicht in aller Öffentlichkeit zugeben. Er wollte in den Verhandlungen in der ersten Reihe stehen, aber wenn es tatsächlich zu einer Regierungsbildung käme, würde er sich wieder Lars als Strohmann bedienen, um als graue Eminenz im Hintergrund die Strippen zu ziehen, solange, bis seine Stunde gekommen sei, bis ihm die absolute Macht wie ein reife Frucht von selbst in den Schoss fiel.


Die Revolution würde kommen, ob durch den Haupteingang, oder die Hintertür, das war ohne Belang.
Neidhardt würde mitregieren, gleichzeitig jedoch aus sicherer Entfernung Opposition spielen.
Die alte Frage: Wer ist mächtiger? Der König oder der Königsmacher?
„Ihr werdet unser schönes Land in den Abgrund führen! So wird es geschehen! Das prophezeie ich. Die Experimente die ihr im Schlepptau mit euch führt, werden unserer geliebten Heimat schaden, wo auch immer man sie durchführt.“ Protestierte Helmfried lautstark.
Elena war über diesen Umstand nicht ganz unglücklich, lenkte er doch ein wenig vom Hauptthema ab.
„Wir gedenken mit allem Menschen in Frieden und Eintracht zu leben. Allen werden wir den Platz in der Gesellschaft zuweisen, der ihnen gebührt. Niemand braucht zu flüchten. Wer aber von alleine zu gehen gedenkt, kann das gerne tun, wir halten niemanden.“

Das war eine deutliche Drohung und Neidhardt wusste das. Das bedeutete, dass er  jedwede Diskussion ablehnte.
„Aber das ist doch unerhört! Uns so etwas ins Gesicht zu sagen. Noch sind wir eine Demokratie. Noch gelten Recht und Gesetz in diesem Lande und gebührt dem Volke das letzte Wort.“ Geiferte Victor.
„Wessen Recht und Gesetz? Eures! Volk? Wer ist das Volk? Ihr oder alle Bewohner dieses Landes? Bisher habt ihr eure eigenen egoistischen Begierden als Interessen des Volkes ausgegeben. Von nun an werden wir andere Saiten auf ziehen. Es wird eine wahre Volksregierung geben. Eine Regierung aus dem Volk, durch das Volk, für das Volk!“
Neidhardt gebärdete sich immer deutlicher als zukünftiger Imperator, dass durfte Elena nicht weiter hinnehmen. Sie musste intervenieren, wollte sie nicht Stück für Stück  an Boden verlieren. 


„Es ist wie es ist! Das Volk hat entschieden! Wir haben ein Ergebnis und wir werden damit leben. Zumindest versuchen. Es ist an uns das Beste daraus zu machen und wir werden es schaffen. Das gelobe ich so wahr ich hier sitze. Drohungen hier, oder Verweigerungen dort, können uns nicht davon abhalten.
Ich bin dagegen hier und heute über Detailfragen zu streiten. Das müssen die Verhandlungen der folgenden Tage oder Wochen bringen.“ Gab Elena zu verstehen.
„Wochen? Du gehst davon aus, das es wochenlange Verhandlungen gibt?“ Hakte John nach.
„Wir müssen auf alles gefasst sein, auch damit! Obgleich mir eine rasche Einigung natürlich als die beste Variante erscheint. Ich jedenfalls werde nicht so schnell klein bei geben. Dies richte ich an die Adresse der künftigen Verhandlungspartner.“ Lies Elena weiterhin erkennen.
„Katastrophe! Wir schlittern in die Katastrophe! Ich sage es noch einmal. Alle werden sich schon bald meiner mahnenden Worte erinnern.“ Meldete sich Helmfried erneut zu Wort.
„Keineswegs! Schon nach kurzer Zeitspanne wird sich eurer niemand mehr erinnern. Ihr lebt fortan nur noch in den Geschichtsbüchern Und wir werden dafür sorge tragen.“ Drohte Neidhardt weiter.
Ausgerechnet Helmfrieds Prophezeiung sollte sich schon bald erfüllen, zumindest in dieser Hinsicht irre dieser nicht.

