SoPo greift ein

 

Kalter, trister November. Graue Nebelschleier waberten nasskalt in den Straßen der Schmucklosen Preka-Wohnsiedlung. Dieses ekelhafte Wetter ließ die ohnehin dauerhaft präsente Tristesse noch monströser erscheinen. Ein Nebel der sich bleischwer auf das Gemüt senkte und jede noch so kleine positive Gefühlsregung im Handumdrehen erstickte.

Ein Wetter, bei man keinen Hund und vor die Türe jagte

Wohl dem der eine gemütliche Wohnung sein Eigen nennen konnte. Zeit der Gemütlichkeit, Zeit des Zusammenrückens. Zeit für anregende tief schürfende Gespräche. Zeit um in sich zu gehen, sich zu bilden. Unter einem solchen Blickwinkel war es durchaus möglich, dem November eine positive Note abzugewinnen.

Nun besaßen Hannes und Anna zwar keine gemütliche Wohnung, aber immerhin hatten sie es warm und ein Dach über dem Kopf. Vor allem besaßen sie ihren Fernseher, Melancholaniens wichtigsten Fetisch.

Zeit für Bildung war ihnen nicht vergönnt, denn wie so häufig am Vormittag lief eine ihrer Lieblingssendungen im TV und die konnten und wollten sie sich nicht entgehen lassen, dies käme einer Blasphemie gleich.

Wieder einmal war die Sopo im Einsatz, Melancholaniens berüchtigte Sozialpolizei, deren Hauptaufgabe darin bestand Sozialbetrügern auf die Schliche zu kommen, diese aufzuspüren und wenn nötig gleich an Ort und Stelle zu eliminieren. Leute, die sich unrechtmäßig soziale Leistungen erschlichen, bzw., denen man diesen Tatbestand unterstellte, ob das den wahren Tatsachen entsprach konnte nie mit Sicherheit ermittelt werden, galt es mit unnachgiebiger Härte zu begegnen.  Es wurde im allgemeinen nach dem Grundsatz verfahren dass lieber zehn Unschuldige aus ihren Wohnungen zu werfen waren, als einen Schuldigen ungeschoren davon kommen lassen.

Sozialbetrug wurde in Melancholanien als schweres Verbrechen betrachtet, wog unter Umstanden schlimmer als Mord oder Totschlag. Denn Menschenleben konnten jederzeit ersetzt werden, Geld hingegen schwer zu beschaffen und deshalb kostbar und heilig.

Der Zustimmung aus den Reihen der Bevölkerung konnte sich die Regierung sicher sein, vor allem von Seiten der schwer arbeitenden Preka, die konnten es überhaupt nicht ab, wenn Leute für ihr Nichtstun auch noch unterstützt wurden.

Hannes zählte zu den besonders kompromisslosen Verfechtern jener harten Linie, selbst jetzt, da er selbst seit geraumer Zeit Bezieher von Sozialleistungen war. Aber er war nach wie vor Patriot, und das zu 100 %. Nichts schien seinen hohen Moralkodex in Frage stellen.

Kurz vor 10 Uhr, gleich war es soweit. In froher Erwartung machten es sich Hannes und Anna auf der Couch bequem. Der Kaffee wurde heute aus einem besonders kostbaren Service genommen. Anna`s Biskuitplätzchen auf dem Tisch, das versprach Gemütlichkeit in Reinkultur. Wenn man das Privileg besaß wieder einmal Zaungast zu sein, einen so scheußlicher Verbrecher aus seiner Wohnung fliegen zu sehen, schienen Kaffee und Plätzchen auf ganz besondere Weise zu munden.

Wen würde es diesmal erwischen? Die eigens dafür eingerichteten Sozialgerichte bestimmten alltäglich wer der Entpersonifizierung unterworfen wurde. So nannte man das Verfahren das darüber entschied, wer endgültig aus den Reihen der zivilisierten Welt auszuscheiden hatte. Die Leistungen wurden vollständig eingestellt und die Betreffenden einfach ihrem Schicksal überlassen. Von jenem Augenblick an existierten sie nicht mehr. Ihre Identitäten wurden ausgelöscht, sie wurden zu Paria und hatte sich in die eigens dafür vorgesehen Sonderzonen zu begeben, die es im ganzen Lande gab. Niemand würde sich je wieder ihrer erinnern, sie waren nichtexistent. 

 

Unterdessen hatte in unmittelbarer Nähe das Sondereinsatzkommando der SoPo Stellung bezogen. Drei Einsatzfahrzeuge waren vorgefahren, insgesamt würden 12 bis zu den Zähnen bewaffnete Beamte zum Einsatz kommen. Visierhelm und schusssichere Westen waren Vorschrift, obgleich es bisher niemanden gelungen war den Grund für diese martialische Kostümierung in Erfahrung zu bringen. Nicht ein einziger Schuss wurde je auf einen Beamten abgegeben, aber man konnte  bei diesem Pack nicht vorsichtig genug sein.

Deckung halten, alles streng geheim. Die Betreffenden durften keinen Verdacht schöpfen, denn immerhin wollte man sie wenn möglich in flagranti überführen.

Doch wessen beschuldigte man sie wirklich? Bei welcher schweren Straftat wollte man sie auf frischer tat ertappen. 

Ein ewiges Geheimnis.

Letzte Anweisungen wurden über Sprechfunk erteilt, nerven zersetzende Spannung, welches Bild würde sich den tapferen Streitern für Gesetz und Gerechtigkeit heute wieder bieten?

In der Zwischenzeit hatte sich auch der Übertragungswagen von Model-TV eingefunden. Tontechniker, Kameraleute, alles was für einen solchen Einsatz Erforderliche kam zum Vorschein. Als letzte entstieg Chantal dem Wagen.

Chantal, das aufstrebende Sternchen in Melachncholaniens Medienszene hegte starke Hoffnung einmal in Elenas Fußstapfen zu treten, nachdem diese  sich so poetisch aus ihrem Leben verabschiedet hatte. Ihr oblag die Aufgabe, den Einsatz der SoPo zu kommentieren und den Zuschauern nahe zubringen. Die Zusammenarbeit zwischen TV und Sopo funktionierte reibungslos. In einer Auslosung wurden die Betreffenden Personen oder auch Familien ausgewählt, denen die Ehre zuteil wurde, als Hauptakteure in dieser allseits beliebten Serie aufzutreten. Noch einmal durften die gerade zu Nichtexistenten erklärten im Rampenlicht stehen, bevor sie für immer in der Kloake der Pariawelt versanken.

