Sinn und Sinnlichkeit

Die Sonne ging unter, die Wolken verwandelten sich in goldene Banner, und in der Luft lag die Stille des Augenblicks, in dem sich die Welt in der Schwebe zwischen Tag und Nacht befindet.

Auf den Straßen Vielstedts starteten die Straßenlaternen und gossen ihr milchig-weißes Licht in spärlichen Strahlen auf die Wege des kleinen Dörfchens. Hin und wieder schlich eine Katze über die Straße, um in der nächstbesten dunklen Ecke zu verschwinden. Menschen waren kaum zu sehen. Ein 300 Seelendorf kennt kein aufreibendes Nachtleben.   

Nur der Platz vor der Dorfschänke war etwas heller ausgeleuchtet, um den erwartenden Besuchern den Weg zu weisen.

Im kleinen Vereinszimmer gegenüber der Schankstube hatte sich der aus 6 Personen bestehende Gemeinderat fast vollständig eingefunden.

Nur eine Person fehlte noch, um mit der für den heutigen Abend einberufenen außerordentlichen Sitzung beginnen zu können.

Hagen, der Bürgermeister des Ortes, ein großer schlanker Mann, Anfang 60 mit schwarzen, etwas schütterem Haar und einem Schnauzbart, blickte zur Uhr auf der gegenüberliegenden Wand, dabei unruhig auf dem Stuhle hin und herschwankend.

Er wollte gerade ansetzen etwas zu sagen als sich die Tür öffnete und Erika, die Besitzerin des kleinen Tante-Emma-Ladens erschien.

"Guten Abend!" entfuhr es ihren Lippen.

"Guten Abend!" Folgte wie auf Befehl aus fünf Kehlen das Echo.

"Nun, da wir vollzählig sind, können wir mit unserer internen Sitzung beginnen. Wir sind beschlussfähig. Ein Protokoll wird es nicht geben, denn alles was heute in diesem Raum besprochen wird, ist vertraulich zu behandeln und darf in schriftlicher Form nicht festgehalten werden. Im Grunde sind wir gar nicht hier."

"Ja gut! Dann soll es eben so sein, wie du sagst. Dürfen wir aber erst einmal in Erfahrung bringen um was es eigentlich geht?" Wollte Gerhard wissen, ein großer stämmiger Mann, Ende 40, mit großem, rundem Kopf, der fast kein Harr mehr zählte.

"Ihr dürft! Wir müssen über unsere beiden prominenten Bewohner in der Bunkeranlage reden, die im Grunde überhaupt nicht existieren, zumindest darf uns ihre Anwesenheit offiziell nicht bekannt sein, deshalb ist es auch nicht angebracht, die Angelegenheit in aller Öffentlichkeit zu besprechen."

"Ach so, ja. Warum sagst du das nicht gleich! Hätten wir uns denken können!" erwiderte Erika, die sich dem Ernst der Lage voll bewusst schien.

Von den 6 Gemeinderatsmitgliedern gehörten 4 der Radikalen Liste an, einer Organisation, die aus Neidhardts Radikal-Revoultionären hervorgegangen war und sich unter anderem Namen neu strukturiert und etabliert hatte. Neben dem Bürgermeister und Gerhard handelte es sich dabei um Randolf einem jungen, schlanken Typ, Anfang 30, mit strähnigem schulterlangem Haar. Die kreisrunde Brille auf der Nase verlieh ihm eine gewisse Art von akademischer Intellektualität. außerdem noch Gunnar, etwa 40 Jahre, ein etwas naiv wirkender Landwirt mit dichtem blondem Vollbart.

Helga, die junge Tierärztin, die neben ihrem Heimatdorf noch für eine ganze Reihe anderer Orte der Umgegend zuständig war, eine hübsch anzusehende, durch und durch bodenständige Frau, die sich durch ihr Können schon lange den Respekt der Dorfbewohner erworben hatte, gehörte zur Alternativen Allianz, Nachfolgeorganisation der inzwischen verbotenen Akratasischen Allianz.

Die rüstige Rentnerin Erika gehörte dem Gemeinderat als Unabhängige an.

"Was könnten wir in dieser Angelegenheit unternehmen? Ich kann mir nicht vorstellen was es da zu besprechen gibt." Meinte Randolf und lehnte sich weit in seinem Stuhl zurück

"Ich will versuchen, es euch zu erläutern. Die Frage ist, wie wir mit ihnen in Zukunft umzugehen gedenken. Wie können wir sie weiter vor der Außenwelt verbergen. Auf welche Weise wird es uns möglich sein sie zu beschützen, sollte ihr Aufenthaltsort einmal bekannt werden. Cassian festigt seine Macht von Tag zu Tag mehr, unser Land verwandelt sich in zunehmendem Maße in einen autoritären Führerstaat. Im Moment sind die bestehenden politischen Parteien noch nicht verboten, damit aber müssen wir jederzeit rechnen. Noch scheint sein Interesse an den Belangen der ländlichen. Bevölkerung sehr gering. Doch auch das muss nicht so bleiben. Bei ihm müssen wir auf alles gefasst sein, auch auf Dinge die uns im Moment noch als völlig unlogisch erscheinen." Klärte der Bürgermeister auf.

"Also bisher ist alles soweit gut gegangen. Die haben uns in Ruhe gelassen. Wir geben denen da oben auch wenig Anlass eingehender nachzuforschen." Wandte Gunnar ein.

"Noch! Mein Freund! Noch lassen sie uns in Ruhe! Wie ich soeben betonte."

"Aber die wahre Identität der beiden ist nach wie vor nicht bekannt. Im Dorf schon. Ich gehe mal davon aus, dass in der Zwischenzeit die meisten Bewohner wissen, das Neidhardt seit über einem Jahr im Bunker lebt und dass nun auch noch Elena bei ihm ist.

„Aber die Menschen halten dicht. So wie sie es immer getan haben. Hast du auf einmal Zweifel daran, Hagen?" Schaltet sich Helga ein.

"Im Prinzip nein, auch wenn wir natürlich nicht für jeden einzelnen Bewohner die Hand ins Feuer legen können. Bis heute ist mir nicht bekannt, dass Cassians Bewegung hier im Dorf Anhänger gefunden hat. Im Laufe der Zeit aber könnte sich das ändern. Nein, vielmehr macht mir Angst, dass sich die beiden durch ihr Verhalten selbst verraten könnten." Fuhr der Bürgermeister fort.

"Wie meinst du das? Versuchte Gunnar in Erfahrung zu bringen.

"Ich glaube zu wissen was er damit sagen will." Erwiderte Erika. "Mit Neidhardt hatten wir nie Probleme. Der hat sich stets im Verborgenen aufgehalten, verlässt den Bunker so gut wie nie. Und wenn, dann geht er hauptsächlich in der Natur spazieren, in den Waldgebieten oder der Heide. Ins Dorf ist der doch so gut wie nie gekommen. Wir versorgen ihn mit allem was er benötigt. Ich kann das an einer Hand abzählen, wann ich ihn mal hier angetroffen habe."

"So ist es!  Das Problem ist Elena. Die bewegt sich seit ihrem Eintreffen ausgesprochen ungezwungen hier. Die kann man eben nicht festbinden. Wer könnte es ihr auch verdenken?" Stimmte Hagen zu.

"Das kann sein! Ja, das kann sein!" Erinnerte sich Gunnar. "Erst gestern habe ich sie gesehen. Auf dem Fahrrad rauschte sie durch das Dorf. Ihr könnt euch das nicht vorstellen. Sie trug einen Fahrradhelm, aber ihre Haare darunter flatterten im Wind, eng anliegende Radlerhose, bis zu den Knien, die ihre Konturen betonten. Weiße Turmschuhe. Ein knappes T-Shirt. Keinen BH darunter. Stellt euch vor, die Brüste waren darunter deutlich zu erkennen. Ein Anblick...."

"Nun krieg dich mal ein. Dir platzt ja gleich der Hosenstall auf." Fuhr ihn Hagen an.

"Aber ihr hättet sie sehen sollen. Die müsste doch inzwischen 40 sein, sieht aber noch immer aus wie Ende 20..."

"Ich habe Augen im Kopf. Ich weiß wie Elena aussieht. Und genau hier liegt das Problem. Elena ist ein Hingucker. Die ist bekannt wie ein bunter Hund. Die lässt sich nicht im Verborgenen halten. Die liebt das Leben, so wie sie es gewohnt ist." Sorgte sich der Bürgermeister mit Recht.

"Ich sehe sie auch sehr oft. Wo fährt die denn immer hin?" Wollte Gerhard wissen.

"Na zu dieser Andrea, drüben in der alten Mühle. Die Künstlerin, die seit etwa einem Jahr dort wohnt. Das ist ihre neue Freundin. Ist nicht schwer zu erraten warum. Die sieht Madleen zum Verwechseln ähnlich." Antwortete Erika.

„Stimmt! Jetzt, da du es sagst, fällt mir das erst auf. Sie vermisst Madleen sehr, nicht wahr?“ Stellte Helga fest.

„Na und wie. Ich habe sie einmal darauf angesprochen. Indirekt versteht sich. Ich wollte von ihr nur so im Allgemeinen wissen, was sie von der anstehenden Traumhochzeit hält, von der das ganze Land spricht. Da schossen ihr sofort die Tränen in die Augen. Ich kann mir vorstellen, wie ihr zumute ist. In einer solchen Situation greift jeder nach dem erst besten Strohhalm.“

„Naja das ist ihr zu gönnen! Die ganze Zeit mit dem alten Neidhardt im Bunker. Ich stelle mir das sehr schwierig und vor allem eintönig vor.“ Glaubte Randolf zu wissen.

„ Verena, also Elena hat mir gesagt das sie in der Mühle seit kurzem Modell steht, für die Bilder und Plastiken die Andrea dort produziert.“ Klärte Erika weiter auf.

„Modell? Du meinst Aktmodell? Booo, da möchte ich mal durch`s Schlüsselloch spähen!“

Begeisterte sich Gunnar.

„Das kann ich mir vorstellen! Aber genug jetzt. Wir schweifen vom Thema ab. Wir sind heute hier zusammengekommen, um zu überlegen, was wir unternehmen könnten, um die beiden weiter zu schützen. Sollte das nötig sein. Die beiden und natürlich auch uns selbst. Denn für den Fall, dass Cassians Spitzel hier tatsächlich auftauchen und herausbekommen, wen wir hier Unterschlupf gewähren, könnte es auch uns an den Kragen gehen.“ Beschwor der Bürgermeister eindringlich.

„Langsam, langsam, langsam. Jetzt komme ich nicht mehr mit. Warum fürchtest du das Hagen? Elena ist doch offiziell für tot erklärt wurden. Warum in aller Welt sollte dann jemand nach ihr suchen?“ Wunderte sich Gerhard und rieb sich dabei auffällig seine Glatze.

„Ja, das stimmt! Auch wir sind bis zu ihrem Auftauchen davon ausgegangen, dass sie nicht mehr am Leben ist und waren aufgrund dessen nicht wenig erstaunt, als sie urplötzlich, wie aus dem Nichts erschien. Und erleichtert, zumindest, was mich betrifft.“ Fügte Helga hinzu.

„Ich kann mich natürlich irren und am Ende könnte es sich als falscher Alarm erweisen, das ist gut möglich. Aber ich kann mir nicht helfen. Ich werde einfach den Verdacht nicht los, dass Cassian ihre Todesmeldung nur aus reiner Propaganda in die Welt gesetzt hat, um ihren Mythos zu zerstören.

Ich gehe mal davon aus das auch ihr die Hubschrauber gesichtet habt, die hier seit einiger Zeit über das Gelände fliegen?“ Erkundigte sich Hagen.

„Ja richtig! Als ich vor zwei Tagen draußen auf dem Acker war habe ich auch Drohnen gesichtet.“ Erinnerte sich Gerhard.