In den frühen Morgenstunden des Folgetages hatte Elena erstmals die Töchter der Freiheit zusammen gerufen. Zum ersten Male fand sich der neu geschaffene Bund zusammen um mit Elena einen Rat abzuhalten. Diese war sich der Tatsache  bewusst, dass sie mit der Gründung dieser Schwesternschaft die egalitären Prinzipen in gewisser Hinsicht durchbrach, denn immerhin schloss sie andere Mitglieder der Urkommune, vor allem Männer, aus.
Andererseits aber spürte sie eine ungeheure Triebkraft. Es sollte ein Bund des Dienstes und nicht des Herrschens werden. Warum sollten sich nicht Frauen in einer besonderen Weise zu einem Bündnis zusammenschließen, von einander lernen, einander stärken und heilen und schließlich gemeinsam für eine bessere Welt kämpfen?


Was sprach dagegen?
Selbst Kovacs, konnte darin nichts Negatives entdecken. Die Historie kannte jede Menge ähnlicher Beispiele. Solange von solchen Bündnissen emanzipatorisches Gedankengut ausging und keine künstlichen Hierarchien geschaffen wurden, konnten sie sich als ausgesprochen nützlich erweisen.
Und in diesem Sinne gedachte Elena zu wirken. Sie war eine starke und eindrucksvolle Persönlichkeit, aber auch nicht unfehlbar und verletzlich. In diesem Bund wollte sie ihre Kräfte reaktivieren und sich Zeiten der Einkehr, der Erbauung und der Schulung gönnen. Sie glaubte das ihr dieses Reche zustand.
Natürlich kamen gleichzeitig die Gewissensbisse, gerade in punkto Leander. Sie spürte nur zu deutlich wie ihm wohl zumute war und das schmeckte ihr überhaupt nicht.


Es bedurfte langer, sehr langer Zeit, um auf diese Frage eine zufrieden stellende Antwort zu finden.
Doch noch war auch sie nur eine Suchende.
„Ich habe euch  zusammengerufen um zu klären wie es mit uns weitergehen soll, ich freue mich dass ihr vollzählig erschienen seid. Ich brauche einfach euren Rat, denn auch ich komme dieser Tage an meine Grenzen.“ Begrüßte Elena ihre neuen Schwestern, die doch eigentlich die alten waren.
„Das ist Ehrensache Elena! Außerdem ist es ohnehin wichtig für uns zu erfahren, warum es unsere Gemeinschaft überhaupt gibt. Ich muss gestehen, das ich im Überschwall der Gefühle auf der großen Tribüne vor einer Woche gar nicht darüber nachdenken konnte, da gingen bei mir, wie sicher bei euch allen auch, die Emotion durch. Aber jetzt, im Nachhinein frage ich mich doch welchen Nutzen ein solch engerer Kreis haben könnte.“ Gestand Gabriela ihre Skepsis.
„Also wenn du mich fragst, ich finde es total cool was Elena getan hat. Zwar habe auch ich keine Antwort nach dem warum und wofür, aber ich fühle mich einfach wohl, aufgehoben, aufgewertet.“ Gab Kyra zu verstehen.


„Das richtige Stichwort Kyra!  Ich wollte etwas schaffen, das uns eine solche tiefe Geborgenheit schenkt. Das Gemeinschaftserlebnis! Ihr alle seid dadurch aufgewertet, wir sind Gleiche unter Gleichen. Keine von uns steht über der anderen. Alle sind wir dazu berufen füreinander ein zu stehen, einander zu tragen zu helfen, zu lieben, in guten wie in schlechten Zeiten.“ Erwiderte Elena.
„In guten wie in schlechten Zeiten, das erinnert mich irgendwie an eine Hochzeit, da versprechen sich das die Ehepartner, wenn ich mich nicht irre.“ Stellte Kim fest.
„Ja! So ähnlich könnte man unseren Kreis tatsächlich betrachten, nur das er eben nicht nur aus zwei, sondern aus derzeit neun Personen besteht. Derzeit, das bedeutet er soll stets für Neuaufnahmen bereit und erweiterbar sein.“ Klärte Elena weiter auf.