Doch es war ein Spiel, eine Lotterie. Es gab durchaus die Möglichkeit zu entkommen und wenigstens für eine Weile als menschliches Wesen betrachtet zu werden. Die gesamte Wohnung wurde auf den Kopf gestellt. Die Personen mussten sich einer Leibesvisitation unterziehen. Fand man nur einen Gegenstand der eine Art von Wert vermuten lies, war es um die Betreffenden geschehen. Ansonsten gewährte man ihnen eine Galgenfrist. Das war natürlich kompletter Unsinn. Es fanden sich immer Dinge denen man einen allgemeinen Wert zuordnen konnte. Bisher war es auch noch niemanden gelungen dem Rauswurf zu umgehen. In Wirklichkeit war alles abgekartet. Die Durchsuchung, reiner Voyeurismus. Die Menschen sollten einfach bloß gestellt werden, aber der Schein blieb gewahrt.  Den Zuschauern wurde suggeriert, dass es hier noch immer mit rechten Dingen zuging.

 

Chantal wippte von einem Bein auf das andere. Die feuchte Kälte kroch an ihren nur mit hauchdünnen Nylons bedeckten Beinen direkt nach oben, auch die High Heels boten kaum Schutz. Der schwarz glänzende extrem kurze Ledertrenchcoat diente ebenfalls mehr der Erotik den der Wärmedämmung. Ein tiefer Einblick ins Decollete ließ die braungebrannte Haut erscheinen, die, zumindest rein oberflächlich, gut mit den Wasserstoff gebleichten blonden Locken kontrastierte.

Nein, eine zweite Elena war sie mit Nichten. An dieser Einsicht ging kein Weg vorbei. Auch wenn sie noch nicht bereit war sich dieser herben Wahrheit zu stellen.  Keine Frage, sie war hübsch anzusehen, aber das war doch ehr der Tatsache geschuldet, dass sich die Maskenbildner auf ausgiebige Weise ihrer angenommen hatten und es verstanden das Make-up kunstvoll einzusetzen. Elenas natürliche Schönheit hingegen bedurfte keiner künstlichen Aufbereitung. Deren sinnliche Ausstrahlung war und blieb einmalig. Chantals extrem hohe, piepsig-aufdringliche Stimme schreckte eher ab, denn dass sie einlud ihr zu lauschen. Welch ein Gefälle zu Elenas zauberhafter Altstimme, die melodisch, ja fast meditativ, die Seele streichelte, sobald sie den Mund auftat. Auch Elenas routinierte Souveränität, die Dinge anzupacken, ging Chantal vollständig ab. Vielmehr war sie ein Mensch der auch noch  das letzte Fettnäpfchen aufsuchte das sich ihr bot.

Die große Galashow, letzten Monat, deren Moderation ihr oblag, erwies sich als totaler Flop und sie wurde von den Zuschauern ausgebuht. Die Einschaltquoten an den heimischen Geräten, lagen im äußerst bescheidenen Rahmen.

Deshalb kam sie nicht umhin, einen Gang zurückzuschalten. Die Welt lag ihr noch lange nicht zu Füßen. Sie war gezwungen von ganz unten an fangen.

Eines aber war ihr gelungen, sie hatte Frederics Aufmerksamkeit erlangt. Der in ihr eine willfährige Gespielin gefunden glaubte. Sollte es ihr gelingen bei ihm zu landen, war sie am Ziel ihrer Träume.

Heute jedoch musste sie Farbe bekennen, zum ersten Mal moderierte sie eine Sendung dieser Art. Schnitt sie gut ab, durfte sie auch weiter bleiben. Dann stand einer Karriere nichts mehr im Weg. Doch würde sie sich dafür ganz besonders ins Zeug legen müssen. Härte war gefordert. Die Betroffenen dieses Tages mussten sich also auf eine ganz besonders unbarmherzige Moderatorin einstellen.

 

„Wo willst du denn schon wieder hin, Hannes? Gleich ist es soweit, die SoPo kommt?“

Wollte Anna wissen, als sich Hannes in Richtung Badezimmer bewegte.

„Nur noch mal schnell aufs Klo, damit ich nachher nichts versäume!“ Erwiderte der und schloss die Türe hinter sich.

„Hannes, mach schnell es ist soweit!“ Forderte Anna inständig.

in großer Eile hatte der Aufgeforderte seinen Platz auf dem Sofa wieder eingenommen.

„Da bin ich mal gespannt, wen es diesmal trifft. Es könnte durchaus sein, das es sich um Leute handelt die wir kennen. Das wäre dann schon etwas makaber.“ Glaubte Anne zu wissen.

„Kann ich mir nicht vorstellen! Wir haben keinen Kontakt zu solchen Leuten. Ich für meinen Teil möchte mit Sozialbetrügern nichts zu schaffen haben.“ Wies Hannes die Vermutung energisch zurück.

„Aber wir bekommen doch selber Leistung!“ Stellte Anna fest.

„Musst du ausgerechnet jetzt wieder damit anfangen? Das ist doch etwas völlig anders. Das, das ist vorübergehend. Nur für kurze Zeit. Du wirst sehen, nicht mehr lange und ich werde wieder am Band stehen, dann hat das alles hier ein Ende. Wie kommst du nur auf die Idee uns mit diesem Abschaum gleich zusetzen?“ Empörte sich Hannes.

Anna erwiderte nichts, es war nicht klug jetzt mit ihm zu streiten. Statt dessen konzentrierten sie sich auf jenes was in wenigen Augenblicken auf der Mattscheibe vor sich gehen sollte.

 

„Meine sehr verehrten Zuschauerinnen und Zuschauer. Ich darf sie recht herzlich zu unserer heutigen Direktübertragung begrüßen. Zunächst möchte ich mich vorstellen. Ich bin Chantal.

Ein neues Gesicht also für sie alle, ich habe die große Freude, ab jetzt durch diese beliebte Sendung zu führen.“

 

„Hee? Schon wieder ne Neue? Die wechseln auch andauernd. Kaum hat man sich an ein Gesicht gewöhnt,  kommt schon wieder eine Neue daher. Wie soll sich da einer zurechtfinden?“

Beschwerte sich Hannes, nachdem er die Kaffeetasse an der falschen Stelle abgestellt hatte.

„Auf den Untersetzer Hannes! Wie oft soll ich es noch sagen, das gibt Ränder! Also ich finde sie ganz nett. Auf jeden Fall hübscher als die Vorgängerin. Hübsches Gesicht, das macht alles viel erfrischender!“ Entgegnete Anna.

