Wilde Orgien und eine gute Tat

 

Elenas Partys waren sowohl legendär als auch berüchtigt. Ein Dauerbrenner. Die als ausschweifend charakterisierten Orgien waren stets präsent auf den Seiten der melancholanischen wie internationalen Boulevardpresse. Die Reporter versuchten einander zu überbieten, was die pikanten Details betraf.  Es begann noch recht harmlos, wenn es zum Beispiel um Einzelheiten über Elenas Garderobe ging.  Die wurden genüsslich ausgeschlachtet.

Für Elena konnte es nicht exklusiv genug sein und teuer natürlich, was da auf ihrem Venuskörper landete. Oft handelte es sich dabei um Maßanfertigungen, die sich ausschließlich an ihren persönlichen Vorstellungen orientierten.                    

Ob Dior, Chanel oder wie sie auch hießen, alle waren Elena wohlbekannt.

Morgens nach Paris zum Shoppen, Nachmittags nach London, am Abend wieder in Melancholanien, ihre private Airline machte es möglich, immer in Bereitschaft, wenn es darum ging, ihre exklusiven Wünsche zu erfüllen.

 

Was ihre Liebschaften betraf, hatte man in der Zwischenzeit jeglichen Überblick verloren. Dauerlover Frederic war allen bekannt. Er genoss das Privileg, sich als Verlobter Elenas bezeichnen zu dürfen, was nicht viel zu bedeuten hatte, da diese ohnehin nicht daran dachte, sich ehelich zu binden.

Die beiden boten schon lange keinen Aufmacher für eine Schlagzeile mehr, dafür galt diese Beziehung als viel zu konventionell.

Er war einfach da und das genügte. Eine Art Hafen, immer bereit, dem Schlachtschiff Elena einen sicheren Ankerplatz zu bieten, wenn diese von ihren Raubzügen heimkehrte.

Und jene Beutezüge hatten es in sich.

Elena war nicht festgelegt, was das Geschlecht betraf, sie nahm Männer, Frauen und sogar Kundras, wann immer sich eine Gelegenheit bot.

Dass ihre engsten Freundinnen Gabriela, Alexandra, Cassandra und so weiter regelmäßig mit Elena unter der Decke lagen, versteht sich fast von selbst. Auch diese Beziehungen galten mit der Zeit als zu angepasst, um noch der Erwähnung teilhaftig zu werden.

Wann Elena zuletzt ihr Bett mit einer Kundra geteilt hatte, war nicht in Erfahrung zu bringen. Die Reporter waren stets bestens informiert und hätten einer solchen Beziehung sicher viel Beachtung beigemessen.

Elena verachtete Kundras, daraus machte sie keinen Hehl, für sie waren das allesamt Looser und Außenseiter, Weicheier, die bestenfalls zum Clown oder zur Hure taugten.

 

Trotzdem erwähnte sie beständig Beziehungen zu solchen. Das schien aber eher dem Umstand geschuldet, das sie sich als Multisexuelle bezeichnete. Sie selbst hatte vor nicht allzu langer Zeit einen Verein ins Leben gerufen, der sich Multisexuelles Netzwerk nannte, abgekürzt MUNE. Sie war die Chefin und führte hier das Regiment. Jeder in Melancholanien konnte sich unter MUNE etwas vorstellen. Alle, die etwas auf sich hielten, wollten in den Verein und bekannten sich zur Multisexualität. Multi zu sein galt als chic, es war einfach in multisexuell zu sein und bei jeder Gelegenheit heraus zu posaunen, dass man sich Sex mit allen menschlichen Wesen vorstellen konnte, gleich welcher sexuellen Orientierung oder Identität auch immer.

Melancholanien wurde geradezu von einer regelrechten Multi-Welle überflutet.

Elena propagierte, dass das Geschlecht keine Rolle spiele, sondern einzig der Mensch, wenn es um Beziehungen und Sex ging. Im Grunde eine recht fortschrittliche Einstellung, wenn sich da nicht ein erheblicher Schönheitsfehler eingeschlichen hätte, der darin bestand, dass Elena das Privileg Multi selbstverständlich nur ihresgleichen zuerkannte, also den Angehörigen der Privokaste. Von multisexuellen Preka oder gar Paria war keine Rede. Warum auch? Was spielte es für eine Rolle wann, mit wem und zu welchem Zweck ein Paria Sex hatte.?  

 

Geradezu legendär waren Elenas Affären mit Prominenten. Schauspieler, Sänger, Sportler, Intellektuelle, Industrielle, ja sogar Wissenschaftler beiderlei Geschlechts standen Schlange vor Elenas Schlafzimmer. So zumindest wurde es von den  Vertretern der Boulevardpresse in die Welt gesetzt. Was davon der Wahrheit entsprach, konnte nie mit Sicherheit in Erfahrung gebracht werden.  Ein beachtlicher Teil davon schien reine Erfindung, doch wen interessierte das schon, Hauptsache die Auflagen steigerten sich stetig und die Kasse stimmte.

Nach jeder Party harrten die Paparazzi in Wartestellung, um das Geheimnis zu lüften, nämlich wen Elena dieses Mal abzuschleppen gedachte.

Elena selbst maß dieser sensationslüsternen Berichterstattung nicht allzuviel an Bedeutung bei. Sie betrachtete sich einfach als über den Dingen stehend. Die Klatschpresse erfüllte eine wichtige Aufgabe in der melancholanischen Gesellschaft, die Unterschichten abzulenken, sie davon abzuhalten, logisches oder gar kritisches Denken zu praktizieren und das war entscheidend.

 

Über ihre Vorlieben schwieg sich Elena hingegen weitgehend aus, die Vorstellung irgendwelche Reporter könnte ihre dunklen Geheimnisse lüften, schien ihr regelrecht unangenehm.

Nach außen gab sie sich stets vornehm und intellektuell, zumeist an Frederics Seite. Dafür schien der arrogante Snob gerade gut genug. Oder sie ließ sich mit ihren Freundinnen sehen, allesamt Vertreterinnen des hohen Standes.

Elena, die seriöse und intelligente Moderatorin und Journalistin, die ganz nebenbei noch Ärztin war, sprachgewandt, belesen, die mit Experten fachsimpelte und überall das letzte Wort hatte, die einfach alles zu wissen schien, so liebte sie Melancholanien, das war ihre beste Seite.

Elena, das Partygirl mit seinen zahlreichen Affären, arrogant, herablassend, zickig und nicht selten auch mal durchgeknallt, immer für eine Schlagseite gut, das war ihre andere Seite, auch die wurde akzeptiert. 

Überhaupt schien man ihr alles zu verzeihen, selbst einer Elena, die wie eine Verrückte mit ihrer pinkfarbenen Mamasaki durch die Gegend brauste und hin und wieder mal so manchen Paria über den Haufen fuhr, konnte keiner wirklich böse sein. Elena war einfach ihre Göttin und Göttern unterlaufen nun mal keine Fehler.

Doch schien Elena in der letzten Zeit immer deutlicher die Kontrolle über sich zu verlieren.

Sie war an einen Punkt angelangt, von dem allem Anschein nach keine Steigerung mehr möglich war. Sie hatte einfach alles durch. Es wollte sich keine echte Befriedigung mehr einstellen. Auch das Exklusivste und Extravaganteste konnte sie nicht mehr begeistern.

Sie entwickelte eine dritte, eine äußerst düstere Seite ihrer selbst.