„Aber haben wir eine solche Geborgenheit, von der du spricht, nicht schon lange? In der Kommune, die wir vorzeiten ins Leben riefen und die es  noch immer gibt? Wozu bedarf es einer weiteren Gruppe, einem engeren Kreis, der zumal nur aus Frauen besteht? Das würde mich interessieren?“ Wollte Gabriela wissen.
Das war die entscheidende Frage. 
„Nur Frauen? Ganz stimmt das doch nicht! Colette ist doch  auch bei uns und die ist doch gar keine richtige Frau, oder?“ Glaubte Lisa feststellen zu müssen, was Colette natürlich sofort auf die Palme brachte.


„Du willst damit sagen, dass ich für dich keine richtige Frau bin? Na schön das ich das auch mal erfahre. Da kann ich am Besten gleich gehen, wenn ich eure verschworene Gemeinschaft störe. Komisch nur, das bisher noch keine von euch den Mut aufbrachte, mir das ins Gesicht zu sagen.“ Beschwerte sich Colette wütend.
„Was soll das Lisa? Warum beleidigst du Colette, deine Schwester ? Seit wann entscheidet sich Frausein an den Geschlechtsorganen? Frausein ist eine Sache des Bewusstseins, so wie es das Mannsein ebenfalls ist. Colette ist Frau in vollem Sinne. Wir sind eine geistige Gemeinschaft, keine biologistische. Kundras wie Colette haben hier ihren Platz so wie andere Frauen auch.“ Widersprach Elena mit entschiedenen Unterton, damit wollte sie verdeutlichen das sie an ihren Aussagen keinen Zweifel ließ.

"Es ist kein Zufall das ich Colette als erste rief, wenn ihr euch erinnern könnt an jenen bewussten Tag im Zentralen Park. Das war Absicht. Colette wird sogar eine herausragende Stellung bei uns einnehmen." Fuhr Elena fort.


„Und was ist mit mir Elena? Also, ich meine ich bin mir nicht sicher wie ich mich betrachte! Ich bin biologisch Frau, aber geistig, ich weiß nicht! Ich kleide mich wie ein Mann. Ich fühle mich auch oftmals als Mann, dann aber auch wieder nicht. Ich weiß es nicht. Ich stehe irgendwie dazwischen und komme nicht voran!“ Gestand Kim, voller Angst nun aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden.


„Auch du gehörst zu uns Kim. Du brauchst dich nicht festzulegen. Stehe einfach zu dir, stehe über den Dingen und sei glücklich dabei. Dein Glück und deine Unbefangenheit kannst du auf uns alle übertragen und wir können davon profitieren.“ Beruhigte Elena sofort.
„Gut! Das hätten wir geklärt! Ich denke wir alle können das unterschreiben! Kommen wir aber zu Gabrielas Frage zurück, denn die erscheint mir bedeutend wichtiger. Warum dieser innere Kreis. Warum sich von den Männern absetzen?“ Hakte Alexandra nach.
„Da triffst du einen wunden Punkt! Ich muss gestehen, dass mir das auch die meisten Kopfschmerzen bereitet. Die Kommune ist unser Zuhause, das stelle ich auch nicht in Zweifel und die Gemeinschaft mit Männern ist mir sehr wichtig, ohne die ich gar nicht leben möchte.
Aber, es gibt Situationen wo Frauen einfach unter sich sein müssen. Ich gestehe Männern übrigens das gleiche Recht zu. Des Weiteren und das scheint mir noch bedeutsamer, bin ich einfach einer Eingebung gefolgt und die offenbarte mir, dass die Erneuerung unserer Gesellschaft und die Heilung der ihr zugefügten Wunden vordergründig von Frauen ausgehen muss. Frauen sind es die unser Land in eine neue Zeit führen werden, alle Frauen, auch solche wie Colette und Kim. Das ist der Grund warum wir heute hier beisammen sind.“