 

„Wieder einmal hat das Los entschieden. Gleich werden wir  eine dieser Wohnungen stürmen um Zeugen einer Zwangsräumung zu werden. Unter den zehn eingesandten Adressen, die uns die Entpersonifizierungskommission freundlicherweise zur Verfügung stellte, haben wir eine ausgewählt. Natürlich möchten wir die betreffenden überraschen, daher kann ich nur offenbaren, dass es sich diesmal um ein Ehepaar mittleren Alters handelt, deren Wohnung von der SoPo gleich auseinander genommen wird.

Die Spannung steigt, wen wird es diesmal treffen? Meine lieben Damen und Herren Sozialbetrüger, wundern sie sich nicht wenn gleich die SoPo bei ihnen vor der Türe steht. So ist das nun mal, Sozialbetrug ist ein schweres Verbrechen und so etwas muss geahndet werden.

Ah, hier kommt gerade der Einsatzleiter des Weges. Sie kennen ihn schon von unzähligen Einsätzen, auch heute ist seine Truppe hervorragend gerüstet.

Manfred, beliebt bei den Zuschauern, gefürchtet bei den Sozialschmarotzern. Darf ich fragen

wie die Stimmung ist?“

„Ja, schönes Kind, das darfst du!“ Antwortete der Angesprochene auf gespielt lässige Art, dabei auffällig schmatzend einen Kaugummi im Mund bewegend. Manfred war ein athletisch-durchtrainierte Endvierziger, kahl geschorener Kopf, in brauner Bomberjacke, olivgrünen Khakihosen und schwarzen Springerstiefeln.

„Die Stimmung in der Truppe ist wie immer hervorragend. Wir sind dauerhaft im Einsatz, so was ist für uns reine Routine, kommt fast jeden Tag vor. Wir sind ein perfektes Team. Aber wenn wir mal wieder im TV sind, ist es uns eine besondere Ehre dem Publikum unser Können unter Beweis zu stellen.“

Auf der rechten Hand einen Schlagring, boxte er während des Interviews Medienwirksam auffällig in die linke Handfläche.

„Glauben sie dass sie den benötigen?“ Wollte Chantal wissen.l

„Ich hoffe nicht! Aber man kann nie wissen. Bei diesem Pack müssen wir auf alles gefasste sein. Einige haben in der Vergangenheit schon damit Bekanntschaft gemacht, denen ist das Lachen gründlich im Halse stecken geblieben, ehä ehähähähä!“ Mimte Manfred nochmals den coolen Oberfreak in die Kamera.

 

„Was labern die denn heute wieder so ewig daher. Immer das gleiche, immer die dämlichen Fragen am Anfang, wissen wir doch längst. Man, die sollen endlich anfangen. Ich möchte sehen wen es diesmal erwischt, möchte eine Wohnungstüre krachen hören. Hoffentlich bekommen wir mal was zu sehen. Zum Beispiel wie die sich ausziehen müssen. Dass haben die beim letzten Mal glatt unterschlagen.“ Motzte Hannes erneut herum.

„Na das kennen wir doch. Die fangen gleich an wirst du sehen! Hast du noch Kaffee, oder soll ich noch ne Kanne aufsetzen?“ Meinte Anna und wollte sich gerade erheben.

„Nee, nee, bleib nur sitzen!“

 

Derweil nahm die Spezialeinheit ihre Ausgangsposition ein. Dicht an der Wand schlichen sie vorwärts, damit keiner Verdacht schöpfen konnte. Direkt da hinter postierte sich das Reporterteam um Chantal.

„OK, dann wären wir soweit! Also Kindchen, dicht hinter mir bleiben, ist das klar? Wir wollen dich doch nicht unnötig in Gefahr bringen. Gruppe eins fertig machen, Gruppe zwei in Stellung verharren bis weitere Befehle erteilt werden.“ Knautschte Manfred in das Mikrofon.

„Eine gespannte Stille liebe Zuschauer. Gleich ist es soweit. Die Wohnung befindet sich im sechsten Stock dieses Hauses. Die Beamten müssen nun erst das Treppenhaus erklimmen, all das geschieht so leise und unauffällig wie nur unbedingt möglich, wollen wir doch diesen elenden Sozialbetrügern keine Gelegenheit bieten sich durch Flucht ihrer gerechten Strafe zu entziehen.“ Flüsterte Chantal in das Mikro, so als habe sie Angst  entdeckt zu werden.

 

„Komisch Hannes, sie dir doch nur mal die Häuserfassade an, das könnte fast vor unserer Haustür sein. Das wäre was, wenn die in unser Haus stürmen. Ein echtes Erlebnis, das habe ich mir schon lange gewünscht. Mal hautnah dabei sein dürfen.“ Frohlockte Anna.

„Kann ich mir nicht so recht vorstellen! Zu wem sollten die denn? Ich habe da niemanden im Verdacht. Naja, so viel Kontakt haben wir  zu den Nachbarn nicht. Guten Tag und guten Weg, das ist alles. Sollte da tatsächlich so ein schäbiger Betrüger dabei sein. Das sieht man denen doch an der Nasenspitze  an. Die erkenne ich in hundert Metern Entfernung.“ Glaubte Hannes zu wissen.

„Ja, meine Damen und Herren. Jeden Moment erfolgt das Startsignal. Fünf, Vier, Drei, Zwo, und los geht’s!“ Kommandierte Chantal und man merkte ihr die Spannung an.

Trupp eins stürmte ins Treppenhaus.

„Trupp zwei, los geht’s hinterher!“ Befahl Manfred, dann setzte er sich selber in Bewegung.

Chantal hatte außerordentliche Schwierigkeiten zu folgen, Einmal behinderten die High Heels auf der steilen Treppe. Weiterhin waren die Kameraleute im Weg.

„Los, los schneller! Nach oben! Verflucht noch mal ist das eine Scheiße!“ Schimpfte Chantal vor sich hin. Bereute es aber sogleich. Hatten die Zuschauer etwa ihr Gezeter mitgehört. Nicht auszudenken! Das konnte ihr Minuspunkte bei Frederic ein bringen und das wollte sie doch um jeden Preis verhindern.

 

„Na jetzt bin ich mal gespannt! Es müsste jeden Moment eine Tür eingeschlagen werden. Man ist das eine Spannung heute!“ Ereiferte sich Hannes der es auf dem Sofa kaum noch aushielt.