„Puuuh. Na so was auch. In die Richtung haben wir noch gar nicht überlegt. Das ist schon ein Ding. Also ich möchte nur äußerst ungern meinen Kopf für die beiden riskieren. Soweit geht die Freundschaft nun auch wieder nicht.“ Ängstigte sich Gunnar.

„Na, mit deinem Kopf werden die bestimmt nicht viel anfangen können.“ Stänkerte Randolf und versuchte dem Gespräch eine heitere Note zu verleihen

„Hahahah, bist`n echter Komiker was?“

„Schluss jetzt“ Das Thema ist zu wichtig, um darüber Glossen zu machen!“ Rief Hagen zur Ordnung.

Alle verharrte eine Weile im Schweigen. Eine vertrackte Situation. Was konnten sie tun?

Die beiden berühmten Bewohner des Bunkers stellten in der Tat eine Gefahr für sich selbst und für die Bewohner des gesamten Dorfes dar, zumindest seit Elenas Auftauchen.

„Aber die Gegend um die Bunker gilt doch nach wie vor als vermint? Wie gut das wir diese Legende am Leben gehalten haben und die Warnschilder dort belassen haben, wo sie sind. Bisher haben sie ihre Wirkung nicht verfehlt. Fremde meiden die Gegend doch nach wie vor wie der Teufel das Weihwasser.“ Warf Randolf ein.

„Hmm, noch hält diese Tarnung. Aber auch dafür gibt es keine Gewähr. Nein, alles hängt davon ab, ob die beiden sich weitgehend im Verborgenen halten. Etwas anderes fällt mir jedenfalls nicht ein. Oder hat einer von euch eine bessere Lösung?“ Entgegnete Hagen.

„Aber wir können die doch nicht mit einer Ausgangssperre belegen** oder sollen wir sie gar im Bunker einschließen. Das wäre doch unmenschlich.“ Lehnte Erika entrüstete ab.

„Das wollte ich damit auch nicht sagen! Wir müssten einfach mit ihnen reden und den Sachverhalt verdeutlichen. Das sind doch intelligente Menschen, die unsere Sorgen verstehen werden. Wie gesagt Neidhardt ist nicht das Problem, der hat uns nie Ärger gemacht. Aber Elena, wie in aller Welt halten wir die an der Leine?“

„Also in letzter Zeit habe ich auch Neidhardt öfters mal im Dorf gesehen!“ Erinnerte sich Gerhard.

„Ja, weil ihn Elena mit rausschleppt. Ist ja auch nicht verkehrt. Dem alten Kauz bekommt das mal ganz gut. Immer nur da unten im Bunker sitzen. Da wirst du doch mit der Zeit blöde im Kopf.“ Erwiderte Gunnar.

„Andererseits ist ja Elena bei ihm, da wird es sicher nie langweilig. Wau, mit der möchte ich mich auch mal 2 Wochen einschließen lassen. Eine heiße Vorstellung, was?“

„Kann ich mir vorstellen! Aber mach dir keine Hoffnungen. Elena ist bestens ausgelastet. Neidhardt und nun noch diese Andrea. Die hat mit Sicherheit keine Langeweile.“ Warf Helga ein.

Erika blickte sehr nachdenklich in die Runde. Auf einmal schien ein Leuchten der Erkenntnis in ihre Augen zu treten.

„Also irgendwie ist mir diese Andrea ein wenig unheimlich! Ich könnte mir vorstellen, dass…, ach nein, das wäre zu schlimm, um es sich auch nur vorzustellen!“

„Was willst du uns sagen Erika? Hast du einen Verdacht? Wenn ja, dann lass ihn uns wissen.“ Forderte der Bürgermeister auf und blickte forschend in ihr Gesicht.

Erika stieß einen Seufzer aus.

„Naja , ich will keinen falschen Verdacht in die Welt setzen. Diese Andrea ist sehr freundlich, zuvorkommend und hilfsbereit. Immer ein Lächeln und ein gutes Wort auf den Lippen. Ich kann eigentlich nur Gutes über sie berichten. Andererseits ist das alles zu gut, um ehrlich zu sein. Wie gesagt ich kann mich täuschen, aber was wäre, wenn Andrea es absichtlich auf Elena abgesehen hat. Ich meine, dass sie nicht aus Zufall hier in unsere Gegend gekommen ist, sondern von irgendwem geschickt wurde, der es auf Elena abgesehen hat. Wie gesagt, sie sieht Madleen täuschend ähnlich und hat aufgrund dessen leichtes Spiel mit Elena. Die hat ja auch gleich Feuer gefangen.“

„Du meinst, so eine Art Geheimagentin, aus Cassians Lager? Das wäre natürlich fatal!“ Erwiderte Randolf höchst erstaunt.

„Das wäre fatal und zudem supergemein!“ Widersprach Helga energisch.

„Langsam Leute! Das ist erst einmal ein reiner Verdacht, wie du ja selbst festgestellt hast Erika. Er entbehrt allerdings nicht einer gewissen Logik, zugegebenermaßen. Da könnte was dran sein.“ Stimmte der Bürgermeister zunächst zu. Doch dann überwogen doch die Bedenken.

„Auf der anderen Seite ist es aber wieder unlogisch, denn wie hätte Andrea wissen sollen, dass Elena ausgerechnet in unser Dorf kommt. Andrea ist doch vor unserer Ex-Kanzlerin hier angekommen. Elena wiederum durch reinen Zufall in unserer Gegend gestrandet. Das hat ihr auch das Leben gerettet. Nein, das ergibt für mich am Ende doch keinen Sinn.“

„Ich kann es nochmal wiederholen, war nur so eine Idee von mir. Du hast natürlich recht mit deinen Einwänden, Hagen.“ Bestätigte Erika.

„Aber mysteriös ist Andrea schon, da kann ich nur zustimmen, sie hat etwas Unheimliches an sich, bei aller Freundlichkeit, die auch ich nur bestätigen kann.“ Fügte Helga hinzu.

„Wir sollten auch auf die ein Auge werfen! Ich denke das könnte nicht schaden!“ Schlug Randolf vor.

„Gute Idee! Ist der Überlegung wert!“

Gunnar setzte zu einer Erwiderung an verbiss sich die Worte jedoch.

„Du wolltest noch etwas sagen Gunnar? Wir hören gespannt.“ Hakte der Bürgermeister nach.

„ Naja also, ich meine die Andrea zu beschatten könnte ich übernehmen. Ist kein Problem für mich.“

„Das glaube ich kaum! Männer sind bei der nicht gerade willkommen. Die steht zu hunderpro auf Frauen. Ich fürchte da übernimmst du dich.“ Randolf hielt wenig von diesem Vorschlag.

„Hat die denn Tiere auf ihrem Hof?“ Wollte Gerhard wissen.

„Was soll die Frage?“ Entgegnete Hagen.

„Na, dann könnte doch Helga die Sache übernehmen. Die wird sie wohl kaum von ihrem Hof werfen:“

„Ich kenne den Hof. Sie hat zwei Katzen und zwei Ziegen. Was für eine Frage ich war schon ein paar Mal dort, seit sie hier lebt und natürlich hat sie mich nicht rausgeworfen, ganz im Gegenteil!“

Sprach Helga die letzten Worte beinahe ehrerbietig aus und ein freudiges Lächeln verklärte ihr Gesicht.

„Und wie dürfen wir das verstehen? Das interessiert mich aber gewaltig.“ Bekundete Gunnar seine Neugier.

„Natürlich möchtest du das wissen? Sie hat mir ein konkretes Angebot gemacht!“

„Ein Angebot??“

„Ja, ein Angebot! Sie wollte, dass ich ihr Modell stehe!“

„Und? Hast du zugesagt?“

„Weder noch! Ich sagte das ich es mir nochmal überlegen wollte. Die Entscheidung steht noch aus. Aber jetzt hat sie ja Elena. Die gibt natürlich bedeutend mehr her. Ich hätte es tun sollen, im Nachhinein ärgere ich mich ein wenig.

Wäre sicher ein prickelndes Erlebnis gewesen.“

„Ich würde an deiner Stelle am Ball bleiben und noch mal nachfragen. Warum nicht noch ein Modell? Oder mit Elena zusammen? Hey, das wäre doch was!“ In Gunnar Augen leuchtete reine Begierde.

„Genug! Wir schweifen schon wieder vom Thema ab.“ Sah sich der Bürgermeister zum Einschreiten genötigt.

„Aber womöglich hat Gunnar sogar recht, Helga. Du könntest dich bei Andrea noch mal in Erinnerung bringen. Ich denke schaden kann es auf keinen Fall.“

„Wenn sie demnächst wieder bei mir im Laden ist werde ich sie auch näher unter die Lupe nehmen.“

Auch Erika schien ein beachtliches Interesse daran zu haben hinter Andreas Geheimnis zu kommen.

„Ich bin Ende der Woche eh wieder in der alten Mühle. Andrea wollte sich ein Pferd zulegen und bat mich um meinen Rat. Vielleicht bringe ich da schon etwas in Erfahrung. Versprechen kann ich allerdings nichts.“ Bot sich Helga an.

„Ja, das wäre schon mal was! Ich denke wir können es dabei belassen. Mir fällt im Moment auch nichts weiter ein, dass wir unternehmen könnten. Haltet Augen und Ohren offen! Sollte es irgendwelche Merkwürdigkeiten geben, meldet mir das einfach, dann werden wir weitersehen!“ Erwiderte der Bürgermeister und es klang schon fast wie ein Schlusswort.  

Im Moment konnten sie in der Tat nicht mehr tun. Wie es mit den beiden Bunkerbewohnern weitergehen sollte, stand nach wie vor in den Sternen.

Noch schützte sie die Abgeschiedenheit der Gegend. Doch Cassian war unberechenbar, man musste stets mit ihm rechnen, vor allem in jenem Moment, wenn er seine Macht endgültig gefestigt hatte.

 

Die Nacht kam. Der Vollmond stieg am Himmel auf und erhob sich über die Dächer des Dorfes, übergoß das Land mit Licht und tauchte es in einen geisterhaften Schimmer, als sich die Teilnehmer der Gemeindratssitzung auf den Nachhauseweg begaben.

 

Die nächsten Tage glichen sich, als wären sie so von ein und derselben Hand, aus ein und der selben Quelle geschöpft.

Hier auf dem Lande schien die Zeit einen anderen Rhythmus nachzugehen. Die Anfechtungen der Welt schienen sich hier abzumildern, gleich einer Welle, die in sanften Zügen zum Ufer strebt.

Das Internet funktionierte noch immer nicht so wie es hätte sein sollen und so trafen die Nachrichten meist erst verspätet in die Abgeschiedenheit der ländlichen Idylle.

Cassian hatte seine geplante Krönung erneut verschoben, das tat er jetzt schon zum dritten Mal, damit rückte auch die geplante Hochzeit mit Madleen immer weiter nach hinten.

Warum, konnte niemand in Erfahrung bringen, es wurde geradezu ein bleierner Mantel des Schweigens darüber ausgebreitet. Kaum einer wagte in der Öffentlichkeit darüber zu sprechen. Nur hinter vorgehaltener Hand wurden Gerüchte laut, wonach sich Madleen hartnäckig weigerte seiner Bitte nachzukommen. Gerade deshalb wurde dieses Ereignis den Bewohnern Neu-Melancholanies tagtäglich durch die Medien vor Augen geführt und so getan als sein alles in bester Ordnung.

 

Eine Galgenfrist? Elena wurde aufgrund dieser Tatsache von Tag zu Tag nervöse, je näher das Datum rückte. Sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen, doch die Anspannung schien ihr ins Gesicht geschrieben. Sie tat alles, um sich abzulenken nur um nicht daran erinnert zu werden und schuf sich eine festgezurrte Tagesstruktur. Zeiten, die sie mit Andrea verbrachte, Zeiten, die sie an Neidhardts Seite weilte und Zeiten, die sie allein mit sich und ihren Gedanken war, wechselten einander ab.