„Und gibt es einen speziellen Grund, warum ausgerechnet Frauen diese Aufgabe zukommt?“ Wollte Miriam wissen.
„Ich habe mich sehr oft mit Kovacs über diese Dinge ausgetauscht. Er ist, wie ihr wißt,  Experte auf diesem Gebiet. Er bestätigte mir dass es sich  bei meinen Visionen, wollen wir das mal so bezeichnen, um authentische Erfahrungen handelt. Es gab bereits umfangreiche Forschungen auf diesem Gebiet. In vergangenen Zeiten, die im Dunkel der Geschichte verborgen liegen, soll es einmal Perioden gegeben haben, in der allen Menschen die gleichen Rechte zuteil wurden. Eine egalitäre Gesellschaft. Alle besaßen alles, um es auf die Form zu bringen. Es gab keinen der das Kommando führte. Was nun die Frauen betrifft, so nahmen diese eine geachtete Stellung in jenen Zeiten ein, waren den Männern völlig gleichgestellt. Männer begannen aber irgendwann neue Verhältnisse einzuführen. Herrschaft und Besitzdenken, Status und Standesdünkel und schließlich auch kriegerische Auseinandersetzungen. Dies zog sich über Jahrhunderte, sogar über Jahrtausende wie ein roter Faden durch die Geschichte. Nun haben wir eine Epoche erreicht, dafür auserkoren, die alte egalitäre Ordnung wieder her zu stellen, so jedenfalls sieht es Kovacs und so kommt es auch in meinen Visionen zum Ausdruck.“


„Und was ist unsere Aufgabe? Wie stellst du dir das vor? Wir werden diese alte Ordnung neu erreichten oder wie muss ich mir das vorstellen?“ Zweifelte Alexandra.
„Wenn du mich so direkt fragst. Aber was die Details betrifft, da bin ich im Moment noch ebenso schlau wie du, oder alle anderen. Kommt Zeit kommt Rat!“ Antwortete Elena kurz und knapp.

"Erinnert euch der Worte unsres Bruders Kovacs, die er häufig in unseren Lehrkreisen ansprach. Er glaubt an die Existenz einer Art von Urkommunismus in alten prähistorischen Tagen. Auch ich glaube daran! Mir werden zuweilen ebensolche Visionen zuteil ähnlich denen Elenas. Darin sehe ich deutlich einen Weg. Diese Schwesternschaft wird ihn bahnen. So wie in alten Tagen die Amazonen gegen Unrecht und Tyrannei fochten." Meinte Colette.


„Aber  das ist Zukunftsmusik! Eine schöne erhabene Vorstellung, zugegeben! Was aber geschieht in absehbarer Zeit? Mir wäre vor allem daran gelegen zu klären, welche Aufgabe uns demnächst erwartet. Wir haben jetzt diese Wahl hinter uns gebracht und verbuchen einen grandiosen Sieg. Doch nun stehen wir an einem Scheideweg und wissen nicht wohin. Ich bin ein eher logisch veranlagtes Wesen. Einen Schritt vor den anderen tun, so habe ich es gelernt.
Sag uns was wir tun sollen! Ich will dir folgen, so habe ich es gelobt!“ Wurde Chantal nun ganz konkret.


Elena wusste nicht so recht, wie sie ihre Gedanken in Worte kleiden sollte, ein Zustand der bei ihr recht selten vorkam und deshalb so ungewöhnlich anmutete.
„Ich habe kein gutes Gefühl! Ich weiß nicht woher es kommt, aber ich spüre, dass schlimme Zeiten über uns kommen. Sehr schlimme, die uns eine Menge abverlangen.“
„Du machst mir schon wieder Angst Elena!“ Beklagte sich Kim.
„Das tut mir leid, aber es ist besser ihr bereitet euch jetzt schon darauf vor. Auch deshalb haben wir diesen Bund geschlossen, als zusätzliches Element der Sicherheit. Wenn wir alle zusammen halten, kann die Lawine uns nicht so sehr in Mitleidenschaft ziehen.“ Entgegnete Elena.
„Kannst du konkreter werden? Was wird geschehen? Wer kommt zu Schaden? Gibt es Hinweise?“ Lautete Chantals Frage.
„Leider nein! Es wäre um vieles einfacher, ich könnte es. Dann wären wir in der Lage rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Doch ich kann es nicht. Ich bin in dieser Hinsicht ebenso hilflos wie ihr:“ Gab Elena zu.