Es begann damit, dass sie am Ende ihrer Partys nackt auf den Tischen tanzte oder dort ganz offen Sex mit ihren Freundinnen praktizierte.

Aber selbst das schien bald nicht mehr auszureichen.

Des Nachts schlich sie sich wie eine Diebin aus dem Haus, gekleidet in schwarzes enganliegendes Leder und Schnürstiefel mit extra langem Schafft an den Beinen. Das Gesicht auffällig düster geschminkt, so als beabsichtige sie eine Halloween-Party aufzusuchen. Mit ihrem Motorrad (in diesem Falle nicht die bekannte Mamasaki, sondern eines mit unauffälliger Färbung) begab sie sich in die Stadt, in deren Unterwelt, um genau zu sein. Sie suchte und fand dort Opfer, derer sie bedurfte um ihren  hemmungslosen Hunger zu stillen, zumeist junge hübsche Pariafrauen oder auch junge Männer, die lockte sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen mit zu sich. In ihrem eigens dafür eingerichtete Studio wurden diese dann misshandelt, gefoltert und sexuell ausgebeutet. Elena weidete sich daran, wenn ihr Opfer stöhnten und um Gnade flehten.

Es erregte sie so maßlos, dass sie immer mehr davon wollte.

Fand sie mal keine geeignetes Opfer, musste ihr Dienstmädchen Luise dran glauben, das in der letzten Zeit des Öfteren.

Dunkle Wolken erhoben sich am Horizont. Drohte Elena am Ende den Verstand zu verlieren? Es sah in zunehmenden Maße danach aus.

Die Superfrau befand sich an einem Scheideweg, sie war satt, übersättigt von Luxus und dem Gefühl alles zu wissen, alles zu können. Was sie auch anpackte gelang ihr. Es schien keine echte Herausforderung mehr auf sie zu warten und daran drohte sie zu zerbrechen.

Sie war bei weitem nicht die einzige, im Gegenteil, viele ihres Standes befanden sich in einer ähnlichen Situation und drohten in ihrem Luxus zu ertrinken. Nicht wenige schritten zur Tat und schieden freiwillig aus dem Leben.

Elena hatte dieses Stadium noch nicht ganz erreicht. Fieberhaft suchte sie nach der großen Herausforderung, nach dem Kick, der ihr Leben wieder in eine sichere Bahn bringen sollte.

Sie experimentierte mit Drogen oder Extremsport, doch auch hier lies sich keine Erfüllung finden.

Da kam ihr Cornelius in den Sinn.

In die Niederungen der melancholanischen Gesellschaft hatte sie sich noch nie begeben,ein unentdecktes Land, gleich der dunklen Seite des Mondes.

Vorher jedoch sollte eine große Abschiedsparty steigen, noch mal voll Gas geben und alle Register ziehen. 

 

Schon das Abendkleid, das sie sich für diesen Anlass hatte fertigen lassen hatte es in sich. Damit wollte sie alle übertreffen.

Ein Cocktailkleid in Gold. Ein Gold, das jeden, der es betrachtete, zu blenden schien.

Es hatte eine taillierte Passform, so das Elenas Körper hier voll zu Geltung kam und einen raffinierten Cache-Couer-Ausschnitt, ein rückseitiger Gehschlitz sowie ein integriertes Unterkleid sorgten für einen angenehmen Tragekomfort, der durch die leichte Elastizität des Stoffes unterstützt wurde und eine feminine Silhouette schaffte, die alle Blicke auf sich zog.

Die Pumps an ihren Füßen  von Typ Titine passten sich perfekt dem Kleid an. Ebenfalls in goldener Optik, aus einem besonders edlem Leder gefertigt. Die Absatzhöhe von 10.5 cm lies Elena noch größer wirken als sie ohnehin schon war.

Das mit zahlreichen Diamanten und Smaragden versehene Goldcollier um ihren Hals bezauberte durch seine mondäne Anziehungskraft, das traf natürlich auch auf die Ohrringe und die Ringe an ihren Fingern zu.

Ihre kupferrote Lockenmähne hatte sie kunstvoll nach oben gesteckt und einfach mit einer vergoldeten Zwicke zusammengefasst.

Ein Anblick der jedem die Sprache verschlug.

Auch das Galabuffet, extravagant wie gewohnt,  hier ließ sich einfach alles finden, eine reine Verschwendung, aber genau das sollte es sein. Alle Grenzen des Anstandes überschreiten, auch noch die letzte Barriere überwinden.  Elenas Gäste gaben sich einer maßlosen Völlerei hin. Sie selbst hielt sich zurück, sie aß nie sehr viel, achtete stets auf ihre Linie, auf keinen Fall sollte ihr attraktiver Körper Schaden daran nehmen.

Der Champagner floss in Strömen, der teuerste, wen wunderte es.

„Elena, du hast dich heute wieder mal überboten, deine Gastfreundschaft sprengt alle Grenzen. Verschwenderisch wie immer, ja so lieben wir dich!“ startete Frederic schließlich den Versuch einer Rede.

„Sag uns, gibt es denn einen besonderen Grund für dieses Festmenü?“

„Warum willst du das wissen? Du erkundigst dich doch sonst nicht nach den Anlässen  meiner Partys?“ bog Elena ab.

„Auf jeden Fall ist dir die Party gelungen! Es bedarf doch keines besonderes Grundes. Unser Leben ist doch eine ständige Party oder irre ich mich da?“ glaubte Alexandra zu wissen.

„Das mag schon sein! Na gut! Seht es als eine Art von Abschiedsparty!“ ließ Elena nun langsam die Katze aus dem Sack.

„Abschied? Warum denn Abschied? Willst du für längere Zeit verreisen?“ wollte Gabriela wissen.

„Aber selbstverständlich tut sie das! Sie kommt mit mir an die Riviera. Dort wird sie sich eine Zeitlang ausspannen können, sich erholen von den Dauerpartys!“ meinte Frederic und wippte dabei mit den Füßen auf und ab.

„Ach, und auf welche Weise gedenkst du dich zu erholen?“ erkundigte sich Cassandra.

„Na, wie schon? Mit Partys!“ meinte Alexandra, eine Aussage, die zu einem allgemeinen Kichern herausforderte.

„Nein, ihr irrt euch alle, du im besonderen, Frederic. Nix mit Riviera. Es verschlägt mich auf eine Abenteuertour besonderer Art!“ antwortete Elena, während sie nach einem Glas Champagner griff.

„Abenteuer, das klingt ja sehr, sehr interessant! Darf man denn auch wissen, wo es hin geht? Etwa auf Safari in den ostafrikanischen Busch?“ schaltete sich Egbert ein, der dem Gespräch bisher nur passiv gefolgt war.

„Oh, da liegst du weit daneben, lieber Egbert. Es geht nicht nach Afrika. War ich schon des Öfteren, reizt mich überhaupt nicht mehr. Aber Safari? Diese Bezeichnung ist durchaus zutreffend. Ich glaube gegen die Anfechtungen die mich dort erwarten, ist der afrikanische Dschungel ein gepflegter Garten.“

„Nun sag schon, Elena, wo geht die Reise hin?“ forderte Frederic.

„Gerade du solltest es doch am besten wissen. Du warst doch dabei, als ich den Plan entwarf. Ich konnte ihn bisher nur noch nicht in die Tat umsetzen. Jetzt aber fühle ich mich dafür bereit. Es geht zu Cornelius in seinen alten verkommenen Schuppen!“

„Wie bitte was?“ Alexandra traute ihren Ohren nicht.