Die Nächte verbrachte sie noch immer im Bunker mit Neidhardt, obgleich die Sehnsucht nach Andrea Körper und Seele in immer heftigere Wallungen versetzte. Es gab immer häufiger Situationen, in denen sie überreagierte. Neidhardt bekam das oft in aller Heftigkeit zu spüren.

So war es auch in dieser Nacht.

Unruhig wälzte sich Elena von der einen zur anderen Seite. Gedanken bohrten sich wie spitze Pfeile in ihren Kopf. Sie konnte auch in dieser Nacht nicht richtig abschalten. Neidhardts wuchtiger Körper ruhte an ihrer Seite, langsam und gleichmäßig konnte sie seinen Atem spüren. Sie hörte eine Weile zu bis sie schließlich nach oben fuhr.

„Hey Neidhardt, wach auf! Wach auf ich muss dir unbedingt eine wichtige Frage stellen.“

„Wie? Was? Was ist los?“ Stöhnte der unsanft Geweckte neben ihr auf.

„Sag mal, die Sache mit Colette damals, die wollte ich dir schon immer mal stellen. Wolltest du die gute alte Colette tatsächlich als Sklavin in deinem Hause halten. Du erinnerst dich? Das bewusste Würfelspiel, als es darum, ging Eve aus Deutschland zu Chantal zu bringen?** Ich habe mich immer wieder gefragt ob du so weit gegangen wärst!“ Raunte ihm Elena unsanft ins Ohr, während sie beständig an ihm rüttelte.

„Hääääh…, was ist los… Würfelspiel? Colette? Wie in aller Welt kommst du… darauf? Es ist mitten in der Nacht! Hast du den Verstand verloren?“

„Ich muss es wissen! Es geht mir schon seit Tagen durch den Kopf. Du hättest sie wirklich wie eine Gefangene gehalten? Eine entsetzliche Vorstellung, da läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter.“

„Mein Gott Elena! Wie soll ich das jetzt noch wissen? Das ist solange her, das ist doch gar nicht mehr wahr. Ich… ich weiß es nicht. Jetzt lass mich in Ruhe schlafen! Verdammt noch mal!“

Neidhardt schlug vor Wut mehrmals auf das Kopfkissen ein und versuchte sich wieder zu platzieren.

„Nein, so leicht kommst du mir nicht davon. Ich möchte eine Antwort, und zwar auf der Stelle, eher lass ich dich nicht in Frieden!“

„Ach, das ist doch nur ein Vorwand!“ Neidhardt schoss in die Höhe.

„Seit Tagen geht das nun schon so, Nacht für Nacht! Du bist doch völlig überdreht. Was ist denn nur los mit dir? Nein, ich werde dir nicht antworten! Wenn überhaupt, dann hat das bis Morgen Zeit.“ Er warf sich zurück auf die Kissen.

„Dann eben nicht! Dann gehe ich! Hörst du ich gehe!“ Ich muss ja nicht mit dir schlafen, wenn dir das nicht mehr gefällt!“ Drohte Elena

„Ja, tue das! Geh mit Gott, aber geh! Lass mich endlich in Ruhe schlafen, das ist alles wonach mir im Moment ist!“

„Gut! Wie du willst! Ich wünsche angenehme Träume!“

Elena erhob sich und schritt nackt, wie sie war aus dem Zimmer. Sie hatte ihr eigenes Schlafzimmer gegenüber, lag aber für gewöhnlich bei Neidhardt.

So ging es nun schon gut zwei Wochen. Diese nächtlichen Zankereien wurden schon fast Gewohnheit. Doch wie so oft klopfte Elena auch in dieser Nacht reumütig nach kaum 5 min an der Tür und lugte wenig später durch den Schlitz.

„Neidhardt schläfst du schon?“

„Ja!!!“

„Bitte entschuldige! Ich war wieder blöd! Ich schäme mich dafür! Darf ich wieder zu dir kommen?“

„Komm rein! Aber gib endlich Ruhe! Ich bin ein alter Mann und brauche meinen Schlaf!“

„Oh danke! Danke, lieber ,lieber Neidhardt! Ich bin auch ganz brav, versprochen!“

Elena hastete ins Zimmer und lies sich schwungvoll auf das Bett fallen, schlang im Anschluss ihre langen eleganten Beine und Arme um den massigen Körper neben ihr.

„Hmmmmm.  Hmmmmm!“ Vernahm sie das Stöhnen.

„Als Entschädigung möchte ich dich auf ganz besondere Weise verwöhnen.“

Sie begann ihn zu streicheln, was teils recht heftig von Statten ging.

„Elena du sollst mich nicht kitzeln!“

„Tue ich doch gar nicht!“

„Haaahh! Ich gebe mich geschlagen, Neidhardt kapituliert! Leb wohl du gesunder Nachtschlaf, den es an Elenas Seite wohl nie geben wird.“

 

Somit hatte alles wieder seine Ordnung, zumindest vorläufig, bis zu Elenas nächsten Ausraster.

Neidhardt versuchte sich auf diese Situation einzustellen, die wohl erst beendet würde, wenn die Hochzeit zwischen Cassian und Madleen besiegelt war. Doch in welches schwarze Loch drohte Elena dann zu versinken? Wie würde sie mit dieser Tatsache leben?  Konnte es danach unter Umständen noch schlimmer werden? Neidhardt wagte kaum daran zu denken.

 

Als sich die beiden am Morgen darauf am Frühstückstisch eingefunden hatten, schien der Haussegen wiederhergestellt. Wie so oft frühstückten sie zeitig, um sich dann ihren jeweiligen Aufgaben zu widmen.

Elena war an diesem Morgen sehr schweigsam, ein Umstand der so ganz und gar nicht zu ihr passte, auch das mit Sicherheit dem Umstand geschuldet war, welcher Last sie sich ausgesetzt sah.

Neidhardt versuchte die Lage etwas zu entschärfen und sah den Augenblick gekommen Elena ein Geheimnis anzuvertrauen, dass er schon seit geraumer Zeit mit sich herumtrug. Nach wie vor suchte er nach dem passenden Augenblick und sah ihn an diesem Morgen für gekommen.

Er griff in die Brusttasche seiner Jacke, zog nach kurzem Zögern ein Foto heraus und platzierte es auf dem Tisch. Zu sehen war das Porträt einer hübschen jungen Frau im Teenageralter, mit verschmitztem Lächeln auf den Lippen

Elena griff danach, betrachtete es kurz mit sichtlichem Interesse und legte es dann wieder auf Neidhardts Platz.

„Hmm! Hübsch! Und wer ist das?“

„Das ist….ähm… äh, ja äh. Das ist meine Tochter Lucy!“

„Mmmpppfff!“

Elena, die gerade im Begriff war aus der Kaffeetasse zu trinken verschluckte sich und spukte auf die Untertasse im Anschluss bekam sie einen heftigen Hustenschauer.

Verärgert über diese Reaktion hob Neidhardt das Bild vom Tisch und lies es wieder in seiner Jackentasche verschwinden.

„Danke! Du bist heute wieder sehr galant. Direkt wie immer. Entschuldige, dass ich dich damit belästigt habe.“

„Nein, nein Neidhardt, bitte verzeih mir.“ Erwiderte Elena mit noch heiser klingender Stimme.

„Komm, gib mir das Bild noch einmal. Meine Reaktion war dämlich. Es ist nur so, ich bin total überrascht. Bitte, bitte gib es mir noch mal!“

Mit zerknirschter Miene holte Neidhardt das Bild erneut hervor und reichte es Elena.

Erneut nahm sie die Person auf dem Foto in Augenschein, dabei weiteten sich ihre Augen und signalisierten aufsteigendes Interesse.

„Aber, aber…. die ist wunderschön! Neidhardt, du hast ein Kind, du hast eine Tochter. Das ist wunderbar. Ich weiß noch immer nicht was ich sagen soll. Ich freue mich doch für dich. Du hast dein Leben weitergegeben. Was für eine Vorstellung. Aber… wie in aller Welt hast du das gemacht?“

„Na, das war`s ja wohl. Die abgebrühte Elena, nach allen Seiten erfahren in sexuellen Dingen, will von mir wissen, wie ich ein Kind zustande gebracht habe!“ Stellte Neidhardt mit großer Verwunderung fest.

„Natürlich weiß ich wie ein Kind gezeugt wird. So habe ich es auch nicht gemeint. Wann Neidhardt? Wann hattest du Gelegenheit dazu? Du, der Vollzeitrevolutionär, der stets von sich behauptete mit der Politik verheiratet zu sein.  Wie alt ist sie denn überhaupt?“

Versuchte Elena voller Neugier in Erfahrung zu bringen, während sie sich erneut die Tasse mit Kaffee füllte.

„19! Sie ist gerade 19 geworden!“

„Hmm 19! Also ist das bewusste Ereignis ihrer Entstehung gut 20 Jahre her. Hmm….“

Elena begann zu überlegen, rechnete und kombinierte. Man sah ihr regelrecht an, wie sie ihre kleinen grauen Zellen strapazierte

„Vor 20 Jahren, wo warst du damals?“

„Im Exil, in meinem dritten Exil genau genommen. In jenen Tagen war meine Partei erneut verboten. Ich musste Melancholanien verlassen, auf meinem Kopf wurde ein hoher Preis ausgesetzt und überall im Lande nach mir gefahndet. Ich flüchtete nach Deutschland, genau genommen ins Rheinland, Siebengebirge. In der Nähe von Bonn. Dort kam ich zunächst in einem Landgasthof unter. Mitten im Wald gelegen, wunderschöne Gegend. Kennst du in deiner Eigenschaft als Globetrotterin das Siebengebirge?“

„Ja, ich war schon mal dort. Ist in der Tat eine schöne Gegend. Ich kann mir vorstellen, dass es dir dort gefallen hat.“ Stimmte Elena zu.

„Naja, die Genossen der Auslandsabteilung haben sich um mich gekümmert, soweit lief alles gut.

Aber trotzdem fühlte ich mich in der Fremde. Ich arbeitete viel, schrieb wie ein Besessener, las Unmengen an Büchern, ging bei gutem Wetter viel spazieren und sah mir Natur und Sehenswürdigkeiten an. Aber ich fühlte mich allen, ich war 20 Jahre jünger und noch nicht der Eremit von heute.“

Elena griff nach seiner Hand und drückte sie ganz fest.

„Da war Martha, eine Lehrerin, Anfang 30, frisch geschieden, neu zugezogen und ebenso wie ich in einer Neuorientierungsphase. Wir lernten einander kennen als wir beide einen Schiffsausflug auf dem Rhein unternahmen. Ich weiß es noch wie heute, es war genau als wir die Stelle unterhalb des Drachenfels passierten, bei Bad Honnef. Wir standen zufällig nebeneinander und blickten hoch zu jener majestätischen Felsformation. Als wir die Köpfe senken kreuzten sich unsere Blicke und es war geschehen. Wir kamen ins Gespräch über die wunderschöne Landschaft, die uns umgab und dann, ja dann kamen wir uns auf irgendeine unerklärliche Weise näher und näher.“

Elena hing an seinen Lippen und es schien als erlebe sie die geschilderten Szenen im Geiste noch einmal persönlich mit.       

Sie lehnte ihren Kopf an seine massigen Oberkörper worauf er seinen Arm um sie legte und an sich zog.

„Weiter Neidhardt. Es klingt so wunderschön, das ich glaube dabei zu sein, wenn du erzählst.“

„Naja, was gibt es da noch zu berichten? Wir gingen an der nächsten Anlegestation von Bord, liefen zu einem gemütlichen Weinlokal und genossen einen vorzüglichen Rheinwein und aßen die Spezialitäten des Hauses. Ich war damals Mitte vierzig und es war mein erstes Rendevous. Du verstehest, was ich damit sagen will. Ich fürchtete stets mich zu blamieren. Meine Ausstrahlung war schon zu jener Zeit so hölzern wie heute. Martha lies es mich nicht spüren. Ich gewann in ihrer Nähe eine Souveränität über meine Gefühle, wie ich es nie für möglich gehalten hätte.