„Möchtest du wirklich die Mächtige sein, in diesem Land? So wie es dir nach der gewonnene Wahl zusteht?“ Lautete Colettes etwas gewagte Frage.
„Alles verschwommen. Es gelingt mir nicht den Nebel zu durchtrennen.“
„Natürlich wirst du die Mächtige! Wer denn sonst? An dieser Tatsache geht kein Weg vorbei.
Und wir werden dir den Geleitschutz bieten. Könnte mir vorstellen, dass du uns deshalb zu diesem Bund vereint hast, als eine Art von Kämpferinnenkreis!“ Mutmaßte Kyra.
„Du willst damit sagen, dass wir so eine Art neuer Amazonenbund werden? Find ich cool die Idee. Hab ich früher mal gespielt so ne Rolle, in jenen Tagen als ich noch als Schauspielerin tätig war.“ Erinnerte sich Alexandra.
„Tja, im Film ist das alles einfach. Aber wir sind hier in der Realität, leider!:“ Meinte Gabriela.
„Kampfamazonen? Warum eigentlich nicht? So in der Art, das könnte tatsächlich funktionieren!“ Gab nun auch noch Lisa ihren Senf dazu.
„Es kommt darauf an, was wir als Kampf bezeichnen!“ warf Elena ein. „So wie im Kino wird es sicher nicht. Ich gehe davon aus, dass sich uns noch weitere anschließen, die Türen stehen weit offen, es gibt kaum Hürden. Wir werden kämpfen müssen, harte Auseinandersetzungen stehen bevor. Wir müssen uns darauf vorbereiten, deshalb werden wir uns von nun an regelmäßig zusammen finden, um in uns zu gehen.“ Lautete Elenas konkreter Hinweis.
„Wenn wir die Zeit dazu finden!“ Zweifelte Miriam.


„Wir werden sie uns nehmen! Das wird schwierig,aber nicht unmöglich.Unser Auftrag ist einfach zu wichtig.“
Elena erkannte durch aus die Schwierigkeit jenes Unterfangens.  Bald würde sie mit der Regierungsbildung betraut, ein Umstand der ihr allerhand Energie abverlangte und da gab es auch noch Leander den sie beabsichtigte zu heiraten und eine Familie zu gründen. Wo sollte sie dann noch die Zeit her nehmen sich dieser Schwesternschaft zu widmen?
 


„Du sagtest etwas von Schulungen. Wie meinst du das? Willst du uns so eine Art von Unterricht erteilen?“ Wollte Kim wissen.
"Nicht wie in der Schule, wenn du daran gedacht hast. Nein, das sicher nicht. Aber eine Schule wird es in der Tat. Wir werden lernen, von einander. Jede von uns verfügt über Erfahrungen die von Nutzen sein könnte. Es wird eine Art, Training: Ja, ich denke das ist eine bessere Bezeichnung“
Fiel es Elena spontan ein.


„Training? Willst du uns auch das kämpfen lehren?“ Wunderte sich Kyra.
„Warum nicht? Auch so etwas! Das ist wichtig! Vor allem natürlich geistiges Training!
Entscheidend ist es aber für mich zu erfahren, was ihr für Vorstellungen habt. Was liegt euch besonders am Herzen? Welche Wünsche habt ihr? Was bewegt euch?
 Wir wollen eine egalitäre Gemeinschaft sein, keine elitäre. Ich bin  nicht eure Königin!“
„Na aber das bist du schon! Und überhaupt, jede Organisation bedarf einer Führung. Warum sollte das hier anders sein?“ Hinterfragte Chantal.
„Weil wir uns ganz deutlich von dem unterscheiden wollen, das uns umgibt. Ein lebendiger Beweis dafür sein, dass es auch anders geht.“ Wies Elena diesen Vorschlag energisch zurück, auch wenn sie Chantals ehrliche Ansicht dahinter erkannte.


"Hier im kleinen Kreis, in der Kommune, bis hin zum ganzen Land. Die Menschen werden sich schwer damit tun. Sie sehen in dir eine Hoffnungsträgerin und erwarten von dir  klare Worte, wohin der Weg führt den du ihnen weist. Und dieses Vertrauen musst du befrieden!“ Entgegnete Gabriela.