„Zu Cornelius? Du hast das damals tatsächlich ernst gemeint? Das kann doch nur ein Scherz sein, Elena! Ich bin immer davon ausgegangen, dass du dieses Vorhaben längst zu den Akten gelegt hast!“ besann sich Frederic.

„Nein, habe ich nicht! Ich werde mich auf den Weg machen und diesen alten Trottel aufsuchen. Schon vor geraumer Zeit habe ich den Kontakt aufgenommen. Er ist einverstanden. Was ist denn schon dabei. Ein Interview erst mal. Was sich daraus ergibt, steht noch in den Sternen. Bedenkt, Cornelius war in früheren Zeiten ein angesehener Wissenschaftler, ich möchte einfach in Erfahrung bringen, warum so ein Mensch seinem Stand, seiner Karriere den Rücken kehrt, nur um sich diesen verlausten Paria zuzuwenden.“

„Brrr! Schon wen ich an diese Paria denke, bekomme ich Schüttelfrost. Man sagt, die könnten gar nicht richtig sprechen. Wie willst du mit denen kommunizieren?“ glaubte Cassandra zu wissen.

„Ich werde mich selbstverständlich so gut es geht von denen fernhalten. Aber man weiß ja nie. Aus diesem Grund auch unser heutiges Zusammentreffen. Ich wollte noch mal richtig auf die Pauke hauen. Wer weiß, womöglich verschwinde ich auf mysteriöse Art und Weise.“

„Elena, sag so etwas nicht! Damit sollte man nicht spaßen. Aber du hast recht! Es ist gefährlich und zwar sehr. Überlege es dir doch noch mal!“ mahnte Gabriela, während sie ihre Arme um Elenas Taille schlang.

„Ich brauche die Gefahr. Schon lange bin ich auf der Suche nach dem besonderen Kick!“ meinte Elena nachdem sie ein ganzes Glas Champagner mit einem Zug geleert hatte.

„Öde und voller Tristesse ist das ganze Leben. Nach allen Seiten abgeschottet, es kotzt mich einfach nur noch an. Nichts reizt ich mehr, alles schon mal dagewesen. Langeweile, wo man auch hinblickt Langeweile. Ihr alle langweilt mich auch nur noch schrecklich, wenn ich mal ganz ehrlich sein soll. Wo finde ich ihn den entscheidenden Kick, der den Adrenalinspiegel wieder mal in die Höhe schnellen lässt?“

„Na, ich denke das lässt sich leicht herausfinden? Lass uns doch einfach den Kilimanjaro erklimmen? Ich denke das ist viel aufregender als sich mit diesen verlausten Paria abzugeben und dazu so exklusiv. Oder lass uns auf Expedition gehen durch die Sahara? Nein, wie wärs mit Australien? Zu Fuß zum Ayers Rock, wäre das nicht der Kick, den du  suchst?“ schlug Cassandra vor.

„Unsinn, Cassandra! Hab ich alles durch! Auf dem Ayers Rock war ich im vergangenem Jahr.  Für nen Moment ist das schon cool. Aber schon nach kurzer geht dir auf, das du alles schon mal hattest. Nein, ich brauche etwas Exklusives. Niemand aus den Reihen der Privo würde auch nur auf die Idee kommen, sich freiwillig bei den Paria aufzuhalten, in die Slums zu gehen. Ich sag euch, diesen Kick werd ich bestimmt so schnell nicht wieder vergessen!“

„Das glaube ich auch!  Du hast ja den Verstand verloren!“ schimpfte Gabriela.

„Oh da bin ich ganz anderer Meinung. Elena weiß stets was sie tut und ich glaube, sie wird uns auch dieses Mal auf ihre Art überraschen."

Thoralf, der Großmeister des Blauen Ordens erschien plötzlich in der Tür. Beim Anblick der zwielichtigen Gestalt erstarb das Gekicher auf der Stelle.

Umgeben von einer düsteren unheimlichen Aura , schien keiner bemerkt zu haben, dass er sich bereits seit geraumer Zeit im Zimmer aufhielt.

Dann schritt er in die Mitte des Raumes, ergriff einen Teller und begann sich am Buffet zu bedienen. Der graue Don Juan war nach wie vor hinter Elena her, hatte ihr schon einige Anträge gemacht, vergeblich. Doch er ließ nicht locker.

„Sei mir gegrüßt Thoralf! Je später der Abend desto exklusiver die Gäste! Elena, eine ausgezeichnete Idee Thoralf hier her zu bitten!" schleimte Frederic.

„Es war nicht meine Idee, denn ich habe ihn gar nicht eingeladen. Aber wenn du schon mal hier bist Thoralf, herzlich willkommen!" offenbarte sich Elena. Niemand hätte gewagt dem Großmeister des Blauen Ordens in einem solch herablassenden Ton anzusprechen, doch Elena hatte vor diesem ebenso wenig Respekt wie vor jedem anderen Mann. Sie mochte den Typen nicht und daraus machte sie keinen Hehl.

„Der Großmeister des Blauen Orden bedarf keiner speziellen Einladung, er hat uneingeschränkten Zugang zu allen gesellschaftliche Ereignissen Melancholaniens

das öffnet mir auch diese Tür, nicht wahr Elena?" konterte Thoralf geschickt.

„Wenn du es sagst! Aber bedenke! Die Festung, die du zu erobern gedenkst, ist für dich uneinnehmbar!" plättete ihn Elena ab.

„Für mich ist nichts uneinnehmbar, Elena. Ich bekomme am Ende immer, was ich will. So war es immer und so soll es bleiben.“ widersprach Thoralf, während er sich den edlen Kaviar in den Mund löffelte.

„Nun, wenn du meine Festung zu nehmen gedenkst, solltest du dir erst mal deine Rüstung anlegen, denn es könnte auf einen harten Kampf hinauslaufen. Ich sehe dich heute im übrigen erstmals in Zivil, wo hast du denn deine schmucke Ordenstracht gelassen?“ höhnte Elena weiter.

Thoralf war wie alle Männer mit einen zweifarbigen Smoking bekleidet. Die weinrote Fliege am Hals durchbrach das korrekte Schwarzweiß.

Darüber hatte er einen schwarzen, bis zum Boden reichenden Umhang gelegt. Schließlich das Monoke lam linken Auge. Nun fehlten nur noch die Spitzen Eckzähne und Graf Dracula persönlich stand hier vor einem.

„Ach, du glaubst, ich trage die Tag und Nacht?“

„Was du in der Nacht trägst, interessiert mich noch viel weniger!“

Thoralf hatte wohl eingesehen, dass es wenig Sinn machte, mit Elena auf diese Weise zu diskutieren, deshalb versuchte er das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

„Ich habe schon eine Weile zugehört. Du beabsichtigst zu diesem Cornelius zu gehen? Ich kann dich darin nur bestärken. Eine weise Entscheidung. Im Gegensatz zu unserem gemeinsamen Freund Frederic habe ich deine Ankündigung auf dem Ordensempfang vor wenigen Wochen noch im Ohr und sie ernst genommen.“ Thoralfs Seitenhieb auf Frederic traf diesen unversehens woraufhin dessen Gesicht die Farbe einer reifen Tomate annahm.