Der Tag verging schnell, sehr schnell. Schon war der Ausflug zu Ende. Nun das wars, dachte ich mir. Schöner Tag, schönes Erlebnis. Mehr kann ich wohl nicht erwarten. Doch zu meinem Erstaunen blieb es nicht dabei. Wir tauschten unsere Telefonnummern. Natürlich war ich zu feige mich bei ihr zu melden. Dann rief sie an und ergriff die Initiative. Wir sahen uns wieder und die Dinge nahmen ihren Lauf. Es begann die bisher schönste Zeit meines Lebens. Sie war sehr kunstinteressiert und überredete mich sie zu begleiten in Museen, in Dichterlesungen, in Theater, Konzerte und was es alles zu bestaunen gab. Ja und sie weckte mein Interesse. Auch in die Natur lernte ich durch sie neu zu schätzen. Und dann ist es eben passiert. Wie liebten uns, einfach so. Ich kann es nicht ableugnen. Doch schon kurze Zeit später trennten sich unsere Wege.“

„Aber warum?“ Versuchte Elena eine ihm Antwort zu entlocken

„Ich musste auf die Schnelle nach Melancholanien zurück. Der Bann über mich war aufgehoben. Die Partei brauchte mich für den Neustart. Es gab viel zu tun. Ich hatte keine Zeit zurück zu blicken.“

„Aber deine Tochter? Hast du denn nie versucht in Erfahrung zu bringen, wie es ihr geht?“

„Ich wusste nichts von ihrer Existenz, bis ich vor drei Jahren einen Brief von ihr erhielt. Sie glaubte mich davon in Kenntnis setzen zu müssen das Martha, also ihre Mutter verstorben ist.“

„Das tut mir unendlich leid. Drei Jahre weißt du schon von ihrer Existenz? Und du hast nie etwas gesagt. Lass mich überlegen, das war die Zeit als wir uns langsam näherkamen. Du warst noch an der Macht in Melancholanien, aber die Revolution bahnte sich schon ihren Weg. Ich bereitete mich auf die Amtsübernahme vor. Eine turbulente Zeit, klar, da hatten wir alle etwas anderes im Kopf. Bist du dir sicher, dass es sich tatsächlich um deine Tochter handelt?“

„Am Anfang hatte ich natürlich Zweifel und war der Meinung, dass mich jemand zum Narren halten wollte. Doch sie berichtete mir über Ereignisse ,die ihr nur ihrer Mutter anvertrauen konnte. Martha muss sie sehr genau über mich unterrichtet haben. Sie scheint schon lange gewusst zu haben, dass ich ihr Vater bin. Ich lies von meinem Geheimdienst Nachforschungen anstellen und die berichteten mir davon, dass sie als damals, als 16 jährige, in Bonn gestrandet sei. Sie lebte dort wohl zunächst bei einer Tante, die sich um sie kümmerte. Mehr konnte ich damals nicht herausfinden. Dann siegte eure Revolution und ich wurde entmachtet. Ich konnte nicht weiter nach ihr forschen, tappte lange Zeit im Dunkel. Ich hege keine Zweifel mehr. Sie ist meine Tochter, da ist so ein Gefühl wie ich es bisher nicht kannte. Eine Bindung von unerklärlicher Art, seit ich den Brief zum ersten Mal in meinen Händen hielt.

So als ob da ein unsichtbares Band zwischen uns bestünde. Du kennst dich mit solchen Dingen besser aus, Elena. Deshalb konnte ich mich an dich wenden.“

„Es war vollkommen richtig, dass du mich eingeweiht hast. Und du weißt nicht was aus ihr geworden ist? Wie sie lebt? Was sie tut? Wie es ihr geht? Braucht sie womöglich Hilfe?“  Forschte Elena weiter.    

Neidhardt war ansonsten nicht der Typ, der sich so schnell eine menschliche Regung oder gar Betroffenheit entlocken ließ. Deshalb staunte Elena nicht schlecht über seine umfangreiche Lebensbeichte. Es war überhaupt das erste Mal, dass er so ausführlich über Persönliches berichtete, seit sie ihn kannte.

„Ich habe vor etwa einem Monat Hagen, unseren Bürgermeister gebeten, die Nachforschungen wieder aufzunehmen. Natürlich streng vertraulich, versteht sich von selbst. Und er ist tatsächlich fündig geworden. Sie lebt jetzt in Köln in einer Wohngemeinschaft, so was Alternatives, dürfte die vertraut sein.“

„Wirklich? Na, das nenne ich einen Zufall!“ begeisterte sich Elena. Oder ist es gar kein Zufall, sondern Bestimmung, fügte sie in Gedanken hinzu.

„Hagen hat auch den Kontakt zu ihr gesucht. Aber bisher ist sie noch nicht darauf eingegangen.“

„Das ist schade! Aber womöglich überlegt sie es sich ja noch.“

„Kann ich verstehen! Ich war ein Diktator. Neidhardt der Tyrann, Neidhardt der Unnahbare, so die geläufige negativen Darstellung in den Medien, die sicher nicht einer gewissen Logik entbehrten. Nun bin ich ein gestürzter Machthaber, ohne Ansehen, ein Relikt aus der Vergangenheit. Wer möchte so einen schon zum Vater haben.“

Elena griff mit beiden Händen nach seiner Hand und küsste sie.

„Eine ergreifende Geschichte. Ich bin noch immer gerührt. Ich möchte Lucy gerne kennen lernen.

Ach, wären wir doch noch in Anarchonopolis, dann wüsste ich genau was zu tun wäre. Ihr anbieten zu uns zu kommen und sich der Schwesternschaft anzuschließen. Dann könnte ich wirklich etwas für sie tun. Aber so? Na, uns muss eben etwas anderes einfallen.

In Köln ist sie also, dort wo Colette und die anderen leben.“

In Elenas Augen glänzten die Tränen der Verzweiflung. Sie mühte sich ab die unglückliche Flut ihrer Gefühle unter Kontrolle zu halten.

Wieder einmal mehr wurde ihr bewusst, was sie verloren hatte. Jetzt saß sie hier mit Neidhardt, teilte dessen Schicksal und blickte einer ungewissen Zukunft entgegen.

Beide waren Gefangene ihrer eigenen Vergangenheit.

„Da kommt mir plötzlich eine Idee!“ Ein spontanes Leuchten glühte in Elenas geröteten Augen.

„Warum machen wir uns nicht gemeinsam auf den Weg um sie zu besuchen?“

„Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein?“

„Doch, ich meine was ich sage. Natürlich müssen wir das gründlich vorbereiten. Lass erst mal richtig Sommer werden. In dieser Jahreszeit lassen sich solche Dinge am besten angehen.“

Elenas strotze plötzlich vor Selbstvertrauen. Es schien als sei ihr urplötzliche eine Erleuchtung zuteil geworden. Das konnte kein Zufall sein. Alle Wege strebten dem Anschein nach in eine bestimmte Richtung.    

„Lass uns darüber in aller Ruhe sprechen. Heute Abend zum Beispiel, in unserer gemütlichen Ecke, bei einem Glas Wein?“

„Da mache ich gerne mit! Aber ich kann mich nicht mit dem Gedanken vertraut machen von hier aufzubrechen, ins Ausland. Dafür bin ich schlicht zu alt.“

„Ach Unsinn! Du bist doch nicht alt.“ Elena blickte auf ihre Armbanduhr.“ Ich muss jetzt leider weg. Habe mich schon verspätet. Wie gesagt, lass uns einfach in aller Ruhe darüber reden.“

Elena schien es plötzlich sehr eilig zu haben.

„Du fährst zu Andrea?“

„Richtig! Ich stehe heute wieder Modell, dafür muss ich noch einiges vorbereiten. Ist ein echt prickelndes Gefühl. Sinnlich, erotisch, verführerisch, alles in allem. Das braucht seine Zeit. Aber am späten Nachmittag bin ich zurück.“

„Na, da wäre ich mir nicht so sicher!“ Widersprach Neidhardt mit einem etwas ironischen Unterton.

„Großes Ehrenwort! Deine Geschichte hat mich sehr aufgewühlt, ich möchte mehr davon hören und Pläne für die Zukunft schmieden.“ Versicherte Elena.

Wieder einmal sah sie sich in einer Zwickmühle, schwankte zwischen hier bleiben, um einerseits das hochinteressanten Gespräch fortzusetzen, und dem sinnlichem Erlebnis das sie gleich bei Andrea erleben würde, andererseits. Sie entschied sich für Letzteres, auch wenn sie hätte absagen können.

Erneut musste sie zur Kenntnis nehmen, dass sie sich zwischen zwei Menschen befand, die ihr beide etwas bedeuteten und eine Entscheidung fiel ihr schwer. Gerade jetzt, nach dieser erstaunlichen Neuigkeit, wollte sie Neidhardt nicht gern allein mit sich lassen, doch die geheimnisvolle, sinnliche Schöne, dort drüben in der alten Mühle, zog sie an, wie ein Magnet die Eisenspäne.

Sie konnte es nicht erwarten vor dieser Frau die Hüllen fallen zu lassen.

Nach kurzer Vorbereitung schwang sie sich auf ihr Fahrrad und radelte in Richtung Mühle, sie würde etwa 10 min bis dorthin benötigen.

Es versprach ein schöner Tag zu werden. Eine Lerche, die hoch am Himmel schwebte, sandte ein Lied hernieder, das wie flüssiger Goldregen auf den Boden fiel. Der Frühling schmückte sich mit einem leuchtend grünen Gewand.

Zwischendurch legte Elena immer wieder eine kurze Pause ein, sog die frische Luft des noch jungen Tages tief in ihre Lunge. Sie lauschte auf das Rauschen des Windes im Laub und blickte zu einem fast wolkenlosen Himmel auf. Ein Bussard zog dort voller Eleganz seine Kreise. Ein Anblick der tief verborgene Erinnerungen in ihr wach zu rufen schien. Hatte sie in früheren Zeiten Visionen von Anarchaphilia, war stets ein Vogel dieser Art zugegen.

Konnte das ein Omen sein? Aber nein, die Freiheitsgöttin hatte sich ihr schon lange nicht mehr offenbart. Das war Vergangenheit. Sie strebte doch einem neuen Lebensabschnitt entgegen und der hatte etwas mit jener Frau zu tun, die dort unten in der alten Mühle auf sie wartete. Kaum hatte sie das Gehöft im Blickwinkel spürte sie ein tiefes Verlangen in ihrer Seele. Das Versprechen, dass sie Neidhardt vor wenigen Minuten gegeben hatte, sich auf den Weg zu dessen Tochter nach Köln zu machen und dort so ganz nebenbei den Kontakt zur Schwesternschaft zu suchen schien erst einmal in weite Ferne gerückt. Sie war an diesem Ort eingetaucht in ein neues Leben, war ein anderer Mensch mit zufällig dem gleichen Namen. Anarchonopolis lag in den Nebeln der Vergangenheit verborgen. Warum sollte sie die gerade erst verheilten Wunden wieder aufreißen und sich den unendlichen Schmerzen ausliefern , die sie gerade erst hinter sich gelassen.

Schwungvoll lies sie sich den Abhang hinabrollen und brachte ihr Rad am Eingang abrupt zum Stehen.

Plötzlich begann ihr Herz zu klopfen und ihr Puls raste. Wie in aller Welt konnte das sein? Sie, die souveräne Elena, mit allen Wassern gewaschen was den Umgang mit Liebesabenteuern betraf, fühlte sich wie schon bei vorangegangenen Begegnungen mit Andrea, wie ein Teenager vor dem ersten Rendezvous.

Auch wenn diese Frau Madleen zum Verwechseln ähnlich sah, es war nicht Madleen, rief sich Elena erneut ins Gedächtnis.