„Du denkst hier wieder an Kovacs Visionen, stimmt's? Wir lauschen gespannt seinen Worten sind begeistert von dem was er uns zu berichten hat. Aber im Grunde denken doch viele nach wie vor: Theorie, schöne saubere Theorie. Mag sein, dass seine Welt in ferner Zukunft eine Chance bekommt. Aber im Moment sind die Menschen leider noch nicht soweit, sich selbst zu regieren, noch bedarf es der Anleitung! Es sind nicht alle solch Kompromißlose Anarchisten wie ich  oder einige andere aus unseren Reihen. Noch viel wenigeren werden so grandiose Visionen zu teil wie uns Elena.“ Pflichtete ihr Colette bei.


Elena konnte sich der Tatsache nicht verschließen, dass sie die Wahrheit sprachen. Denn die Bevölkerung Melancholaniens war in jenen Tagen noch lange nicht imstande dazu und dem musste sie Rechnung tragen. Zumal sie ebenfalls noch starke Zweifel hegte, ob sich Kovacs Konzept realisieren ließ.
„Ihr legt den Finger in eine offene Wunde, eine Wunde die zutiefst schmerzt. Ich komme zurück auf das was ich vorhin ansprach, die Gefahr die auf uns zukommt. Ich denke besonders an den Blauen Orden. Der wird nicht untätig zuschauen, wie wir seine Privilegien beschneiden. Ich gehe davon aus, dass die längst etwas im Schilde führen.“
„Komisch, jetzt da du es sagst fällt mir ein, dass Folko häufig davon sprach. Es tat so als seien wir alle in großer Gefahr und meinte das wir Vorkehrungen für den Ernstfall treffen sollten.“ Erinnerte sich Kyra.


„Gefahr, welche Gefahr? Kannst du mal konkreter werden?“ Sorgte sich Kim.
„Keine Ahnung! Mehr war aus ihm nicht heraus zu bekommen. Er meinte nur, wir sollten uns nach Möglichkeiten in den nächsten Tagen zurückhalten, mit Aktionen in der Öffentlichkeit. Weiß der Teufel was er damit sagen wollte.“ Gab Kyra zu verstehen.
„Wo steckte denn Folko eigentlich. Schon seit Tagen bin ich ihm nicht mehr begenet.“ Wollte Miriam wissen.
„Ich auch nicht! Da bin ich überfragt!“ Kyras Unterton lies vermuten, das sie ein wenig ärgerlich auf ihren Gefährten war.
„ Dein Freund zeigt seit einiger Zeit, hm sagen wir es mal so. Er benimmt sich sonderbar. So als habe er etwas zu verbergen, findest du nicht auch.“ Stichelte Colette.
„Das soll uns im Moment nicht weiter interessieren! Jeder tue so wie ihm beliebt. Aber Folko hat Recht. Wir sollten seine Warnung nicht in den Wind schlagen. Was aber könnten wir konkret tun? Nichts? Das erscheint mir ein bisschen wenig.“ Mischte sich  Alexandra ein.


„Übermorgen beginnen die offiziellen Koalitionsverhandlungen. Neidhardt wird uns eine Menge zumuten und wir sind leider nicht in der Lage seine Vorstellungen zurück zu weisen. Im Grunde steht die Regierung schon jetzt. Die Presseorgane die dem Blauen Orden anhängen, überschlagen sich schon mit Horrorszenarien. Die machen Stimmung gegen uns und wollen ausloten wie weit sie im Ernstfall gehen können.“ Mutmaßte Elena.
„Ernstfall? Welcher Ernstfall?“  Entsetzen sprach aus Kims Worten.