Frederic war ein lästiger Nebenbuhler in Sachen Elena und Thoralf nutzte jede Gelegenheit, diesen in deren Gegenwart lächerlich zu machen.

„So, na, da fühle ich mich ja besonders geehrt?“ erwiderte Elena und jeder konnte sich seinen eigenen Reim auf diese Aussage machen.

„Du könntest zur Abwechslung mal versuchen, die Dinge aus einer etwas ernsthafteren Perspektive zu betrachten. Du möchtest Cornelius aus der Reserve locken, möchtest ihn vor der melancholanischen Bevölkerung entzaubern. Ein guter Vorsatz, den ich nur begrüßen kann. Dieser einfältige sentimentale Typ kommt den Interessen unseres Ordens bedrohlich in den Weg.  Unser Bund ist daher gewillt, dir alle Unterstützung angedeihen zu lassen, die du benötigst.“ bot Thoralf an.

„Danke, aber ich komme sehr gut ohne eure Unterstützung aus. Es ist meine Angelegenheit. Es wäre für mein Image nicht sehr förderlich, wenn man mich in direktem Zusammenhang mit dem Blauen Orden bringt.“

„Selbstverständlich treten wir nicht offen auf. Das tun wir ohnehin niemals. Thoralf meint eine Unterstützung aus dem Hintergrund.“ wagte Frederic nun wieder in das Gespräch ein zugreifen. Doch statt der erwarteten lobenden Anerkennung erntete er von Thoralf nur missbilligende Blicke.

Dem wurde es langsam zu bunt. Mit lauten Knall ließ er den Teller auf den Tisch fallen, schritt um das Buffet herum auf Elena zu, hakte diese unter und entfernte sich in Richtung Foyer.

„Ihr gestattet, dass ich mit Elena ein paar Worte unter vier Augen wechsele!“

„Aber nicht zu lang, Thoralf, wir möchte alle unseren Anteil an ihr!“ rief ihnen Alexandra nach.

Thoralf zog Elena in eine schwach beleuchtet Ecke.

„Nun lass uns nicht mehr um den heißen Brei reden, Elena. Dir dürfte bewusst sein, weshalb ich hier aufgetaucht bin.“

Thoralf griff mit einer Hand um Elenas Taille und zog diese eng an sich heran, mit der anderen Hand begann er sie zu begrabschen.

„Wir alle wissen, dass du es mit jedem treibst, nur mich hast du bisher außen vor gelassen und ich bin nicht mehr gewillt, diese Beleidigung hinzunehmen.

Alle meine Anträge hast du bisher brüsk zurückgewiesen. So kannst du mit mir nicht umgehen. Ich erwarte eine Antwort von dir!“

„Darf ich dich daran erinnern, dass du  Gast in meinem Haus bist? Solltest du es wagen zudringlich zu werden, lasse ich dich rausschmeißen, ist das klar. Mir ist es gleich, wer du bist oder was du bist. Und wenn du der Kaiser von China wärst, würde mich das nicht beeindrucken!“ wehrte ihn Elena energisch ab.

Erschrocken ließ Thoralf tatsächlich von ihr ab.

„Aber, aber, was sind das für Worte? Willst du mir drohen? Das ist doch nicht notwendig.

Ich bin ein treuer Verehrer, der nur sein Recht einfordert dir den Hof zu machen, was ist denn schon dabei?“

„Meinetwegen mach mir den Hof! Aber deshalb muss ich dich nicht gleich mein Schlafzimmer aufräumen lassen!“

„Aber warum? Elena sag warum? Ich möchte den Grund wissen, warum ich immerfort einen Korb von dir bekomme?“ diesmal griff Thoralf dezenter nach Elenas Händen.

„Reiß dich zusammen! Du bist alt genug, um mein Vater zu sein.“ Elenas Antwort klang nicht sehr plausibel.

„Ich bitte dich, Elena, seit wann siehst du auf das Alter. Zugegeben meine Haare sind grau, aber im Stab deiner Liebhaber befinden sich Leute, die noch reicher sind an Jahren. Nein, diese Antwort befriedigt mich mitnichten.“

Sollte Elena ihm ins Gesicht sagen, was sie für ihn empfand? Sie konnte einfach nicht mit ihm, das war alles. In seine Gegenwart empfand sie Ekel und auch Furcht Von ihm schien etwas Unheimliches auszugehen, etwas, in dessen Nähe ihr fröstelte. Seine ganze Ausstrahlung wirkte ausgesprochen negativ.

„Ich kann es dir nicht sagen. Ich weiß es nicht. Laß mich los, ich habe Gäste!“ versuchte sich Elena rauszureden, doch Thoralf dachte nicht daran, sie gehen zu lassen.

„Ist es Frederics wegen? Kann doch nicht dein Ernst sein. Dieser abgehobene Snob!“

„Du nennst Frederic einen Snob? Gut einverstanden, das ist er zweifelsohne. Aber du? Bist du nicht ebenso einer? Nur um einige Jahre gereifter?“ Elena versuchte nach wie vor, ihn abzuwehren.

„Ich bin kein versnobter Müßiggänger wie Frederic. Ich bin ein Mann der Tat. Geboren, um zu herrschen, um Befehle zu erteilen. Wir wären ein Traumpaar, Elena. Mit dir an meiner Seite könnte ich Bahnbrechendens bewirken. Du sollst meine Königin sein, wenn der Tag gekommen hier im Lande aufzuräumen.“ gestand Thoralf in einem Anflug von Größenwahn.

„Du willst herrschen? Ei, ei, wer wird denn unsere geheiligte freiheitlich demokratische Grundordnung in Frage stellen?“

„Freiheitlich-demokratische Grundordnung?“ entfuhr es Thoralf mit abwertendem Tonfall.

„Dieses Land braucht eine starke Hand, das ist dir ebenso bewusst wie mir!“

„Und du glaubst berechtigt zu der Annahme, dass du diese starke Hand bist?“ hinterfragte Elena mit Hohn in der Stimme.

„Genauso ist es. Ginge es nach mir, würden solche Typen wie Cornelius, Neidhardt, Kovacs und wie auch immer sie sich nennen mögen, nicht einmal mehr wagen, zu atmen. Diese Land verrottet und alle aufrechten Patrioten sollten diesem Treiben nicht mehr länger tatenlos zusehen.“

Elena wurde sich immer deutlicher der Tatsache bewusst, dass sie ihn nur loswerden konnte wenn sie seinem Werben nachgab. Warum nicht? Sie war mit so vielen ins Bett gestiegen, auch wenn der Typ so ganz und gar nicht in ihr Bild von erotischer Anziehung passte.

„Also gut! Meinetwegen! Du sollst deinen Willen bekommen! Ich setze dich auf die Warteliste! Wann du an der Reihe bist, vermag ich im Moment nicht zu sagen!“ begann Elena nun mit ihm zu spielen.

„Auf die Warteliste? Ich habe mich wohl verhört? Es gibt keine Warteliste für den Großmeister des Blauen Orden! Ich pflege mich immer ganz vorne aufzustellen!“ lehnte Thoralf sichtlich aufgebracht ab.

Dann versuchte er auf penetrante Weise seine Hand zwischen ihre Schenkeln zu platzieren.

„A a! So nicht, Thoralf!“ Mit einem kurzen Griff entwand sich Elena seiner Umklammerung.

