Im Hamsterrad

Weckerrasseln, aufstehen, schnell in das winzige Badezimmer, Katzenwäsche, danach in die Küche, eine schnell improvisierte Mahlzeit herunterwürgen. Raus auf die Straße, die Hetze zur Straßenbahn, warten, immer wieder auf die Uhr starren, das Hoffen auf deren pünktliches Erscheinen.

Nach deren eintreffen, einsteigen, schubsen, drängen, sich auf den erstbesten Sitzplatz fallen lassen, das innerliche Bangen, dass die Bahn ihr Ziel möglichst schnell erreiche, das vor sich hin fluchen, bei der kleinsten Verspätung. Dann, am Ziel wieder drängen, schubsen, hetzen bis das Fabriktor sein breites Maul aufsperrte um die Ankömmlinge für einen ganzen Tag zu verschlingen.

An der Stechuhr wieder Gedränge. Nur ja nicht zu spät kommen, das konnte nur wieder einen Anschiss zur Folge haben. Rein in die riesige Produktionshalle, 200 Leute schufteten hier.

Ohrenbetäubender Lärm empfing Leander jeden Morgen wenn er hier eintrat und ein penetranter Gestank, ein Gemisch aus Metall, Schweiß und Abgasen. Endlich am Fließband, bisher alles nach Zeitplan. 8 Stunden im Takt, immer mit der gleichen Handbewegung, mechanisch, automatisch, dazu benötigte man keinen Verstand, im Gegenteil, der konnte sich bei dieser Tätigkeit als ausgesprochen hinderlich erweisen.

Immer wieder sehnsüchtige Blicke zur großen schmucklosen Uhr an der weißgetünchten Wand gegenüber, wann endlich ist mal Pause. Hektisch das Essen herunterwürgen, dann ging es weiter. Irgendwann Schmerzen im Rücken in den Beinen, das dauerhafte Stehen auf einer Stelle forderte schnell seinen Tribut.

Dabei war Leander erst Mitte 20, konnte also noch recht gut damit umgehen, was aber taten jene deren Alter schon weit fortgeschritten, die doppelt so viele Jahre zählten ? Leander konnte sich nicht erklären wie die jene alltägliche Tortur durchstanden. Viele der Älteren schlichen mit gekrümmten Rücken herum, aschgrau im Gesicht, müde, ausgebrannt, vom Leben abgehängt, Gespenster aus einer fremden Welt. Seit Jahren, Jahrzehnten der gleiche Trott.

Ein Hamsterrad, eine Tretmühle und nichts schien dieses Auf und Ab an Hektik, Stress und Antreiberei aus dem Takt zu bringen. Wie Musik aus Engelshänden ertönte dann am späten Nachmittag die schrille Klingel, die das Ende der Schicht verkündetet, nun wurde Leander und die 200 andern Arbeitsameisen von andern abgelöst, die nun ihrerseits bis in die tiefe Nacht schufteten, um nichts in der Welt durfte diese Band zum Stillstand kommen, das hätte das Ende der melancholanischen Zivilisation zur Folge.

Doch nur selten erfüllte sich der Wunsch nach einem pünktlichen Feierabend tatsächlich, nur all zu oft hieß es Überstunden klopfen, die erfüllte Leander und andere oftmals mit Transportarbeiten aller Art. Wenn er dann müde und apathisch das Fabriktor verließ um an die Straßenbahn zu hetzen senkte sich bereits die Dunkelheit über die Straßen Manrovias.

Das rattern der Bahn lies Leander häufig in einen oberflächlichen Schlummer sinken, unsanft erwachend durch das laute quietschen der Bremsen an den Bahnsteigen. Endlich zuhause. Anna, seine Mutter hatte das Essen gerichtet, alle versammelt sich in der kleinen Küche um den Tisch, geradewegs aus ähnlichen Hamsterrädern entstiegen, wie er selbst. Meist verspürte Leander keinen großen Appetit, leichte Übelkeit aufgrund der andauernden Geruchsbelästigung.

Die Gespräche kreisten hauptsächlich um ein Thema, die Arbeit, natürlich, um was auch sonst? Wer hatte heute wann was getan. Wer hatte sein Soll erreicht, wer nicht. Was war vorgefallen. Dabei ließen sie ihren Emotionen freien Lauf so, dass sich Leander des Eindruckes nicht erwehren konnte das sich alle im Geiste weiterhin an ihrem Arbeitsplätzen befanden.

So sehr hatte das Hamsterrad von ihrem Bewusstsein Besitz ergriffen, dass sie es auch nach Feierabend nicht verstanden abzuschalten. Es sollte ihn nicht wundern, wenn sie des Nachts auch noch im Traum zu ihren Maschinen strebten. Leander musste zu seiner Schande gestehen, dass auch ihm so etwas des Öfteren geschah. Er ärgerte sich zwar darüber, aber es lag nicht in seinem Ermessen es zu ändern.

Nach dem Essen versammelten sich alle in der Wohnstube um ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen, fernsehen. Tausende, aber tausenden von Preka taten es ihnen in dieser Stunde gleich, überall im Lande. Seichte Unterhaltung von der Stange, schließlich wollten die Leute  nach einem schweren Tag endlich ausspannen, und wie konnte das besser gelingen, als durch den Besuch einer  virtuellen Traumwelt. Der Fernseher vermochte in Handumdrehen eine solche zu konstruieren.

Heute lief wieder mal einer der Lieblingsendungen der Familie „Der Traumurlaub“. Hier durften alle mit erleben, wie die wohlhabenden Privofamilien ihren Urlaub verbrachten, wie sie mit ihrem Geld um sich warfen, es sich gut gehen ließen. Für eine Stunde war es den Zuschauer vergönnt, teilzuhaben, an jenem Luxus, der ihnen selbst Zeit ihres Lebens verwehrt blieb. So etwas durfte natürlich nur unter vorgehaltener Hand geäußert werden.

Die Berichte gingen selbstverständlich davon aus, dass alle Melancholanier imstande waren sich einen Traumurlaub  zu leisten. Eine Appartement für 400 Mark die Nacht? Selbstverständlich, bei einem Monatseinkommen von ca.700 Mark für einen durchschnittlichen Preka. Das konnte jeder aus der Portokasse begleichen.

Leander widerte diese Heuchelei an. Schlimmer aber war die Tatsache das sich seine Familie davon beeinflussen ließ. „Also Mutter, wir werden uns so einen Urlaub auch leisten, später, wenn wir genug dafür gespart haben!“ Vaters Spruch konnte er auswendig, den hörte er seit Jahren schon und daran würde sich auch die nächste Zeit nichts ändern. „Und da bist du dir noch immer sicher?“ Lautete Leanders Frage ebenso regelmäßig. „Wer richtig ranklotzt ist auch dazu imstande! Wir haben immer gearbeitet unser ganzes Leben lang. Wir sind schließlich gute Melancholanier. Melancholanier sind fleißige Menschen.“ Die Antwort des Vaters versetzte ihn wie immer in Rage, doch die ließ er sich schon lange nicht mehr anmerken.

Vater tat so als ob es davon abhinge welcher Nationalität man an gehörte um etwas zu gelten. Doch Leander war heute nicht nach einem kontroversen Disput mit der Familie, er wollte ihnen einfach ihre Illusion lassen, war es doch das Einzige das in dieser trostlosen Umgebung geblieben war. So ließ er den zu Schau gestellten Luxus der Privo auf der Mattscheibe über sich ergehen.

Doch nach Ende der Sendung hielt ihn nichts mehr im Kreise der trauten Familie. Nun schloss sich die Tägliche Talk-Show an. Als Elenas Konterfei auf dem Bildschirm erschien erhob er sich und schickte sich an die gute Stube zu verlassen. „Wo willst du denn hin, jetzt kommt Elena. Die willst du doch nicht etwa versäumen?“ wollte die Mutter wissen. „Oh ich denke nicht dass ich da viel versäume!“ Antwortete Leander wie aus der Pistole geschossen.“ Lasst euch ruhig von ihr beleidigen, ich habe da keinen Bock drauf.“ „Aber du hast sie doch sonst immer gern gesehen, ist doch ne supergeile Frau!“ Warf sein Bruder Markus ein. „Ich sage ja nicht dass sie schlecht aussieht. Wenn ihr den Ton weg nehmt und einen Stummfilm daraus macht könnte ich mich dazu entschließe zu bleiben, aber ihr Gequassel ist einfach ätzend.“ „Ja, zugegeben, sie berichtet ein wenig einseitig. Wir sind alle gute Melancholanier, wir Preka ebenso wie die Privo. Aber andererseits, vieles von dem was sie sagt, hat einfach was. Das musst du doch eingestehen Leander, die Paria sind doch selber dran Schuld, wenn sie in der Gosse liegen. Die wollen doch gar keine Leistung bringen. Das sind keine guten Melancholanier. Und es gibt auch Preka, die es nicht begriffen haben.“ Stellte der Vater fest. „Naja, da haben wir`s wieder. Also dann viel Spaß.“

Wütend verließ Leander die Stube, wieder einmal hatte Elena für Zwietracht in der Familie gesorgt, wie schon des Öfteren. Er schlich den kleinen Flur entlang hin zu seinem Zimmer. Hier zumindest konnte er sein was er war. Ein Bett, ein Kleiderschrank, ein Schreibtisch und ein Stuhl, dazu ein Bücherregal, mehr passte hier nicht rein, aber immerhin, es war sein Reich. Hier träumte er von einem Leben von ganz anderer Art.  Einem Leben das mit seinem derzeitigen nicht mehr viel gemein hatte, ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung, ein Leben das seine Fähigkeiten zu würdigen wusste, ein Leben voller Kreativität und Aktion. Er träumte nicht von Müßiggang und Dauerurlaub, so wie die Privo, nein er gedachte auch in diesem Leben zu arbeiten um einen dauerhaften Wert zu schaffen.

Aber seine Arbeit dort würde von einer ganz andern Beschaffenheit sein. Wie, das vermochte er nicht recht auszudrücken, er hatte nur wage Vorstellungen, reine Theorie eben. Er nahm an seinem Schreibtisch platz und griff nach einem Buch das ihn der Dichter Kovacs bei ihrem letzten Zusammentreffen gegeben hatte. Bisher konnte er noch nicht die Zeit und Energie aufbringen es zu lesen. Er beschloss es nach zu holen, dieser Abend schien ein guter Anlass zu sein.

Ja, Kovacs und seine Runde, erst vor kurzen war es ihm endlich gelungen in den erlauchten Kreis einzutreten.  Das war alles andere als einfach. Denn Kovavs war ein Eremit, der mit der Welt die ihn umgab, gebrochen hatten. Nur ganze wenigen gestattete der einen direkten Kontakt. Dessen Vorstellungen sprachen ihn spontan an, obgleich er erhebliche Zweifel daran hegte, dass sich diese jemals in die Tat umsetzen ließen. Wunderschöne Theorie. Kovacs glaubte mittels gewaltlosem Widerstand das herrschende politische und ökonomische System zu überwinden. Einem jeden seinen Glauben. Seine Eltern und Geschwister glaubten an das Fernsehprogramm, Kovacs glaubte an seine Bestimmung, jedem das seine.

Doch an was glaubte Leander? Er machte die Feststellung dass er sich bisher kaum damit aus einander gesetzt hatte. Wann sollte er auch? Die Arbeit nahm ihn derart in Beschlag, das für andere Dinge keine Zeit mehr blieb. Sicher, er las sehr viel, damit unterschied er sich schon einmal deutlich von einem Durchschnittspreka, aber er hatte sich kaum auf ein Thema festgelegt. Hier schien sein Manko zu liegen, Kovacs hatte ihn schon mehrfach darauf hingewiesen.

Er beschloss einfach das Buch aufzuschlagen um sich einem kurzen Abschnitt zu widmen. Leander fürchtete eine trockene Ansammlung von in akademischer Sprache verpackten Theorien, doch als er zu lesen begann wurde er auf angenehme Art überrascht. Er konnte sich nicht mehr abwenden, so fesselte ihn der Inhalt des Werkes, erst spät in der Nacht, als ihm immer wieder die Augenlider zu fielen legte er es beiseite und fiel schon bald in einen tiefen Schlummer.