„Wenn die Regierung steht, meint Elena! Stell dich doch nicht so an!“ Gab eine genervte Kyra zu verstehen.
„Die gesamte Presse kontrollieren sie schon lange nicht mehr! Nicht nur mein ehemaliger Arbeitgeber hat in der Zwischenzeit die Fronten gewechselt. Ganz so leichtes Spiel haben die nicht mehr.“ Glaubte Chantal zu wissen.
„Aber immer noch genug um den Leuten Sand in die Augen zu streuen!“ Widersprach Gabriela.
„Aber was sollten wir tun, wenn die wirklich was unternehmen?  Dann sind wir in Gefahr, sitzen in der Falle. Die werden doch nicht vor den Toren der Abtei halt machen:“ Fürchtete Lisa.
„Die Blauen wollen mich! Nur darum geht es denen. Druck ausüben damit ich wieder zu ihnen überschwenke. Das kann uns zugute kommen. Ich denke, die werden euch nichts tun. Ihr seit für die ohne Belang, uninteressant.“ Verkannte Elena völlig die Situation. Doch schon während sie diese Worte sprach schien es ihr zu dämmern.
„Doch andererseits? Hm…, andererseits…könnte es sein, dass sie mich gefügig machen wollen auf irgend eine Art und Weise, um mich auf ihre Seite zu ziehen, zumindest oberflächlich. Die kennen mich gut genug um davon aus zu gehen dass ich  meinen festen Standpunkt nie und nimmer aufgebe. Sie könnten an dem einen oder der anderen ein Exempel statuieren.“


„Was? Meinst du das im Ernst? Aber das ist ja entsetzlich!“ Wimmerte Kim.
„Ach reis dich doch mal zusammen, Mensch! Ich denke du willst ein Mann sein?“ Wies sie Kyra zurecht.
„Was hat das denn damit zu tun? Nun sag nur, dass sich Männer nicht fürchten dürfen?“ Hielt ihr die Angesprochenen entgegen.
„Es ist eine Vermutung, weiter nichts. Reine Spekulation. Es könnte sein, das wir uns völlig umsonst den Kopf zerbrechen.“ Versuchte Elena die Sache herunter zu spielen, was ihr aber nicht sonderlich gelang.

So verlief die erste Zusammenkunft der neuen Schwesternschaft, wenig spektakulär, auch wenn sich im Laufe der Zeit Mythen und Legenden darum woben, die weit mehr hinein interpretierten. Aber die wahre Geschichte präsentiert sich in den meisten Fällen unspektakulär und erst die hinein gewobenen Legenden machen sie betrachtenswert.

Wenige Tage später begannen die offiziellen Koalitionsverhandlungen zwischen der Neuen Liga und der Steinernen Front. Trotz zum Teil erheblicher Meinungsverschiedenheiten waren sich die Beteiligten einig, dass es eine gemeinsame Regierung geben sollte, vor allem Cornelius war bereit dafür so manche Kröte zu schlucken, das belastete Elena sehr, doch sie fügte sich nach und nach den Forderungen.
Cornelius sollte, wie vereinbart, die Funktion des Staatspräsidenten übertragen bekommen, darauf konnten sich die Verhandlungsführer recht schnell einigen. Die Tatsache das Elena Kanzlerin werden sollte galt schon aufgrund des Wahlergebnisses als gesichert, auch wenn Neidhardt hin und wieder seine Ambitionen auf dieses Amt bekundete. Doch das nahm kaum jemand richtig ernst. Die üblichen Muskelspiele eben, die wohl dazugehörten.


Doch welche Funktion konnte man ihm wirklich übertragen? Neidhardt als Elenas Stellvertreter? Kaum jemand im Lande mochte sich diesen Zustand auch nur annähernd vorstellen. Keine Woche würden die es mit einander aushalten, so die allgemein anzutreffende Meinung. Der egozentrische Neidhardt würde sich nie in eine Regierung ein binden lassen, deren Fäden er selbst in den Händen hielt. Er beanspruchte die ganze Machtfülle. So lautete stets seine Devise. Es wurde damit gerechnet, dass einer solchen Regierung wohl keine lange Lebensdauer beschieden sei.
Doch nichts desto trotz votierten am Ende alle für die neue Koalition.

In den Reihen des Blauen Orden betrachtete man diese Entwicklung mit Genugtuung. Der Grund für einen gewaltsamen Umsturz war gegeben. Hinter den Kulissen liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Sämtliche Freicorpsverbände wurden mobilisiert und befanden sich in Alarmbereitschaft.
Die Unterschriften für eine Zusammenarbeit waren noch nicht trocken, als Großmeister Thoralf den Startschuss gab.