Danach stieg sie vom Sattel und begann ihr Rad auf den Hof zu schieben. Die Umgebung war ihr  infolge mehrerer Besuche inzwischen gut vertraut. Sie begab sich direkt auf das Nebengelass zu, dort wo Andrea ihr Atelier untergebracht hatte.

Sie klappte die Standstütze des Rades herunter und betrat die Werkstatt.

„Andrea, bist du zuhause?“

Es kam keine Antwort und Elena ging weiter. Schließlich entdeckte sie die Freundin die gerade im Begriff war Farben auf einer Palette zu mischen.

„Da bist du ja? Ich dachte schon du kommst heute gar nicht mehr rüber.“ Begrüßte Andrea sie und ein Anflug von Erleichterung schwang in ihrer Stimme.

„So ein Erlebnis lass ich mir doch nicht entgegen. Ich hatte ein etwas tief schürfendes Gespräch mit Neidhardt, da vergisst man leicht die Zeit.“ Erwiderte Elena, während sie auf das alte Sofa fallen lies, dass dort an der Wand stand.

„Und wie tief hast du geschürft? Hast du Neuigkeiten in seiner Seele freigelegt?“ Wollte Andrea wissen.

„Ja! Richtig geraten! Dinge die ich kaum für möglich gehalten hätte. Müssen wir uns mal darüber unterhalten, später!“

„Na da bin ich mal gespannt. Ja, also ich wäre mit den Vorbereitungen soweit. Wir können gleich mit der Sitzung beginnen, wenn du magst! Du kannst dich schon mal ausziehen!“

„Das tue ich doch gern!“ Erwiderte Elena mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen.

Langsam und in voller Konzentration begann sie sich von ihrer Kleidung zu befreien, so als gehöre dieses Tun schon zu dem sinnlichen Akt, den sie im Begriff war zu geben.

 

„Was für ein Anblick! Noch nie hatte ich ein sinnlicheres Modell vor Augen. Ich kann es immer wieder sagen.“ Entfuhr es Andrea beim Anblick des entblößten Körpers.

Sie griff nach Elenas Händen, drückte sie sanft und hielt sie eine Weile, dabei blickte sie ihr tief in die Augen. Ja, sie schien in diesem Moment sogar weit tiefer zu blicken, bis in die entferntesten Abgründe ihrer Seele, um dahinter zu kommen was sie in diesem Augenblick bewegte.

Elena fühlte sich plötzlich etwas schwindelig und begann zu schwanken.

„Was ist mit dir? Fühlst du dich nicht wohl?“ Bemerkte Andrea sogleich. Sie schlang die Arme um Elena um sie zu stützen.

„Es geht schon wieder. Ist nur ein kurzer Anflug von Schwindel, hab ich die letzte Zeit häufig. Geht schnell wieder vorbei.“

„Na, das wollen wir hoffen. Komm setz dich wieder aufs Sofa und mach es dir bequem. So schön hinlegen, bis du wieder richtig bei Kräften bist.“

Andrea packte Elena Füße und hob sie auf die Sitzfläche aus weichem dunkelgrünem Plüsch.

„Mochtest du einen Schluck Wasser?“

„Mach dir keine Sorgen Andrea. Glaub mir, es geht gleich wieder. Ich bin nur ein wenig aufgeregt. Das ist alles. Aber einen Schluck Wasser könnte ich in der Tat vertragen.“ Erwiderte Elena, während sie langsam die Beine streckte.

Andrea entfernte sich kurz und kehrte mit einem Glas und einer Flasche Mineralwasser zurück, goss das Glas halbvoll und reichte es Elena, die sich etwas aufrichtete, das Glas ergriff und einen Schluck daraus nahm.

Dann lehnte sie sich wieder zurück auf die Kopfstütze.

Andrea kniete sich direkt neben dem Sofa auf den Boden. Dann fuhr sie mit sanften Handbewegungen durch Elenas Haar, streichelte deren Wangen und Nase.

„Hmmm!“ Löste sich ein Seufzer aus Elenas Brust, danach schloss sie die Augen.

„Das tut gut! Kommt genau zur rechten Zeit!“ Bedankte sie sich.

In Andreas Mundwinkeln bildete sich ein zartes Lächeln.

„Lass dich fallen, Elena! Wir haben viel Zeit? Bleib einfach liegen, solange du magst.“

„Aber ich bin hier, um dir Modell zu stehen!“

„Können wir später nachholen. Jegliches zu seiner Zeit!“

Da war er wieder, jener biblische Spruch, den sie in den zurückliegenden Wochen schon des Öfteren in allen möglichen Zusammenhängen gehört hatte. Was in aller Welt hatte es damit auf sich?

Elena rekelte sich noch einmal ausgiebig, dann begann sie sich aufzurichten.

„Wir sollten jetzt wirklich an die Arbeit gehen. Wenn ich noch länger hier liege, werde ich immer fauler und habe kaum noch Lust aufzustehen.“

„Und? Was wäre daran so schlimm?“

Lockende Versuchung! Sollte Elena ihr schon jetzt nachgeben?

Sie stand auf und diesmal spürte sie festen Boden unter den Füßen.

„Geleitest du mich zum Podest und platzierst mich in der richtigen Stellung!“

Andrea nahm sie an der Hand und führte sie auf einen etwas erhöhten Sockel, dort angekommen musterte sie Elena akribisch genau.

Im Anschluss griff sie nach deren rechter Hand und presste sie sanft auf die etwa ein Meter hohe Gipssäule, die sie dort aufgestellt hatte.

Trat einen Schritt zurück und betrachtete den nackten Körper erneut mit voller Konzentration.

Elena spürte wie sie plötzlich zu erröten begann. Sollte ihr das peinlich sein? Aber warum?

Andrea trat auf sie zu, bückte sich und griff nach ihrem rechten Knie.

„So, den Fuß gebeugt, so dass du auf den Zehenballen stehst und das Knie dabei leicht nach vorn gebeugt. Ja, so ist es richtig! Was für eine sinnliche Haltung.“

Es folgte eine weitere Betrachtung durch die Künstlerin.

„Es fehlt noch was: Ja richtig. Stemme die rechte Handfläche in die Hüften.“

Widerspruchslos befolgte Elena der Anordnung.

„Perfekt! Einfach perfekt! Nun noch den Kopf leicht zur rechten Seite geneigt! Dann haben wir die Göttin Venus persönlich vor uns.“

Es hatte den Anschein, als bemächtige sich eine Ameisenarmee Elenas Körper, das krabbeln auf der Haut wurde immer heftiger.

Andrea nahm Pinsel und Palette zur Hand und machte sich an ihr Werk.

„Zunächst beginnen wir mit den Konturen.“ Klärte die Künstlerin auf. „Es kommt darauf an, wie lange du stehen kannst. Wir machen selbstverständlich in gewissen Abständen Pausen, in denen du dich ausruhen kannst. Ich habe mir etwas ganz besonders ausgedacht, um dich zu entspannen.“

Was in aller Welt war das? Elenas Neugierde schien erneut geweckt. Was hatte sie mit ihr vor? Sich einfach überraschen lassen schien im Moment das Beste.

Die erste Zeit machte das Stehen Elena nichts aus. Sie hatte keine körperlichen Beeinträchtigungen, die ihr diese Haltung erschwerten.

In gewissen Abständen legte Andrea den Pinsel zur Seite und tat auf das Modell zu, um dessen Haltung ein klein wenig zu korrigieren. Dabei bewegte sie Elenas Körperteile sanft und strich über deren Haut.

„Na, schön müde?“

„Keineswegs! Ich genieße den Akt in vollen Zügen! So könnte es noch Stunden weiter gehen.“ Beruhigte Elena.

„Wirklich? Na, da bin ich aber beruhigt. Es gibt nicht wenige, die schon nach 5 min anfangen sich zu beklagen. Ich hoffe dir ist nicht kalt? Wir haben zwar schon Frühling und die Sonne hat schon enorme Kraft, aber die Halle hier benötigt lange bis sie sich aufwärmt.“

„Mach dir keine Gedanken! Wenn es so wäre, melde ich mich schon!“

Die Künstlerin setzte ihre Arbeit fort und musterte ihr Modell dabei weiter genau, fuhr mit den Augen die Konturen des Körpers ab. Elena kam es so vor, als ob sie jeden dieser Blicke deutlich auf der Haut spüren konnte.

Hin und wieder bewegte Elena den Kopf, um sich in der Halle etwas näher umzusehen.

„Verzeih, wenn ich mich bewegt habe!“ Glaubte sie sich entschuldigen zu müssen.

„Keine Ursache. Ich habe deinen Gesichtsausdruck eingefangen. Dein Blick prägt sich in tief in mein Bewusstsein. Ein Blick den die Welt kennt. liebt und verehrt. Ich hätte mir niemals träumen lassen dich einmal persönlich vor Augen zu haben, geschweige dem als Modell.“

Zunächst achtete Elena gar nicht genau auf die soeben gehörten Worte und gab sich weiter ihren Gedanken hin. Doch kurze Zeit später durchfuhr sie ein Schrecken. Ein Blick den die Welt kennt? Was bedeutete das? Doch nur dass Andrea ihre wahre Identität herausgefunden hatte.

„Du…du weißt wer ich in Wirklichkeit bin?“

„Selbstverständlich! Das war nicht schwer zu erraten. Dieses Gesicht ist einmalig. Du bist eine Prominente Elena und dazu dieser zauberhafte Körper. Alle kennen dich hier! Hast du tatsächlich geglaubt dich tarnen zu können?“

Für eine Schrecksekunde verschlug es Elena die Sprache, doch dann besann sie sich und betrachtete die Angelegenheit als nicht weiter tragisch. Natürlich konnte sie nicht davon ausgehen, ihre wahre Identität auf Dauer geheim halten zu können. Wahrscheinlich war es sogar das Beste.

„Wie lange weißt du es schon?“ Wagte sie zaghaft zu fragen.

„Ach schon von Anfang an. Wie gesagt, war nicht schwer zu erraten. Du warst eine Berühmtheit und in allen Medien präsent. Deine Todesmeldung habe ich nie geglaubt und war entsprechend erleichtert dich hier so quicklebendig vor mir zu sehen. Natürlich wollte ich dich nicht direkt darauf ansprechen, vor allem nachdem du mir einen anderen Namen genannt hast. Aber nun ist es raus und wir brauchen uns nicht weiter im Versteckspiel zu verlieren.“

„Oh, ich glaube ich müsste doch mal ne kleine Pause einlegen!“ Elena löste sich aus ihrer Haltung und betrat die Stufen des Podestes. Blitzschnell lies Andrea den Pinsel fallen, griff nach ihr um ihr dabei behilflich zu sein.

Eine flauschige Decke lag griffbereit in der Nähe. Andrea hüllte Elena damit ein und geleitet sie zum Sofa. Nachdem die dort Platz genommen hatte, lies sich die Künstlerin neben ihr nieder.

„Hast du kalte Füße?“ Noch bevor Elena eine Antwort geben konnte hatte Andrea deren Füße umfasst, hob sie vorsichtig auf ihren eigenen Schoß und begann sie in sanften Bewegungen zu massieren. Sie schien außerordentlich besorgt um ihr kostbares Modell.

„Ich denke es ist Zeit für eine größere Pause! Wenn die Füße wieder warm sind, mache ich uns einen Tee und Gebäck habe ich auch besorgt. Wir gehen dafür rüber ins Haus.“

Lud Andrea ein.

„Soll ich mich zunächst wieder anziehen?“ Wollte Elena wissen.

„Nun, ich denke das empfiehlt sich. Du kannst selbstverständlich auch nackt über den Hof laufen, mich stört der Anblick auf keinen Fall, ganz im Gegenteil. Aber angezogen ist doch irgendwie besser, oder?

„Natürlich! Was für eine Frage!“ Beide mussten herzhaft lachen.

Während sich Andrea schon ins Haus gegenüber begab, begann sich Elena anzukleiden.   