 

Schließlich war die SoPo am Ziel, geschafft, keiner hatte Verdacht geschöpft.

„Achtung! Und los!“ kommandierte Manfred.

Ein besonders kräftig gebauter SoPo-Beamter schwang gezielt sein Bein nach oben und trat die leichte Holztür aus dem Rahmen.

 

Nur beiläufig blickten Hannes und Anna zur Wohnungstür, zu sehr waren ihre Blick auf die Mattscheibe gerichtet. Und erst als die Beamten direkt neben ihnen zum stehen kamen, dämmerte es ihnen das es ihre eigene Wohnungstür war, die da eben krachend in sich zusammenfiel und ihnen die Ehre zuteil wurde diesmal  die Auserwählten dieser Sendung zu sein.  Ja kein Zweifel? Sie waren tatsächlich im Fernsehen.

Da stürmte auch Chantal und das Kamerateam in die Wohnung, erfüllt von der Angst das Beste zu versäumen.

„Hannes und Anna? Hiermit teile ich ihnen mit, dass die Entpersonifizierungskommission ihnen mit sofortiger Wirkung ihrer beider Persönlichkeit aberkennt. Ihnen wird vorgeworfen, Sozialleistungen in großem Umfang erschlichen zu haben. Ferner wird ihnen zur Last gelegt, das sie trotz mehrfacher Aufforderung der Anweisung sich eine kleinere Wohnung zu nehmen nicht nachgekommen sind. Das sind beides strafbare Delikte die unter keinen Umständen hingenommen werden können. Wir haben die Anweisung ihre Wohnung nach eventuellen Wertgegenständen zu durchsuchen, die sich unrechtmäßig in ihrem Besitz befinden.“

Hielt Manfred seine einstudierte Predigt.

„Wertgegenstände, die sich unrechtmäßig in unserem Besitz befinden? Was erlauben sie sich? Das alles ist unser Eigentum. Alles rechtmäßig erworben!“ entfuhr es Hannes.

„Schnauze! Ab jetzt bestimmen wir, was dein Eigentum ist, Pariaschwein!“ blökte Manfred ,dabei die Fäuste in die Hüfte stemmend.

„Paria? Wir sind keine Paria! Wie kommen sie denn darauf? Mit denen habe wir nichts zu schaffen. Wir sind gute Melancholanier. Ich habe gearbeitet, über dreißig Jahre lang, drüben in der Spielzeugfabrik, bei Egbert. Fragt doch nach, ein jeder kann es euch bestätigen. Ich wurde doch erst kürzlich entlassen. Die stellen mich wieder ein, bestimmt, ich rechen jeden Tag mit der Aufforderung in die Fabrik zurück zu kehren. Ein Irrtum, ja! Es kann sich hier nur um einen Irrtum handeln, bestimmt haben sie sich in der Tür geirrt. Ist nicht so schlimm kann doch mal vor kommen. Um die Tür brauchen  sie sich nicht zu sorgen, die bringe ich schon wieder in Ordnung.“ jammerte Hannes wie ein kleines Kind.

Manfred holte aus und schlug Hannes mit dem Handrücken ins Gesicht, so dass Augenblicklich das Blut floss.

„Halt deine jämmerlich Schnauze! Winselt hier rum. Alter Feigling! Irrtum? Wie begehen niemals Irrtümer, merk dir das. Und wehe du reißt dein Maul noch mal auf, dann gibst noch mehr auf die Mütze.“

„Ich…ich protestiere! Ich protestiere auf das entschiedenste! Wir sind gute Melancholanier! Wir haben immer unseren Beitrag geleistet. Ich war immer da, wenn ich gebraucht wurde, habe jede Überstunde mitgenommen. Stets lag mir die Arbeitsfront am Herzen. Gekämpft haben wir, jeden Tag, jede Stunde um die Arbeitsnorm zu erfüllen und es war uns eine Ehre.

Und nun das hier. Nein das kann nicht sein, das kann nichts ein, ich protestiere!“

„Protestiere so viel du willst aber nicht hier! Los, schafft den Jammerlappen nach unten!“

Zwei bullige Beamte erschienen und nahmen Hannes in die Mitte dann führten sie den immer noch laut vor sich hin Schreienden nach unten.

„Meine lieben Zuschauer zu hause vor den Bildschirmen. Sie waren gerade Zeugen einer Erstürmung. Ich kann sagen, die Überraschung ist uns gelungen.“ posierte Chantal in die Kamera. „Da der Herr des Hauses leider nicht mehr vorhanden ist, bleibt mir nur seine Ehefrau für unser Interview.“

Anna stand geistesabwesend in der guten Stube und schien noch immer nicht ganz begriffen, was geschehen war. Aber im Gegensatz zu Hannes bewahrte sie absolute Ruhe und Haltung.

„Anna! Eine Frage! Wie stehst du zu der Tatsache, dass du die SoPo in der Wohnung hast? Dass ist ein Ding was? Sprachlos vermute ich. Hihihihihihihi Kann ich mir denken. Aber trotzdem muss ich dich auffordern Rede und Antwort zu stehen. Dein Mann hat sich  gerade aus der Affäre gezogen, schöner Held muss ich zugeben, lässt seine Frau feige zurück. Naja, egal. Also, wir hören!“ Chantal hielt Anna das Mirkro aufdringlich unter die Nase.

„Ich..ich kann dazu gar nichts sagen! Nie im Traum wäre ich auf den Gedanken gekommen, dass uns einmal so etwas zustößt. Wir sind große Verehrer ihrer Sendung müssen sie wissen.

Aber das wir selber einmal darin eine Rolle spielen nein, das ist einfach unfassbar.“

Anna holte ein Taschentuch hervor uns schnäuzte sich geräuschvoll.

„Verehrer unsrer Sendung? Oh, danke, so etwas hören wir immer gerne.  Wie schade, das es damit nun vorbei ist, denn dir steht ja von un an kein Fernseher mehr zu, neben vielen anderen Dingen. Wie werden sie damit leben können?  Das interessiert mich ganz besonders. Wie werden sie die Tatsache überstehen nicht mehr täglich dabei sein zu können wenn die SoPo wieder ihren Einsatz fährt?“

„Ich weiß es nicht! Ich kann im Moment noch gar nichts sagen. Ohne die SoPo, ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Das ist alles so furchtbar.“

„Aha, aha! Andere Frage? Wie viel unrechtmäßige Wertsachen haben sie hier gehortet? Hm, sehr pompös sieht deine Bude ja nicht gerade aus. Aber jeder Mensch besitzt Wertvolles, und wenn es auch noch klitzekleine Kleinigkeiten sind, von denen man sich nur ungern trennt. Du musst dich mit dem Gedanken vertraut machen, dich von allem loszusagen! Wird dir das gelingen?“

Wieder fuchtelte Chantal mit dem Mikro unter Annas Nase.