„Wenn du die nötige Geduld aufbringst, werde auch ich die Zeit für dich nehmen. Aber die Regeln bestimme ich. Und jetzt ist es an der Zeit, mich wieder meinen Gäste zu widmen.“

Elena entschwand in den Weiten des Foyer und begab sich wieder in die Reihen ihrer Abendgesellschaft.

Thoralf folgte ihr in einen respektablen Abstand.

Die übrigen Gäste waren gerade damit beschäftigt, ihren Spott mit einem Obdachlosen zu treiben, den man in der Nähe der Prominentensiedlung aufgegriffen und hierher geschafft hatte.

Verstört wie ein Tier wirkte dieser auf die illustre Gesellschaft, kaum imstande, sich Gehör zu verschaffen.

„Sag mal, bist du wirklich echt? So was wie dich bekommen wir nur ganz selten zu Gesicht?“ sprach Cassandra und tänzelte um den Betroffenen herum.

„Glaubt ihr, das er uns versteht?“

„Na, dann frag ihn doch einfach was! Dann wirst du`s schon herausfinden!“ schlug Gabriela vor und an ihrem Tonfall konnte man ablesen, dass sie dieses Schauspiel langweilte.

„Kannst du sprechen, Pariamann? Gib doch mal einen Laut von dir? Ich hatte noch nie das Vergnügen, einen von euch persönlich zu treffen!“ fuhr Cassandra fort den unfreiwilligen Gast zu necken.

„Ähm ich eun ühnihg engein!“ gab der zu verstehen.

„Habt ihr das verstanden? Ich nicht!“ stellte Cassandra mit Verwunderung fest.

„Die sprechen nun mal nicht wie wir wie du an diesem Beispiel unschwer erkennen kannst. Sieh es ein, es ist nicht möglich, sich mit ihm zu unterhalten. Das ist kein Mensch wie du und ich, auch wenn er nach außen so wirken sollte.“ glaubte Gabriela zu wissen.

„Eng in üniig engin iowack!“ stammelte der Eindringling weiter, aber es hörte schon gar keiner mehr hin.

„Igga agga ugga ah.“

„Ach halt doch einfach dein Maul, niemand will dein Gefasel hören!“ meinte Frederic, dann nahm er eine gerade geöffnete Flasche Champagner und goß deren gesamten  Inhalt über den arme Kerl aus. Großes Gejohle folgte diesem Akt, während der Geschädigte dabei wie ein begossener Pudel wirkte.

„Also mein Freund, du kannst jetzt vor deinen Pariakumpels damit an geben, dass du doch tatsächlich in Champagner gebadet hast. Hahahah, ist das nicht komisch, Leute!“ Frederic wollte sich vor Lachen auszuschütten.

Gelangweilt schaute Elena dem Treiben eine Weile zu, dann glaubte sie intervenieren zu müssen.

„Ihr benehmt euch wie die kleinen Kinder. Das, was ihr da treibt, ist einfach nur lächerlich. Glaubt ihr, mit solchen albernen Späßen bei mir landen zu können? Ihr langweilt mich zu Tode!“

„Ganz richtig, Elena, ich fühle ähnlich! Es ist einfach so dass alle hier im Haus nur einem Ereignis entgegenfiebern. Wann wird Elena  die Hüllen fallen lassen und ihren erotischen Tanz darbieten?“ warf Egbert ein.

„Das könnte dir so passen! Ich kann mir vorstellen, dass du darauf aus bist, aber ich muss dich enttäuschen, daraus wird  nichts. Ich hab einfach keine Lust. Und vor euch Kerlen tue ich das ohnehin nicht mehr. Wenn, dann nur für meine Lieblingsweiber.“ lehnte Elena ab.

„Richtig, Elena! Das ist allein Frauensache!“ pflichtet ihr Alexandra bei.

Frederic gab den Bediensteten ein Zeichen, den Obdachlosen zu entfernen.

„Eih eng eck öüing eck eh.“ stammelte dieser noch, während sie ihn unsanft vor die Tür beförderten.

„Elena, ich kann verstehen, dass du dich langweilst. Mit solch albernen Späßen kann man in der Tat niemanden hinter dem Ofen hervorlocken. Und von dir zu verlangen, zu tanzen, ist ein starkes Stück, geschmacklos und geradezu pervers, Egbert. Hier stehe ich, ich habe meine Manieren noch nicht über Bord geworfen.“ schaltet sich nun Thoralf wieder ein.

„Tanzen sollte eine ganz andere für uns, vor allem für dich, Elena. Ich habe ein Geschenk für dich und ich möchte es dir präsentieren.“

Auf ein Zeichen führten Thoralfs Bodyguards eine mit einer orientalischen Burka verhüllte Gestalt in den Raum und postierten diese in dessen Mitte.

„Ich habe das kostbare Stück von den Patrioten abgekauft. Diese Aktivisten sind Naivlinge, Leute ohne jedes intellektuelle Niveau, aber sie sind sehr nützlich. Ihr plötzliches Auftauchen kommt unserer Sache sehr entgegen, auch wenn ihre Slogans völlig antiquiert erscheinen. Aber auf diese Weise braucht sich unser Orden nicht mehr selbst zu besudeln. Seit kurzen beliefern die uns mit Paria für ganz gewisse Zwecke. Seht es euch an, das kostbare Stück.“

Mit einem Ruck entfernte Thoralf den Umhang und enthüllte Lisas splitternackten Körper.

Dies erntete einen verhaltenen Beifall.

„Elena, sie ist für dich! Bist du zufrieden?“ erkundigte sich Thoralf.

Lisas schlanker geschmeidiger Körper zog die Blicke auf sich, denn der konnte sich sehen lassen. Verlegen blickte sie zum Boden. Mit einer Hand bedeckte sie ihre Scham, den anderen Arm legte sie über ihre Brüste.

„Ist das wirklich eine Paria? Wow, sieht die gut aus. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass Pariafrauen so hübsch ausschauen können!“ wunderte sich Cassandra, schritt um die zitternde Lisa herum und fuhr mit ihren Fingern über deren Rücken.

„Aber warum versteckst du denn das Beste vor uns?“ wollte Cassandra weiter wissen.

„Die Arme an die Seiten!“ hörte man Thoralfs Befehl. Langsam senkte Lisa ihre Arme, dabei im Gesicht noch mehr errötend.

„Die könnte mir auch gefallen! Sagt mal, warum versteigern wir die nicht heute Abend?“ schlug Egbert vor.

„ Und wie sollte der Einsatz aussehen?“ erkundigte sich Frederic, während er nun seinerseits um das Objekt der Begierde schlich.

„Thoralf hat sie Elena zum Geschenk gemacht, es ist an ihr, zu entscheiden was mit der geschieht!“ schlug Gabriela vor.

„Nun Elena, du hast dich noch gar nicht geäußert!“ wandte sich Thoralf seiner Gastgeberin zu.

„In der Tat, sie ist sehr schön. Ich danke dir, Thoralf. Was wir mit ihr machen sollen? Woher soll ich das wissen? Sprach nicht vorhin jemand vom Tanzen? Soll sie für uns tanzen.“ lautete Elenas Wunsch.

„Du hast gehört, was Elena wünscht, Pariahure, dann zeig uns was du kannst, tanze, jetzt und hier.“ befahl Thoralf und stieß Lisa dabei derb in die Seite.

„Oh, wir brauchen Musik. Wie wäre es denn mit ein paar orientalischen Klängen?“ meinte Frederic und begann an der Stereoanlage zu hantieren.