Sie schlenderte im Anschluss über den Hof, dabei mehrmals tief ein und ausatmend.  Ihre Gefühle waren in Aufruhr. Bisher hatte sie noch nie bei Andrea übernachtet. Sollte sie auch heute eine etwaige Einladung ausschlagen?

Vor allem jetzt, da Andrea ihr Geheimnis gelüftet hatte? Sie brauchte nun nicht mehr zu befürchten sich zu verraten und konnte ganz offen über ihre Gefühle, Wünsche und Probleme reden, auch oder gerade was ihren derzeitigen Status betraf.

Von Frau zu Frau eben. Dinge, über die sie mit Neidhardt nun einmal nicht reden konnte, so nahe sie ihm auch inzwischen stand.

Sie spürte ein tiefes Verlangen nach Nähe, andererseits aber hatte sie Neidhardt hoch und heilig versprochen, am Abend zurück im Bunker zu sein, weil sie das Gespräch vom Morgen fortzusetzen gedachte.

Es war einfach zu verflixt. Warum nur musste ausgerechnet sie immer wieder in solche Situationen geraten?

Sie richtet ihren Blick gen Himmel. Schon wieder dieser Bussard, voller Ruhe und Gelassenheit schwebte er über ihr als habe er eine dringende Botschaft zu überbringen.

„Wo bist du Anarchaphilia? Ich weiß, dass du in der Nähe bist! Ich habe deinen Boten wohl bemerkt. Zeige dich mir! Schenke mir deine Aufmerksamkeit!“

Entfuhr es ihr spontan.

„Was? Hast du etwas gesagt Elena?“ Erschien Andrea plötzlich im Eingang zum Wohnhaus.

„Wie? Äh…nein…äh, ich habe nur mal wieder laut gedacht!“

Andrea quittierte ihr das mit einem sanften Lächeln, dass die sicher bald erfolgende Einladung schon vorausschickte.

Elena betrat das Haus durchschritt den Flur und befand sich im Wohnzimmer wieder.

Sie ließ sich am geschmackvoll gedeckten Tisch nieder.

„Es gibt italienische Limone, ich hoffe du magst die Teesorte?“

„Italienische Limone?“

„Ja! Magst du ihn am Ende doch nicht?“

„Nein! Nein! Ist schon in Ordnung! Es ist nur…. Es ist Colettes Lieblingssorte.“
Elena musste hartnäckig mit den Tränen kämpfen.

„Elena, was ist mit dir? Hast du Kummer? Möchtest du ihn mit mir teilen?“

Andrea rückte zu ihr auf und legte voller Anmut den Arm um ihre Schulter. Mit der anderen Hand durchfuhr sie sanft deren Lockenmähne.

„Nun, jetzt, da du dich meiner wahren Identität bewusst bist, kannst du es dir sicher denken. Ich bin eine lebende Tote, eine Nichtexistenz. Meines Zuhauses beraubt, getrennt von allen die ich liebe. Werde ich sie jemals wieder sehen? Colette, die mir wie eine große Schwester ist und all die anderen. Weit, weit weg, im Exil. Und Madleen natürlich, meine Frau, die ich noch immer so unendlich liebe. Ja, du siehst ihr sehr ähnlich. Was geschieht hier mit mir? Ich fühle mich einerseits wohl, in dieser schönen Gegend, in diesem neuen Leben und bin bereit mich darauf einzulassen, was auch immer es bringen mag. Doch kann ich andererseits nicht loslassen. Der Drang aufzubrechen zu den Schwestern, er wächst beständig. Ach, was soll ich nur machen?“

Sprudelte es aus Elena hervor wie eine Quelle aus dem Schoss der Erde.

„Trink erst einmal einen Tee!“

Andrea goss eine Tasse voll.

„Die Butterplätzchen sind sehr gut. Vom Bäcker aus dem Dorf auf der anderen Seite.“

Sie platzierte eines jener Teile kunstvoll auf Elenas Teller.

„Das hört sich alles sehr traurig an. Ja, nachdem ich deine wahre Geschichte kenne, kann ich mir einen Reim darauf machen. Die Traurigkeit die beständig in deinen Augen glänzt, ist mir schon bei unserer ersten Begegnung aufgefallen. Was kann ich dir sagen? Was könnte ich dir für einen Rat geben? Einen Ratschlag von der Stange, wie es die Psychologen tun? Mit Sicherheit nicht.

Aber ich denke, den erwartest du auch nicht von mir!“

„Nein, bestimmt nicht! Es ist alles so sonderbar. Stets war ich diejenige, die andere zu trösten hatte, ihnen einen Weg wies, neuen Lebensmut einhauchte. Es waren so viele die ich in den Armen wog und liebkoste und somit den Druck von ihren Seelen nahm.“

„Du meinst den therapeutischen Beischlaf?“ Erkundigte sich Andrea.

„Ja! Erkennst du mein Dilemma? Ich wollte mir das Leben nehmen. Ja, ich tat es und wenn Neidhardt mich nicht gerettet hätte wäre ich jetzt schon lange dort oben unterwegs, irgendwo zwischen Sirius und Wassermann auf den Weg in die Unendlichkeit.“ Elena wies mit dem Finger in Richtung Himmel.

„Stattdessen bist du hier! Hier bei mir.“ Redest mit mir, schüttest mir dein Herz aus, stehst mir Modell, gehst mit mir spazieren und leistest mir auch anderweitig Gesellschaft.

Bist aller Verantwortung enthoben und nur dir selbst verpflichtet, wenn wir einmal von Neidhardt absehen, der aber auch ganz gut ohne dich zurechtkommt, wie er ja hinlänglich bewiesen hat. Du bist auf dich selbst zurückgeworfen und kannst dich nicht darauf berufen immer nur für andere das Beste zu wollen.

Wann hattest du das schon einmal in deinem Leben, ich meine für längere, möglicherweise unbestimmte Zeit?“

Elena kam ins Überlegen. Andrea hatte die Wahrheit ausgesprochen. Noch nie zuvor hatte sie so lange im Verborgenen gelebt. Noch nie war sie solange der Verantwortung anderen gegenüber enthoben. Noch nie schien eine Wende so endgültig und allumfassend zu sein

„Du wolltest Schluss machen, für immer aus dem Leben treten? Klar, du warst am Ende, alles brach über dich zusammen. Doch du wurdest gerettet. Das muss einen Grund haben, oder siehst du das anders?“

„Natürlich! Das ist es was mir Neidhardt auch stets und ständig unter die Nase reibt. Und es vergeht kein Tag, an dem ich mir diesen Umstand nicht selbst ins Bewusstsein rufe. Ach, es gab schon so viele Wendungen in meinem Leben, die alle ihren Sinn in sich hatten. Doch im Gegensatz zu heute führten sie mich stets in meiner Entwicklung weiter. Ließen mich wachsen, gaben mir neue Kräfte für eine neue Aufgabe. Doch heute? Alles vorbei und vergessen. Ja, du hast Recht, ich war tot und lebe wieder, im Verborgenen. Aber für die Öffentlichkeit da draußen bin ich tot. Tot und vergessen!“

„Könnte nicht gerade in diesem Umstand die Chance deines Lebens liegen? Alles hinter dich lassen? Die ganze Verantwortung und vor allem den großen Namen, der dir doch nur noch im Wege war. Hast du nicht immer den Wunsch verspürt dich von allem zurückzuziehen? Natürlich nicht allein. Mit denen die deinem Herzen am nächsten stehen. Irgendwohin zu gehen, wo dich niemand kennt, in kleinem Maßstab neu anfangen. Ein Einfaches, Unauffälliges aber glückliches Leben zu führen? Einmal nur mal an dich denken?“

„Das ist es ja, ich bin eben nicht unbekannt. Du hast mich erkannt und ich gehe mal davon aus das mich in der Zwischenzeit auch viele andere Dorfbewohner erkannt haben. Mit der Anonymität ist es also erst mal Essig. Damit nicht genug. Es könnte sogar sein, dass ich eine Gefahr für die ganze Dorfgemeinschaft bedeute, wenn meine wahre Identität ans Tageslicht gelangt.“ Erwiderte Elena mit vollem Mund. Die Cremetörtchen schienen ihr zu schmecken.

Andrea goss noch einmal Tee nach.

„Hast du Honig reingetan? Schmeckt besonders gut!“

„Ja, so wie es Colette immer zu tun pflegt!“ Kam prompt die Antwort.

„Hast du es gemerkt?“

„Was denn?“ Wollte Elena erschrocken wissen.

„Du hast schon wieder von Colette gesprochen. Alles, auch die kleinsten Kleinigkeiten erinnern dich an deine alten Freunde. An dein altes Leben. Du steckst noch mittendrin. Deine Seele hat noch nicht losgelassen. Das aber sollte sie, wenn sie wirklich Ruhe finden will.“ Sagte Andrea ihr wahr.

„Loslassen? Das kann ich nicht! Ich bin Teil der Schwesternschaft. Ich gehöre zu ihnen. Die Töchter sind mein Leben. Ihnen habe ich mich geweiht. Ohne sie hat mein Leben keinen Sinn.

Es ist meine Bestimmung. Hier lebe ich ein Leben im Exil.“ Wies Elena diesen Vorschlag energisch zurück.

„Du möchtest zurück?“

„Aber natürlich!“

„Nun, dann lass dich nicht aufhalten. Reisende soll man ziehen lassen!“

Andreas Stimme klang auf einmal barsch und abweisend. Sie vermochte ihre Enttäuschung kaum zu verbergen

Elena schluckte den Bissen hinunter, um ein Haar hätte sie sich dabei verschluckt. Ein beklemmendes Gefühl der Angst legte sich ihr eiskalt auf die Brust.

„Nein, nicht jetzt! Nicht spontan. Wenn überhaupt. dann später, es muss alles gründlich vorbereitet sein.

Ich muss ganz sichergehen den richtigen Zeitpunkt abzupassen.“

„Was macht das für einen Unterschied, ob ich dich auf der Stelle verliere oder in ein paar Wochen oder Monaten. Du wirst aus meinem Leben treten und mich zurücklassen.“ Entgegnete Andrea mit vor Niedergeschlagenheit schwerer Zunge.

Elena senkte ihren Blick. War es ihr doch wieder einmal gelungen einen Menschen, der ihr etwas bedeutete zu verletzen.

„Ich… ich wusste nicht, dass ich dir so viel bedeute! Das erklärt natürlich alles!

Andrea sank vor Elena auf die Knie und griff begierig nach deren Hände.

„Elena ich bitte dich! Bleib hier! Bleib bei mir! Es war kein Zufall das unsere Wege sich kreuzten. Alles hat seine Bestimmung. Du glaubst doch auch daran. Ich liebe dich. Ich tue es vom ersten Augenblick unserer Begegnung. Was du auch willst, ich will es dir geben. Hier bei mir wirst du Ruhe und Frieden finden. Lass uns ein gemeinsames Leben beginnen, durch die Welt reisen, Neues erkunden. Wenn du in mir Madleen siehst, weil ich ihr so ähnlich sehe, kann ich das akzeptieren, rede mich von mir aus mit ihrem Namen an, das ist mir gleich, wenn ich nur in deiner Gegenwart leben darf.“

Andrea begann Elenas Handflächen zu küssen.

„Andrea sieh mich an! Ich fühle mich geehrt, ich weiß nicht was sich sagen soll. Es ist wunderbar, es ist…. es ist…. ach mensch, was machst du denn mit mir…“

Elena umarmte die Freundin fest und es folgte ein leidenschaftlicher Kuss. Die Welt um sie herum begann im Nebel zu versinken. Die Gefühle fuhren Achterbahn. Der logische Verstand vorübergehend auf Eis gelegt.

Ihr ganzes problemgeladenes Leben schien auf einmal von Elenas Schultern zu fallen. Selten hatte sie sich so befreit gefühlt.