Am folgenden Tag begann Leander wie immer seine Schicht am Fließband. Doch irgend etwas war heute anders. Er bemerkte sehr schnell die Spannung die sich unter den Kollegen ausbreitete. Rainer sein direkter Nachbar wagte es ihn anzusprechen. Sehr vorsichtig damit der Vorarbeiter nichts bemerkte. „Hast du gehört, die planen Entlassungen, hab ich vorhin beim reingehen so mit nem halben Ohr aufgeschnappt.“ „Entlassungen, wer soll entlassen werden?“ wollte Leander wissen. „Das steht noch nicht fest. Es soll wohl eine Betriebsversammlung geben, da werden die Namen bekannt gegeben.“ Murmelte Rainer.

Der Vorarbeiter hatte das Getuschel bemerkt und heimlich die Geschwindigkeit des Bandes hoch gesetzt. „Warum läuft das Band jetzt schneller?“ bemerkte Leander sogleich die Veränderung. „Das miese Schwein hat es beschleunigt, hat wohl gemerkt das wir getuschelt haben.“ Vermutete Rainer ganz richtig. „Heh, warum hast du das Band beschleunigt?“ Rief Leander dem Vorarbeiter zu. „Offensichtlich sind die Herren nicht ausgelastet, wer die Zeit findet sich angeregt zu unterhalten, kann auch schneller arbeiten!“ Gab dieser unmissverständlich zu verstehen. „Na da hört doch alles auf. Man wird sich wohl noch unterhalten können. Sind wir Sklaven hier oder was?“ Schleuderte ihm Leander wütend entgegen. „Wenn dir`s nicht gefällt kannst du dir gerne die Kündigung holen. Da draußen stehen hunderte von Paria die mit Kusshand deinen Platz einnehmen.“Entgegnete der Vorarbeiter herablassend.

Die alte Leier, die bekam jeder zu hören der einmal eine Beschwerde vor zubringen hatte. Tagtäglich wurde diese dutzende Male in der Firma ausgesprochen, ein unabänderliches Dogma. „Lass ihn doch in Ruhe, oder willst du am Ende zu denen gehören, die heute auf die Straße fliegen?“ Sorgte sich Rainer. „Ja richtig so Rainer, immer schön kuschen, immer den Kopf nach unten und sich alles bieten lassen. So wird sich nie was ändern.“ Erwiderte Leander. „Was soll sich denn ändern?“ „Ach vergiss es! Wann soll denn diese Betriebsversammlung stattfinden?“ Lenkte Leander ab. „Heute Nachmittag nach Schichtschluss!“ Klärte Rainer auf. „Klar, nach Schichtschluss! Wann denn sonst. Nur ja nicht die Bänder still stehen lassen.“ „Na, dass ist üblich so. Die Bänder dürfen doch nie zum Stillstand kommen. Wir können doch nicht einfach so unsere Arbeit unterbrechen:“ Wunderte sich Rainer. „Meinst du nicht dass es denen die die Entlassungspapiere bekommen und womöglich zu Paria werden schnurzpiep egal sein kann, ob die Bänder still stehen?“ Konterte Leander. „Was hat das denn damit zu tun? Wir wissen doch gar nicht wer entlassen wird.“ „Ach ist gut, du bist wieder mal sehr geistreich heute.“

„Nun, die Herren haben noch immer Zeit für ein Schwätzchen? Da werde ich wohl noch einen Zahn zulegen.“ Drohte der Vorarbeiter. Jetzt hagelte es Beschwerden von den anderen Bandarbeitern, aber nicht über den Vorarbeiter, nein Leander bekam die geballte Wut zu spüren. „Na prima, jetzt haben wir darunter zu leider, nur weil ihr eure Klappen nicht halten könnt. Was können wir denn dafür?“ Schrie Erich ihn an, einer der älteren, der sein halbes Leben am Band verbracht hatte und sich kaum noch gerade halten konnte. „Ach jetzt bin ich wohl daran schuld oder?“ Erregte sich Leander. „Natürlich, du machst uns immer wieder nur Ärger, den wir auszubaden haben.“ Fauchte ihn Christa an, die direkt zu seiner linken arbeitete. „Ihr Jungen müsst immer das letzte Wort haben. Zu meiner Zeit gab es so was nicht. So etwas hätten wir uns nie und nimmer gewagt.“ Hielt ihm Erich entgegen.

Leander unterdrückte seine Widerpart. Es war zwecklos. Die hatten sich alle in ihr Schicksal gefügt, denen war nicht mehr zu helfen.

Die Zeit bis zur Mittagspause verharrten alle in gespanntem Schweigen. Der Vorarbeiter hatte seine Drohung wahr gemacht und die Geschwindigkeit des Bandes tatsächlich noch einmal erhöht. Dann endlich Pause. Aufgrund des schönen Wetters nahmen viele, so auch Leander, ihre mitgebrachten Mahlzeiten im Innenhof ein. Hier kamen die verschiedenen Abteilungen zusammen. Auch Leanders Vater und Bruder trafen sich häufig dort zu einem Plausch. Die hatten in der Zwischenzeit die Gerüchte von den bevorstehenden Entlassungen vernommen. „Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Uns wird die Entlassung nicht treffen. Wir haben immer gut gearbeitet, die haben keinen Grund sich über unsere Arbeitsleistung zu beschweren.“ Versuchte der Vater zu beschwichtigen

„Wir haben all die Jahre der Firma treu gedient. Das ist unsere Firma. Das ist unser Leben. Wir sind alle gute Melancholanier. Ich denke als erstes trifft es wohl die Fremdarbeiter, hm kann man eben nicht ändern, was gehen die uns an. Na und dann all jene die unangenehm aufgefallen sind. Auch mit denen dürfen wir kein Mitleid haben, sind doch selber dran schuld wenn sie fliegen. Nein, ich habe da ein gutes Gefühl, wir gehören mit Sicherheit nicht zu den Betroffenen.“ „Und da bist du dir ganz sicher Vater?“ Zweifelte Leander den Worten. „Ganz sicher! Wir alle sind eine Firma. Das verbindet, das schweißt zusammen.“ Die Worte des Vaters klangen ganz nach einer Predigt.

„Dein Vater hat vollkommen Recht!“ Schaltete sich nun Erich ein. „An den kannst du dir ein Beispiel nehmen. Wir kennen uns seit Jahren schon. Wenn es für das Wohl der Firma geht ist uns keine Anstrengung zuviel. Aber ihr Jungen versteht das nicht. Ihr habt nur Flausen in der Birne. Wenn die euch zu Paria machen habt ihr auch nichts anderes verdient.“

Zustimmung und Ablehnung hielten sich die Waage, ob dieser Aussage. Eine Gruppe Jüngerer zeigte unverholen, das sie mit dem Gehörten ganz und gar nicht einverstanden waren.

Lars, einer der für seine offenen Worte bekannt war, löste sich aus einer Gruppe, unter dem Arm trug er ein Bündel Papiere, er begann diese hastig unter den Umstehenden zu verteilen. Leander erkannte sofort, dass es sich dabei um Flugblätter handelte, doch aus welcher Richtung kamen die? „Greift zu Kollegen, informiert euch an der richtigen Stelle. Lasst euch nicht mehr für dumm verkaufen. Die da oben wollen uns doch nur gegen einander ausspielen. Steht zusammen, übt Solidarität untereinander. Nur so können wir dem was jetzt auf uns zurollt die Stirn bieten.“ Rief Lars während er sie Papiere verteilte.

Leander griff zu, schnell erkannte er, dass diese nur von Neidhardts Gruppe stammen konnten. Es wurde ja schon seit geraumer Zeit gemunkelt, dass der alte Revolutionär aus dem Exil zurückgekehrt sei und im Untergrund etwas vorbereitete. Dies schien der Beweis dafür. Da wurde zum Kampf aufgerufen. Streik lautete das Zauberwort. Die Arbeiter sollten ihre Firma besetzen, die Kontrolle darüber selbst in die Hand nehmen.

Leander sympathisierte mit diesen Ansichten, doch ging er davon aus, dass die Zeit dafür noch nicht gekommen war. Zu stabil das Duckmäusertum. Zunächst mussten die Massen von der Notwendigkeit solcher Aktionen überzeugt werden. Ja, auf die Masse kam es an, der Meinung waren auch Kovacs und der alte Cornelius. Eine kleine Gruppe von Berufsrevolutionären war hingegen kaum imstande die Situation zu radikalisieren. „Was ist denn das für ein Unfug? Wir sollen streiken, die Kontrolle über den Betrieb übernehmen? Da können wir uns auch gleich selbst entlassen.“ Regte sich Erich auf, knüllte den Zettel zusammen und schmiss ihn auf den Boden.

„Kollegen, wenn wir zusammenstehen, kann uns gar nichts passieren. Wir müssen nur an einem Strang ziehen, dürfen uns nicht spalten lassen, dann sind die da oben machtlos.“ Versuchte Lars die Stimmung anzuheizen. Viele gaben ihre Zustimmung zu erkennen. „Sag uns doch lieber mal von welcher Organisation du kommst. Ich kenne dich doch, du arbeitest hier doch schon lange. Wie kommst du auf solche Ideen? Nein, lass mich raten. Das sieht ganz nach den Radikalrevolutionären aus, ja die Sprache kenne ich. Sei vorsichtig, solche Redensarten werden hier nicht toleriert.“ Entgegnete Hannes.

In der Zwischenzeit waren auch die Spitzel der Firmenleitung auf den Auflauf aufmerksam geworden, zückten ihre Notizblocks und begann hastig darauf zu kritzeln. „Komm, wollen wir uns nicht nach drinnen verdrücken? Ich glaube das gibt doch wieder nur Ärger. Und den können wir heute am wenigsten gebrauchen.“ Sorgte sich Reiner und zupfte Leander an dessen Ärmel. „Ja das sieht dir ähnlich, immer wenn`s brenzlig wird machst du dir vor Angst gleich in die Hose. Ich bleibe noch, mich interessiert was hier vor sich geht, außerdem ist die Pause noch nicht zu Ende.“ Lehnte Leander entschieden ab.

„Ihr wollt wissen von welcher Gruppe ich komme, ich will es euch sagen.“ Begann Lars sich zu erklären. „Ich komme vom Verbund, unsere neu gegründete Gewerkschaft hat sich zum Ziel gesetzt nicht mehr länger zu kuschen, sondern die Dinge beim Namen zu nennen. Wir wollen die Kollegen zu einer kämpferischen Haltung ermutigen und ihnen zu verstehen geben, dass sie nicht alleine sind.“ Verbund, das war natürlich nur einer von vielen Tarnorganisationen hinter denen sich Neidhardts Radikalrevolutionäre verbargen.

„Vom Verbund, aha? Wie kommt es dann das ich diesen Namen bisher noch nie gehört habe?“ Zweifelte Hannes. „Ich habe es euch doch eben erklärt. Wir sind eine neue Initiative, erst wenige Wochen alt, bisher damit beschäftigt uns zu organisieren. Deshalb konnten wir noch nicht in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten. Im Prinzip ist heute quasi der erste Tag das wir in die Offensive gehen.“ Versuchte sich Lars heraus zu reden. „Erzähl keine Unsinn, du kommst von der RR, ich kenne euch genau. Die ganze Art wie dieses Flugblatt erstellt ist spricht dafür. Ihr seit hier um Unfrieden zu stiften. Ihr wollt die Belegschaft gegen die Firmanleitung aufhetzen. Die haben dann freie Hand für ihre Entlassungen. Das dürfen wir nicht zulassen.“ Widersprach Konrad, der sich von hinten angeschlichen hatte. Der erntete dafür einige heftige Puh-Rufe, aber auch verhaltenen Applaus.

Es war bekannt dass Konrad für den Kampfring arbeitete, eine Gruppe von Prekas die mit dem Blauen Orden sympathisierte, sich dadurch Vorteile bei der Arbeitsbeschaffung erhoffte. Mit markigen Sprüchen versuchten die Stimmung vor allem gegen Fremdarbeiter und die Parias zu machen. Der Blaue Orden unterstützte diese Naivlinge, da er sie als Schlägertruppe für den eigenen Kampf benötigte.