Schon kurz darauf begann diese musikalische Laute von sich zu geben, die man orientalisch nennen konnte.

Zögerlich begann Lisa mit dem Tanz. Die Umstehenden machten ihr eigens dafür Platz.

Lisa wirbelte herum, so gut sie es vermochte, vergaß dabei alles, was um sie herum geschah. Nur ein Gedanke bewegte sie unentwegt, wie sie eine Gelegenheit finden konnte, dem ganzen Spuk zu entkommen.

Eilig wurde einer der Tische abgeräumt und man nötigte Lisa nun darauf ihre Kunst zu vollziehen. Nach einer Weile musste sie diesen wieder verlassen, um am Boden weiter zu tanzen.

Sie wirbelte so sehr im Kreis dass ihr schließlich schwindelig wurde und sie erschöpft zusammenbrach.

„Och schade! Haben wir dem hübschen Ding zu viel zugemutet!“ meinte Alexandra.

„Los, aufstehen, auf die Beine, sonst mache ich dir welche!“ drohte Thoralf.

Lisa versuchte sich vom Boden abzustützen und hechelte dabei wie ein Hund.

Doch es gelang ihr nicht und so sank sie wieder zurück.

„Eine kleine Erfrischung?“ Frederic holte eine Champagnerflasche und kippte diese über Lisa aus, so wie er es vordem mit dem armen Teufel von der Straße getan hatte.

Thoralf trat ihr so heftig  in die Lendengegend, dass Lisa vor Schmerz aufschrie.

„Genug! Ihr hattet euren Spaß! Jetzt ist es an mir, mit ihr fortzufahren! Ich sage es noch einmal, ihr langweilt mich unentwegt mit euren albernen Scherzen.“ brachte sich Elena wieder in Erinnerung

„Kannst du auf stehen?“

Sie hockte sich neben Lisa auf den Boden und hob diese gekonnt auf die Beine. Griff nach deren Hand und bewegte sich mit ihr auf den Ausgang zum Foyer zu.

„Amüsiert euch weiter, wir sehen uns später!“

Noch immer wusste Elena nicht recht, was sie mit Lisa anfangen sollte. Diese hatte einen zauberhaften Körper und ein hübsches Gesicht. Einer heißen Nacht mit ihr wäre Elena nicht abgeneigt. Oder sollte sie Lisa in ihr Studio bringen um sie dort ihren Behandlungen zu unterwerfen?  Elena tat nichts dergleichen. Zunächst brachte sie Lisa in ihr mondänes Schlafgemach.

„Was hast du mit mir vor? Willst du mit mir schlafen?“ wollte Lisa wissen.

„Ansonsten tue ich das auch. Du bist mein Typ und mir ist auch danach. Aber heute...“

Elena stockte. Irgend etwas ging in ihr vor, aber es war ihr nicht möglich in Erfahrung zu bringen, um was es sich dabei handelte.

„Geh erst mal unter die Dusche dort!“ Elena wies mit dem Zeigefinger in Richtung Badezimmer. „Dort findest alles, was du brauchst. Wenn du fertig bist, kommst du wieder zu mir.“ Lisa gehorchte. Es verstand sich von selbst, dass Elena einen sauberen gepflegten Körper an ihre Seite wünschte.  Lisa tat, wie ihr geheißen, genoss das duftende Duschgel an ihrem Körper und das prickelnde warme Wasser auf der Haut. Im Grunde konnte sie sich glücklich schätzen, erst einmal der abartigen Gesellschaft da unten entkommen zu sein. Eine Nacht mit Elena? Warum nicht? Halb Melancholanien wollte mit ihr schlafen. Und sie wäre sicher vor diesen perversen Heinis dort unten.

Elena kramte unterdessen in ihren Kleiderschränken und sortierte einige Stücke aus.

Als sich Lisa frisch gesäubert und frisiert näherte, hatte Elena alles beisammen.

Sie hob ein hellgrünes Kleid aus einfachem aber fein gewobenen Leinen in die Höhe.

„Probier doch mal! Ich denke das dürfte passen. Ach ja, und hier hast du auch die Unterwäsche.“

Während Lisa begann, sich anzukleiden, öffnete Elena ein Schuhfach und holte ein paar weiße Stoffturnschuhe heraus.

„Die brauchst du natürlich auch. Passen gut zu dem Kleid.“

„Danke dir, wie komme ich dazu, dass du mich so beschenkst? Ich habe dir doch noch gar keine Dienstleistung erbracht.“ erwiderte Lisa während sie sich die Schuhe über die Füße zog.

„Wie heißt du?“

„Ich bin Lisa!“

„Ich hätte gern das Bett mit dir geteilt, Lisa. Aber ich kann es nicht. Aus irgend einem Grund kann ich es nicht. Ich spüre, dass es nicht recht wäre, würde ich es jetzt tun.

Hab keine Angst, du brauchst nicht wieder mit nach unten. Du kannst gehen, wenn du magst.“

Diese Aussage verschlug Lisa fast die Sprache.

„Ich...ich weiß nicht was ich sagen soll. Ich danke dir! Mehr bringe ich nicht heraus.“

„Das genügt schon! Mehr Worte bedarf es nicht!“

Elena griff nach ihrer Handtasche, kramte darin, holte einen Geldschein heraus und drückte ihn Lisa in die Hand.

„Du wirst das brauchen, um hier fortzukommen. Geh einfach die Straße geradeaus nach unten, ganz lang durch. Am Ende findest du die Bushaltestelle. Der Bus fährt hier auch in der Nacht, wenn du womöglich auch eine Weile warten musst.“

Lisa konnte nicht glauben, was sie da erlebte.

„Komm!“ Elena griff nach Lisas Hand und führte sie eine Treppe hinab und entließ sie durch einen Hintereingang.

Lange sah sie ihr noch nach, bis sich die junge Frau  im Dunkel der Nacht aufzulösen schien.

Leise schloss Elena die Tür und begab sich wieder in Richtung Schlafgemach.

Ein seltsames nie gekanntes Gefühl des Glückes bemächtigte sich ihrer. Sie fühlte sich auf eigenartige Weise frei. Da plötzlich glaubte sie, eine Stimme zu vernehmen.

„Danke dir, Aradia! Das war eine gute Tat! Ich habe so darauf gehofft. Nun ist es an der Zeit für dich, endlich umzukehren. Komm nach Hause, Tochter! Komm zurück zu dem, was dir entspricht!“

Erschrocken wandte sich Elena um, aber sie konnte niemanden entdecken. Woher kam die Stimme?

„Wer bist du? Zeige dich! Was meinst du mit nach Hause kommen? Zuhause? Wo ist das? Ich kenne kein Zuhause!“

Doch es kam keine Antwort. Elena hatte auf einmal keine Lust mehr auf diese Party da unten.

Sie betrat das überdimensional große Wohnzimmer, wo sich noch immer ihre Gäste aufhielten und teilte den völlig Erstaunten mit, dass es Zeit zum Aufbruch sei.

„Aber, Elena du kannst uns doch nicht einfach vor die Tür setzen, ist doch sonst gar nicht deine Art. Es ist noch so früh am Abend. Was hast du denn mit dem hübschen Ding gemacht?“ bekundete Cassandra ihren Unmut.