Die Umarmung wurde immer heftiger. Gierig griff Andrea nach Elenas Körper.

„Immer dann, wenn du in letzter Zeit Modell standest und ich deinen Körper vor mir hatte, überkam mich das Verlangen. Du bist eine Göttin für mich! Ich bete dich an. Wende dich mir zu, höre auf das Flehen deiner Verehrerin.“

Andrea griff nach Elenas Hand und zog sie sanft auf die Beine.

„Komm mit mir! Wir haben uns schon viel zu lange Zeit gelassen. Wir wollen doch beide das Gleiche. Ein Blick in deine Augen verrät mir die tiefe Sehnsucht dahinter. Wir brauchen uns nicht mehr vorzumachen!“

Elena wollte etwas erwidern, doch die Worte stockten auf ihrer Zunge. Sie fühlte sich wie eine Fliege, die sich in ein Spinnennetz verfangen hatte. Alles in ihr drängte danach der flehentlichen Bitte nachzukommen. Aber es ist nicht Madleen die hier vor mir steht, meldete sich eine mahnende Stimme aus ihrem Inneren. Aber warum soll ich nicht mir ihr gehen? Wem schade ich damit, wenn ich mich in ihre Arme fallen lassen? Folgte die Entwarnung auf dem Fuß.

Elena übergab sich der Verführerin, die sie langsam, fast in Zeitlupe durch das Haus führte, ihrem Schlafgemach entgegen. Immer tiefer schien sie wie in eine Art von Trance zu fallen, glitt in eine für sie bisher ungewohnte passive Rolle.

Langsam und erfüllt von rührender Zärtlichkeit begann Andrea Elena zu entkleiden, die lies es mit sich geschehen. Warum nur fühlte sie sich so voller Erwartung? Was war so neu an dieser sinnlichen Szene, die sie in ähnlicher Weise schon hunderte Male erleben durfte? Wer war diese mysteriöse Frau vor ihr, die im Begriff war ihre Meisterin zu werden. Sie, Elena, die Magierin in allen erotischen Disziplinen, plötzlich in der Rolle der unschuldigen Schülerin? Da konnte doch etwas nicht stimmen.

Andrea schien aus einer anderen Welt zu kommen, aus einer Welt jenseits dessen, was Elena bisher hatte kennen lernen dürfen.

Sanft bette Andrea Elena auf die weiche Matratze. Dann begann sie deren Körper im gleichmäßigen Rhythmus zu massieren. Elena wagte kaum zu atmen, um die einzigartige Schönheit des Augenblickes nicht zu zerstören. Diese totale Passivität, dieses ausgeliefert sein an die andere war eine Erfahrung, die in ungeahnte Tiefen des Bewusstseins führte.

Ein unendlicher Energiestrom begann in ihr zu erwachen und durchzog langsam ihren ganzen Körper.

„Elena! Der Klang ihres Namens auf Andreas Lippen war wie ein Blitz, der von einem klaren Himmel nieder zuckte.

„Bist du noch hier? Oder ist deine Seele bereits in höhere Gefilde entschwunden?“

„Ich… ich bin noch immer hier, aber…“

Elena versagte erneut die Stimme.

„Lass dich fallen! Du wirst neu geboren. wenn du willst. Bleib bei mir! Bleib bei mir die ganze Nacht.“ Die ganze Nacht, die ganze Nacht!“ Durchschnitt die honigsüße Stimme den Augenblick.

Sie spürte nur noch Andreas nackten Körper über ihr, dann die innige Umarmung, Liebkosung, ein Bad von Küssen. Alles Negative, das sich in den zurückliegenden Monaten in ihr aufgerichtet hatte, schien in diesem Moment von ihr zu weichen. Elena tauchte ein in die Unendlichkeit der Sinne.

„Madleen, komm zu mir! So lange habe ich auf dich geartet. Warum hast du mich verlassen? Ohne deine Liebe bin ich so tot wie ein welkes Blatt im November.“

„Ich bin hier meine Liebste. Ich bin bei dir alle Tage. Ich werde dich nie mehr verlassen.“ Hörte sie eine Antwort, doch die schien wohl eher aus ihrem Inneren zu kommen.

Nun verlor Elena jegliches Zeitgefühl. Sie befürchtete, ihr wild klopfendes Herz könnte ihren Brustkorb sprengen.

Ihr Atem wurde schneller und schneller, bis sie anfing wie ein Hund zu hecheln. Ihre Brustwarzen richteten sich auf und das Prickeln auf ihrem Körper wurde immer heftiger. Dann spürte sie Andreas Atem auf ihrer Haut, der sie sanft zu umspülen schien. Es kam ihr fast wie eine Außerkörperliche Wahrnehmung vor. Wann würde sie eine Vision bekommen? Doch da war nur Frieden, unaussprechliche Freude, Glück und Harmonie mit sich selbst und der ganzen Welt.

 

In der Zwischenzeit hatte sich die Dämmerung über den Abendhimmel gebreitet.

War es wirklich schon Abend? Fragte sich Elena, während sie im Halbschlaf dahin schlummerte,oder erschien ihr das nur so? Sie fand keine Antwort, wollte die auch gar nicht wissen, denn zu atemberaubend schön war die Empfindung, die ihren ganzen Körper zu tragen schien.

 

Als Elena am Morgen erwachte, wusste sie zunächst nicht, wo sie sich befand, sie wähnte sich im Bunker, in der vertrauten Umgebung, erst langsam wurde sie sich der Situation bewusste. Langsam begann sie sich aufzurichten. Nein, es war kein Traum. Auch der Körper neben ihr war ganz real, auch wenn er wie eine Fee aus der Anderwelt zu strahlen schien.

Andrea rekelte sich und stöhnte dabei leicht auf.

„Na, schon wach?“

„Ist es schon morgen? Mir ist als sei ich gerade erst in den Schlaf gefallen?“ Wunderte sich Elena. Instinktiv blickte sie sich um und versuchte ihre Kleidung zu erspähen.

„Es war wunderschön mir dir! Ich bin noch ganz benommen. Ich muss mich leider auf den Weg machen. Nicht böse sein, wenn ich dich jetzt schon verlassen.“ Glaubte Elena eine Entschuldigung vorbringen zu müssen.

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Nach dieser Nacht verzeihe ich dir alles.“ Andrea richtete sich ebenfalls auf und dabei kamen ihre vollen Brüste zum Vorschein.

„Ich muss ebenfalls aufstehen. Ach ja, ich bin zwei Tage weg. Vernissage! Übermorgen Abend bin ich, so wie es aussieht wieder zurück. Dann werde ich wieder voller Sehnsucht auf dich warten.“

Elena kam dieser Umstand gelegen, nahm er ihr doch die Entscheidung. Denn sie war gefangen zwischen Pflicht und Lust. Gerne wäre sie geblieben, hätte bis weit in den Vormittag das Liebesspiel fortgesetzt, hemmungslos, voll dem Rausch der Sinne ergeben. Andererseits wollte sie so bald als möglich zurück, sie befand sich in einem Wechselbad der Gefühle und musste alles erst einmal verarbeiten. Würde sie überhaupt in der Lage sein einen klaren Gedanken finden können? Sie entschwand kurz im Badezimmer und machte sich etwas frisch. Als sie zurückkehrte hatte sich Andrea ebenfalls erhoben. Blitzschnell hüpfte Elena in ihre Kleidung.

„Ja, also dann, ich muss, wohl oder übel.“

„Wohl oder übel!“ Andrea schritt auf sie zu, griff nach Elenas Taille und zog sie zu sich, streichelte deren Wangen und gab ihr einen Abschiedskuss, der es in sich hatte.

Am liebsten hätte Elena erneut ihre Hüllen fallen lassen, der Magnet begann wieder auf sie zu wirken.

Doch dann gelang es ihr sich loszureißen.

 

Am Horizont erschienen die ersten Finger der Helligkeit. Zart und behutsam streiften sie den Mantel der Nacht von der Welt. Lautlos erstand das Mysterium einer neuen Morgenröte, eines neuen Tages während Elena den Hof der alten Mühle verlies, um sich auf den Weg in den Bunker  zu begeben.

Ihre Gefühle waren in Aufruhr. Eine lange verschüttet geglaubte positive Energie war dabei sich in ihr Leben zurückzumelden.

Sie fühlte sich müde, was nicht weiter verwunderte, hatte sie doch kaum in den Schlaf gefunden. Sie trat in die Pedalen und radelte in Windeseile davon. Sicher war Neidhardt schon auf den Beinen. Der Frühaufsteher musste sich mit der Tatsache abfinden, dass sie die letzte Nacht nicht nach Hause gekommen war. Es war das erste Mal seit ihrer Ankunft hier, dass sie außerhalb genächtigt hatte.

Der kühle Fahrtwind, der ihren noch immer erhitzten Körper traf, erfrischte sie.

Sie hatte ihre sexuellen Energien voll ausgelebt, die ganze Nacht hindurch. Andrea war eine Erfahrung völlig anderer Natur, als sie es je erlebt hatte. Noch nie hatte sie sich einer Frau hingegeben. Stets war Elena was Frauenbeziehungen betraf, der aktive Part, gerade und vor allem bei Madleen, die Andrea in dieser Beziehung so ganz und gar nicht ähnlich war.

Selbst bei Männern übernahm Elena die führende Rolle. Ein Umstand, der den Betreffenden einiges abverlangte. Lediglich bei Neidhardt hatte sie eine Ausnahme zugelassen.

Andrea fiel aus jedem Rahmen. Sie lies sich in keines der ihr geläufigen Schemen einordnen.

Was in aller Welt war mit ihr geschehen?

Langsam näherte sich Elena dem Ortseingang von Vielstedt.  Noch schien das Dorf im Schlaf versunken, keine Menschenseele zu sehen. Schnell hatte sie den Dorfanger passiert und radelte am anderen Ende wieder hinaus, die etwas holprige Betonstraße in Richtung Bunker.

Zu ihrer rechten sah sie am Horizont ein Rudel Rehe, die zaghaft über das fast vollständig erblühte Feld schritt, dabei vorsichtig nach allen Seiten Ausschau haltend. Schließlich hatte Elena die umzäunte Neuaufforstung erreicht. Stieg vom Rad und begann es den Feldweg hinauf zu schieben, bis sie den Einstieg sichtete.

Es war immer ein aufwändiger Akt, das Rad in den kleinen Einstieg zu wuchten, doch auch diesmal gelang ihr das auf Anhieb. Dann schritt sie die Gänge entlang. Dabei fühlte sie sich wie eine ungehorsame Tochter im Teenageralter, die etwas Unerlaubtes getan hatte. Wie würde Neidhardt reagieren? Musste sie damit rechnen, dass er ihr eine Szene machte? Aber nein! Doch nicht Neidhardt. Der würde sich kaum etwas anmerken lassen. Welche Variante sollte sie also mehr fürchten?

Sie fand ihn in der Küche sitzend vor. Eine Tasse dampfenden Kaffee in der rechten Hand, den Blick auf eine Zeitung vor ihm gerichtet.

Elena hielt es für das Beste gleich in die Offensive zu gehen. Noch bevor Neidhardt etwas sagen konnte begann sie loszulegen.

„Oh Neidhardt, entschuldige bitte, dass ich jetzt erst komme. Ich wollte noch am Abend zurück, wie ich es versprochen. Dann ist etwas dazwischengekommen. Ich ähm…. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Ich hab mich einfach verloren. Diesmal bin ich schwach geworden, so wie du es sicher vorausgesehen hast. Es ist einfach passiert. Ich habe mich fallen lassen und….“

„Elena was ist denn geschehen. Du bist ja völlig außer Atem. Du warst bei Andrea und hast diesmal bei ihr übernachtet. Gut, ist doch nicht weiter tragisch. Du hast keinen Grund dich bei mir zu entschuldigen. Wenn ich mir auch zugegebenermaßen Gedanken gemacht habe.“

Versuchte Neidhardt zu beruhigen.