„Und wir wissen alle, dass du mit dem Kampfring liebäugelst, Konrad!“ Schaltet sich nun Leander ein. „Ich weiß nicht wovon du sprichst. Ich habe damit nichts zu tun!“ Behauptete Konrad frech. „Wirklich nicht? Dann überlege mal. Vielleicht fällt es dir ja wieder ein.“ Leander kam offenbar richtig in Fahrt. „Hör auf Leander, leg dich nicht mit dem an, das gibt nur fiesen Ärger. Der hat immer schon einen guten Draht zur Firmanleitung.“ Versuchte Reiner Leander auszubremsen. „ Kann ich mir vorstellen dass der einen guten Draht zur Firmenleitung hat, vor allem dann wenn es darum geht die Belegschaft auszuspionieren.“ Rief Leander mit lauter Stimme so dass es auch alle hören konnten. „Das nimmst du sofort zurück! Das ist eine infame Unterstellung.“ Konrad versuchte auf Leander loszugehen, wurde aber von der Menge zurückgehalten.

Nun schaltete sich Hannes ein. „Genug jetzt! Was soll der Zank hier? Wir wollen uns doch wie zivilisierte Menschen benehmen. Schließlich sind wir alle Melancholanier, dass ist es was uns zusammenschweißt, da dürfen wir uns nicht spalten lassen. Lasst uns an unsere Arbeit zurückgehen, das ist unserer Kampfplatz, dort beweisen wir was in uns steckt.“ Leander empfand eine Mischung aus Wut und Mitleid mit den Aussagen seines Vaters. Wie konnte der nur so naiv argumentieren.

Jetzt betrat Eduard den Hof, der vierschrötige Kleiderschrank mit Stiernacken und Mondsgesicht war der Meister dieser Abteilung. Er ruderte durch die Menge und sprach im tiefen Bass. „Schluss jetzt! Aufhören sofort! Wie ihr alle wißt,  ist politische Agitation auf dem Firmengelände strengstens untersagt. Das gilt für alle, ausnahmslos. Ich bin leider gezwungen Meldung zu machen.“ Er schritt zu Lars um ihm das Bündel mit den Flugblättern aus der Hand zu reißen. „Ich habe dich schon lange in Verdacht dass du Flugschriften verteilst, welche die Belegschaft zu Ungehorsam gegen die Betriebsführung auffordert. Her damit! Jetzt ist Schluss!“ „Nun viele habe ich eh nicht mehr, ich kann dir aber den Rest gerne überlassen! Viel Spaß bei der Lektüre.“ Spottete Lars und übergab ihm die letzten 3 Flugblätter die er noch hatte. Auch von dem Umstehenden gab es Gelächter.

„Eduard, du sagst, es werden keinerlei politische Agitationen geduldet? Wirklich keine?“ Wollte nun Leander wissen. „Richtig! Keine, ohne Ausnahme!“ Bestätigte dieser. „Aber wie kommt es dann, dass Konrad seine Propaganda ganz offiziell verbreiten kann? Es scheint ihn in der Vergangenheit keiner daran gehindert zu haben, im Gegenteil ,er darf sogar die Pinnwand im großen Speisesaal benutzen?“ Hakte Leander nach und brachte damit den Meister in Erklärungsnot. „Ja Meister, wir warten schon lange darauf, dass sich mal einer die Mühe macht uns das zu erklären:“ Pflichtet ihm Lars bei.

„Ja nun, äh… das ist  etwas anderes! Untersagt ist nur Propaganda, die den Betriebsfrieden verletzt. Konrad hingegen stört diesen keineswegs, im Gegenteil, seine Aktivitäten stärken den Frieden sogar, indem er zur Geschlossenheit aufruft. So etwas kann man nur begrüßen. Lars aber fordert zu Ungehorsam auf. Ich lese hier von Streiks und Demonstrationen und so was, das gefällt uns ganz und gar nicht.“ „Ja das gefällt uns ganz und gar nicht,“ imitierte Lars seinen Vorgesetzten.“ „Genauso ist es! Eduard spricht die Wahrheit! Wir alle sitzen in einem Boot. Leute, Aufwiegelei nützt niemanden. Wir müssen zusammenstehen, gemeinsam für die Firma kämpfen, nur so kommen wir voran.“ Konrad fühlte sich bestätigt. Das erntete sowohl Applaus als auch Buh-Rufe.

„Leander, lass uns endlich reingehen! Das entwickelt sich hier zu einem Ärgernis, das gibt nur wieder einen Anschiss, wenn nicht gar noch mehr!“ Reiner zupfte Leander erneut am Ärmel. „Ach lass mich in Ruhe! Geh doch rein du Angsthase. Ich fürchte mich nicht.“ Lehnte der angesprochene energisch ab. „Eduard, willst du wirklich Meldung machen?“ Schaltete sich nun Hannes ein. „Du kennst doch die meisten hier schon lange. So etwas darf man nicht zu ernst nehmen. Dumme Jungestreiche,  sieh doch einfach drüber hinweg. Wir Alten, wir sorgen schon dafür, dass das nicht wieder vorkommt. Wir sind doch schließlich alle gute Melancholanier!“

Leander ballte die Faust in der Jackentasche, eine ungeheure Wut bemächtigte sich seiner. Ausgerechnet sein Vater musste wieder den Schlichter spielen. Sicher, Hannes meinte es gut, wollte Schaden abwenden. Aber Katzbuckeln und Speichellecken war ganz und gar der falsche Weg. Wer Flugblätter die zum Kampf für Gerechtigkeit aufriefen, als Dummejungenstreiche bezeichnete, hatte überhaupt nichts begriffen. Leander schämte sich zutiefst für seinen Vater. „Vater, das war unnötig! Absolut unnötig!“ Flüsterte er diesem ins Ohr. „So meinst du! Da bin ich ganz anderer Meinung. Ich denke, ich habe damit gerade unser aller Arbeitsplätze gerettet, auch deinen, aber ich weiß ja dass du davon nicht viel hältst.“ Hannes wehrte Leander ab und machte sich auf den Weg in die Werkshalle. „Also gut! Ich will noch mal ein Auge zudrücken. Ich belasse es bei einer förmlichen Abmahnung. Aber wenn es noch mal vorkommt seit ihr alle Mode.“ Blusterte sich Eduard auf, in diesem Moment ertönte die Klingel, die das Ende der Pause ankündigte.

Die Versammlung löste sich rasch auf. Leander blieb fast bis zum Schluss auf dem Hof, Gedanken schwirrten wie Bienen durch seinen Kopf. „Heh Leander, komm nun endlich! Was soll denn das?“ Drängte Reiner erneut. Dann begab sich auch Leander ins Innere. Zurück in die Tretmühle, das Band wurde angelassen. Eduard hatte zwar keinen Bericht an die Firmanleitung gegeben aber dafür als Abschreckung angeordnet, die Geschwindigkeit für den Rest des Tages zu verdoppeln. Wer die Macht hat, hat das Recht, wer wollte es ändern.

Es versteht sich von selbst, dass sich eine Auseinandersetzung nicht vermeiden ließ, als die Familie am Abend um den Esstisch versammelte. Gespanntes Schweigen. Leander wollte auf keinen Fall einen Anlass zum Streit bieten, daher versuchte er zunächst das Thema zu umschiffen. Doch es war sein Vater, der die Vorkommnisse in der Firma wieder auf die Tagesordnung setzte.

„Also nach meinem Wissen ist die Belegschaftsversammlung morgen gegen 15 Uhr nach Schichtschluss angesetzt. Da wollen wir nur hoffen, das der Vorfall von heute wirklich keine Rolle dabei spielt, wenn doch, dann, wissen wir wenigstens warum.“ „Vorfall welcher Vorfall denn? Was ist denn jetzt schon wieder passiert?“ Wollte die Mutter wissen. „Na der Zoff heute, während der Mittagspause, frag doch Leander, der wird dir sicher alles bestens erläutern können.“ „Echt, hat es Zoff gegeben? Cool, da wär ich gerne dabei gewesen. Was war denn los?“ Begeisterte sich Markus. Der ging noch zur Schule, das Leben war für ihn noch etwas leicht Beschwingtes. Noch ahnte er nichts von der Härte und Eintönigkeit des Prekaalltages, doch sein Platz am Fließband wartete bereits auf ihn.

„Leander hast du etwa wieder Streit mit deinem Vorgesetzten?“ entrüstete sich die Mutter. „Wieso? Ich hab doch die Auseinandersetzung nicht vom Zaun gebrochen!“ Wehrte sich der Angesprochene. „Das nicht! Aber du hast kräftig mitgemischt! Dich mit Konrad und zu guter letzt noch mit Eduard anzulegen ist mehr als fatal.“ Schollt ihn Hannes. „Eduard ist ein einflussreicher Mann, Leander, wie um alles in der Welt konntest du das tun?“ Wollte die Mutter wissen. „Naja, ich hab versucht alles wieder ein wenig ins rechte Lot zu setzen, konnte Eduard das Versprechen abnehmen keine Meldung zu machen. Da wollen wir hoffen das es auch dabei bleibt.“ Klärte Hannes auf. „Da währ ich mir nicht so sicher. Eduard war immer gegen uns und er wird es immer sein!“ Platze es auch Leander, der sich kaum noch zusammen nehmen konnte. „Ja, und wessen Schuld ist das? Ich habe es immer gesagt, wer seine Arbeit ordentlich und gewissenhaft erledigt hat nichts zu befürchten. Wer keinen Anlass bietet bekommt auch keine Abmahnung. Kopf einziehen und durchmarschieren, auf diese Weise bewältigen wir den Alltag, etwas anderes gibt es für uns nicht.“

Jedes einzelne Wort des Vaters schmerzte Leander in der Seele. Es stimmte, Hannes hatte sich zu einem perfekten Duckmäuser entwickelt und er verlangte von seinen Kindern dass sie es ihm gleich taten. „Für dich vielleicht, aber für mich niemals!“ Widersprach Leander energisch. „Für mich auch nicht!“ Stimmte Markus ihm zu mehr aus Trotz, denn aus Überlegung. „Du hältst dich da raus! Schließ erst mal die Schule ab, dann bekommst du im Leben noch genügend Gelegenheit dich zu bewähren.“ Nahm sich Hannes zunächst seinen Jüngsten vor.

Dann wandte er sich Leander zu. „Du musst immer rebellieren, ewig unzufrieden. Bist dir zu schade für die Arbeit, was? Es gibt aber nichts anderes für uns, basta! Finde dich damit ab, so wie wir es alle tun mussten Wir könnte es wesentlich schlechter haben. Sieh dir die Paria an, Auswurf, unterste Gosse. Die sind unten durch. Aber wir, mein Freund gehören nicht zu denen und warum, weil wir arbeiten, weil wir uns nicht abhängen lassen. Aber wenn dir deren Leben gefällt, bitte, werde doch einer von ihnen, dann wünsche ich viel Spaß.“ „Immer nur Zank und Streit! Wo soll das nur mal hinführen mit euch beiden!“ Beschwerte sich die Mutter.

„Ich habe nicht damit angefangen, Mutter! Und ich werde das auch nie tun. Aber wenn ich auf diese Weise provoziert werde, habe ich keine andere Wahl.“ Versuchte sich Leander zu rechtfertigen. „Wer provoziert hier wen?  Am Ende muss ich mich wohl noch entschuldigen oder was?“ Entgegnete Hannes voller Zorn. „Ich habe dich nicht provoziert. Es ist die Firma, die einen Keil zwischen uns treibt. Verstehst du denn nicht. Wir machen einen Bückling nach dem andern vor denen. Alles hinnehmen, alles ertragen, nur ja nicht aufmucken. Überstunden, jawohl wir sind dabei, Sonderschichten, immer bereit. Lohnkürzung, ja natürlich, wenn es der Firma hilft. Miserable Arbeitsbedingungen, klar doch, die Firma muss doch sparen, verstehen wir doch alle.  Wir sind doch alle so verständig. Und am Ende, dann bekommen wir doch den Arschtritt, dann stellt sich raus, es war alles umsonst und wir verstehen die Welt nicht mehr.“

„Die Firma treibt einen Keil zwischen uns? So ein Unsinn! Es ist unser aller Firma! Ja, wir sind die Firma!“ Schleuderte Hannes zurück. „Siehst du, darauf habe ich gewartet! Wir sind die Firma? Wirklich? Die gehört uns? Seit wann denn? Wer hat sie denn der Belegschaft übereignet? Der große Egbert etwa? Oder seine Lakaien? Nichts gehört uns? Nichts? Nicht ein Schraubenzieher! Mach die Augen zu Vater, dass was du da siehst das ist uns Eigen!“

Leander steigerte sich immer mehr in Rage. „Jetzt ist es aber genug! Was bildest du dir ein? Schufte erst mal so lange wie ich, dann hast auch du vielleicht das Recht dir ein Urteil zu erlauben. Es ist unsere Firma, unsere ebenso wie Egberts. Basta! Das war immer so und wird immer so bleiben, etwas anders gibt es nicht!“ Hannes schlug derart mit der Faust auf den Tisch, dass das Porzellan klirrte. „Hannes, paß doch auf! Mein schönes Service!“ Zeterte die Mutter. „Stimmung! Stimmung! Es geht doch nichts über einen netten ruhigen Abend in der Familie!“ Lästerte Markus.