„Die ist entflogen und genau das werdet ihr jetzt ebenso tun. Habt euch lange genug auf meine Kosten amüsiert.“

„Aber mich wirst du doch nicht an die Luft setzen?“

„Du irrst dich, Frederic, wenn ich sage alle, dann meine ich alle.“ gab Elena zu verstehen und drängte ihre Besucher mit aufdringlicher Geste aus der Villa.

Äußerst erleichtert schloss Elena die Tür hinter dem Letzten und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, dabei tief ein und ausatmend.

Endlich Ruhe, endlich alleine sein und den Gedanken freien Lauf lassen.

Doch erschrocken musste sie feststellen, dass doch nicht alle ihrer Bitte nachgekommen waren.

„Wie du siehst, bin ich nicht gegangen! Einen Großmeister des Blauen Ordens setzt man nicht so einfach vor die Tür.“ sprach Thoralf, der sich auf einem der weichen mit feinem weinroten Samt überzogenen Sessel am Kamin niedergelassen hatte und in herrischer Geste eine Zigarre rauchte.

„Du bist nicht zu übersehen! Was willst du?“

„Hast du noch immer nicht verstanden, Elena? Ich will dich! Ich bin bereit, dich  im Sturm zu nehmen. Ich bekomme immer, was ich verlange. Gib dir keine Mühe,  du kannst dich mir nicht widersetzen.“

„Es bleibt bei meinem Nein, zumindest für heute. Später vielleicht! Ich bin müde. Tut mir leid, du musst dir für heute Nacht eine andere Gespielin suchen, Thoralf!“

Noch immer behandelte Elena ihn von oben herab. Wenn sie glaubte, mit Thoralf einen alternden Trottel vor sich zu haben, der den Reizen einer wesentlich jüngeren Frau erlag und den sie, wenn es ihr beliebte, wie einen Dackel an der Leine führen konnte, war sie einem gewaltigen Irrtum erlegen. Sie lies einfach außer acht, dass sie es hier mit den Großmeister des Blauen Orden handelte. Das großbürgerlich-seriöse, feudale Erscheinungsbild war lediglich Fassade, dahinter verbarg sich ein perverses Scheusal von abgrundtiefem Ausmaß.

Konnte oder wollte Elena die Gefahr nicht erkennen, auf die sie ungebremst zusteuerte?

Noch war es nicht zu spät, von draußen drang noch das Palaver der gerade entlassenen Gäste zu ihr, die das Gelände noch nicht verlassen hatten.

Einfach zur Haustür gehen, diese öffnen und nach draußen rufen. „Hey, ihr habt Thoralf vergessen, nehmt ihn mit!“ So oder ähnlich hätte es ablaufen können.

Doch Elena tat nichts dergleichen. Fehler Nr. 1.

Fehler Nr. 2. bestand zweifelsohne darin, dass sie ihn weiter verhöhnte. Das war nun mal ihre Art mit den Menschen umzugehen. Dass sich der Großmeister des Blauen Orden jegliche Verhöhnung verbat, wäre ihr früher nie in den Sinn gekommen. Somit provozierte sie ihn und steigerte seine Wut weiter bis ins Unermessliche.

Dass sie Thoralf mit in ihr Schlafgemach nahm, mit der Absicht seine Begierde zu steigern, ihm aber im Anschluss einen Korb zu erteilen, war ohne jeden Zweifel der größte Fehler. 

Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus, während sie sich entkleidete.

Nachdem Thoralf sie bestiegen hatte wollte sie das Szenario beenden und ihn eiskalt abblitzen lassen, doch dazu sollte es nicht mehr kommen.

„Tut mir leid Thoralf, aber ich kann nun mal nichts vortäuschen, wo nichts ist. Ich könnte nichts für dich empfinden.“

„Wer fragt danach, schöne Elena? Meinst du mich interessiert, was der oder die andere empfindet? Es wird mir eine Freude sein, dich zu nehmen, ob es eine für dich ist,sei dahingestellt.“

Elena versuchte sich von ihm zu befreien, doch in diesem Moment holte er aus und schlug ihr mit dem Handrücken derart ins Gesicht, dass sie drohte, die Besinnung zu verlieren, das wiederholte sich im Anschluss noch mehrere Mal. Elena war nicht imstande, die Schläge zu zählen.

„Du wolltest meine Königin nicht sein,  nun gut dann werde jetzt zu meiner zu meiner Hure. Ich werde dich lehren, was es heißt, einem Großmeister des Blauen Ordens gefügig zu sein.“

Er fingerte an dem Brillantring, den er an seinem rechten Mittelfinger trug, öffnete dessen Deckel und fuhr mit der Zunge darüber. Es dauerte nicht lange und seine Gesichtszüge begann sich zu verändern. Geschah das wirklich oder kam es Elena nur so vor? Thoralf haftete auch sonst etwas Unheimliches, etwas Diabolisches an, doch jetzt blickte ihr eine furchterregende Fratze entgegen. Dr. Jekyll verwandelte sich endgültig in Mr. Hyde.

Elena wollte schreien, doch die Stimme versagte den Dienst.

Als er schließlich in sie eindrang, glaubte sie die Schärfen einer Rasierklinge in ihrer Vagina zu spüren, solche Schmerzen verursachte es ihr. Immer wieder schlug er auf sie ein. Kein Zweifel, Satan persönlich hatte sich auf ihr niedergelassen.

Warum nur gelang es ihr nicht, sich zu wehren. Elena war eine trainierte Karatekämpferin,  sie war eine Meisterin, vor nicht allzu langer Zeit hatte sie den schwarzen Gürtel errungen.

Doch dieser Mann schien sich okkulter Praktiken zu bedienen.  Hinter vorgehaltener Hand wurde schon seit langen darüber spekuliert, ob etwas dran sei, an den Behauptungen, dass sich die Großmeister und die ranghöchsten Kommandeure des Ordens der schwarzen Magie hingaben.  Nun konnte sich Elena auf äußerst schmerzhafte Weise von der Richtigkeit jener Aussagen überzeugen.

Sie versuchte all ihre Kräfte zu bündeln und es gelang ihr schließlich in einem kurzen Moment seiner Unaufmerksamkeit, ihn von sich zu stoßen. Elena  ließ sich auf den Boden fallen, doch sie musste zu ihrem Entsetzen feststellen, dass sie nicht auf die Beine kam.

Auf allen vieren kroch sie am Boden entlang und versuchte zu entkommen, bis sie seinen Fuß im Nacken verspürte.

„Das ist aber nicht sehr nett von dir, Elena. Dafür hast du eine extra Tracht Prügel verdient.“

Er griff in ihre Haare und zerrte sie einfach wie einen Sack hinter sich her, die Treppe hinunter bis in ihr Studio, nie hätte sie es für möglich gehalten, dort selber einmal misshandelt zu werden. Das durfte sie nicht zulassen.

Unten angelangt griff Thoralf nach einer Lederpeitsche und begann auf sie einzuschlagen.

Elena suchte Schutz unter einem großen Tisch, aber er ergriff sie an den Füßen und zerrte sie hervor.

Sie rollte sich wie ein Igel auf dem Boden zusammen doch die Peitschenhiebe trafen ihren Rücken mit voller Schärfe.

„Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt!“ begann Thoralf nun auch noch Goethe zu zitieren.