„Ich… ich kann nichts dazu sagen! Wir haben doch nichts! Wir haben doch das meiste schon verkaufen müssen!“

Währenddessen begannen die Beamten der SoPo mit akribischer Genauigkeit damit die Wohnung zu durchsuchen. Nichts durfte außer Acht gelassen werden.

Das Geschirr wurde aus den Schränken geräumt, äußerst unsanft,  dass so manche Tasse, oder der eine oder andere Teller nicht überlebten. Im Wohnzimmer wurde mit scharfen Messern die Plüschgarnitur aufgeschlitzt, immerhin bestrand dringender Tatverdacht, dass dort Ersparnisse eingenäht waren. Schließlich begann man die Schränke abzubauen, auf der Suche nach Geheimfächern.

„Ja, meine lieben Zuschauer. Nichts sehr gesprächig die Dame des Hauses, aber das macht nichts. Denn wir haben mit ihr eine ganz besondere Einlage vorbereitet und die Ärmste weis noch nichts von ihrem Glück. Viele Zuschriften haben die Redaktion nach den letzten Sendungen erreicht, darin wurde das Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, das wir die Leibesvisitationen nicht mehr übertragen haben. Es gab moralische Bedenken. Aber ich kann ihnen versichern, die sind vom Tisch. Ich persönlich habe mich  dafür eingesetzt, das wir eine ganz besonderes gründliche zu bieten haben.“

Zwei junge Damen erschienen in der Wohnungstür. Mit Aktentaschen unter den Armen.

Sie entledigten sich ihrer Mäntel und streiften sich weiße Kittel über, dann holten sie hauchdünne Latexhandschuhe aus ihren Taschen und streifte die über ihre Hände, allerlei weitere Utensilien kamen zum Vorschein.

In der Zwischenzeit war die kleine Küche schon fast komplett ausgeräumt. Die Schränke, der Herd alles in Windeseile abgebaut und entsorgt, die Beamten der SoPo verstanden ihr Handwerk.

„Die Küchenstühle bitte vorerst noch hier lassen!“ Wies Chantal an.

Die beiden jungen Damen führten Anna in die entleerte Küche, Chantal und eine Kamerafrau folgten

Chantal nahm auf einem Küchenstuhl Platz.

„Meine lieben Zuschauer, es ist so weit, auf vielfachen Wunsch nun wieder eine Leibesvisitation im TV. Lauschen wie gespannt, diesem sinnlichen Schauspiel.“

Anna wurde in der Mitte des Raumes platziert.

Die Kamerafrau  positionierte sich, um alles im Blickwinkel zu haben.

Eine der jungen Damen trat vor Anna:

„Also Schätzchen, du weißt jetzt, was auf die zukommt?“

„Ja, ich weiß es! Ich bin bereit!“

„Sehr gut! Es ist immer vernünftig, wenn uns sie Leute keine Schwierigkeiten machen. Du wist dich jetzt bis auf die Haut entkleiden, freiwillig, oder müssen wir dabei nachhelfen!“

„Ich..ich tue es freiwillig!“

„Sehr gut, Schätzchen! Das erspart uns einiges.“

Anna begann nun sich Stück für Stück auszuziehen. Jedes abgelegte Kleidungsstück wurde von der anderen der beiden genauestens nach eventuellen vorhandenen Wertgegenständen durchforstet.  

Zum Schluss folgen der BH und der Slip. Anna stand nackt im Raum.

„Also ich muss sagen für dein Alter hast du eine ausgesprochen gute Figur, nicht übel, wirklich nicht übel, könnte mir gefallen.“

„Mund auf!“

„Ahhh!

„Brav, so ist es in Ordnung.“

Die Hauptakteurin zwickte Anna kameradschaftlich in den Po.

Dann waren die Ohren dran.

„So nun müssen wir noch unten nachsehen!“

Die Helferin positionierte sich vor Anna, griff nach deren Hände und zog sie zu sich.

„Die Beine ganz weit auseinander, weit nach vorn beugen. Ja, so ist es gut.“

Mit dem Finger fuhr eine der Beiden in Annas After, so dass diese aufstöhnte.

„Gleich überstanden! Ja, in Ordnung! Nun wieder aufrichten! Komm zu mir herüber.

Die junge Dame nahm auf einem Stuhl Platz. Anna nahm vor ihr Aufstellung.

„Gerade stehen, Beine weit auseinander. Arme nach oben!“

Die Helferin trat hinter Anna und umfasste deren Taille, während die andere mit dem Finger in Annas Vagina fuhr, so dass diese wieder stöhnte.

„Na, das scheint dir wohl Spaß zu machen? Iss ja auch ne geile Angelegenheit. So fertig, du kannst dich wieder anziehen!“

Zum Schluss bekam Anna noch einen Klapps auf den Hintern.

„Meine Damen und Herren, sie waren Zeugen einer Leibesvisitation. Damit haben wir den Höhepunkt unserer Liveübertragung überschritten. Ich hoffe, es hat ihnen gefallen und sie bleiben uns treu. Nun folgen noch etliche Formalitäten!“

Chantal erhob sich und verließ zusammen mit der Kamerafrau den kleinen Raum.

In der Zwischenzeit hatten die Beamten der SoPo damit begonnen mittels Stemmeisen , die Dielen von Fußboden zu entfernen.

„Fragen wir doch gleich mal den Held des Tages. Haben sie denn Wertgegenstände gefunden?“   

Selbstverständlich, sehr viele sogar. Das offenbarte sich mir gleich als ich diese Wohnung betrat. All die technischen Geräte zum Beispiel, hier diese Kaffeesercice, mit Goldrand. Ja, du wirst es nicht glauben, ich habe sogar Schmuck gefunden. Modeschmuck zugegeben, aber immerhin, Schmuck bleibt Schmuck.“ frohlockte Manfred.