„Soweit sind wir schon! Das ist schlimm! Aber ich sage euch wer daran Schuld hat. Es sind diese aufrührerischen Ideen die da seit geraumer Zeit im Umlauf sind. Dieser alte Cornelius mit seinem Anhang. Sieh dir doch diese Gesellschaft an. Lauter Arbeitsscheue Elemente. Dieser abgehobene Dichter Kovacs zum Beispiel. Gibt seine gute Stellung auf um freiwillig mit den Paria zu leben. Hat man so was schon gehört. Abstruse Ideen. Hirngespinnste! Na und von diesen Bombenwerfern wollen wir gar nicht erst reden, Neidhardt und sein Gefolge. Die gehören alle abserviert. Die sind es nicht wert Melancholanier zu heißen. Erregte sich Hannes weiter. „Demnach sind Thoralf, Egbert, Frederic, Elena und alle wie sie heißen bessere Melancholanier. Willst du das damit sagen?“ Wollte Leander wissen. „Klar, das sind sie! Zweifelsohne! Und ich will dir auch sagen warum. Weil sie es geschafft haben, weil sie was aus ihrem Leben gemacht haben.“ Lautet die naive Antwort des Vaters. „Klar, so einfach ist das. Und die, die es nicht schaffen haben sind deshalb schlechtere Melancholanier.“ „Ja, so könnte man es nennen!“ „Und wir? Wo verortest du uns? Gehören wir zu den besseren?“ „Selbstverständlich! Weil wir arbeiten! Weil wir unseren Beitrag leisten! Wir sind ebenso viel wert wie die da oben. Wir stehen mit denen auf einer Stufe. Die Nation verbindet uns und unsere Arbeitsleistung.“ „Alle klar! Da ist ja alles in Butter! Ich gebe es auf! Zumindest vorläufig. Ich hoffe, dass es uns auch nach der Belegschaftsversammlung immer noch nützt das wir gute Melancholanier sind und wir nicht eines Besseren belehrt werden.“ Versuchte Leander das Gespräch auf halbwegs friedliche Weise zu beenden. „Da kannst du Gift drauf nehmen, das es uns was nützt, so war ich hier sitze.“ Ließ Hannes selbstsicher verlauten.

„Müsst ihr nur immer wieder streiten? Jeden Abend das gleiche! Das hängt mir langsam zum Hals raus. Nun aber Schluss, lass uns den Abwasch machen, dann gibt es fernsehen.“ Jammerte die Mutter. „Was gibt es denn heute schönes?“ Erkundigte sich Markus. „Heute?  SoPo greift ein! Steht zumindest im Programm!“ Glaubte die Mutter zu wissen. „Na denn viel Spaß! Mir ist da nicht danach! Also heute wieder mal fernsehfreier Abend!“ Lehnte Leander ab.

SoPo greift ein war eine Beliebte Doku-Soap, hier ging es um eine Spezialeinheit der so genannten Sozialpolizei „Sopo“ Die schnüffelten den Prekaparia nach. Prekaparia waren Leute die aus der sozialen Schicht der Preka gefallen waren, aber noch nicht direkt zu den Paria gerechnet wurden. Die befanden sich sozusagen in einem Niemandsland. Erhielten für eine kurze Zeit und unter strengsten Auflagen eine finanzielle Unterstützung vom Staat. Die Sozialpolizei hatte die Aufgabe die Personen, oft ganze Familien genauestens unter die Lupe zu nehmen, dabei gingen sie ausgesprochen rabiat vor. Hausdurchsuchung, dabei alles durchwühlen, um nach eventuell verstecktem ersparten Geld Ausschau zu halten, oftmals mussten sich die Betroffenen bis auf die Haut ausziehen und entwürdigende Leibsvisitationen über sich ergehen lassen. Nicht selten bekamen sie elektronische Fußfesseln mit Peilsender  um sie auf Schritt und Tritt überwachen. Die Zuschauer an den Bildschirmen wurden aufgefordert mit zu wirken indem sie Nachbarn denunzierten, wenn diese etwa im Verdacht standen Schwarzarbeit zu verrichten oder längere Zeit abwesend waren. Die beliebte Serie erreichten Traumeinschaltquoten, selbstverständlich standen die meisten Preka auf der Seite der Ermittler, das versteht sich von selbst.

„Leander, ich würde dir empfehlen, dir diese Sendung anzusehen. Da kannst du viel lernen. So ergeht es jenen, die sich nicht fügen. Lass dir das eine Lehre sein. Wir können von Glück sagen, dass uns so etwas erspart bleibt, denn wir wissen was sich gehört, wir sind gute Melancholanier.“ Stachelte Hannes erneut. Leander wollte etwas entgegnen, doch er biss sich auf die Zunge. Für heute hatte er genug. Er ging auf sein Zimmer, setzte sich an seinen Schreibtisch, griff zu seinen Büchern und versuchte erneut, dem tristen Alltag durch Bildung zu entfliehen.

Der folgende Tag verlief bis zum Nachmittag im gewohnten Trott, das Band schien jetzt dauerhaft auf der höchsten Stufe zu fahren, kam es Leander vor. Kaum Zeit um Luft zu holen, geschweige dem sich mal für einen kurzen Moment zu entfernen. Das Schichtende nahte und für kurze Zeit wurde das Band gestoppt, so etwas kam höchst selten vor, ein Tabubruch. Der Grund war die Belegschaftsversammlung auf die alle in höchster Erregung warteten. Im Saal der großen Kantine drängten sich die Beschäftigten wie in einem Pferch. Egbert, der allmächtige Inhaber wollte persönlich zu den Versammelten sprechen, auch das ein Novum, denn für solche Angelegenheiten hatte er eigentlich seine auserwählten Prokuristen.

Ein halbe Stunde verging und nichts geschah. Unmut machte sich breit.  Wer die Macht hat, verfügt auch über die Zeit. Endlich erschien Egbert mit großem Gefolge auf der Tribüne. Augenblicklich kehrte gespannte Ruhe ein. Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können. Der Chef trat an ein eigens für ihn aufgestelltes Rednerpult und begann mit den üblichen Begrüßungsfloskeln. Doch dann kam er schnell zur Sache. „Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie sich ja schon längst herumgesprochen hat, befindet sich unsere Wirtschaft seit einiger Zeit in Talfahrt. Der Export ist drastisch zurück gegangen und auch der Binnenmarkt schwächelt. Auch an unserer Firma geht das nicht spurlos vorbei. Das war zu erwarten. Das nötigt uns dazu in absehbarer Zeit auch hier zu drastischen Mitteln der Einsparung zu greifen. Das wird es mit sich bringen, dass wir uns schon recht bald von einem erheblichen Teil der Belegschaft trennen müssen.“

Wie auf Befehl setzte lautes Gemurmel ein, gleich einem Bienenschwarm der sich im Frühjahr auf ein blühendes Rapsfeld niederlässt. „Ruhe! Ich bitte um Ruhe! Kollegen, ich verstehe eure Erregung sehr gut, glaubt mir, es ist mir alles andere als leicht gefallen, dem vor einiger Zeit ausgearbeitet Sanierungsplan zu zustimmen.“ „Heuchler! Wer`s glaubt wird selig!“ Rief Lars in die Ansammlung. „Ich verbiete mir solche Beleidigungen! Ich habe die letzten Tage kaum eine Stunde Schlaf gefunden, stets und ständig rang ich mir einen Kompromiss nach dem anderen ab um den Sanierungsplan so gut es geht sozial abzufedern, um das best möglichste herauszuholen, ich habe gerackert bis mir die Schweißperlen auf der Stirn standen, doch am Ende musste ich mich beugen.!“ „Ja, so siehst du aus! Ganz abgearbeitet der Ärmste!“ Meinte Leander. Sein Vater der direkt neben ihm stand stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Seite. „Schweig! Wir sollten dankbar sein, für das was er für uns getan hat. Hör doch erst mal weiter zu!“ Leander verkniff sich eine Erwiderung. „Nun müssen wir gemeinsam überlegen, wie wir das Schiff wieder flott bekommen, „ Setzte Egbert seine floskelhafte Ansprache fort. „Wir haben den endgültigen Plan nun vor liegen. Es wird etliche Entlassungen geben, das wird uns nicht erspart bleiben. Aber nicht so viele wie zunächst befürchtet.

Jene unter euch, die weiter beschäftigt werden sind aber angehalten ihren Beitrag zur Sanierung der Firma zu leisten. Denn immerhin müssen sie die Entlassenen ersetzen. Das bedeutet, doppelter Einsatz, die Bänder müssen mit weniger Personal effektiver arbeiten, die Geschwindigkeit wird drastisch erhöht. Der Lohn muss leider um ein Drittel gekürzt werden und es gibt nur noch eine größere Pause pro Schicht. Selbstverständlich fallen alle bisher gewährte Zuschläge weg und es gibt in Zukunft auch keine Pinkelpause mehr. Ein erwachsener Mensch sollte einfach imstande sein, so etwas den ganzen Tag auszuhalten.“ Egbert erntet Buh-rufe und Pfiffe, die Wut schien sich jetzt spontan zu entladen,gleich einem Teekessel vor dessen Explosion. „So ein Schande!“ „Unannehmbar!“ „Das lassen wir uns nicht gefallen!“ Schallte es zur Tribüne herüber.

„Ruhe Kollegen! Ruhe! Eure Aufregung bringt uns auch nicht weiter. Wir müssen jetzt überlegen ,was wir gemeinsam tun können!“ Versuchte Eduard zu beschwichtigen, der ebenfalls auf der Tribüne stand, doch niemand wollte ihm zuhören. „Hervorragend! Ganz hervorragend! Na, bist du noch immer der Meinung, dass die Firma uns allen gehört!“ Stachelte Leander seinen Vater an. „Natürlich! Klar ,das sind harte Bandagen, aber ich glaube Egbert, dass er nicht anders konnte. Ob wir uns nun aufregen oder nicht, wir müssen es gemeinsam schaffen!“ glaubte dieser zu wissen. „Ja vielleicht sagt uns Egbert auch, wer auf der Entlassungsliste steht. Ich denke, dass das den Leuten am meisten interessiert.“ Grölte Lars in die Menge. Das brachte ihm brausenden Beifall ein. „Du stehst mit Sicherheit an erster Stelle!“ Schrie Eduard zurück. „Ach so ist das, ihr habt euch wohl schon im geheimen entschieden?“ Rief ein anderer dazwischen. „Die Liste! Wir wollen die Entlassungsliste sehen!“ Hörte man wieder eine andere Stimme.