Endlich glaubte sie ihre Kräfte aktivieren zu können. Richtete sich blitzschnell auf holte mit dem rechten Bein aus und traf ihn mit dem Fuß mitten im Gesicht, so dass Thoralf benommen nach hinten stürzte. Dies nutzte Elena, rannte wie eine Besessene um ihr Leben, splitternackt wie sie war. Die Treppe hinauf in ihr Schlafgemach, dort die Tür hinter sich verriegelnd. Sie lehnte sich von innen dagegen und atmete voller Angst hastig ein und aus.

Angst, abgrundtiefe, panische Angst. Würde er es wagen, sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen? Zuzutrauen wäre es ihm allemal.

Doch es geschah nichts. Später glaubte Elena das Starten eines Autos zu vernehmen, das Quietschen der Reifen beim hastigen Wegfahren.

Sie taumelte auf ihr Bett zu und ließ sich entkräftet und voller Schmerzen darauf fallen.

Dann begann sie heftig zu weinen.

Erst nach und nach begann sich in ihrem Bewusstsein die ganze Trageweite des soeben Geschehenen zu entfalten.

Elena war Opfer einer Vergewaltigung. Nur langsam wurde sie sich dieser Tatsache bewusst. Noch nie in ihrem Leben wurde sie auf so abscheuliche Weise behandelt. Die Zeit schien still zu stehen. Ihr, der starken Elena, die ansonsten vor Selbstbewusstsein nur so strotzte, musste so etwas widerfahren.

Sie konnte, nein sie durfte das niemals akzeptieren.

Eine ganze Weile lag sie einfach nur da, den Blickdabei apathisch zur Decke gerichtet.

Das Ereignis hatte sie völlig aus der Bahn geworfen, in ihrem Kopf begann sich alles zu drehen. Alte eingefahrene Wertvorstellungen standen plötzlich auf dem Prüfstand. Zum ersten Mal bohrten sich Zweifel in ihr Bewusstsein. Sie musste darüber nachdenken, was wohl geschehen konnte, sollte der Blaue Orden tatsächlich einmal Oberwasser in Melancholanien bekommen, sollten Leute wie Thoralf mit uneingeschränkter Vollmacht herrschen. Welch dunkler Schatten würde sich dann über das Land senken.

War sie imstande, jetzt schon die richtige Schlussfolgerung daraus zu ziehen?

Nein, noch schien ihre Privoseele über jeden Zweifel erhaben. Verstand sich nicht der Blaue Orden als Hüter der Privilegien der Privokaste? Verteidigte dieser somit nicht auch ihre Rechte gegen die da unten aus den Slums und den Trabantenstädten? Sie war eine Privo, warum aber hatte man ihr solche Schmach angetan?  

Da fiel ihr Lisa wieder ein. Warum nur hatte sie die in einem Anflug von Sentimentalität einfach gehen lassen? Das hatte sie jetzt von ihrer Gutmütigkeit. Wäre Lisa nicht verschwunden, ihr wäre dieser grauenvolle Akt erspart geblieben, denn mit Lisa hatte Thoralf  ein Objekt zur Verfügung , um seine abartigen Triebe zu befriedigen und die Ordnung wäre gewahrt.

Wie nur konnte es Thoralf wagen, sich an einer seines Standes zu vergreifen? Das widersprach allen Sitten und Gepflogenheiten.

Sie erhob sich von ihrer Liegestatt und taumelte mit unsicheren Schritte zu dem großen Spiegel an der Wand, starte voller Entsetzen auf ihr geschwollenes Gesicht, die Nase hatte zum Glück zu bluten aufgehört, dann glitt ihr Blick über den geschundenen Körper.

Die Striemen und blauen Flecke würden Tage benötigen, ehe sie verschwanden. Zum Glück war sie als Ärztin imstande, sich die erste Hilfe so gut es ging selber zu verabreichen.

Da plötzlich hörte sie wieder diese Stimme und  glaubte zu halluzinieren.

„Wie fühlt man sich, wenn plötzlich ein anderer die Peitsche in der Hand hält, Elena?

Was ist das für ein Gefühl, so gequält und gedemütigt zu werden? Ausgeliefert sein an eine Situation und sich weder wehren können, noch imstande zu sein, die Flucht zu ergreifen? Und jetzt? Wem wirst du dich an vertrauen? Mit wem kannst du über das dir Widerfahrene sprechen?“

In der Tat. Da war keiner. Frederic etwa, nie im Leben! Sein höhnisches Grinsen und seine dummen Sprüche wären eine noch viel größere Qual als Thoralfs Schläge. Ihre Freundinnen, Gabriela, Alexandra, Cassandra oder wer auch immer? Nein, denen konnte sie doch nicht diese Schmach offenbaren, das waren Freundinnen für die guten Tage. Solche für schlechte Tage gab es nicht. Warum? Schlechte Zeiten waren in ihrem Leben nicht einkalkuliert.

Nicht einmal Luise konnte sie bitte ihr beizustehen, niemals durfte sie sich vor ihrem Dienstmädchen auf diese Weise bloßstellen.

Nein, jenes Trauma, das wie ein Mühlstein auf ihrer verletzten Seele lagerte, musste sie ganz allein verarbeiten. Niemand durfte davon erfahren. Das hieß, sie musste es so bald als möglich verdrängen. Genau! So konnte sie das Problem in Angriff nehmen. Dieses furchtbare Ereignis hatte nie wirklich stattgefunden.

Sich einfach ein paar Tage von allem zurückziehen, Luise würde sie eine Migräne vortäuschen, um damit einen Vorwand zu besitzen, das Zimmer nicht verlassen zu müssen. Die würde nichts hinterfragen, wollte sie doch nicht ihren Job aufs Spiel setzen.

Waren dann die körperlichen Wunden einigermaßen verheilt, konnte sie zu Cornelius aufbrechen. Dieser Ausflug kam ihr jetzt wie gelegen. Richtig! Sich dort eine Weile verkriechen, allen Verpflichtungen entfliehen, womöglich gestärkt zurückkehren. Eines Tages würde sie es Thoralf in gebührender Art und Weise heimzahlen. 

Diese Schmach durfte Elena nicht auf sich sitzen lassen. Aber wie konnte man sich an einem Großmeister des Blauen Orden rächen? Ihn anzeigen? Sinnlos! Denn erstens gab es keine Zeugen und zweites käme kein Polizeibeamter Melancholaniens auf die Idee, sich mit dem Blauen Orden anzulegen. Das konnte sie getrost vergessen.

Sollte sie Frederic dazu anstacheln, Thoralf zu beseitigen, um selbst auf dessen Posten zu gelangen? Doch dieser eitle Pfau schien für solch einen Akt viel zu feige.

Dass sie in Zukunft jeglichen Kontakt zu Thoralf meiden würde, verstand sich von selbst. Was aber, sollte er wieder versucht sein, sich gewaltsam Zutritt zu ihrer Behausung zu verschaffen?

Ratlosigkeit bemächtigte sich ihrer.

Erst mal alles verarbeiten, wieder zu Kräften kommen. Sich ablenken. Nach ihrer Rückkehr wollte sich Elena dieser Frage stellen.

Lange, sehr lange würde dieses Trauma an ihr haften bleiben. Doch viel später sollte es sich als reinigendes Gewitter erweisen. Soeben hatte sie ihre einst so wohlbehütete Welt zu Grabe getragen. Das Leben hatte seine Unschuld verloren.

Sie kam nicht umhin, sich auf die Suche zu begeben, auf die Suche nach einer neuen Welt, einer Welt, die sich so deutlich von all dem unterschied, was sie gerade hinter sich gelassen.