„Na ist es denn die Möglichkeit? Schmuck? Das hätte ich nun wirklich nicht für möglich gehalten. Das ist  eine Frechheit. Ja, meine lieben Zuschauer, wieder einmal konnte unter Beweis gestellt werden wie bedeutungsvoll unsere Aktionen sind. Wie wichtig der Einsatz der SoPo, die tagtäglich in heldenhafter Manier ihrer Pflicht nachkommt, das schwere Unrecht auszumerzen, das sich wie ein schleichendes Gift in unserem Lande ausbreitet. Einmal mehr haben die pflichtbewussten Beamten einer Bande von Sozialbetrügern das Handwerk gelegt.“

Anna erschien mit verheultem Gesicht in der Tür. Auch Hannes schien sich beruhigt zu haben und wurde wieder nach oben geführt. Nun stand es ihnen frei wieder über ihre Möbel zu verfügen, dass heiß, was davon noch übrig war. Alle als Wertgegenstände deklarierten Utensilien wurden beschlagnahmt, auch Bargeldbestände, denn es versteht sich von selbst, dass Hannes und Anna die Kosten des Einsatzes selber begleichen mussten.

Chantal schritt auf die beiden zu und zwängte sich in deren Mitte.

„Meine Damen und Herren zu Hause an den Bildschirmen, lassen sie uns noch einmal einen Blick auf das wohl unglücklichste Paar dieses Tages werfen! Lächeln, lächeln! Wollt ihr wohl lächeln! Ja, so ist es gut! Immerhin seid ihr im TV. Eine Ehre ohne Gleichen ich hoffe, ihr wißt das zu schätzen. Ich wünsche euch viel Erfolg in eurem neuen Leben. Zwei frisch gebackene Paria, wau, ihr seit beide zum knuddeln.“ Chantal zwickte zunächst Hannes danach Anne in die Wangen.

„Ich verabschiede mich von ihnen zu Hause und verbleibe mit den besten Wünschen. Auf ein nächstes Mal. Seien sie wieder dabei, wenn es wieder heißt. Her mit dem Zaster! Raus aus der Wohnung! Ab zu den Paria! Eure Chantal!“

Kamera aus! Geschafft!

„Puuah, so ein Stress! Ich muss mich erst mal setzen, bin total fertig!“ Empörte sich Chantal völlig aus der Puste..

„He, haben die denn schon alle Stühle fortgeschafft? Naja, dann eben nicht. Los alles zusammenpacken. Ich hab in einer Stunde schon wieder einen Termin. Man, wie soll ich das nur schaffen?“

Wie zwei arme Sünder standen Hannes und Anna und betrachteten die Räuberhöhle die dereinst ihr Zuhause war.

„Viel Spaß bei den verlausten Paria! Winkewinke!“ Chantal eilte aus der Wohnung.

„Ihr habt diese Räume umgehend zu verlassen, ist das klar? Habt ihr eure Siebensachen gepackt? Gut, dann, sagen wir mal in zwanzig Minuten setze ich euch auf die Straße.

„Aber…wo sollen wir denn hin?“ Wagte Anna zu fragen.

„Was interessiert mich das. Rüber auf die andere Seite zu den Paria, ihr gehört jetzt zu denen, ihr existiert nicht mehr für die Gesellschaft. Melancholanien hat euch vergessen, vergeßt ihr es auch und zwar so bald als möglich. Glaubt mir, das ist das Beste. Ihr dürft euch auch nicht mehr  in dieser Gegend auf halten. Tut ihr es doch, so ist das illegal, dann haben wir die Vollmacht euch zu verhaften. Also, wehe, ich sehe euch hier rumlungern die nächsten Tage. Heute will ich noch mal drüber hinwegsehen, da ihr neu bei den Paria seid, aber ab morgen werden andere Saiten aufgezogen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“

„Ja, deutlich! Sehr deutlich!“ Stammelte Hannes.

Sehr gut! Ich sehe wir haben uns verstanden! Ihr lernt schnell! Findet euch damit ab!"

Ihr erspart euch dadurch eine Menge Ärger.“

 

Mit zwei Köfferchen verließen Hannes und Anna ihre ehemalige Wohnung, in dem Bewusstsein diese nie wieder zu betreten. Was sollten sie auch hier. Nun ging es im Senkflug steil nach unten.

 

„Schneller, geht das denn nicht auch ein wenig schneller? Leute, ich bin spät dran. Gib doch endlich mal Gas, sonst sind wir morgen früh noch nicht in der Redaktion!“ motzte Chantal im Befehlston, während sich der Kleinbus in Richtung Innenstadt bewegte.

„Termine! Bei dir sind es immer Termine! Was is'n so wichtig, das du hier so ein Wooling veranstaltest?“ beschwerte sich Tom der Chauffeur

„Ich muss zu Frederic, ich habe eine wichtige Besprechung mit ihm!“

„Frederic, na dann viel Spaß. Aber wegen dieses arroganten Arschlochs riskiere ich kein Strafmandat. Hier bin ich schon letzte Woche geblitzt wurden. Oder zahlt dein Frederic die Geldbuße? Ich glaube kaum.“

„Ach was interessiert mich das. Bei mir geht’s ums ganze. Es geht um nicht weniger, als ob ich den Job behalte, oder jemand anders diesen Platz einnimmt.“

„Verstehe! War heute so was wie ne Feuerprobe?“ erwiderte Tom.

„Da verstehst du ausnahmsweise mal richtig. Wenn er zufrieden ist, dann werde ich auch in Zukunft diese Sendung moderieren. Ich war doch gut, oder? Wie fandet ihr denn meinen Auftritt?“

„Durchschnitt, würde ich sagen! Einfach Durchschnitt! Nicht besser aber auch nicht schlechter, als wir es von den anderen gewohnt sind.“ Meinte Ruth die Kamerafrau.

„Durchschnitt? Und das ist alles was dir dazu einfällt? Mehr nicht? Ich habe mich wirklich bemüht, habe versucht alles zu geben und das bezeichnest du als Durchschnitt? Na vielen Dank auch!“ Chantal kochte innerlich vor Wut.

„Ist doch völlig Wurscht, was sich davon halte. Die Hauptsache ist doch, dass dein Frederic damit zufrieden ist, oder?“ Konterte Ruth, der das Gezeter offensichtlich langsam auf den Wecker ging.

„Banausen! Ich bin von lauter Banausen um geben!“ Schmollte Chantal nun in sich hinein.

Endlich erreichten sie das große Gebäude der Hauptredaktion von Model-TV.