„Ich bitte nochmals um Ruhe! Ich kann euch nichts erläutern, wenn ihr mich nicht mehr zu Wort kommen lasst.“ Schaltete sich Egbert wieder ein. „Wir haben uns noch nicht entschieden! Ich habe verfügt eine Frist von 3 Wochen anzusetzen. Innerhalb dieser Zeit bekommt jeder von euch die Möglichkeit sich zu bewähren. Wer in dieser Frist die beste Arbeit leistet, behält seinen Arbeitsplatz, wer hingegen schlechter abschneidet, von dem müssen wir uns leider trennen. Niemand wird bevorzugt, allein eure Arbeitsleistung zählt und natürlich andere Dinge wie Betragen, Disziplin etc. Es liegt in eurem Ermessen diese Chance zu nutzen.“

Wieder gab es Aufruhr, doch nicht mehr so heftig wie zuvor. „Es gilt noch hinzu zu fügen, dass es selbstverständlich untersagt ist Flugschriften jedweder Art zu verbreiten. Das ist ab sofort ein Kündigungsgrund. Fristlose Kündigung, versteht sich von selbst.“ Machte sich Eduard wichtig.  "Dann wissen wir ja in welche Richtung das geht!“ Hielt ihm Lars entgegen. „Sehr richtig! Du sagst es!“ Bestätigte Eduard. „Also, ich denke ich habe gesagt, was gesagt werden musste! Mehr habe ich nicht hinzu zu fügen. Also überlegt es euch: Arbeitet gut, dann wird auch alles ins recht Lot kommen. Ich wünsche einen guten Tag!“ Sprach Egbert eine Art Schlusswort und verschwand sogleich aus dem Hinterausgang. Die meisten Manager folgten ihm, nur Eduard und ein paar Meister blieben zurück. Plötzlich erklomm Konrad die Tribüne und bahnte sich seinen Weg zum Rednerpult. „Kollegen, hört mir doch mal zu!“ versuchte er sich Gehör zu verschaffen. „Dir hört hier bestimmt keiner zu!“ Schrie ihm Lars entgegen. „Mit dir rede ich nicht! Hört doch mal, was ich zu sagen habe. Ich bin mir sicher  das  alles zum Guten wendet. Ihr werdet sehen, kein Anständiger wird seinen Arbeitsplatz verlieren. Es wird, wie ich in Erfahrung bringen konnte, zunächst die Fremdarbeiter treffen, die können uns ja wohl egal sein. Und des Weiteren all jene die Unfrieden stiften und zu Aufruhr auffordern und die sind selber schuld. Mit denen braucht es kein Mitleid zu geben. Ich mache folgenden Vorschlag. Geht schnell an eure Arbeit zurück. Meldet euch freiwillig zu Sonderschichten. Distanziert euch in aller Öffentlichkeit von Aufwieglern. Ihr werdet sehen, das hilft, dass werden die zu würdigen wissen, da bin ich mir ganz sicher.“

„Du vielleicht, aber sonst lässt sich hier keiner mehr für dumm verkaufen.“ Hielt ihm Lars entgegen. Doch da hatte er sich dem Anschein nach gründlich geirrt. Viele kamen ins grübeln über Konrads Worte. Ja, das schien in der Tat ein sicherer Weg den Arbeitsplatz  zu retten. Auch Hannes konnte dem zustimmen. „So ist es, Konrad hat Recht. Ich werde mich noch heute für Sonderschichten eintragen lassen und ich rate dir mein Sohn es mir gleich zu tun.“ Leander hielt ihm unsanft am Ärmel fest. „Aber das kann doch unmöglich dein Ernst sein! Glaubst du diesen Unsinn. Konrad ist nur der verlängerte Arm der Geschäftsführung, entsandt um Zwietracht zu sähen. Am Ende wird es uns alle treffen. Die wollen doch nur bis zum Schluss die größtmögliche Arbeitsleistung aus uns herauspressen, dann gibt’s den Arschtritt. Merkst dun denn nicht, das die uns nur gegeneinander ausspielen wollen?“

„Lass mich los! Ich weiß es besser! Du wirst schon sehen, wer am Ende Recht behält!“ Hannes riss sich los und rannte wie ein besessener in Richtung Produktionshalle. Viele folgten seinem Beispiel. Auch Reiner gehörte dazu. „Du auch?  Hätte ich mir eigentlich denken können! Feige Bande, einer wie der andere.“ Erboste sich Leander erneut. „Ach sei still und komm lieber. So verbessern wir unsere Chance!“ Rief ihm Reiner entgegen während er in Richtung Produktionshalle hastete.

In der Zwischenzeit hatte sich Lars durch die Menschenansammlung gerudert und ebenfalls die Tribüne erklommen. „Kollegen bleibt hier! Tut das nicht! Die wollen uns doch nur gegen einander ausspielen. Lasst euch nicht ins Boxhorn jagen. Wir sollten das genaue Gegenteil tun. Last uns sofort in einen unbefristeten Streik treten. Ja, dass ist die einzige Sprache, die sie verstehen. Die Bänder müssen stehen, tagelang, dann zwingen wir sie zu Verhandlungen und zwar zu unseren Konditionen. Aber das gelingt nur wenn wir zusammen stehen. Es darf keinen Streikbrecher geben. Wir dürfen uns nicht mehr ducken, wir müssen kämpfen, jawohl kämpfen, sonst haben wir schon verloren!“ Doch die meisten hörten seine Worte gar nicht mehr, zu groß war der Faktor Angst. Angst vor dem Absturz ins Uferlose, Angst zu guter Letzt als Paria zu enden.

„Lars, nun ist das Maß voll! Du bist der erste! Du kannst dir morgen früh in meinem Büro deine Kündigung abholen.“ Sprach Eduard diesen herablassend an. „Ja Kollegen, so ist es recht! Hört nicht auf solche Parolen, die können euch nicht satt machen. Lauft, lauft an eure Bänder, an eure Maschinen, in die Büros. Arbeitet, zeigt wozu ihr fähig seid. Ihr alle seid gute Melancholanier, und die wissen was sich gehört. Auch unsere Geschäftsführer sind Melancholanier. Niemals werden die treue Landleute entlassen und ihrem Schicksal überantworten. Wir sind ein Volk! Nur gemeinsam sind wir stark. Nichts darf uns trennen.“ Konrad wurde immer pathetischer.

Nun machte sich auch Leander auf den Weg. Er sah wie sie um ihr Leben rannten, nur um an ihre Arbeitsplätze zu kommen, die glichen mehr einer Ameisenarmee, denn einer Menschenmasse. Was nun geschah spottet aller Beschreibung. Demütigende Szenen spielten sich da ab.Wie im Rausch nahmen alle ihre Arbeit auf. „Ja wir wollen arbeiten! Stellt die Bänder so schnell ihr könnt, wir sind bereit! Wir arbeiten was ihr wollt, wenn es sein muss auch in Doppelschichten. „ Ertönte es von allen Seiten. Die Alten, bisher kaum in der Lage gerade zu gehen, warfen ihre Gehhilfen beiseite und rannten einfach darauf los. Es kam vor das sich Leute sogar um eine Arbeitsstelle prügelten, wenn ein Platz schon besetzt schien.

Hatten hier etwa alle den Verstand verloren? War hier der kollektive Wahnsinn ausgebrochen? Leander fand keine Antwort. Bei all dem Gerangel achtete kaum jemand auf ihn. Er tat es ihnen nicht gleich. Gemütlich schlenderte er zu seinem Spinnt, begann sich umzuziehen und ging dann völlig unbemerkt durch das Fabriktor. Draußen schien die Nachmittagssonne, die Vögel sangen ihr Lied dazu. Ein angenehmes Lüftchen wehte ihm entgegen, der Mai machte seinem Namen alle Ehre. Schon seit langem hatte Leander die Natur nicht mehr auf diese Weise wahrgenommen, ihm schien , als sei er gerade aus einer Trance erwacht,  so,als sei er gleichsam neu geboren, als ginge ihm das eben Erlebte überhaupt nichts mehr an. Langsam schlenderte er durch den Stadtpark, der ihn in frühlingshafter Blütenpracht begrüßte. Ein Preka der nur seine Arbeit kennt, durfte für so was kein Auge haben, so das zu einem Dogma erstarrte Vorurteil.

Er nahm auf einer Parkbank Platz und ließ die Eindrücke auf sich wirken, dies kam einer Meditation gleich. Er konnte nicht sagen wie lange er so dort saß. Als er die Augen öffnete erkannte er, wie sich ihm Lars von weitem näherte. Dieser nahm, bei ihm angekommen, kurzerhand neben ihm Platz. „Na Lars, dass war`s  wohl! Jetzt ist erst mal Schluss mit lustig! Morgen bekommst du deine Kündigung. Und? Was hat das alles nun gebracht?“ „Ach darüber mach ich mir keine Sorgen! Damit habe ich gerechnet. Wer sich so weit aus dem Fenster lehnt, droht beständig abzustürzen. Um mich braucht sich keiner zu Sorgen:“ Gab dieser kleinlaut zu verstehen. „Na jetzt wirst du erst mal Prekaparia, das finde ich gar nicht  lustig. Du weißt doch was das bedeutet. Und danach? Wenn du nicht auf schnellsten Wege eine Arbeit nachweisen kannst, Entpersonifizierung, ab zu den Paria.“ Gab Leander zu bedenken.

„Ich komme zurecht! Ich bin lange darauf vorbereitet. Ich gehe in den Untergrund. Ich gehöre schon lange zu Neidhardts Leuten. Da wird bestens für mich gesorgt, eine Parallelwelt ausgestattet mit allem was dazu gehört.“ Gab dieser zu. „Also stimmt es doch das du zu Neidhardt gehörst! Ich wollte es am Anfang nicht glauben. Naja du musst wissen was du tust. Da bist du also so eine Art von Berufsrevolutionär?“ „Wenn du willst dann nenne es so.“ „Und deine Aufgabe in der Firma war vor allem die Agitation, die Arbeit diente nur der Tarnung?“ Stellte Leander fest. „Stimmt genau! Alles von vorn herein einkalkuliert.“

„ Aber es hat sich nicht ausgezahlt. Du konntest dich gerade mit eigenen Augen überzeugen. Deine Propaganda war ein Leerlauf, hat ihr Ziel verfehlt. Stattdessen tun die Arbeiter das genaue Gegenteil. Werfen sich der Unternehmensleitung geradezu an den Hals. Die würden alles tun, nur um ihre Arbeit zu behalten. Und das ist in gewißer Hinsicht auch verständlich, bei dem was sie unter Umständen alles zu verlieren haben .“ Wandte Leander ein.

„Klar, ich habe mir auch mehr davon versprochen. Ich denke es ist verfrüht, so zu verfahren, wie benötigen für die Zukunft einfach eine andere Strategie.Die Zeit ist noch nicht reif. Offensichtlich geht es den Leuten noch zu gut. Es ist außerordentlich schwer an deren Gewissen zu rütteln. Ich bezweifle das die meisten davon überhaupt noch eines besitzen, nachdem was ich heute erleben musste. Ich für meinen Teil bin erst mal froh dieser Tretmühle entronnen zu sein.“ Gab Lars zu.

„Du hast es  einfach, als Berufsrevoluzzer, aller Verantwortung enthoben. Kannst kommen und gehen wann du willst, mal im Untergrund, mal wieder nicht. Keine Familie, kein Haus, kein nichts, kein gar nichts um das du gezwungen wärst zu kämpfen. Unter solchen Bedingungen hat man leicht reden. Andere dagegen haben sehr wohl etwas zu verlieren. Einen kleinen Wohlstand, ein kleines Glück. Eine Familie, die von ihren Einkommen abhängt. Ich sympathisiere mit euren Anschauungen, aber ich kann auch nachvollziehen was die Leute bewegt.“ Antwortete Leander sehr direkt.

„Das mag wohl sein! Wie gesagt, wir brauchen einen Strategiewechsel, müssen mehr auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen.  Was ist mit dir? Du bist doch auch noch frei und ledig. Wäre das nicht das Richtige für dich? Wir können immer Leute  deines Formates gebrauchen. Du gehörst nicht zu den Duckmäusern. Du könntest in unsere Reihen passen. Überlege es dir, aber lass dir nicht zu viel Zeit damit.“ Bot Lars an. „Wie gesagt, ich sympathisiere mit euren Ideen, nicht aber mit euren Methoden, das ist ein Unterschied. Nein, das ist nichts für mich! Ich denke, es müsste eine andere Form geben. Einen Widerstand auf breiter Ebene.“ Lehnte Leander entschieden ab.