„Es…äh… es ist… passiert!“

„Du hast mit ihr geschlafen?“

„Ja!“

„Wo liegt das Problem? Ich habe damit gerechnet, und zwar schon seit geraumer Zeit.“

„Und es macht dir nichts aus?“

„Nein! Warum denn? Du bist mir keine Rechenschaft schuldig. Du bist frei zu tun was immer dir  beliebt. Elena, ich bin alt genug, um dein Vater sein zu können. Es wäre vermessen von mir, würde ich darauf beharren, dass, du mir allein gehörst.“

Elena lies sich vor ihm auf dem Boden nieder und bette ihren Kopf in seinem Schoß, in froher Erwartung, dass er auch dieses Mal ihr Haar streichelte. Neidhardt kam dieser Bitte wie immer allzu gerne nach.

„Da fällt mir aber ein Stein vom Herzen, dass du es auf diese Weise aufnimmst. Ich habe mir Vorwürfe gemacht. Ich lasse dich nicht gern allein. Es ist meine Pflicht für dich da zu sein.“

„Aber Elena, ich habe monatelang allein hier unten verbracht, mit nur so viel Außenkontakt wie nötig, ohne dabei verrückt zu werden. Wenn ich mich in der Zwischenzeit auch an deine Anwesenheit gewöhnt habe. Aber wir leben unsere Leben nach dem jeweiligen Maßstab. Du hast mich ja von Anfang an darauf vorbereitet ,dass du gerne eine Beziehung zu einer Frau hättest, wenn sich denn eine Gelegenheit bietet. Nun ist es passiert, alles in Ordnung.“

Beruhigte Neidhardt weiter und fuhr mit der Handfläche sanft über ihre Wangen.

„Mit einem Mann würde ich dich nie betrügen, das gelobe ich dir. Ich habe nach wie vor keine Männerbekanntschaften nötig. Daran hat sich nichts geändert, wenn mir auch einige Dorfbewohner Avancen machen, ich bleibe dabei.“ Meinte Elena versichern zu müssen.

„Auch damit könnte ich leben, denke ich zumindest.“

Elena glaubte einen Anflug von Unsicherheit in Neidhardts Worten zu vernehmen. Offensichtlich hatte er doch ein wenig Angst davor, dass ihm ein jüngerer Mann in die Quere kam. Doch Elena stand zu dem was sie sagte.

Es war schon kompliziert genug, eine dritte Person wäre hier mehr als fehl am Platze.

„Ich werde übrigens die nächsten zwei Tage voll mit dir verbringen können. Andrea ist bis übermorgen weg, zu einer Vernissage oder so. Du hast mich ganz für dich allein. Ich werde dich nach Strich und Faden verwöhnen, wenn du magst.“

„Hört sich gut an. Da bin ich mal gespannt!“

„Hast du dir für heute schon etwas Bestimmtes vorgenommen?“ Versuchte Elena das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

„Nein, nicht das ich wüsste, das übliche halt, schreiben, lesen und einen Gang in die Natur.“

„Wollen wir gemeinsam rausgehen, eine Wanderung unternehmen?“

„Warum nicht! Ist mal ne Abwechslung!“ Stimmte Neidhardt überraschender weise zu. Ansonsten zog er es vor bei seinen Gängen ins Freie mit sich selbst zu sein.

„Fein! Da können wir unser für gestern Abend geplantes Gespräch nachholen. Gib einfach Bescheid, wenn du soweit bist, dann werden wir aufbrechen.“

 

Nachdem Neidhardt sein Mittagschläfchen genossen hatte, machten sich die beiden auf den Weg. Wanderten durch die Heidelandschaft, die sich zur Rechten des Ausstieges ausbreitete. Elena hatte sich bei Neidhardt untergehakt.

Nach einer Weile löste sie sich und rannte ein Stück weit vor, bis zu einem Hochstand, der hier erst vor kurzem von der Forstgenossenschaft errichtet worden war. Flink wie eine Katze erklomm sie die Stufen und erreichte die Plattform.

„Wau eine wunderbare Aussicht. Natur wohin das Augen blickt. Ach, wie wohl ich mich doch hier fühle. Es scheint als sei ich nie im Leben woanders gewesen. So friedlich, so voller Ruhe und Anmut. Magst du zu mir aufsteigen?“

„Hmmm, ich möchte schon, aber ob das Holz unser beider Gewicht trägt? Ist zwar ein massiver Bau, aber man weiß ja nie!“

„Ach, der Turm wird schon nicht gleich zu Boden gehen!“ 

„Na, auf deine Verantwortung!“ Nachdem er die Worte gesprochen hatte begann Neidhardt langsam und bedächtig die Stufen aufzusteigen. Es brauchte eine gewisse Zeit, bis er seinen massigen Körper voranbrachte, doch am Ende hielt der sichere Bau beide. Elena streckte die Hand aus und half ihm beim letzten Meter.

Es gab auch eine Bank, die zum Sitzen einlud.

„Ja, du hast recht. Es ist wunderschön hier oben. Komisch, ich bin schon x-mal hier vorbeigelaufen, wäre aber nie auf die Idee gekommen, den Hochsitz allein zu besteigen.“

„Siehst du! Wie gut das es Elena gibt!“

„Und? Was hast du dir überlegt? Ich meine was deine geplante Reise betrifft, nach Köln zu Lucy und zu deinen Leuten?“ Neidhardts Frage riss Elena aus ihrem Tagtraum. Sie hatte in Wirklichkeit noch keine Gelegenheit gefunden sich ausgiebig Gedanken darüber zu machen. Die zurückliegende Nacht hatte alles andere in den Schatten gestellt. Im Augenblick war sie kaum in der Lage rational in die Zukunft zu planen.

„Nun, um ehrlich zu sein, noch gar nichts. Ich war gestern Morgen wohl wieder einmal etwas zu spontan. Aber mach dir keine Sorgen wir bekommen das schon hin. Ich bin fest entschlossen mich auf die Suche zu begeben. Wir müssen gut vorbereiten.“

„Das sagtest du schon und das ist sicher richtig! Ich denke, die vergangene Nacht hatte auch einen gewissen Einfluss auf deine Entscheidung. Ich kann mir schon denken, dass du es nicht sehr eilig hast in nächster Zeit hier wegzukommen. Da ist ein Magnet mit einer starken Sogwirkung.“

Stellte Neidhardt treffend fest.

„ Du hast mich durchschaut. Ja, ich bin noch immer ein wenig benommen. Es tat so gut nach langer Zeit endlich wieder einen Frauenkörper zu lieben. Ich habe mich so danach gesehnt. Ein weiterer Grund für mich zu bleiben, neben dir natürlich. Auch Andrea blickte tief in meine Seele und erkannte wo meine tatsächlichen Probleme verborgen liegen. Das aber bringt mich in eine Zwickmühle. Entscheidungszwang. So etwas mag ich eigentlich gar nicht.“

Elena erhob sich von der Sitzbank und lehnte sich durch das Fenster nach draußen, atmete tief durch und reckte sich.

Eine wohltuende Stille breitete sich über der Landschaft aus.

„Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage, um es mit Shakespeare auszudrücken. In deinem Falle hier sein oder dort sein, dort wo deine Leute sind, dein Zuhause, deine Bestimmung. Elena von Akratasien in der abgeschiedenen Stille eines vergessenen Tales? Das will einfach nicht zu dir passen. Seit du hier lebst stelle ich mich jeden Tag der kalten Wahrheit, die da heißt: Wann wird sie gehen, hinausziehen, um den Kampf wieder aufzunehmen. Im Grunde kann ich Andrea sehr dankbar sein, für den Umstand, dass sie dich zum Bleiben animiert. Nein, sie ist ganz und gar keine Konkurrentin für mich, ganz im Gegenteil, eine Verbündete.“

Elena lies sich wieder auf der Bank nieder.

„Ich möchte dich nicht allein zurücklassen. Wie ich schon gestern vorgeschlagen habe, könnten wir gemeinsam aufbrechen. Zunächst nach Lucy Ausschau halten. Damit könnte ich Zeit gewinnen um mich auf die Begegnung mit den Schwestern vorbereiten.“

„Eine durchaus sinnvolle Idee!“

„Du wärst bereit mitzukommen? Wirklich?“

„Ich befinde mich in einer ähnlichen Lage wie du. Natürlich würde ich gerne meine Tochter kennenlernen. Seit ich dich informiert habe, steigert sich der Wunsch beständig. Aber hier weg? Mein sicherer Hafen, mein letztes Refugium? Neidhardt erneut im äußeren Exil? Damit würde ich Cassian einen letzten Triumph in die Hände spielen.“

„Aber Cassian weiß doch nicht, dass du noch am Leben bist. Auch ich hatte keine Ahnung davon, bevor ich hierher kam. Worum sollte es für ihn einen Triumph bedeuten?“ Wunderte sich Elena.

„Wenn wir im Ausland gemeinsam auftreten, werden sich die Pressefritzen auf uns stürzen. Das heißt natürlich, vor allem auf dich. Elena lebt! Was für eine Story. Damit würde auch ich ins Visier geraten. Und wenn die dann auch noch Wind von Neidhardts heimlicher Tochter bekommen. Na, du kannst dir denken, was für einen Rummel das bedeutet. Da lege ich wahrlich keinen Wert darauf.“

„Das ist natürlich richtig! Daran habe ich nicht gedacht. Bin wie es aussieht, schon zu lange in der Verborgenheit. Aber das ist kein Grund zu resignieren. Wir müssen genau planen. Schritt für Schritt alles durchgehen. Zunächst versuche ich mal mit Lucy Kontakt aufzunehmen. Sie wird erstaunt sein, wenn sich Elena aus dem Jenseits meldet. Kann sein, dass sie es für einen Scherz hält und gar nicht darauf eingeht. Aber ich hoffe das die Neugier bei ihr obsiegt.“

Neidhardt fuhr sich mit der Hand durch sein graues Haar, dann lehnte er sich zurück und starrte in die Ferne.

Nach einer Zeit blickte er zu Elena und in seinen Augen schlichen sich erneut die Zweifel.

„Ich weiß nicht. Der Gedanke, fort zu gehen und mich auf eine ungewissen Zukunft einzulassen bereitet mir Angst. Ich denke ich muss noch einige Male darüber schlafen, bevor ich eine endgültige Entscheidung fällen kann.“

„Tue das! Und ich werde dir dabei Gesellschaft leisten.“

Heiterkeit schwang in Elenas Worten.

„Wollen wir unseren Gang fortsetzen?“ Schlug Elena plötzlich vor.

Selbstverständlich! Beim Laufen habe ich nach wie vor die besten Ideen und Einfälle. Womöglich lösen sich unsere Probleme in Luft auf.“ Stimmte Neidhardt zu, dann erhob er sich und betrat mit etwas wackeligen Knien die Treppe, dabei auf Elenas Hilfe bedacht. Unten angekommen stellte er fest wie wichtig es war festen Boden unter den Füßen zu haben, und das in jeglicher Hinsicht.

Sie wanderten weit an diesem Tag, erst als die Dämmerung langsam über den Horizont schlich kehrten sie in ihre sichere Behausung zurück.

Eine Entscheidung über ihren weiteren Verbleib konnte beide noch nicht fällen, dazu bedurfte es noch einer ausgiebigen Zeit des Überlegens. Einmal darüber schlafen würde kaum genügen.

Sinn oder Sinnlichkeit! Das war hier die Frage.

 

 

 

 

 

 

** noch zu Beginn des Jahres 2020 war der Begriff Ausgangssperre ein Fremdwort in unserer

   Gesellschaft, undenkbar, mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar,

   Ende des Jahres ist sie zur Selbstverständlichkeit geworden, die Gefahr der Freiheitsbe-

   raubung ist allgegenwärtig und wird unser Leben womöglich für viele Generationen

   bestimmen

 

 

 

*** siehe Teil 2 Kapitel 20 - Lang lebe Akratasien