Kaum hatte Tom den Wagen zum stehen gebracht, schmauchte Chantal die Autotür mit einem lauten Knall hinter sich ins Schloss und rannte wie eine Besessene auf das gläserne Portal zu. Zu ihrem Glück hatte sich die Tür gerade geöffnet, sonst hätte sie womöglich unsanfte Bekanntschaft mit deren Glasscheibe gemacht.

Vor dem Aufzug wippte sie nervös von einem Bein aufs andere.

„Komm schon, komm schon, komm schon! “ Fluchte sie vor sich hin.

Endlich öffnete sich die Tür. Ab nach oben.

„Mach schon, mach schon, mach schon!“ Setzte sie ihre Flucherei oben weiter fort, da die Tür einen Sekundenbruchteil länger geschlossen blieb als sonst..

Den Flur entlang, dann endlich fand sie sich vor Frederics mondänem Büro wieder.

Ein Griff in die Handtasche, Spiegelchen hervorkramen, noch mal schnell die Lippen nachziehen. Saß die Frisur noch?

Sie besaß das Privileg, direkt bei Frederic vorzusprechen, konnte daher dessen Sekretärin, die einer Bulldogge nicht unähnlich sah, umgehen.

Noch mal tief durchatmen, dann anklopfen.

„Herein!“

„Hier….hier bin ich! Alles ausgeführt. Und wie fandest du mich? Habe ich deinen Vorstellungen entsprochen?“  Zitterte Chantal vor Aufregung wie Espenlaub.

„Nun ja, ganz ordentlich, für den Anfang. Durchschnitt, denke ich. Schade, eine bessere Note kann ich dir im Moment leider noch nicht geben.“ gab ihr Frederic zu verstehen, während er in gespielter Lässigkeit in seinem Ledersessel lümmelte.

„De, de, de , Durchschnitt? A…aa…aber, ich habe mich doch so ins Zeug gelegt? Wirklich nur Durchschnitt?“ stotterte Chantal und die Tränen in ihren Augen bereiteten sich darauf vor jeden Moment die Schleusen zu durchbrechen.

„Es ist, sagen wir mal so, kein schlechter Einstieg!“ entgegnete Frederic und begann sich ganz langsam zu erheben.

„Aber du zeigst zu wenig Initiative. Das ist alles viel zu lahm, finde ich. In dir steckt mehr, viel mehr. Du kannst noch bedeutend besseres aus dir herausholen, wenn du willst. Das aber ist die Frage. Willst du mehr? Dann zeige es! Lass sehen, was du bist und wer du bist. Mutiere zu einer Wildkatze, jederzeit bereit ihren Opfern die Augen auszukratzen. Deine Interviews, gut, gut. Aber du hättest einfach in die Offensive gehen müssen.“

Frederics arroganter Vortrag traf sie bis ins Mark. Diese Herablassung war einfach nur demütigend.

„Aber was hätte ich denn tun sollen? Sag es mir und ich mache es das nächste Mal besser. Ganz bestimmt! Versprochen!“ versuchte Chantal eine Rechtfertigung.

„Siehst du, das ist es was ich meine! Was soll ich tun? Fragt mich was sie tun soll. Da musst du  schon alleine darauf kommen, hübsches Kind. Ich kann dir  keinen Rat geben. Du musst kreativ sein, innovativ und spontan. Es kommt auf die Situation an. Da sind blitzschnelle Entscheidungen gefragt. Ein vorgefertigtes Konzept wäre  wenig hilfreich. Einzig deine souveräne Art ist entscheidend. Geh in die Offensive!“

„Also das … das heißt mit anderen Worten, ich bekomme den Job nicht?“

„Das habe ich nicht gesagt! Du hast  mich missverstanden! Gut, ich gebe dir die Chance, sagen wir mal probehalber. Ein halbes Jahr denke ich wird genügen, Zeit genug, um dir was auszudenken. Dann sehen wir weiter.“ bot ihr Frederic gönnerhaft an.

„Naja, wenigstens etwas! Ich bemühe mich, ich werde es schaffen, ich werde an  mir arbeiten, du wirst mit mir zufrieden sein, großes Ehrenwort. Am Ende werde ich es allen zeigen.“ erwiderte Chantal nun wieder selbstsicherer.

„Ich… ich meine, Elena hat es doch auch geschafft und sich von der Pike auf nach oben gearbeitet!“

„Nana, nicht gleich abheben, Kindchen! Elena ist Elena, die lassen wir mal lieber aus dem Spiel. Mit der kann sich Keiner messen. Der kann Keiner das Wasser reichen, verstanden? Das solltest du dir aus dem Kopf schlagen, du bist keine Elena und du wirst nie sein wie sie!“

Frederics Tonfall wurde härter.

„Was habe ich denn jetzt wieder falsches gesagt?“

„Erwähne diesen Namen nie mehr in meiner Gegenwart. Belogen und Betrogen hat sie uns, mich im Besonderen. Das Vertrauen, das wir in sie setzten hat sie mit Undank und Verrat vergolten. Verflucht sei ihr Name bis in alle Ewigkeit!“ brüllte Frederic. Seine gekränkte Eitelkeit war noch immer nicht ausgeheilt.

„Bitte verzeih mir! Ich will es nie wieder tun! Ich verspreche es!“ Chantal sank auf die Knie vor ihm und senkte ihr Haupt.

„Brav, so gefällst du mir schon besser. Du musst wissen, wo dein Platz ist. Getreten wird nach unten, nicht nach oben, merk dir das, wenn du weiter kommen willst.“

Frederic schritt auf sie zu packte ihren wasserstoffblonden Schopf und riss in nach hinten.

„Und was würdest du tun, um mich milde zu stimmen? Was würdest du tun, um die Karriereleiter ein Stück weit nach oben zu spazieren?“

„Alles! Verlang von mir was du willst, ich werde es dir geben! Aber bitte, gib mir diese Chance. Ich habe so hart gearbeitet!“ winselte Chantal wie eine läufige Hündin.

„Ich bezweifle, dass du mit dem Begriff Arbeit was zu schaffen hast! Aber lassen wir dass.

Du würdest alles für mich tun? Gut! Dann beweise es! Zeig mir doch, wie weit du zu gehen imstande bist.“

Chantal wusste was nun auf sie zukam. Langsam, ganz langsam begann sie sich zu entkleiden.

„Soll…soll ich alles ausziehen?“

„Kindchen, das musst du entscheiden! Ich zwinge dich zu gar nichts. Wenn du weiterkommen willst, wirst du wissen, was ich zu sehen wünsche!“

Das war direkt. Nun entblößte sich Chantal vollständig und nahm vor ihm Haltung an.