„Sicher! Aber wie willst du den organisieren? Innerhalb dieses Systems etwa?“ „Warum nicht? Kleine Schritte bringen uns voran. Es gibt viele Reformen die man einleiten kann. Da müsste man einfach gezielt daran arbeiten.“ Schlug Leander vor. „Und wer sollte diese Reformen einfordern? Lass mich raten! Du denkst dabei an den alten Cornelius und seine Kreative Liste?“ Vermutete Lars. „Zum Beispiel! Warum denn nicht? Ich habe viel von ihm gelesen. Der hat gute Ideen, die ließen sich umsetzen, auch ohne Gewalt und Terror. Ich denke hier ließe sich was draus machen.“

„Ich weiß nicht! Gewaltloser Widerstand! Hört sich zwar gut an, zugegeben. Aber das ist doch pure Theorie. An die Mächtigen appellieren, ich bitte dich. Wer`s glaubt wird selig. Die werden freiwillig niemals abtreten. Das funktioniert nur, wenn man sie dazu nötigt und das mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.“ Bog Lars ab. Nein hier war kein Konsens zu erreichen, hier trennte beide eine unsichtbare Mauer. „Ja und eure Methoden kenne ich! Durch Anschläge und dergleichen erreicht ihr noch viel weniger, außer dass es immer schlimmer wird. Die Bevölkerung werdet ihr damit nicht hinter euch vereinen.“ Lehnte Leander erneut entschieden ab. „Ja, da liegen unsre Meinungen auseinander, das ist ein Dilemma. Na gut, noch kommen wir auf keinen gemeinsamen Nenner, aber ich denke die Zeit arbeitet für uns.“ Lars erhob sich um so dem Gespräch zu entkommen. „Wenn du es dir doch noch anders überlegst. Du weiß wo du uns findest!“ „Sobald sicher nicht! Aber danke für das Angebot!“

Lars verabschiedete sich und ging schnell seines Weges. Auch für Leander wurde es Zeit sich auf zu machen in Richtung Wohnblock. Würde es heute wieder eine Auseinandersetzung mit dem Vater geben? Leander wollte eine solche unter allen Umständen vermeiden. Er würde nicht den Anlass bieten, aber es lag nicht in seiner Hand das zu entscheiden. Sein Vater würde ihm wieder nur Vorhaltungen machen. Das hing ihm einfach nur zum Halse raus.

Zuhause angekommen stellte er fest dass alles noch friedlich war. Der Vater war nicht da, der musste ja Überstunden kloppen. Genau das würde er ihm heute noch vorhalten. Leander hatte sich sozusagen gedrückt und Hannes würde behaupten dessen Arbeit noch obendrein verrichtet zu haben. Das ließ nicht Gutes erahnen. Die Mutter bemerkte ihn gar nicht beim reinkommen, zu vertieft war sie in das nachmittägliche Fernsehprogramm.

Was lief gerade? Aha, Melancholanien sucht das Supertalent. Hier versuchten Tausende von Prekateens eine Jury, ausnahmslos bestehend aus Privos, davon zu überzeugen, das sie ein Talent besaßen, welches sie dazu berechtigte demnächst in den Kreis der Prominenten aufgenommen zu werden. Doch das besaßen in Wirklichkeit nur die allerwenigsten. Hier kam es auf ganz andere Dinge an, die wurden hinter den Kulissen ausgekungelt, das wusste jeder, aber keiner hätte gewagt es offen auszusprechen. Bis zum Abendessen zog sich Leander in sein Zimmer zurück,tauchte nochmals ab in jene Traumwelt die er sich selbst geschaffen hatte.

Zum Abendessen die üblichen Szenen. Hannes kochte vor Wut über den Umstand dass sich Leander geweigert hatte Überstunden zu absolvieren und dass sich dies äußerst negativ auf seine Beurteilung auswirken müsse. Leander schwieg die meiste Zeit, ihm war nicht nach Streit. Irgend etwas war heute anders als sonst üblich , ein inneres Gefühl der Zufriedenheit mit sich selbst, obgleich er nicht definieren konnte woher das kam. Auch um den morgigen Tag machte er sich keinerlei Gedanken. Ob er nun flog oder blieb war ihm egal. Könnte er wie ein Lars leben? Er wusste es nicht. Aber er würde sich dieser Frage an den nächsten Tagen des Öfteren stellen und versuchen eine Antwort zu finden.

Nach dem Essen gruppierte sich die Familie um die Mattscheibe.  Elenas berühmte Talk-Show lief mit dem markanten Titel „Heiße Eisen“. Die topgestylte Quotenprinzessin moderierte hier eine Runde bestehend aus Wissenschaftlern, Unternehmern, Intellektuellen und sonstigen Prominenten, heute zum Thema Wirtschaftskrise und die Folgen. Auch die bevorstehenden Entlassungen spielten dabei eine Rolle. Wie immer, war auch ein ausgesuchter Preka anwesend, dem ebenfalls das Recht zustand seine Argumente aus seiner Sicht darzulegen. Es versteht sich von selbst, dass dieser den messerscharfen akademisch geschulten Gegenpositionen nicht im geringsten gewachsen war. Der stammelte nur so vor sich hin, blamierte sich bis auf die Knochen. Am Ende wurde er regelrecht abgestraft, zeigte Reue und gab sich geschlagen. So lief das immer. Der Öffentlichkeit wurde auf diese Weise vorgegaukelt dass die Anliegen der Preka durchaus ernst genommen und deren Sorgen und Nöte berücksichtigt wurden. In Wirklichkeit aber ging es nur darum dem Publikum deren Unzulänglichkeit und Bildungsferne vor Augen geführt um die Maßnahmen gegen sie rechtfertigten. Leander pflegte das immer als „Hinrichtung erster Ordnung“ zu betiteln. Hannes jedoch outete sich als großer Fan dieses Spektakels.

Um nicht einen erneuten Krach zu riskieren zog sich Leander sofort in seine vier Wände zurück. Was sich nun in den folgenden Wochen abspielte sollte sich als Horrortrip von gigantischem Ausmaß erweisen. Selbst die Ältesten konnten sich nicht erinnern eine  derartige Arbeitshetze  schon einmal erlebt zu haben. Das suchte seinesgleichen, warf einen Schatten voraus auf dass was noch kommen konnte. Sollte sich die Zukunft so gestalten, kündigte sich eine Schinderei von besonderer Tragweite an. Schon nachdem Leander am Montagmorgen das Werkstor durchschritten hatte, bemerkte er eine seltsame Spannung. Gedrückte Stimmung wohin er auch blickte. Das übliche Geschwätz über die zahlreichen Wochenendaktivitäten fehlte fast vollständig. Es schien als wollten alle ihre Kräfte für die bevorstehende Schlacht schonen.

„Hey Leander! Nach Möglichkeit nicht zu viel trinken heute. Du weißt ja, die haben die Pinkelpause gestrichen, es gibt keine Springer mehr um dich vom Band abzulösen. Wir haben nur die Möglichkeit in der großen Pause aufs Klo zu gehen.“ Begrüßte ihn Reiner beim reinkommen. „Die können mich mal am Arsch lecken. Ich gehe aufs Klo, wann immer ich will und so oft ich will. Wer sollte mich daran hindern?“ Wies dieser den unsinnigen Vorschlag zurück. „Du musst es ja wissen! Ich habe dich jedenfalls gewarnt. Habe mich erkundigt. Ein viertel Liter Flüssigkeit pro Tag muss genügen, dass würde den Harndrang eindämmen, so können wir durchhalten.“ Schlug Reiner vor. „Was für eine gequirlte Scheiße! Jeder Mensch braucht etwa 2 Liter pro Tag, in der warmen Jahreszeit noch mehr. Wie soll der Organismus das aushalten ohne zu dehydrieren?“ Entrüstete sich Leander.

„Ich weiß nicht wovon du sprichst. Probier es doch erst mal, bevor du dir ein Urteil erlaubst.“ Reiner schien sehr überzeugt von dem was er sprach. „Ich war beim Betriebsarzt gleich heute früh, der ist der Meinung wir können das durchstehen, wir müssten am einfach Abend das doppelte oder dreifache zu uns nehmen.“ „Ja genau so sieht der aus! Was meinst du wohl wer den bezahlt? Dreimal darfste raten. Klar dass der so eine Unsinn verzappen muss.“

Währenddessen hatte die Geschäftsleitung und einige erlauchte Gäste auf der Loggia Platz genommen. Von hier oben bot sich eine gute Sicht auf die Arbeitsbereiche. Egbert lud des Öfteren Gäste ein um seine Werkshallen zu präsentieren. Die luxuriös ausgestattete Loggia war mit Panzerglas eingefasst und völlig von der Werkshalle isoliert. Schließlich wäre es unzumutbar die anwesenden Privo dem Gummigestank auszusetzen. Hier konnte sogar ein  kleiner Imbiss gereicht werden, denn den Preka beim schuften zu zusehen machte ausgesprochen hungrig und vor allen durstig. Wer Müdigkeitserscheinungen bemerkte konnte zudem die Polstersessel in bequeme Liegen verwandeln.

Per Sprechanlage war es möglich Anweisungen an die Beschäftigten zu geben, wenn man zum Beispiel mit dem Tempo nicht zufrieden war. Alles in allem ein hoher Unterhaltungswert. Heute nun oblag es den Zuschauern als eine Art Jury zu fungieren. Sie konnten Punkte verteilen an jene die sich ihrer Meinung bei der Arbeit am besten bewährte. Diejenigen mit den meisten Punkten fanden Gnade und durften in den Folgetagen weiterarbeiten, die mit den wenigsten bekamen am Ende der Woche ihre Kündigung. Ein faires Verfahren, glaubte Egbert zu wissen, denn seine Gäste waren Prominente von besonderem Format und die mussten es ja wissen. Viele hatten unzählige Reden über die Arbeit geschwungen und was man den Menschen zumuten könne, Experten per exellence. " Macht es euch bequem. Ich hoffe ihr könnt alles genau beobachten von euren Plätzen?“ Begrüßte Egbert seine illustre Gesellschaft. Alle stimmten zu und folgten der Einladung.

„Die meisten kennen sich ja schon aus hier. Der Imbiss kommt sofort. Ich habe diesmal auch die Extrawünsche mit bedacht. Echten Grebachampagner habe ich einfliegen lassen. Ich denke das kommt dir entgegen Alexandra?“ „Das du daran gedacht hast. Finde ich sehr aufmerksam! Ein Party ohne Grebasekt, das gibt es einfach nicht für mich!“ bedankte sich die Sngesprochene. „Gabriela nimm gleich da vorne Platz. Frederic du setzt dich am besten auf die linke Seite. Sag mal wo hast du denn Elena gelassen. Die lässt sich solche Spektakel doch ansonsten nicht entgehen?“ wunderte sich Egbert. „Hm, die ist anderweitig beschäftigt. Sie hat zwar versprochen dass sie noch kommt, aber ich glaube nicht recht daran:“ Antwortet Frederic. „Na dann eben nicht! Aber ihr wird etwas entgehen.“ Erwiderte Egbert.

„Nun spann uns doch nicht so auf die Folter. Was gibt es denn heute? Das muss ja etwas ganz von ganz besonderer Qualität sein.“ Wunderte sich Gabriela. „ Kann ich mir eigentlich nicht so recht vorstellen. Was gibt es in einer solchen langweiligen Produktionshalle schon zu sehen?“ Lästerte Klaus während der gerade die Loggia betrat. „Na du kannst Fragen stellen. Knackige Proleten natürlich. Sag mal Egbert, können die nicht ihre Jacken ausziehen und im freien Oberkörper arbeiten? Das wäre doch mal was. Vor allem die jungen. Die ollen Knacker interessieren mich weniger.“ Schlug Alexandra vor. „Na ich werde sehen was sich machen lässt. Ich weiß nicht ob die das akzeptieren, aber ich werde nachfragen lassen.“ Versprach Egbert.

„Na wer sich weigert fliegt sofort raus, ist doch logisch. Du hast es in der Hand:“ gab Alexandra zu verstehen. Nun stolzierte auch noch Cassandra in die Loggia. Dabei wäre sie mit ihren extrem hohen High Heels um ein Haar gestürzt. „Hallo ihr Hübschen, ich grüße euch. Ich dachte schon ich komme zu spät.“ Begrüßte sie die Anwesenden mit lasziven Unterton, bevor sie sich auf einen Sessel fallen ließ. „Also ihr seit Punktrichter heute. Ihr entscheidet wer in die nächste Runde kommt und wer fliegt. Ihr könnt auch Wetten abschließen. Ich geben einen Einsatz von 20000 Mark, wer bietet mehr.“ Begann Egbert seine Erläuterung. „Was 20000? Ist aber in bisschen ärmlich. Ich lege noch mal 10000 drauf.“ Bot Klaus daraufhin an.