„Na, doch nicht stramm stehen, wir sind hier doch nicht beim Militär. Entspanne dich, mach es dir bequem.“

Wollte heißen, ab auf den Schreibtisch, hier pflegte Frederic gewöhnlich seine Neueroberungen zu vögeln, so wurde zumindest hinter vorgehaltener Hand gemunkelt.

Schwungvoll nahm Chantal auf dem kostbaren Mahagonistück Platz und streckte mit sinnlicher Pose ihre Glieder von sich.

„Willst…willst du mich jetzt nehmen?“

„Aber was denkst du denn von mir! Doch nicht hier, oder glaubst du dem Schwachsinn, der über mich erzählt wird? Begutachten möchte ich dich, das ist alles. Für mehr bedarf es einer ganz anderen Umgebung.“ Genüsslich nahm Frederic einen Schluck aus seinem Sektglas.

Dann erhob er sich und begann sie vom Kopf bis zu den Füßen zu begrabschen

„Sehr gut! Hervorragende Qualität! Wenn du das nächste Mal ins Solarium steigst, ein wenig länger bleiben. Ich finde dich noch ein wenig zu blass, aber ansonsten, ganz ordentlich.

Ich erwarte dich, sagen wir mal, so gegen 20 Uhr heute Abend in meiner Villa. Du weißt, was du zu tun hast?“

„Ja, selbstverständlich, ich werde pünktlich auf die Minute sein!“

Welch ein Sieg, welch ein Triumph! Er hatte sie da, wo er sie haben wollte. Natürlich bekam sie den Job, er hatte zu keiner Zeit im Sinn, ihr diesen vorzuenthalten.

Frederic hatte ein schönes neues Spielzeug gefunden, nachdem sein altes abhanden gekommen war. Konnte man das aber vergleichen? Mitnichten? Elena, in dieser Pose auf dem Schreibtisch? Die hätte ihm eine geklebt, wenn er das verlangt hätte. Sie hatte das nicht nötig und das wusste er nur zu genau. Chantal war ihm gefügig, hörig,  die würde tun was er von ihr verlangte, eins zu eins. Doch war das der Typ Frau, den er wirklich begehrte?

Eines stand fest. Stünde Elena morgen in der Tür um sich zu versöhnen, Chantal wäre in Handumdrehen vergessen, nicht eines Blickes würde er die noch würdigen. Dann wäre er es der auf die Knie sank, für Elena würde er sich mit Herzenslust zum Trottel machen.

Vergessen? Er konnte Elena nicht vergessen! Das konnte keiner der einmal das Bett mit ihr geteilt hatte. Er war ihr verfallen, mit Leib und Seele, er verzehrte sich nach ihr jede Nacht. In seinen Adern brannte das Feuer, das sie einst entfachte und niemand vermochte es je wieder zu  löschen. Und dass sie ihn ausgerechnet mit so einem Proleten aus der Prekaschicht betrog, wurmte Ihn am meisten.

 

Hannes und Anna hatten sich auf einer Parkbank niedergelassen, wo sollte sie auch hin, so auf die Schnelle, feuchte klamme Kälte kroch von allen Seiten in ihre Glieder. Zum Glück hatten sie noch eine wärmende Decke dabei. Müde, misshandelt, gedemütigt. Ausgestoßene die ihren neuen Platz  noch nicht gefunden hatten.

Aus war es mit dem gemütlichem Heim, aus und vorbei. Doch das schlimmste, kein Fernsehen mehr, nie mehr zu sehen, wie die SoPo die Sozialbetrüger aufmischte. Das war fast noch schlimmer als die Kälte, der Hunger oder die Einsamkeit.

Ein böser Traum! Sie sollten zu den verachteten Paria gehören? Das konnte und wollte nicht in ihre Köpfe. Doch nicht sie. Die Ehrbaren, die Arbeitsamen, die Ergebenen.

„Ich meine, im Grunde mussten die so handelt! Die haben nur ihre Pflicht getan! Ich schäme mich zutiefst. Wenn wir recht überlegen, wir sind es tatsächlich, wir sind Sozialbetrüger! Wir haben bekommen, was wir verdient haben!“ Gestand Hannes reumütig.

Doch bei Anna begann das traumatische Erlebnis Früchte zu tragen. Sie konnte die devoten Selbstanklagen ihres Mannes nicht mehr ertragen. Leander hatte es lange schon erfasst und dieses miese Spiel schon vor Zeiten durchschaut und vollkommen recht getan all dem zu entfliehen.

„Ich glaube es nicht! Du gibst diesen Verbrechern, die uns das angetan haben auch noch  Recht? Du bist nichts weiter als ein elender Duckmäuser, ja und das warst du dein ganzes Leben lang!“

Anna holte aus und gab ihrem völlig verdutzten Ehegatten eine kräftige Ohrfeige.

„So! Und nun will ich nie wieder eine dieser unwürdigen Selbstanklagen hören!“

„Aber…aber, warum  tust du das? Ich meine…ich habe…ich wollte… Wir waren doch stets gute Melancholanier, haben das getan, was man von uns erwartete. Ich verstehe das alles nicht, wie ist denn so etwas möglich!“ stammelte Hannes noch immer schockiert.

„Wir waren gute Melancholanier. Du hast gehört was der Beamte gesagt hat. Das Land hat uns vergessen, wir existieren nicht mehr, so sieht es aus. Finde dich damit ab, ich bin gerade dabei es zu versuchen.“ fuhr ihn Anna an.

„Und…und, was werden jetzt tun?“ Jammerte Hannes.

„Als ob wir noch lange überlegen könnten,“ entrüstet sich Anna.“Da gibt es wohl nur eines, es sei denn du willst deine Leben hier auf dieser Parkbank beenden. Ich nicht, ich weiß, was ich zu tun habe.“

Sie waren trotz ihres Unglückes noch immer Privilegierte, denn sie hatten einen Sohn, der mit der bedeutendste Frau des Landes liiert war. Dorthin konnten sie sich wenden.

Elena würde sie nicht fallen lassen, sich ihrer an nehmen und für sie sorgen. Auch wenn Hannes der Gedanke ganz und gar nicht gefiel, dorthin zu gehen, eine Wahl hatten sie nicht.

Das unterschied sie von all jenen denen am heutigen Tag das gleiche Schicksal zuteil wurde, die aber keine solche Powerfrau als Schwiegertochter aufweisen konnten. 

Denen blieb allein die Gosse.