„Auf wen wetten wir denn eigentlich wenn ich fragen darf.“ „Freie Auswahl! Guck einfach nach unten such dir eine x-beliebiege Person aus. Das triff für euch alle zu.“ „Oh geil! Hmm, wer die Wahl hat, hat die Qual.“ Cassandra erhob sich und blickte nach unten. „Also ich wähle den geilen Hengst da, siehst du den mit dem Stiernacken.“ „Geht nicht Cassandra, das ist Eduard unser Meister, der steht nicht zur Verfügung.“ Lehnte Egbert ab. „Schade! Hm da nehme ich den großen schlanken da drüben, den mit den blonden Locken.“ Cassandra zeigte auf Leander. „Gut einverstanden!“ „Also ich nehmen den dicken runden Glatzkopf dort. Den älteren da:“ Alexandra hatte Erich ausgesucht. „Ja meinetwegen! Aber ich warne dich, der ist schon recht alt, da besteht die Gefahr dass er aus den Latschen kippt. Keine Sorge. Die Betriebsambulanz steht schon bereit.“ Warnte Egbert.

Leander traute seinen Augen nicht als er seinen Vater am Band entdeckte. „Vater das ist doch nicht dein ernst! Warum bist du hier? Du hast dich doch nicht etwa freiwillig gemeldet?“ „Selbstverständlich habe ich das! Ich möchte ganz vorne stehen bei der Arbeitsschlacht, denen beweisen, welche Kraft noch in mir steckt. Das kann ich am besten am Band.“ „Aber warum bist du nicht an der Werkbank geblieben, du bist ein guter Schlosser, dich brauchen die dort nötiger. Dir werden die nicht so schnell kündigen, weil es kaum Ersatz gibt.“ Versuchte ihn Leander zu überzeugen. „Nein, nein! Ich weiß was ich tue. Die sollen nicht glauben  das ich mich vor der schweren Arbeit drücke. Wenn es darauf ankommt halte ich zur Stange, zu jeder Zeit, die Firma kann sich hundert Prozent auf mich verlassen.“ „Das ist Wahnsinn, absoluter Wahnsinn! Aber mit dir kann man ja nicht reden. Du tust ja eh was du für richtig erachtest.“

Leander schritt auf die andere Seite des Bandes. Erich direkt neben ihm schien sich nicht besonders zu fühlen. „Erich, ich sehe doch das es dir nicht gut geht! Warum hast du dich nicht krank gemeldet?“ „Wir Alten wissen was sich gehört. Das bisschen Bluthochdruck und die paar Schmerzen in der Brust sind noch lange kein Grund der Arbeit fern zu bleiben. Klar, ihr Jungen nehmt jede Gelegenheit war euch zu drücken. Ich kann arbeiten, ich will arbeiten! Niemand soll mir etwas nachsagen!“ Leander wusste nicht was er jener Art von Verbohrtheit entgegensetzen sollte. Die liefen alle in ihr Verderben und waren auch noch stolz darauf.

„Nun Leute, gleich geht es los. Haltet euch bereit. Ich bekomme die Anweisung von oben wann wir starten. Auf meiner Trillerpfeiffe werde ich den Anpfiff machen, dann legt ihr euch ins Zeug, verstanden!“ Gab Eduard zu verstehen. „Also, ich denke nicht dass Elena noch kommt! Wir sollten Anfangen!“ Schlug Egbert vor. Alle nickten zustimmend. „Nun, wer möchte den Startschuss für dieses poetische Schauspiel geben?“ Cassandra meldete sich begeistert, sprang auf und lehnte sich mit dem Sektglas in der Hand an die Panzerglasscheibe. Wie ein Porzellanpüppchen wirkte sie dort. Die Prekas starten sie an. Sie gab das verabredete Zeichen. Eduard pustete in seine Pfeife und das Band wurde gestartet.

In Windeseile hatten nun die Arbeitsschritte zu erfolgen. Die Qualität musste unbedingt gewahrt bleiben, die zusammengesetzten Tretroller durften keine Mängel aufweisen. Ein perfektes Zusammenspiel war obligatorisch, keiner konnte aus der Reihe tanzen, eine Unterhaltung während der Arbeit praktisch unmöglich, alles was der Konzentration zuwiderlief ausgeschlossen. Am schwersten hatten es die Packer, die am Ende des Bandes die Roller entgegennahmen um diese in großen Kartons zu verstauen. War ein Karton voll musste dieser augenblicklich beiseite geschoben, verschlossen und durch einen neuen ersetzt werden, Knochenarbeit. Die vollen Kartons im Anschluss nach draußen geschoben. Normales Gehen ausgeschlossen, alles erfolgte im Laufschritt. Schon nach kurzer Zeit lief der Schweiß in Strömen. Vor allem die Alten stöhnten, konnten bald nicht mehr. Aber es half nichts.

Derweil wurde in der Loggia der Imbiss aufgetragen, es gab Lachsschnittchen, später Hummer. „Ich hoffe, ich habe euren Geschmack getroffen?“ Erkundigte sich Egbert.“ Na da wollen wir sehen was da unten abgeht! Ach es ist herrlich,diese Arbeit hier bekommt mir wie eine Badekur. Es ist wirklich ein Jammer das Elena nicht gekommen ist. Ich denke, so etwas wäre doch ein Aufmacher für das Fernsehen?“ „Ich weiß nicht wo sie steckt! Aber du kannst ihr ja gerne den Vorschlag unterbreiten, ich kann mir vorstellen, dass sie nicht abgeneigt ist.“ Meinte Frederic. „ Behaltet alle im Auge. Ich weiß, mit der Zeit kann das ganz schön anstrengen, aber ihr habt ein verantwortungsvolles Amt inne. Ihr könnt schon Punkte verteilen wenn ihr wollt.

„Die Ärmsten! Die müssen ja fürchterlich schwitzen! Hast du an meinen Vorschlag mit den Jacken gedacht Egbert. Mit freiem Oberkörper arbeitet es sich doch bestimmt besser.“ Erinnerte Alexandra sich. „Ach ja richtig! Gute Idee!“ Egbert gab seine Anordnungen durch die Sprechanlage. Schon bald darauf entblößten die meisten ihre Oberkörper. „Wau toll Alexandra! Da sind ja einige Leckere dabei! Sag mal Egbert, ob man da mal was anleiern kann, ich meine ob sich so einer mal mieten lässt für ne Nacht oder so. Könnte sich ja was dazu verdienen.“ Wollte Cassandra wissen. „Du hast auch nur das eine Im Kopf!“ Beschwerte sich Gabriela. „Keine Ahnung! Da musst du schon selber aktiv werden und dir einen aussuchen. Ach so, du meinst ich soll nachhelfen, wer sich weigert fliegt raus oder so. Na meinetwegen. Du hast die freie Auswahl!“ „Eii geil! Der da, der kleine der ist nicht übel. Den möchte ich vernaschen!“ Cassandra wies dabei auf Reiner.

Unten wurde es derweil immer drastischer. Leander bemerkte dass Erich am Ende seiner Kräfte war.  Immer stärker nach Luft ringend drohte sein blutroter Kopf jeden Augenblick zu platzen . Die Schweißperlen standen auf der Stirn, aber er hatte kaum die Gelegenheit sie abzuwischen. „Erich, du solltest dich ablösen lassen, du kannst nicht mehr! Ich gebe Bescheid!“ Leander signalisierte Eduard, dass etwas nicht stimmte. Der kam sofort. „Was ist denn los?“ „Erich geht es nicht gut. Ich denke er schafft es nicht mehr!“ „Misch dich nicht dauernd in Dinge die dir nichts an gehen. Mir geht es gut, strengt halt ein wenig an das ganze, weiter nichts, alles in bester Ordnung.“ Lehnte dieser entschieden ab. Kopfschüttelnd verließ Eduard das Band.

„Halte dich da raus! Ich mache nicht schlapp. Kann ich mir nicht leisten. In zwei Jahren werde ich 75, da bekomm ich Rente, solange muss ich durchhalten. Ich hab schon ganz andere Dinge gemeistert, wenn ich da an früher denke.“ Schnappte Erich nach Luft. Leander verkniff sich eine Antwort. Es musste jederzeit mit dem Schlimmsten gerechnet werden Es vergingen nicht einmal 5 min und Erich sackte am Band zusammen. Auf dem Rücken am Boden liegend hechelte er nur noch wie ein Hund. Und hielt sich die Brust. „Stopp, stopp Unfall, Band sofort anhalten!“ Rief Leander, schnell hatte sich eine Menschentraube um den am Boden liegenden versammelt. „Uups! Da hat`s einen entschärft.“ Stellte Cassandra fest während sie genussvoll in ihr Lachsschnittchen biss.“Oh Alexandra, das ist deiner, tut mir leid ,Wette verloren.“ Schmatze sie dabei mit vollem Mund.

„Die haben doch tatsächlich das Band angehalten. Das gibt`s doch nicht!“ Schimpfte Egbert. „Na bei einem Unfall muss man das wohl tun, ist eben ne Ausnahmesituation!“ Meinte Gabriela. „Nix da! So was gibt’s nicht! Das ist kein Grund!“ Egbert griff nach dem Sprechgerät. „Wer hat euch erlaubt das Band anzuhalten? Das interessiert mich nicht! Schaft ihn raus, am besten in die Kantine, der Arzt soll sich darum kümmern, wofür bezahl ich den? Alle andern haben unverzüglich mit der Arbeit fortzufahren. Es gibt keine Ausnahmen. Wer es nicht mehr durchhalten kann soll sich melden, der bekommt noch heute die Papiere. Der Alte da unten natürlich auch. Der fällt sicher ohnehin für längere Zeit aus. Ich dulde keinen Widerstand, ist das klar!“ Erbost knallte Egbert den Hörer auf das Gerät. „Also die erlauben sich was, stellen einfach das Band ab, wegen einer solch lächerlichen Lappalie. Wer es nicht durchhält muss raus, so ist das eben.“

„Richtig! Arbeit bleibt Arbeit! Nur die stärksten haben Lebensrecht. Eine gute Idee von dir Egbert, diese Handhabe, hier hast du die perfekte Auslese.“ Stimmte ihm Frederic zu. „Ach habt ihr denn schon eure Punkte verteilt? Schade Alexandra, das dein Favorit ausgefallen ist, aber ich habe dich vorgewarnt. Hab die Jüngeren im Auge. Die Alten interessieren eh niemanden mehr.“ „Hm da muss ich mir wohl noch einen aussuchen? Nein, hab keine Lust mehr, dann macht der auch noch schlapp.“ Stöhnte Alexandra.

Der Arzt versucht unterdessen Erich ins Leben zurück zu holen, vergeblich. Hannes und Leander standen dabei in betrüblicher Stimmung. „Siehst du nun was ich meine Vater. Das erste Opfer. Und das ist nur der Anfang, weitere werden folgen. Das hat Erich nun davon, dass er sein ganzes Leben hier geschuftet hat, in >seiner< Firma. Gehen dir  jetzt die Augen auf“ Fuhr Leander seinen Vater an.

Doch der war nicht einmal nach diesem tragischen Vorfall bereit seine Meinung zu revidieren. „Was soll das heißen? Es ist tragisch ja, so etwas ist immer tragisch. Aber Erich ist eines ehrenvollen Todes gestorben, in Erfüllung seiner Pflicht. Bis zum Schluss hat er seiner Firma treu gedient, hat sich nicht geschont, obgleich er die Möglichkeit dazu hatte. Nimm dir ein Beispiel an ihm, so etwas findest du heute nur noch selten. Während der Arbeit zu sterben, was für ein heldenhaftes Finale.“ „Das kann doch nicht wahr sein! Glaubst du wirklich was du da sagst? Nein, nein, ich glaube nicht was meine Ohren da eben gehört haben.“ Leander kam aus dem Fluchen nicht mehr heraus. „Du bist geschockt mein Junge, das ist verständlich in einem solchen Moment, es kann ja jeden von uns treffen. Aber du wirst eines Tages lernen was uns zu solchen Meinungen bewegt. Erich hat für diese Firma gelebt. Er hatte höllische Angst davor in Rente zu gehen. Allein der Gedanke nicht mehr täglich durch das Tor gehen zu dürfen um am Band zu schwitzen, war ihm unerträglich. Was hätte er denn tun sollen zu hause? Ein solches Leben ist ihm nun erspart geblieben Nein ein Preka gehört in seine Firma und sonst nichts. Es ist unsere Bestimmung zu arbeiten, wenn nötig hier zu sterben.“

Leander versuchte gar nicht mehr ihn umzustimmen. „Eines kannst du gewiss sein, ich werde bestimmt nicht arbeiten bis zum umfallen.“ Voller Wut verließ er den Raum und machte sich wieder auf den Weg zum Band, dort empfingen ihn die andern schon mit Beschimpfungen, weil sie seine Arbeit hatten übernehmen mussten. „Hier denkt doch keiner auch nur ein bisschen nach. Was seit ihr nur für Menschen. Erich ist tot. Vor euren Augen geschah dies und ihr macht weiter wie bisher, geht euch das denn überhaupt nicht nahe. Seit ihr schon so abgestumpft?“ „Ja das ist schlimm! Aber wir können es nicht ändern. Was willst du denn von uns? Sollen wir das Band anhalten, damit wir fliegen? Die Arbeit geht nun mal vor, alles andere muss warten.“ Geiferte ihn Christa von der Seite an.

„Sieh zu, das du dein Soll schaffst, Leander. Eduard hat schon dumme Bemerkungen gemacht. Der hat dich vorgemerkt.“ Versuchte Reiner ihn zu warnen. „Ach von mir aus! Die sollen doch allen machen was sie wollen. Hier ist doch keiner Wert das man auch nur einen Gedanken an ihn verschwendet.“ Schimpfte Leander vor sich hin. Der Arzt hatte in der Zwischenzeit Egbert vom Tod Erichs in Kenntnis gesetzt. „ In Ordnung! Da weiß ich Bescheid. Hm, das gibt nur wieder unnötige Formalitäten, aber es muss ja getan werden. Ich komme dann gleich runter.“ „Was ist denn los? Schlechte Nachrichten?“ Wollte Gabriela wissen. „Ich muss euch mal für kurze Zeit alleine lassen. Den Alten hat`s dahingerafft. Da gibt es ein paar Formalitäten zu klären. Ihr könnt bleiben oder auch mal Pause machen, ich über lasse es euch. Das strengt hier auch ganz schön an.“ Erklärte sich Egbert und verließ für eine Weile die Loggia.

Wenig später wurde ohnehin zur Pause geläutet. Cassandra ergriff die Gelegenheit beim Schopf und machte sich auf den Weg in die Produktionshalle. Das Unglück interessierte sie nicht im Geringsten. Sie hatte nur Augen für Reiner, den sie als ihr Sexobjekt erkoren hatte. Graziös schritt sie voran, heftete sich an Reiners Ferse der sich gerade auf dem Weg in die Kantine befand. Die aber war geschlossen, da der tote Erich hier noch immer auf einer Bank lag. Reiner wollte sich gerade zum umkehren wenden, als er Cassandra direkt in die Arme lief. „Dich hab ich gesucht! Bleib stehen wenn ich mit dir rede!“ Befahl Cassandra. „Ja äh, und was willst du von mir?“ Stammelte Reiner verlegen. „Dich!“ „Mich?“ „Ja dich! Ich durfte mir einen aussuchen und ich habe dich erwählt so einfach ist das!“ Reiner konnte sich nichts unter Cassandras Worten vorstellen. „Erwählt? Wie erwählt? Ich weiß wirklich nicht wovon du redest?“ „Klar, ihr Preka seid ja von Natur aus ein wenig schwer vom Begriff. Also muss ich wohl deutlicher werden!“ erwiderte Cassandra während sie sich ihm annäherte. „Ja wäre nicht schlecht!“ „Öhh, weiß du wie du riechst? Wie ein Ferkel! Aber mach dir nichts draus. Ich mag Proletenschweiß ganz gern, bis zu einem bestimmten Grad versteht sich. Das gibt der Sache, sagen wir mal so eine ganz bestimmte Art von Würze. Auch die Dreckränder unter den Fingernägeln, die beweisen dass du hart zupacken musst, also hast du auch entsprechende Muskeln. Sehr gut!“

Langsam begriff Reiner worauf Cassandra hinauswollte. „Was kann ich für dich tun?“ „Brav, so ist es richtig! So mag ich es. Du scheinst langsam durchzublicken. Du kannst einiges für mich tun. Mir zur Verfügung stehen. Ich hab ,sagen wir es mal direkt, das Verlangen nach einem knackigen Proletenarsch. Ihr seid so gut gebaut, kommt von der schweren Arbeit, nicht? Du könntest mir einige Dienste tun! Na., wie wär`s damit, es soll nicht dein Schaden sein, versteht sich!“ Cassandras Anmachte schockte den eher schüchternen, der noch dazu von einer hohen Moral gefesselt war. „Ach so! Nein, äh… ich kann nicht, ich will nicht. Ich bin wohl nicht der Richtige. Such dir doch am besten einen anderen. Entschuldige mich, ich muss langsam ans Band zurück.“ Reiner versuchte an ihr vorbei zu huschen. Doch sie hielt ihn fest. „Du gehst dann an deine Arbeit zurück, wenn ich es dir erlaube. Ist da klar? Ich habe Egberts persönliche Erlaubnis dich anzubaggern. Das Band wird auch ohne dich laufen. Apropos, das wird es in Zukunft ständig wenn du dich mir verweigerst. Du bekommst augenblicklich die Papiere wenn du mir eine Abfuhr erteilst. Na, wie sieht es jetzt aus?“ Drohte Cassandra eiskalt.

„Aber das kannst du doch nicht….ich meine was habe ich denn getan? Warum gerade ich? Es gibt doch so viele hier. Tolle Typen! Sehen viel besser aus als ich. Ich …“ „Aber ich will nun mal dich! Verstanden! Keine Widerrede! Du meldest dich sagen wir mal morgen nach Schichtschluss bei mir, hier ist die Adresse!“ Sie kramte in ihrer Handtasche herum und reichte ihm eine Visitenkarte. „Als Belohnung darfst du weiter am Band schuften. Weigerst du dich dann ist es aus damit, dann heißt es auf zu den Prekaparia. Ich brauch wohl nicht zu erläutern was das bedeutet, Süßer!“ „Nein das brauchst du nicht! Ich habe verstanden!“ Reiner senkte wie ein begossenen Pudel den Kopf. „Sehr gut! Dann sind wir uns also einig! Hm, wie sieht`s denn unten rum aus!“ Cassandra griff zwischen seine Beine, so heftig das er aufschrie. „Puuah, was für ein Apparat, sehr gut, sehr gut! Da hab ich wohl die richtige Wahl getroffen. Also ich erwarte dich morgen und Gnade dir wenn du nicht erscheinst! Ab durch die Mitte, das Band wartet. Die Bewegung wird dir gut tun, ich will das du morgen in guter Kondition bist.“ Hastig entfernte sich Reiner.

Cassandra lehrt ihr Sektglas in einem Zug und warf es im Anschluss über ihre rechte Schulter,so das es am Boden klirrte. Nebenan im Zimmer lag der tote Erich. Nein Pietät gehörte nicht zu den Tugenden der Privo. Völlig verstört erreichte Reiner das Band, dass nur wenige Augenblicke zuvor wieder in Bewegung gesetzt wurde. Leander erkannte sofort dass etwas nicht stimmte. Cassandra schlenderte gemütlich durch die Halle um sich wieder in ihre Fürstensuite zu begeben. Beim vorbeigehen warf sie Reiner einen lasziven Blick zu. Jetzt verstand Leander. Er bohrte nicht weiter nach, wollte den Kollegen nicht noch mehr in Verlegenheit bringen.

 „Na Cassandra, wie ist es gelaufen? War dein Beutezug erfolgreich?“ Wollte Klaus wissen. „Aber klar doch! Alles Bingo. Den habe ich schnell auf Vordermann gebracht!“ erwiderte die in ihrer kecken Art. „Und was wird dein Mann dazu sagen?“ Gab Gabriela zu bedenken." Der? Erstens ist der nicht da, Geschäftsreise, wie so oft. Zweites wird der nicht gefragt. Drittes lässt der mir in solchen Angelegenheiten völlig freie Hand. Egbert, du regelst das doch für mich oder?“ „Aber selbstverständlich, Süße, geht alles seinen Gang. Ich habe verfügt dass die Geschwindigkeit nochmals erhöht wird am Band, wir wollen doch schließlich nicht betrogen werden. Ich hoffe der Imbiss hat euch allen gemundet, wir lassen uns jetzt noch den Nachtisch schmecken.“

So kamen heute alle auf ihre Kosten, die einen in der Loggia, die andern am Fließband, alles hatte seine Ordnung, wer wollte das bestreiten? Wenn es darauf ankam standen die Melancholanier zusammen, jeder kannte den ihm zugewiesenen Platz, niemand stellte das in Frage. Die Firma war eine große Familie, die Querdenker und Miesmacher die zu Aufruhr und Zwietracht aufriefen waren doch nur neidisch auf diese friedvolle Eintracht. Da konnte dieser Cornelius noch so viel Unsinn erzählen oder Neidhardt noch so viel drohen, die Leute hier wussten was sich gehörte. Solche Ideen stießen hier auf taube Ohren.

Opfer würde es immer geben, die musste man verschmerzen, aber wer sich opferte tat es für eine gute Sache. Es konnten eben nur die Stärksten überleben. Schwächlinge waren selber Schuld. Ein gesundes Staatswesen, eine gesunde Wirtschaft konnte sich nun mal keine Verlierer leisten, wer über ein bisschen Verstand verfügte erkannte diese Notwendigkeit. Nur ein starker, leistungsfähiger Melancholanier war auch ein guter Staatsbürger. Es durfte keine Ausnahme geben.

Weiter Tote waren nicht zu beklagen an diesem Tag, es blieb vorerst bei dem einen. Doch der Arzt hatte alle Hände voll zu tun. Viele machten schlapp, die bekamen eine Notversorgung und im Anschluss ihre Kündigung. Schicksal, reines Schicksal. Eines konnte man ihnen jedoch nicht nehmen, ihre Nationalstolz und dafür hatten sie allen Grund, denn Melancholnier zu sein, war eben etwas ganz besonders, dass spendete Trost in allen Lebenslagen.

Völlig geschafft kamen Leander und Hannes zu Hause an. Beim essen waren alle recht schweigsam, und dass war gut so,denn die Kraft für Zoff und Streit hätte an diesem Abend wohl keiner aufgebracht. Dann aber folgte die Entschädigung für das soeben durchgestandene, ein Fernsehprogramm nach Maß. Heute lief die Serie „Milliardäre“. Darauf hatten sich Hannes und seine Frau schon den ganzen Tag gefreut. Die Geschichte einer superreichen Privofamilie und deren Alltagssorgen. Hier konnte man endlich richtig entspannen. Gegen deren Problemchen wirkten jener der Lohnsklaven am Band geradezu lächerlich.

Ach der gute alte Fernseher, was sollten die Menschen ohne in machen? Niemand wäre imstande sich das auch nur vorzustellen. Niemand? Leander schon, der zog sich wie immer auf sein fernsehfreies Zimmer zurück um sich seinen Büchern und Träumen hin zu geben. Dabei kam er gründlich ins Grübeln. Wie gut hatte es doch einer wie Lars, dem solche Dinge völlig abgingen. Leander begann über dessen Angebot vom Vortag nachzudenken. Sollte er sich tatsächlich bei Neidhardt melden? Noch immer stand er dessen Methode äußerst skeptisch gegenüber. Er würde ein großes Risiko eingehen, sollte er sich tatsächlich mit dem gefürchteten Revolutionär ein lassen. Aber Fragen kostete nichts, einfach mal vorbeischauen und sich kundig machen. Eine endgültige Entscheidung war damit lange nicht verbunden. Erst mal eine Nacht drüber schlafen, der morgige Tag würde ihm sicher eine neue Erkenntnis schenken.